Urteil
Außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses - Weigerung einer Arbeitnehmerin, eine Untersuchung durch den medizinischen Dienst ihrer Krankenversicherung herbeizuführen

Gericht:

LAG Köln


Aktenzeichen:

7 Sa 768/17


Urteil vom:

21.06.2018


Grundlage:

Leitsatz:

1. Die Anweisung des Arbeitgebers an eine Arbeitnehmerin, "sich unverzüglich zwecks Untersuchung an den medizinischen Dienst Ihrer Krankenversicherung... zu wenden und mir eine Stellungnahme zum Untersuchungsergebnis vorzulegen", geht ins Leere, da gemäß § 275 SGB V der Arbeitgeber den medizinischen Dienst nur über die Krankenkasse einschalten lassen kann. Die Weigerung der Arbeitnehmerin, einer solchen Anweisung Folge zu leisten, erscheint daher als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung nicht geeignet.

2. Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld zählen typischerweise nicht zu den Leistungen, mit denen der Anspruch der Arbeitnehmerin auf den gesetzlichen Mindestlohn erfüllt werden kann.

Rechtsweg:

ArbG Aachen, Urteil vom 31.08.2017 - 2 Ca 4259/16

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 31.08.2017 in Sachen2 Ca 4259/16 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, wann das zwischen ihnen begründete Arbeitsverhältnis sein Ende gefunden hat, ferner um Annahmeverzugsansprüche der Klägerin, Mindestlohndifferenzansprüche und anteilige Urlaubsabgeltung für das Jahr 2017.

Wegen des Sach- und Streitstandes in erster Instanz, wegen der erstinstanzlich zur Entscheidung gestellten Sachanträge und wegen der Gründe, die die 2. Kammer des Arbeitsgerichts Aachen dazu bewogen haben, der Klage im Wesentlichen stattzugeben, wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils vom 31.08.2017 Bezug genommen.

Das Urteil des Arbeitsgerichts wurde den Beklagten am 15.09.2017 zugestellt. Die Beklagten haben hiergegen am 04.10.2017 Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung der Frist bis zum 13.12.2017 am 12.12.2017 begründet.

Die Beklagten vertreten die Auffassung, das Arbeitsverhältnis der Parteien habe bereits am 24.11.2016 aufgrund eines zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2.) am Telefon abgeschlossenen mündlichen Aufhebungsvertrages sein Ende gefunden. Hierzu behaupten die Beklagten, nach Erhalt des Schreibens mit der Aufforderung, den medizinischen Dienst der Krankenkasse aufzusuchen, habe die Klägerin am 24.11.2016 angerufen und dem Beklagten zu 2.) erklärt, sie werde auf keinen Fall den medizinischen Dienst ihrer Krankenkasse aufsuchen, falls man ihr ihre Arbeitsunfähigkeit nicht glaube, wolle sie nicht mehr für die hiesige Kanzlei arbeiten. Das Gespräch sei auf Seiten des Beklagten zu 2.) von einer anderen Mitarbeiterin mitgehört worden.

Entgegen der Einschätzung des Arbeitsgerichts sei auch die vorsorglich ausgesprochene fristlose Kündigung vom 01.12.2016 rechtswirksam. In Anbetracht der eindeutigen Erklärung der Klägerin, sie werde auf keinen Fall den medizinischen Dienst ihrer Krankenkasse aufsuchen, sei eine vorherige Abmahnung entbehrlich gewesen. Die fristlose Kündigung sei begründet gewesen, da die Klägerin wegen einer gesundheitlichen Lappalie eine vielwöchige Arbeitsunfähigkeit vorgespiegelt und dadurch die Beklagten betrogen hätte.

Da das Arbeitsverhältnis durch Aufhebungsvertrag bzw. fristlose Kündigung beendet worden sei, gingen die Zahlungsanträge der Klägerin, die auf Annahmeverzugslohn gerichtet seien, ins Leere. Zudem fehle es der Klägerin an der Aktivlegitimation, da die Bundesagentur für Arbeit einen Anspruchsübergang angezeigt habe.

