Urteil
Außerordentliche Kündigung - Meldung eines Arbeitsunfalls - Angebot der geschuldeten Arbeit - Annahmeverzug

Gericht:

LAG Rheinland-Pfalz 5. Kammer


Aktenzeichen:

5 Sa 75/17


Urteil vom:

10.08.2017


Grundlage:

  • KSchG § 1 Abs. 2 |
  • BGB § 626 Abs. 1 |
  • BGB § 626 Abs. 2 |
  • BGB § 615 S. 1 |
  • BGB § 611 Abs. 1 |
  • BGB § 296 S. 1

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11. Januar 2017, Az. 11 Ca 614/15, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten, die Weiterbeschäftigung des Klägers sowie über Vergütung wegen Annahmeverzugs und Urlaub.

Der 1970 geborene, verheiratete Kläger ist bei der Beklagten seit dem 02.09.2013 als Produktionsmitarbeiter zu einem Stundenlohn von EUR 10,50 brutto im Schichtbetrieb in der 40-Stundenwoche beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt ca. 140 Arbeitnehmer.

Der Kläger arbeitete am 17./18.03.2014 in der Nachtschicht. Er stürzte am 18.03.2014 gegen 0:30 Uhr in der Produktionshalle und schlug mit dem Kopf auf dem Boden auf. Die Arbeitskollegen alarmierten den Rettungsdienst, der den Kläger ins Krankenhaus brachte. Dort wurde er auf der Intensivstation versorgt. Der Kläger war wegen eines Schädel-Hirn-Traumas bis einschließlich 22.02.2015 arbeitsunfähig krankgeschrieben. Der Durchgangsarzt erstattete der zuständigen Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie (BG RCI) einen Bericht (Bl. 58 der Beiakte 12 Ca 3118/14). Ob der Kläger einen Arbeitsunfall erlitten hat, ist zwischen den Parteien streitig. Die BG RCI lehnte die vom Kläger begehrte Feststellung, dass es sich bei dem Ereignis vom 18.03.2014 um einen Arbeitsunfall gehandelt hat, ab. Das Sozialgericht hat seine Klage abgewiesen. Das Berufungsverfahren des Klägers vor dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz ist noch nicht abgeschlossen.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger am 07.08.2014 fristlos, hilfsweise ordentlich. In dem Kündigungsschreiben heißt es ua:

"Begründung:

In dem letzten gemeinsamen Gespräch wurden Sie darauf hingewiesen, dass Sie nicht weiterhin die falsche Behauptung aufrechterhalten dürfen, bei Ihrem Sturz in unserer Firma handele es sich um einen Arbeitsunfall. Bei der mündlich ausgesprochenen Abmahnung waren Zeugen zugegen. Sie selbst haben bekundet, es sei kein Arbeitsunfall gewesen. Ihr Rechtsanwalt hat sodann mit Schriftsatz vom 24.07.2014 bekundet, dass Sie Ansprüche gegenüber der BG geltend machen. Folglich wollen Sie zumindest versuchen, sich unberechtigterweise einen Vermögensvorteil zu Lasten Dritter zu verschaffen.

Sie schädigen durch Ihr Verhalten die Solidargemeinschaft der Versicherten und uns als Arbeitgeber zugleich, da wir bei entsprechender Belastungsanzeige der BG auch in den Beiträgen steigen. Selbst der Versuch - ob nämlich die BG auf Ihre unrichtigen und unwahren Behauptungen reinfällt und Leistungen zahlt bleibt abzuwarten - ist nach unserer Auffassung als Betrug zu würdigen.

Aus diesem Grund kündigen wir das Arbeitsverhältnis fristlos aus wichtigem Grund.

Welche Rolle in diesem Zusammenhang Ihr Rechtsanwalt spielt, ist für uns nicht erkennbar - ist für uns aber auch ohne Belang.

Wir sind zudem nicht bereit das Risiko zu tragen, dass offensichtlich körperlich in Ihnen innewohnt. Bekanntermaßen gibt es im Rahmen der auszuführenden Arbeiten von Ihnen in unserer Firma erhebliche Gefahrenquellen, die zu schlimmen Verletzungen führen könnten, sofern Sie weiterhin an diesen plötzlichen "Bewusstlosigkeitsanfällen" leiden. Da weder Sie noch Ihre Ärzte diese Dinge aufklären konnten und diese offensichtlich auch noch vorliegen, Sie andernfalls nicht weiterhin arbeitsunfähig erkrankt wären, ist die Kündigung auch personenbedingt notwendig, da wir nicht ständig Ersatzkräfte auf unabsehbare Zeit vorhalten können. ..."

Der Kläger erhob gegen diese Kündigung Klage. Im ersten Kündigungsschutzprozess (Az. 12 Ca 3118/14) nahm die Beklagte im Kammertermin vom 28.01.2015 die Kündigung zurück und bot dem Kläger an, wieder arbeiten zu kommen. Im Anschluss an diese Erklärungen schlossen die Parteien vor dem Arbeitsgericht Koblenz folgenden

"Vergleich:

1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Beklagte aus der streitgegenständlichen Kündigung vom 07.08.2014 keine Rechte herleitet und das Arbeitsverhältnis deshalb ungekündigt zu unveränderten Bedingungen über den 07.08.2014 hinaus fortbesteht.

2. Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben."

Am 16.02.2015 erschien der Kläger im Betrieb und bot der Beklagten eine Tätigkeit im Rahmen eines Wiedereingliederungsverhältnisses an. Laut Wiedereingliederungsplan sollte er in der Zeit bis zum 08.03.2015 seine tägliche Arbeitszeit von zunächst 2, auf 4, sodann auf 6 Stunden steigern. Die Beklagte lehnte eine Wiedereingliederung kategorisch ab. Seit dem 23.02.2015 ist der Kläger nicht mehr arbeitsunfähig krankgeschrieben. Die Beklagte bestreitet, dass er ihr an diesem Tag seine volle Arbeitskraft angeboten hat.

Mit Klageschrift vom 24.02.2015 verlangt der Kläger die Zahlung von Vergütung für die Zeit vom 23.02. bis 31.03.2015 wegen Annahmeverzugs sowie seine Beschäftigung. Außerdem begehrt er die Verurteilung der Beklagten, ihm 26 Tage Urlaub aus dem Kalenderjahr 2014 zu gewähren, hilfsweise abzugelten. Im Schriftsatz vom 26.03.2015 kündigte der Prozessbevollmächtigte der Beklagten das Arbeitsverhältnis namens und in Vollmacht der Beklagten fristlos, hilfsweise ordentlich. Zur Begründung führte er aus, der Kläger wolle mit der vorliegenden Klage unter Vortäuschung falscher Tatsachen offensichtlich wieder unrechtmäßig Gelder beanspruchen. Außerdem habe er sich nach Ablauf des Krankengeldbezugs nicht gemeldet, um seine Arbeitskraft anzubieten. Vor dem Hintergrund, dass er dies schon nicht gewollt habe, als er sie im Vorprozess zum Abschluss des Vergleichs bewegt habe, stütze sie die Kündigung auch auf diesen Grund. Der Kläger erweiterte seine Klage am 14.04.2015 um einen Kündigungsschutz- und einen allgemeinen Feststellungsantrag.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, ihm für 2014 26 Tage Urlaub zu gewähren, hilfsweise diese abzugelten,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihm für Februar 2015 Vergütung iHv. EUR 499,99 brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.03.2015 zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, ihm für den Monat März 2014 Vergütung iHv. EUR 2400,00 brutto zu zahlen,

4. die Beklagte zu verurteilen, ihn als Produktionsmitarbeiter/ Granulierungsmitarbeiter zu beschäftigen,

5. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung im Schriftsatz der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 26.03.2015 beendet worden ist,

6. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern unverändert zu den bisherigen Bedingungen fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils vom 11.01.2017 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 11.01.2017 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 26.03.2015 aufgelöst worden ist (Ziff. 1). Außerdem hat es festgestellt, dass dem Kläger für das Kalenderjahr 2014 noch 26 Tage Urlaub zustehen (Ziff. 2). Es hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger für Februar 2015 Annahmeverzugslohn iHv. EUR 499,99 brutto nebst Zinsen (Ziff. 3) und für März 2015 iHv. EUR 2.400,00 brutto (Ziff. 4) zu zahlen sowie ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiterzubeschäftigen (Ziff. 5). Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 11.01.2017 Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das am 31.01.2017 zugestellte Urteil mit am 23.02.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 02.05.2017 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit am 02.05.2017 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Sie macht geltend, das Arbeitsgericht sei von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen. Sie habe bereits im Vorprozess (Az. 12 Ca 3118/14) ein betrügerisches Verhalten des Klägers angenommen. Der Kläger habe am 18.03.2014 im Betrieb einen Schwächeanfall erlitten, sei hierbei gestürzt und habe sich verletzt. Er sei ohne äußeren Einfluss gefallen, er habe sich allein durch den Schwächeanfall verletzt, weil er auf dem Boden aufgeschlagen sei. Das Ereignis habe niemand unmittelbar beobachtet, äußerliche Verletzungen seien nicht sichtbar gewesen. Diesen Geschehensablauf habe der Kläger auch zunächst seinen behandelnden Ärzten geschildert, denn sowohl in der Erstbescheinigung als auch in den ersten Folgebescheinigungen sei das Kästchen "Arbeitsunfall" nicht angekreuzt worden. Erst in der dritten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 03.04.2014 sei "Arbeitsunfall" angekreuzt worden, in der vom selben Arzt ausgestellten Folgebescheinigung vom 15.04.2014 jedoch wieder nicht. Sodann habe sich die zuständige BG RCI eingeschaltet und bei ihr nachgefragt. Sie habe der BG den Sachverhalt aus ihrer Sicht - kein Arbeitsunfall - geschildert. Gleichwohl habe der Kläger gegenüber der BG RCI seine Behauptung aufrechterhalten, dass er am 18.03.2014 einen Arbeitsunfall erlitten habe. Deshalb habe die BG um entsprechende Aufklärung gebeten. Zwischenzeitlich sei bei ihr eine weitere Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung eingegangen, die keinen Arbeitsunfall ausgewiesen habe. Da der Kläger ihr bereits telefonisch mitgeteilt habe, dass er aus seiner Sicht keinen Arbeitsunfall erlitten habe, sei in einem Gesprächstermin am 01.07.2014 der Sachverhalt erörtert worden. Der Kläger habe in diesem Gespräch mehrfach bestätigt, er sei mit dem Kopf auf dem Boden aufgeschlagen, wodurch wahrscheinlich die Verletzung (Schädel-Hirn-Trauma) hervorgerufen worden sei. Der Kläger habe mehrfach bestätigt, dass er das Ereignis vom 18.03.2014 nicht als Arbeitsunfall ansehe, weil ein äußerer Einfluss nicht vorgelegen habe. In dem Schwächeanfall und den dadurch verursachten gesundheitlichen Folgen durch den Aufprall mit dem Kopf auf dem Boden habe sich lediglich ein allgemeines Lebensrisiko, jedoch keine arbeitsspezifische Gefahr verwirklicht. Folglich liege kein Arbeitsunfall vor. Der Kläger sei im Gespräch vom 01.07.2014 aufgefordert worden, nicht weiter zu behaupten, dass er einen Arbeitsunfall erlitten habe, weil sie [die Beklagte] dadurch geschädigt werde. Die bloße Behauptung eines Mitarbeiters, er habe einen Arbeitsunfall erlitten, führe dazu, dass ihr die BG RCI einen 30-prozentigen Beitragsnachlass iHv. EUR 6.871,77 nicht mehr gewähre. Bei der unzutreffenden Behauptung, er habe einen Arbeitsunfall erlitten, handele es sich nicht um ein "Kavaliersdelikt", sondern um einen Untreuetatbestand. Ihre bloße Vermögensgefährdung stelle bei strafrechtlicher Würdigung den Tatbestand der Untreue dar. Die Verletzungen, die sich der Kläger durch den Sturz zugezogen habe, seien augenscheinlich äußerlich schnell abgeklungen. Allein die unterstellte "Angst" des Klägers, er könne weitere Schwächeanfälle erleiden und hierbei stürzen, rechtfertige keine Arbeitsunfähigkeit über einen solch langen Zeitraum, zumal der Kläger stets erklärt habe, die Ärzte hätten keinerlei Befunde für den Schwächeanfall feststellen können. Ihre erste Kündigung vom 07.08.2014 sei gerechtfertigt gewesen, weil bereits der dringende Verdacht des Vortäuschens einer Erkrankung für die Begründung einer fristlosen Kündigung ausreiche. Einen im Vorprozess im Gütetermin vom 24.09.2014 geschlossenen Widerrufsvergleich habe der Kläger widerrufen; augenscheinlich sei ihm die Abfindung (EUR 1.250,00) zu gering gewesen.