Nach Meinung der Beklagten habe das Arbeitsgericht der Klägerin auch die Mindestlohndifferenzansprüche zu Unrecht zugesprochen. Die Klägerin habe seit dem Jahre 2010 ununterbrochen im Juni Urlaubsgeld und im November Weihnachtsgeld erhalten. Diese Leistungen seien auf den Mindestlohn anzurechnen. Die im Arbeitsvertrag angesprochenen "bürointernen Gepflogenheiten" bedeuteten, das Urlaubs- und Weihnachtsgeld stets ordnungsgemäß und pünktlich erbracht werden. Rückforderungen und/oder Vorbehalte habe es noch nie gegeben.

Auf den vollständigen Inhalt der Berufungsbegründungsschrift der Beklagten und ihres weiteren Schriftsatzes vom 17.04.2018 wird Bezug genommen.


Die Beklagten und Berufungskläger beantragen nunmehr,

die Klage unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Aachen vom 31.08.2017 (2 Ca 4259/16) abzuweisen.


Die Klägerin und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsbeklagte verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und dessen Begründung. Nach der Rechtsprechung des EuGH könnten nur zwingend und transparent geregelte Gegenleistungen des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers Bestandteile des Mindestlohns sein. Nach dem Urteil des BAG vom 20.09.2017, 10 AZR 171/16, seien Sonderzahlungen auf Ansprüche nach dem Mindestlohngesetz nicht anzurechnen, wenn es hierauf einen eigenständigen Anspruch gebe und es sich nicht um Entgelt für geleistete Arbeit handele.

Auch auf den vollständigen Inhalt der Berufungserwiderung der Klägerin sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht wird ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 31.08.2017, 2 Ca 4259/16, ist zulässig. Die Berufung ist gemäß § 64 Abs. 2 b) und c) ArbGG statthaft. Sie wurde auch innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und begründet.

II. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 31.08.2017 erweist sich jedoch in allen Punkten als unbegründet.

1. Wie das Arbeitsgericht Aachen zutreffend erkannt hat, hat das Arbeitsverhältnis der Parteien erst aufgrund der von den Beklagten unter dem 01.12.2016 vorsorglich und hilfsweise ausgesprochenen fristgerechten Kündigung sein Ende gefunden, und zwar zum 28.02.2017.

a. Die Kündigungsfrist ergibt sich aus § 622 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 BGB. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung bestand das Arbeitsverhältnis der Parteien länger als 5 Jahre, aber weniger als 8 Jahre. Einzuhalten war somit eine Kündigungsfrist von 2 Monaten zum Ende eines Kalendermonats. Zwar haben die Beklagten ihre fristgerechte Kündigung dem Wortlaut des Kündigungsschreibens nach "zum Ablauf des 28.01.2017" ausgesprochen. Es ist jedoch davon auszugehen, dass den Beklagten insoweit ein Schreibfehler unterlaufen ist und in Wirklichkeit der "28.02.2017" gemeint war. Sollte dies wider Erwarten nicht der Fall gewesen und das Datum "28.01.2017" bewusst und gewollt gewählt worden sein, wäre die gesetzliche Kündigungsfrist nicht eingehalten. Die Kündigung wäre dann in eine solche zur gesetzlich zulässigen Frist, also zum 28.02.2017 umzudeuten.

b. Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche, fristgerechte Kündigung ist zum 28.02.2017 auch wirksam geworden. Die Regeln des Kündigungsschutzgesetzes finden mangels hinreichender Betriebsgröße auf das Arbeitsverhältnis der Parteien keine Anwendung. Allgemeine Unwirksamkeitsgründe anderer Art sind nicht ersichtlich und werden von der Klägerin, die ihren Feststellungsantrag ausdrücklich nur auf die Dauer des Fortbestehens des Arbeitsverhältnisses bis zum 28.02.2017 beschränkt hat, auch nicht geltend gemacht.

2. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist entgegen der Annahme der Beklagten nicht zu einem Zeitpunkt vor dem 28.02.2017 rechtswirksam beendet worden.

a. Die Annahme der Beklagten, das Arbeitsverhältnis habe aufgrund eines am Telefon mündlich abgeschlossenen Aufhebungsvertrages zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2.) am 24.11.2016 sein Ende gefunden, liegt rechtlich neben der Sache. Gemäß § 623 BGB unterliegen nicht nur Kündigungen, sondern auch Auflösungsverträge der gesetzlichen Schriftform. Ein schriftlicher Auflösungsvertrag ist unstreitig nicht zustande gekommen.

b. Abgesehen davon erscheint es aus der Sicht eines objektiven Empfängerhorizonts auch inhaltlich nicht nachvollziehbar, dass in der von den Beklagten behaupteten telefonischen Äußerung der Klägerin, wenn die Beklagten ihr ihre Arbeitsunfähigkeit nicht glaubten, wolle sie in der Kanzlei nicht weiter arbeiten, eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung im Sinne eines Angebots zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages liegen soll. In Anbetracht der offenkundigen Formunwirksamkeit eines von den Beklagten behaupteten Aufhebungsvertrages bedarf dieser Gesichtspunkt jedoch keiner weiteren Erörterung.

c. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat auch nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 01.12.2016 im Zeitpunkt von deren Zugang am 05.12.2016 sein Ende gefunden. Die fristlose, außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bedarf nach § 626 Abs. 1 BGB eines wichtigen Grundes, der vorliegend nicht gegeben ist.

aa. Ein wichtiger Grund, der die Beklagten zum Ausspruch einer ordentlichen fristlosen Kündigung hätte berechtigen können, kann nicht darin gesehen werden, dass sich die Klägerin im Ergebnis unstreitig geweigert hat, der Aufforderung der Beklagten gemäß deren Schreiben vom 23.11.2016 Folge zu leisten, "sich unverzüglich zwecks Untersuchung an den medizinischen Dienst ihrer Krankenversicherung (Kaufmännische Krankenkasse) zu wenden und mir eine Stellungnahme zum Untersuchungsergebnis vorzulegen." Dieser Aufforderung musste die Klägerin nicht nachkommen; denn sie entsprach nicht dem Prozedere, welches der Gesetzgeber vorgesehen hat, wenn der medizinische Dienst der Krankenversicherung tätig werden soll, um begründete Zweifel (!) an einer ärztlich bescheinigten Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers/einer Arbeitnehmerin gutachterlich zu überprüfen.

aaa. Gemäß § 275 Abs. 1 Nr. 3 b) SGB V haben die Krankenkassen (!) zur Beseitigung von Zweifeln an Arbeitsunfähigkeit eine gutachtliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einzuholen. Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit in diesem Sinne bestehen nach der gesetzlichen Vorschrift in § 275 Abs. 1 a SGB V insbesondere dann, wenn Versicherte auffällig häufig oder auffällig häufig nur für kurze Dauer arbeitsunfähig sind oder der Beginn der Arbeitsunfähigkeit häufig auf einen Arbeitstag am Beginn oder am Ende einer Woche fällt oder wenn die Arbeitsunfähigkeit von einem Arzt festgestellt worden ist, der durch die Häufigkeit der von ihm ausgestellten Bescheinigungen über Arbeitsunfähigkeit auffällig geworden ist. Aus der Verwendung des Begriffs "insbesondere" folgt, dass auch andere Gründe als die gesetzlich aufgeführten zu Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit im Sinne von § 275 Abs. 1 Nr. 3 b) SGB V führen können. Diese müssen dann allerdings den gesetzlichen Beispielsfällen gleichwertig sein.