Im Kammertermin vom 28.01.2015 habe der Kläger im Vorprozess bekundet, er wolle wieder arbeiten kommen, wenn er vollständig genesen sei. Auf Nachfrage ihres Prozessbevollmächtigten habe er erklärt, er sei noch bis zum 15.02.2015 krankgeschrieben, am 16.02.2015 könne er wieder zur Arbeit erscheinen. Aufgrund dieser Willenserklärung habe sie die Kündigung zurückgenommen und den Vergleich geschlossen. Allein dieser Umstand sei - gerade in Anbetracht der Vorgeschichte - für sie ausschlaggebend gewesen, einen Vergleich abzuschließen. Der Kläger sei am 16.02.2015 vorstellig geworden und habe ihr einen "Wiedereingliederungsplan (!!!)" vorgelegt. Auf die Nachfrage, wann mit einer Wiederherstellung der vollen Arbeitsfähigkeit zu rechnen sei, habe der Kläger erklärt, dass er dies nicht wisse. Die Wiedereingliederung sei deshalb abgelehnt worden. In ihrem Produktionsbetrieb könne kein leidensgerechter Arbeitsplatz geschaffen werden. Dies sei wesentlicher Streitpunkt im Vorprozess gewesen. Folglich sei die vom Kläger gewählte und im vorliegenden Prozess offenkundig gewordene Vorgehensweise - Vorlage des Wiedereingliederungsplans trotz verbindlicher Zusage im Rahmen des zuvor geschlossenen Vergleichs ohne Änderung des gesundheitlichen Zustands oder anderer Gründe - bewusst mit betrügerischer Absicht erfolgt, auf Provokation gerichtet gewesen und habe lediglich den äußeren Anschein des "Arbeitenwollens" dokumentieren sollen. Die Vorgehensweise des Klägers stelle sich im Nachhinein betrachtet als stringente Fortsetzung der "klägerischen Mentalität" und dessen von Anfang an verfolgten Zielen heraus.

Das Arbeitsgericht sei ihrem Beweisangebot nicht nachgegangen, dass der Kläger im Kammertermin des Vorprozesses bekundet habe, er könne am 16.02.2015 wieder zur Arbeit erscheinen und seine volle Arbeitskraft zur Verfügung stellen. Die unsubstantiierte und ohne Beweisangebot aufgestellte Behauptung des Klägers, er habe am 23.02.2015 seine volle Arbeitskraft angeboten, überrasche sie nicht, weil der Krankengeldbezug am 22.02.2015 geendet habe. Zuvor habe der Kläger gerade nicht, wie im Vergleich vereinbart, seine volle Arbeitskraft angeboten, sondern lediglich durch Vorlage des Wiedereingliederungsplans dokumentiert, dass er nicht arbeitsfähig sei. Das Angebot des Arbeitens im Rahmen einer Wiedereingliederung sei im Zuge der getroffenen Vereinbarung nicht ausreichend gewesen, so dass der Kläger auch keinen Verzugslohn beanspruchen könne. Sie habe erstinstanzlich substantiiert und unter Beweisantritt vorgetragen, dass der Kläger seine volle Arbeitskraft auch nicht am 23.02.2015 angeboten habe. Diesem Vortrag nebst Beweisangebot sei das Arbeitsgericht nicht nachgegangen. Hätte das Arbeitsgericht Beweis erhoben, hätte es festgestellt, dass der Kläger seine Arbeitsleistung am 23.02.2015 nicht angeboten habe, und ihm keinen Lohn für die Monate Februar (anteilig) und März 2015 zugesprochen.

Ihre fristlose Kündigung vom 26.03.2015 sei gerechtfertigt. Der Kläger habe augenscheinlich bereits bei Vergleichsabschluss im Vorprozess nicht vorgehabt, wieder bei ihr zu arbeiten, folglich sei also ein Eingehungsbetrug zu konstatieren, aufgrund dessen die Kündigung gerechtfertigt sei. Eine geänderte "Befundsituation" habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt vorgetragen, eine solche habe auch nicht vorgelegen. Der Kläger habe im Gegenteil im Nachgang zum Kammertermin und im Widerspruch zu den Willenserklärungen, die dem Vergleichsabschluss zugrunde lagen - immer nur lapidar bekundet, er wisse nicht, wann er wieder genesen sei. Ein solches Verhalten sei ihr nicht zumutbar gewesen, es dokumentiere einzig die rechtsmissbräuchliche Intention des Verhaltens des Klägers. Im Nachgang zum erstinstanzlichen Urteil vom 11.01.2017 habe sie dem Kläger eine Prozessbeschäftigung angeboten, die er aufgrund einer anderweitigen Anstellung abgelehnt habe. Den Differenzlohn mache er in einem gesonderten Verfahren vor dem Arbeitsgericht Koblenz (Az. 12 Ca 767/17) geltend.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 11.01.2017, Az. 11 Ca 614/15, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen. Außerdem wird Bezug genommen auf den Inhalt der zur Information des Gerichts beigezogenen Akten 12 Ca 3118/14 und 12 Ca 767/17 (ArbG Koblenz).

Rechtsweg:

ArbG Koblenz, Urteil vom 11.01. 2017 - 11 Ca 614/15, Urteil
BAG, Urteil vom 06.12.2017 - 2 AZN 779/17, Beschluss: Verwerfung

Quelle:

Landesrecht Rheinland-Pfalz

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist teilweise unzulässig, im Übrigen ist sie unbegründet.

I.

In Bezug auf die im erstinstanzlichen Urteil getroffene Feststellung, dass der Kläger für das Kalenderjahr 2014 einen Urlaubsanspruch für 26 Tage hat (Ziff. 2 des Tenors), ist die Berufung mangels einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Berufungsbegründung unzulässig.

1. Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO iVm. § 64 Abs. 6 ArbGG muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich die Rechtsverletzung durch das angefochtene Urteil und deren Erheblichkeit für das Ergebnis der Entscheidung ergibt. Die Berufungsbegründung muss deshalb auf den zur Entscheidung stehenden Fall zugeschnitten sein und sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befassen. Hat das Arbeitsgericht - wie hier - über mehrere Streitgegenstände iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO mit jeweils eigenständiger Begründung entschieden, muss für jeden eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Rechtsmittelbegründung gegeben werden; fehlen Ausführungen zu einem Streitgegenstand, ist das Rechtsmittel insoweit unzulässig. Eine eigenständige Begründung ist nur entbehrlich, wenn die Entscheidung über den einen Streitgegenstand notwendig von der Entscheidung über den anderen abhängt (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 21.04.2016 - 5 Sa 243/15 - Rn. 54 mwN).

2. Mit dem Anspruch des Klägers auf 26 Tage Urlaub für 2014 (Ziff. 2 des Tenors) befasst sich die Berufung überhaupt nicht. Das wäre indes erforderlich gewesen. Der Anspruch bestand nach der Begründungslinie des Arbeitsgerichts unabhängig vom Schicksal des Kündigungsschutzantrags. Das Arbeitsgericht hat den Antrag dahin ausgelegt, der Kläger begehre die Feststellung, dass ihm für das Jahr 2014 noch 26 Tage Urlaub zustehen und ein Feststellungsinteresse iSv. § 256 Abs. 1 ZPO bejaht. Es hat weiter ausgeführt, dass der Urlaubsanspruch nicht gem. § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ende des Jahres 2014 verfallen sei, weil der Kläger unstreitig versucht habe, den Urlaub zu beantragen. Die Beklagte müsse sich zurechnen lassen, dass sie die Beantragung des Urlaubs durch Zutrittsverweigerung vereitelt habe. Auf diese Erwägungen geht die Beklagte mit keinem Wort ein. Ihre Berufung war daher teilweise als unzulässig zu verwerfen, ohne dass dies im Urteilstenor gesondert zum Ausdruck zu bringen war.

II.