bbb. Hegt der Arbeitgeber eines arbeitsunfähig geschriebenen Arbeitnehmers Zweifel an dessen Arbeitsunfähigkeit, so kann er unter Angabe der Gründen für diesen Zweifel gemäß § 275 Abs. 1 S. 3 SGB V von der Krankenkasse (!) verlangen, dass diese eine gutachtliche Stellungnahme des medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Die Krankenkasse kann gleichwohl von der Einschaltung des medizinischen Dienstes absehen, wenn sich - unter Würdigung der vom Arbeitgeber vorgebrachten "begründeten Zweifel" - die medizinischen Voraussetzungen der Arbeitsunfähigkeit eindeutig aus den der Krankenkasse vorliegenden ärztlichen Unterlagen ergeben, § 275 Abs. 1 S. 4 SGB V. Diese Regelung ist vor dem Hintergrund zu verstehen, dass die Krankenkassen regelmäßig über die Krankheitsdiagnosen und somit weitreichendere Informationen über den Hintergrund einer ärztlichen Krankschreibung verfügen als der Arbeitgeber.

ccc. Der Arbeitgeber kann somit nach den in § 275 Abs. 1 SGB V vorgesehenen Regularien nicht aus eigener Machtvollkommenheit den medizinischen Dienst tätig werden lassen. Erst recht kann dies ein Arbeitnehmer/eine Arbeitnehmerin nicht. Schon deshalb ging die Aufforderung der Beklagten an die Klägerin gemäß Schreiben vom 23.11.2016 ins Leere und brauchte die Klägerin dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten.

ddd. Unabhängig davon kann aus dem Umstand, dass die Klägerin sich geweigert hat, auf Verlangen der Beklagten den medizinischen Dienst der Krankenkasse aufzusuchen, nicht darauf zurückgeschlossen werden, dass sie sich im hypothetischen Fall einer entsprechenden Aufforderung durch ihre Krankenkasse ebenfalls geweigert hätte.

eee. Der Umstand, dass die zuständige Krankenkasse an die Klägerin für die Zeit ab dem 01.12.2016 offenbar anstandslos Krankengeld gezahlt hat, spricht nicht dafür, dass die Krankenkasse ebenfalls Zweifel am Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit bei der Klägerin hatte.

bb. Ebenso wenig kann die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 01.12.2016 darauf gestützt werden, dass die Klägerin "wegen einer gesundheitlichen Lappalie eine vielwöchige Arbeitsunfähigkeit vorgespiegelt" hätte. Eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung besitzt ungeachtet der Möglichkeit, dass mit ihr im Einzelfall Missbrauch getrieben wird, einen hohen Beweiswert (BAG v. 26.03.2003, AP § 5 EFZG Nr.8; BAG v. 01.10.1997, 5 AZR 726/96; BAG v. 19.02.1997, 5 AZR 83/96). Es bedarf daher aussagekräftiger begründeter Zweifelsindizien, um sie in ihrem Aussagewert zu erschüttern.

Solche haben die Beklagten im vorliegenden Fall nicht vorgetragen.

aaa. Aufgrund welcher medizinischen Kompetenz die Beklagten annehmen beurteilen zu können, dass es sich im konkreten Fall bei der bei der Klägerin durchgeführten Krampfaderoperation um eine "gesundheitliche Lappalie" gehandelt habe, haben die Beklagten nicht dargelegt. Es mag zwar sein, dass bestimmte Arten von Krampfaderoperationen in vielen Fällen schnell überwunden werden können und nur zu vergleichsweise kurzen Arbeitsunfähigkeitszeiten führen. Entscheidend sind aber stets die von der individuellen Konstitution des Patienten beeinflussten konkreten Umstände des Einzelfalls.