Soweit die Berufung zulässig ist, hat sie in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 26.03.2015 mit sofortiger Wirkung noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung zum 30.04.2015 aufgelöst worden ist (Ziff. 1 des Tenors). Die Beklagte ist deshalb zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet (Ziff. 5 des Tenors). Auch die Zahlungsklage ist begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, an den Kläger für den hier streitigen Zeitraum vom 23.02. bis zum 31.03.2015 Annahmeverzugslohn in rechnerisch unstreitiger Höhe von insgesamt EUR 2.899,99 brutto (Ziff. 3, 4 des Tenors) nebst der geltend gemachten Verzugszinsen zu zahlen.

1. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Schriftsatzkündigung der Beklagten vom 26.03.2015 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst hat.

a) Die fristlose Kündigung der Beklagten ist unwirksam. Es fehlt an einem wichtigen Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB. Außerdem ist die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt.

aa) Gem. § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände "an sich" und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile - jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG 20.10.2016 - 6 AZR 471/15 - Rn. 14 mwN).

bb) Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass im Streitfall bereits ein "an sich" zur Kündigung geeigneter Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB fehlt. Der Kläger hat nicht gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen. Der Kündigungsvorwurf, der Kläger wolle unter Vortäuschung falscher Tatsachen, unrechtmäßig Gelder beanspruchen, ist nicht gerechtfertigt. Auch die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe bei Vergleichsabschluss im Vorprozess (Az. 12 Ca 3118/14) am 28.01.2015 nicht gewollt, ihr seine Arbeitskraft anzubieten, rechtfertigt keine Kündigung. Auf die strafrechtliche Bewertung der Beklagten, die nicht frei von Rechtsirrtum ist, kommt es kündigungsrechtlich nicht an.

Die Beklagte verkennt bereits im Ansatz, dass der Kläger seine arbeitsvertraglichen Pflichten nicht verletzt hat, weil er das Ereignis vom 18.03.2014 bei der zuständigen Berufsgenossenschaft als Arbeitsunfall gemeldet hat. Entgegen der Ansicht der Berufung muss der Kläger (als gesetzlich versicherte Person) bei der Meldung eines Unfalls, den er unstreitig während der Arbeitszeit in der Produktionshalle erlitten hat, keine Rücksicht darauf nehmen, dass die BG RCI der Beklagten bereits bei einer bloßen Unfallanzeige keinen Beitragsnachlass von 30% iHv. EUR 6.871,77 mehr gewährt, wie die Berufung behauptet. Es ist unstreitig, dass der Kläger in der Nachtschicht am 18.03.2014 im Betrieb der Beklagten gestürzt und mit dem Kopf auf dem Hallenboden aufgeschlagen ist. Der Kläger wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht und dort behandelt. Wegen eines Schädel-Hirn-Traumas, das er infolge des Sturzes erlitten hat, war er länger als drei Kalendertage arbeitsunfähig. Ob der Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird, entscheidet nicht die Beklagte, sondern die zuständige Berufsgenossenschaft und letztlich die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit. Dabei sind komplexe Kausalitätsfragen zu klären (vgl. unter vielen BSG 17.02.2009 - B 2 U 18/07 R). Sowohl die Rechtsansicht der Beklagten als auch deren allenfalls laienhafte medizinische Einschätzung sind in diesem Zusammenhang unerheblich.

Auch wenn es nicht darauf ankommt, war die erste Kündigung der Beklagten vom 07.08.2014 offensichtlich rechtsunwirksam. Dass der Kläger gegenüber der BG RCI leichtfertig unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt hätte, ist nicht ersichtlich. Er war befugt, der zuständigen Berufsgenossenschaft einen Arbeitsunfall zu melden, den er nach seiner Auffassung am 18.03.2014 in der Nachtschicht erlitten hat. Sein Vorgehen stellt sich nicht als widerrechtlich dar. Das gilt selbst dann, wenn im sozialgerichtlichen Verfahren rechtskräftig entschieden werden sollte, dass der Unfall vom 18.03.2014 nicht als Arbeitsunfall anzuerkennen ist. Wenn die Beklagte im Kammertermin vom 28.01.2015 im Vorprozess die Kündigung vom 07.08.2014 "zurückgenommen" und sich verpflichtet hat, aus dieser Kündigung keine Rechte herzuleiten, sondern das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zu unveränderten Bedingungen fortzusetzen, hat sie so den drohenden Prozessverlust abgewendet. Die Beklagte übersieht bei ihrer Argumentation außerdem, dass sie sich im Vergleich verpflichtet hat, aus der Kündigung vom 07.08.2014 "keine Rechte herzuleiten". Durch den Vergleich hat sie zu erkennen gegeben, sie sehe das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört an, dass sie es nicht mehr fortsetzen könne. Auf das dafür maßgebliche Motiv kommt es nicht an.