bbb. So kann es z. B., wie die Beklagten sogar selbst einräumen, bei der Operation selbst oder im anschließenden Heilungsverlauf zu Komplikationen kommen, die die Genesung verzögern. Der Umstand, dass die Klägerin, nachdem sie am 21.11.2016 ihre Arbeit wieder aufgenommen hatte, im Laufe des Tages - mit Billigung des Beklagten zu 2.) - wieder nach Hause geschickt wurde, weil es ihr gesundheitlich nicht gut gegangen war, kann ein Indiz dafür darstellen, dass auch im vorliegenden Fall solche Komplikationen aufgetreten sind. Allein der Umstand, dass die Arbeitsunfähigkeitsperiode bei der Klägerin nach ihrer Krampfaderoperation somit deutlich länger gedauert hat als in vielen anderen Fällen, reicht für sich allein nicht aus, um den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausreichend zu erschüttern.

ccc. Ebenso unerheblich erscheint die erstinstanzlich erhobene Behauptung der Beklagten, die Klägerin sei am 24.11.2016 in der Innenstadt von E zu Fuß gesehen worden (vgl. z.B. LAG Rheinland-Pfalz v. 06.04.2004, AuR 2005, 73; ErfKo/Reinhard, 17.Aufl., § 5 EFZG Rdnr. N16; Personalbuch/Griese, 23.Aufl., Stichwort Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung Rdnr.10). Weder hat die Klägerin behauptet, noch ist es sonst ersichtlich, dass der Klägerin während ihrer Arbeitsunfähigkeit strenge Bettruhe verordnet worden wäre.

3. Infolge des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses bis zum 28.02.2017 schulden die Beklagten der Klägerin mit Wirkung ab 19.12.2016 die in Ziffern 3., 4. und 5. des arbeitsgerichtlichen Urteils aufgeführten Beträge unter dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges.

a. Die Klägerin hat durch die rechtzeitige Erhebung ihrer Kündigungsschutzklage ihre Arbeitskraft konkludent ausreichend angeboten.

b. Gegen die Berechnung des Annahmeverzugslohns durch das Arbeitsgericht sind keine Einwände ersichtlich. Dem Einwand der fehlenden Aktivlegitimation hat die Klägerin zutreffend dadurch Rechnung getragen, dass sie sich die im Anspruchszeitraum von ihr bezogenen Leistungen der Bundesagentur für Arbeit hat abziehen lassen. Ausweislich des Bescheides der Bundesagentur für Arbeit vom 24.02.2017 hat die Klägerin Arbeitslosengeld in Höhe eines täglichen Zahlbetrages von 21,18 EUR erhalten. Das Arbeitslosengeld beträgt gemäß § 149 SGB III 67 % vom sog. Leistungsentgelt.

c. Da die Beklagten die Entgeltansprüche der Klägerin für den Zeitraum vom 19.12.2016 bis 28.02.2017 nicht pünktlich erfüllt haben, schulden sie ihr auch die sog. Verzugskostenpauschale nach § 288 Abs. 5 BGB (LAG Berlin-Brandenburg v. 09.05.2018, 15 Sa 86/18; LAG Köln v. 22.11.2016, 12 Sa 524/16; LAG Baden-Württemberg v. 13.10.2016, 3 Sa 34/16).

4. In Anbetracht des Fortbestands des Arbeitsverhältnisses bis zum 28.02.2017 schulden die Beklagten der Klägerin ferner den in Ziffer 6 des arbeitsgerichtlichen Urteilstenors ausgeurteilten Betrag an anteiliger Urlaubsabgeltung für das Jahr 2017. Der Anspruch folgt aus § 7 Abs. 4 i. V. m. § 5 Abs. 1 c) BUrlG.

Gegen die Berechnung der Höhe des Urlaubsabgeltungsanspruchs haben die Beklagten keine Einwendungen erhoben.