Die Annahme der Berufung, der Kläger habe bei Vergleichsabschluss im Vorprozess einen "Eingehungsbetrug" begangen, der sie zur Kündigung berechtige, geht fehl. Die Beklagte hat im Vorprozess ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 28.01.2015 die streitgegenständliche Kündigung "zurückgenommen" und dem Kläger angeboten, wieder arbeiten zu kommen. Als einseitiges Rechtsgeschäft konnte die Beklagte die Kündigung nach dem Zugang an den Kläger nicht mehr einseitig zurücknehmen. Die Gestaltungswirkung seiner Willenserklärung kann der kündigende Arbeitgeber nicht mehr allein beseitigen, eine einseitige Kündigungsrücknahme ist ihm verwehrt. Die Wirkungen einer Kündigung können nur durch eine Vereinbarung beseitigt werden, durch die der gekündigte Arbeitnehmer ein Fortsetzungsangebot des Arbeitgebers annimmt (vgl. BAG 17.10.2013 - 8 AZR 742/12 - Rn. 32 mwN). Das ist durch den Abschluss des Vergleichs im Vorprozess im Anschluss an die "Rücknahme" der Kündigung geschehen. Nicht mehr und nicht weniger. Es spricht nichts dafür, dass eine - nicht protokollierte - Erklärung des Klägers, er sei noch bis zum 15.02.2015 krankgeschrieben und könne am 16.02.2015 wieder zur Arbeit erscheinen, "Geschäftsgrundlage" des Vergleichsschlusses war, wie die Berufung behauptet.

Die Beklagte kann dem Kläger nicht als schuldhafte Pflichtverletzung vorwerfen, dass er ihr am 16.02.2015 nicht seine geschuldete Arbeitsleistung angeboten, sondern (nur) einen Wiedereingliederungsplan vorgelegt habe. Es ist nicht verwerflich und stellt deshalb keinen Kündigungsgrund dar, wenn der Kläger, der wegen eines Schädel-Hirn-Traumas elf Monate arbeitsunfähig erkrankt war, zum Ende der Arbeitsunfähigkeit der Beklagten seine Tätigkeit (zunächst) im Rahmen eines Wiedereingliederungsverhältnisses angeboten hat. Die Vorstellungen, die die Berufung hierzu entwickelt hat, sind von einer Verkennung der Rechtslage geprägt. Zunächst ist festzuhalten, dass die Beklagte gem. § 84 Abs. 2 SGB IX verpflichtet war, ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) durchzuführen, weil der Kläger länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (vgl. BAG 20.11.2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 31). Hat er entgegen seiner gesetzlichen Pflicht - wie die Beklagte - überhaupt kein bEM durchgeführt, darf er sich dadurch keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile verschaffen können.

Selbst wenn der Kläger im Kammertermin vom 28.01.2015 im Vorprozess erklärt haben sollte, er sei bis zum 15.02.2015 krankgeschrieben und werde am 16.02.2015 wieder zur Arbeit erscheinen, stellt es keinen Kündigungsgrund dar, wenn er der Beklagten am 16.02.2015 (nur) einen Wiedereingliederungsplan vorgelegt hat. Die Ausführungen der Berufung zum Motiv des Klägers, ihr am 16.02.2015 zunächst eine Tätigkeit im Rahmen eines Wiedereingliederungsverhältnisses anzubieten, erschöpfen sich in bloßen Unterstellungen. Ohne Durchführung eines bEM - ggf. unter Inanspruchnahme des Sachverstands eines Betriebsarztes - kann die Beklagte dem Kläger schon nicht entgegenhalten, sie könne in ihrem Produktionsbetrieb den bisherigen Arbeitsplatz nicht an ihm zuträgliche Arbeitsbedingungen anpassen noch komme seine Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz in Betracht (vgl. BAG 13.05.2015 - 2 AZR 565/14 - Rn. 32 mwN). Wenn denkbares Ergebnis eines bEM sein kann, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der medizinischen Rehabilitation iSv. § 26 SGB IX zu verweisen (vgl. BAG 20.11.2014 - 2 AZR 755/13 - Rn. 49 ff), kann es dem Kläger nicht zum Nachteil gereichen, wenn er der Beklagten am 16.02.2015 eine Wiedereingliederung angeboten hat, damit seine tägliche Arbeitszeit nach monatelanger Krankheit wieder schrittweise auf eine volle Stundenzahl angehoben wird. Was an dieser Vorgehensweise - wie die Berufung behauptet - als Ausdruck der "klägerischen Mentalität" "betrügerisch" oder auf "Provokation gerichtet" sein soll, erschließt sich nicht.

Da für beide Seiten das Prinzip der Freiwilligkeit gilt, konnte die Beklagte den Wiedereingliederungsantrag des Klägers ablehnen, was sie getan hat. Eine wie auch immer geartete Pflichtverletzung des Klägers liegt in seinem Antrag auf Wiedereingliederung nicht. Es ist anerkannt, dass ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung oft in der Lage ist, unter geänderten Arbeitsbedingungen tätig zu sein und eine allmähliche Steigerung der beruflichen Belastung die Rückkehr des Arbeitnehmers in das aktive Erwerbsleben im Interesse beider Arbeitsvertragsparteien erleichtern kann. Krankenkassen (§ 74 SGB V) und die sonstigen Sozialversicherungsträger (§ 28 SGB IX) fördern deshalb die sog. stufenweise Wiedereingliederung des Arbeitnehmers in das Erwerbsleben. Während der beruflichen Rehabilitation erhält der weiterhin arbeitsunfähige Arbeitnehmer die ihm sozialrechtlich zustehenden Leistungen (zB. Krankengeld). Arbeitsrechtlich bedarf die Maßnahme wegen der vom Arbeitsvertrag abweichenden Beschäftigung grundsätzlich der Zustimmung des Arbeitgebers. Entgeltansprüche entstehen nicht (vgl. BAG 24.09.2014 - 5 AZR 611/12 - Rn. 32; BAG 13.06.2006 - 9 AZR 229/05 - Rn. 23).

Schließlich hat bereits das Arbeitsgericht zutreffend erkannt, dass die Beklagte die Kündigung nicht darauf stützen kann, dass der Kläger mit der vorliegenden Klage beabsichtige, "unrechtmäßig Gelder unter Vortäuschung falscher Tatsachen" zu beanspruchen. Der Vorwurf des Prozessbetrugs ist unberechtigt.

cc) Im Übrigen hat die Beklagte die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Nach dieser Vorschrift kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Die Schriftsatzkündigung vom 26.03.2015 ist dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht vor diesem Datum zugegangen. Alle Gründe, auf die die Beklagte die Kündigung stützt, waren ihr bereits länger als zwei Wochen bekannt. Selbst der zeitlich letzte Vorwurf des Prozessbetrugs war verfristet, denn die Klageschrift vom 24.02.2015 ist der Beklagten ausweislich der Postzustellungsurkunde am 04.03.2015 zugestellt worden.

b) Die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSv. § 1 Abs. 1, Abs. 2 KSchG. Der Kläger hat - wie oben ausgeführt - seine Vertragspflichten nicht verletzt.

2. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verurteilt (Ziff. 5 des Tenors). Da der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage obsiegt hat, kann er nach der Entscheidung des Großen Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 27.02.1985 (GS 1/84) verlangen, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterbeschäftigt zu werden. Besondere Interessen an einer Nichtbeschäftigung des Klägers, die eine abweichende Bewertung rechtfertigen könnten, hat die Beklagte auch in zweiter Instanz nicht dargelegt.

Die Frage, weshalb der Kläger das Angebot der Prozessbeschäftigung nicht angenommen hat, ist im vorliegenden Rechtsstreit ohne Belang. Ob sich der Kläger auf die Vergütung wegen Annahmeverzugs für die Zeit nach Zugang des Angebots zur Weiterbeschäftigung den Wert desjenigen anrechnen lassen muss, was er in dieser Zeit bereits im Rahmen einer Prozessbeschäftigung bei der Beklagten hätte verdienen können, ist im Folgeprozess vor dem Arbeitsgericht Koblenz (Az. 12 Ca 767/17) zu klären.

3. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an den Kläger für die Zeit vom 23.02. bis 31.03.2015 Annahmeverzugslohn in rechnerisch unstreitiger Höhe zu zahlen (Ziff. 3, 4 des Tenors). Die Angriffe der Berufung greifen nicht durch.

a) Der Kläger kann gem. § 615 Satz 1, § 611 Abs. 1 iVm. §§ 293 ff. BGB Vergütung wegen Annahmeverzugs der Beklagten für den hier streitigen Zeitraum beanspruchen.

aa) Kommt der Arbeitgeber mit der Annahme der Dienste in Verzug, so kann der Arbeitnehmer für die infolge des Verzugs nicht geleisteten Dienste die vereinbarte Vergütung verlangen, § 615 Satz 1 BGB. Die Voraussetzungen des Annahmeverzugs richten sich nach den §§ 293 ff. BGB. Nach § 296 Satz 1 BGB obliegt es dem Arbeitgeber als Gläubiger der geschuldeten Arbeitsleistung, dem Arbeitnehmer einen funktionsfähigen Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Die dem Arbeitgeber nach § 296 Satz 1 BGB obliegende Handlung besteht darin, die vom Arbeitnehmer geschuldete Leistung hinreichend zu bestimmen und durch Zuweisung eines bestimmten Arbeitsplatzes zu ermöglichen. Dem ist die Beklagte ab dem 23.02.2015 nicht nachgekommen. Sie verweigerte dem Kläger die Zuweisung eines Arbeitsplatzes, obwohl sie die Kündigung vom 07.08.2014 im Kammertermin des Vorprozesses (Az. 2 Ca 3118/14) "zurückgenommen" und dem Kläger - ausweislich der Sitzungsniederschrift vom 28.01.2015 - angeboten hat, wieder arbeiten zu kommen.

Zwar führt die unterlassene Zuweisung eines Arbeitsplatzes dann nicht zu einem Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers aus Annahmeverzug, wenn die Voraussetzungen des § 297 BGB vorliegen. Danach kommt der Arbeitgeber nicht in Verzug, wenn der Arbeitnehmer - ua. wegen Arbeitsunfähigkeit - außer Stande ist, die Arbeitsleistung zu bewirken. Die Leistungsfähigkeit ist eine Voraussetzung, die während des gesamten Annahmeverzugszeitraums vorliegen muss (vgl. BAG 28.09.2016 - 5 AZR 224/16 - Rn. 23 mwN). Verweigert der Arbeitgeber - wie hier - nach dem Ende einer vom Arzt attestierten Arbeitsunfähigkeit die Wiederaufnahme der Arbeit, hat er darzulegen und zu beweisen, dass der Arbeitnehmer objektiv nicht in der Lage war, die von ihm geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (vgl. BAG 17.08.2011 - 5 AZR 251/10 - Rn. 17 mwN; BAG 23.01.2008 - 5 AZR 393/07 - Rn. 13 mwN).

bb) Die Beklagte hat auch zweitinstanzlich keinen ausreichend substantiierten Vortrag zum behaupteten Leistungsunvermögen des Klägers ab 23.02.2015 gehalten.

Der Kläger war ab 23.02.2015 nicht mehr arbeitsunfähig krankgeschrieben. Das Arbeitsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, er habe der Beklagten seine Arbeitsleistung am 23.02.2015 uneingeschränkt angeboten. Der Kläger sei nach seinem Vortrag an diesem Tag im Betrieb der Beklagten erschienen, um seine Arbeitsleistung voll anzubieten; er habe keine Wiedereingliederung mehr beantragt, weil sie von der Beklagten am 16.02.2015 abgelehnt worden sei. Die Beklagte habe sein Arbeitsangebot nicht angenommen, sondern ihn nach einer dreistündigen Wartezeit mit dem Hinweis, er solle nicht mehr vorbeikommen, nach Hause geschickt. Auf diesen Vortrag habe die Beklagte nichts erwidert, so dass er gem. § 138 Abs. 2, 3 ZPO als zugestanden gelte.

Zu den Geschehnissen am 23.02.2015 hat die Beklagte in der Berufungsbegründungschrift (Seite 7) lediglich ausgeführt, sie habe in erster Instanz unter Beweisantritt im Schriftsatz vom 26.03.2015 (dort Seite 4) darauf hingewiesen, dass der Kläger "seine volle Arbeitskraft auch nicht am 23.02.2015 angeboten" habe. In dem zitierten erstinstanzlichen Schriftsatz findet sich lediglich der knappe Hinweis, der Kläger habe "gerade nicht am 23.02.2015 seine volle Arbeitskraft angeboten". Dieser Satz enthält keinen Tatsachenvortrag, der geeignet ist, eine solche Wertung zu rechtfertigen. Die Beklagte hat ihrer Darlegungslast damit jedenfalls nicht genügt. Unter diesen Umständen liefe die angebotene Vernehmung der Assistentin des Geschäftsführers als Zeugin auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinaus.

Tatsachen sind konkrete, nach Zeit und Raum bestimmte, der Vergangenheit oder der Gegenwart angehörige Geschehnisse oder Zustände. Die Beklagte hat keine dem Beweis zugänglichen Tatsachen nach Ort, Zeit und Gesprächsinhalten vorgetragen, zu denen die von ihr benannte Zeugin hätte befragt werden können. Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, die Tatsachen zu erforschen, sondern die von der Partei behaupteten Tatsachen durch eine Beweisaufnahme zu überprüfen. Die Behauptung der Beklagten, die Assistentin des Geschäftsführers könne bezeugen, dass der Kläger "gerade nicht am 23.02.2015 seine volle Arbeitskraft angeboten" habe, stellt keinen substantiierten Tatsachenvortrag dar. Eine unsubstantiierte, nicht durch Einzeltatsachen belegte allgemeine Behauptung wird nicht durch einen Beweisantritt zu einem schlüssigen Vortrag (vgl. BAG 21.01.2014 - 3 AZR 362/11 - Rn. 47 mwN).

Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger am 23.02.2015 noch arbeitsunfähig erkrankt gewesen sein könnte. Die Unterstellung der Beklagten, der Kläger behaupte lediglich, ihr die Arbeit angeboten zu haben, weil der Krankengeldbezug am 22.02.2015 geendet habe, ist nicht berechtigt. Die Dauer des Krankengeldes beträgt für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit gem. § 48 SGB V längstens 78 Wochen. Der Anspruch auf Krankengeld hätte bei einer Erkrankung ab 18.03.2014 erst am 14.09.2015 geendet.

b) Die Höhe der geltend gemachten Forderung hat die Beklagte auch zweitinstanzlich nicht bestritten, so dass gem. § 138 Abs. 3 ZPO vom Vortrag des Klägers auszugehen ist. Der Kläger verlangt für den Monat Februar 2014 EUR 499,99 brutto (5/24 von EUR 2.400,00) und für den Monat März 2014 EUR 2.400,00 brutto. Nach seinem Vortrag betrug seine durchschnittliche Bruttomonatsvergütung EUR 2.400,00. Diesen Vortrag hat er durch Vorlage einer DATEV-Entgeltbescheinigung vom 28.05.2014 untermauert, woraus hervorgeht, dass ihm die Beklagte für die Zeit vom 01.01.2015 bis zum Krankengeldbezug ab 29.04.2015 einen Gesamtbetrag iHv. EUR 9.810,95 brutto gezahlt hat.

Dass der Anspruch des Klägers gem. § 115 Abs. 1 SGB X (teilweise) auf gesetzliche Sozialversicherungsträger übergegangen sein könnte, lässt sich anhand der Gerichtsakte nicht feststellen. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass ihr eine Überleitungsanzeige zugegangen ist. Arbeitslosengeld I wurde dem Kläger laut vorgelegtem Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 29.05.2015 (Bl. 25 der Beiakte 12 Ca 767/17) erst ab 09.04.2015 gewährt.

c) Die geltend gemachten Zinsen, die der Kläger nur für den Verzugslohn aus Februar 2015 fordert, sind gem. §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, § 288 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

III.

Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Zulassung der Revision ist mangels Vorliegens gesetzlicher Gründe nicht veranlasst (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

Referenznummer:

R/R7699


Informationsstand: 27.09.2018