5. Schließlich ist auch der Anspruch der Klägerin auf Zahlung der Entgeltdifferenz zum gesetzlichen Mindestlohn für die Zeit vom 01.01.2015 bis 30.11.2016 in der vom Arbeitsgericht ermittelten Höhe begründet.

a. Zunächst wird auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zum Mindestlohnanspruch auf Seite 10 - 14 des arbeitsgerichtlichen Urteils zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

b. Die Beklagten wenden gegen den ausgeurteilten Differenzvergütungsanspruch ein, dass die an die Klägerin geleisteten Zahlungen von Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und Fahrtkostenzuschuss auf den Mindestlohn angerechnet werden müssten. Dies ist jedoch, wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, nicht der Fall.

aa. Die von den Beklagten an die Klägerin für die arbeitsvertraglich vereinbarte Vollzeitbeschäftigung in der 35 Stundenwoche gezahlte monatliche Vergütung in Höhe von 1.100,- EUR brutto deckt den Anspruch der Klägerin auf den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 EUR brutto pro geleisteter Arbeitsstunde unstreitig nicht ab. Auf die Übersichtstabellen im arbeitsgerichtlichen Urteil Seite 11 - 13, die die Beklagten inhaltlich nicht beanstandet haben, wird Bezug genommen.

bb. Der Anspruch der Klägerin auf den gesetzlichen Mindestlohn ist auch nicht durch andere Arten von Zahlungen, die die Beklagten an die Klägerin erbracht haben, erfüllt worden. Erfüllungswirkung im Hinblick auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch kann nämlich nur solchen Zahlungen des Arbeitgebers zukommen, die im sog. Synallagma stehen, d. h. dazu dienen, von der Arbeitnehmerin/vom Arbeitnehmer tatsächlich erbrachte Arbeitsleistungen zu vergüten (BAG vom 25.05.2016, 5 AZR 135/16; BAG vom 20.09.2017, 10 AZR 171/16).

cc. Nach diesem Grundsatz kommt zunächst der von den Beklagten an die Klägerin gezahlten Fahrtkostenerstattung in Höhe von 50,- EUR monatlich keine Erfüllungswirkung im Hinblick auf den Mindestlohnanspruch zu. Der Zweck einer Fahrtkostenerstattung besteht, wie schon der Name sagt, gerade nicht darin, bestimmte tatsächlich erbrachte Arbeitsleistungen zu vergüten, sondern darin, der Arbeitnehmerin entstandene Unkosten abzudecken.

dd. Auch das von den Beklagten gezahlte Urlaubsgeld kann auf den Mindestlohnanspruch nicht angerechnet werden.

aaa. Bei einem sog. Urlaubsgeld handelt es sich vorbehaltlich besonderer Vereinbarungen im Einzelfall grundsätzlich um eine sog. Gratifikation, deren Zweck darin besteht, einen Beitrag zu den während der Urlaubszeit typischerweise erhöhten Lebenshaltungskosten der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers zu erbringen. Anzeichen dafür, dass das von den Beklagten gezahlte Urlaubsgeld abweichend davon dazu dienen sollte, die von der Klägerin tatsächlich erbrachten Arbeitsleistungen zusätzlich zu vergüten, sind nicht ersichtlich. Eine Abhängigkeit der Urlaubsgeldzahlung von tatsächlich erbrachter Arbeitsleistung ist nicht erkennbar.

bbb. Auch haben die Beklagten erstinstanzlich ausgeführt, es entspreche den "bürointernen Gepflogenheiten", dass sich die Höhe des Urlaubsgeldes nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit richte. Dies spricht für den weiteren Zweck, dass das Urlaubsgeld bei den Beklagten als Belohnung bereits erbrachter und Anreiz für zukünftig noch zu erbringende Betriebstreue gedacht war.

ccc. Es entspricht auch der aktuellen höchstrichterlichen Rechtsprechung, dass eine als "Urlaubsgeld" geleistete Zahlung grundsätzlich nicht dazu geeignet ist, Mindestlohnansprüche zu erfüllen (BAG vom 20.09.2017, 10 AZR 171/16).

ee. Schließlich kommt auch dem von den Beklagten an die Klägerin gezahlten Weihnachtsgeld keine Erfüllungswirkung im Hinblick auf den Mindestlohnanspruch zu.

aaa. Unter einem "Weihnachtsgeld" versteht man terminologisch ebenfalls eine Gratifikation, mit der sich der Arbeitgeber daran beteiligt, die anlässlich des Weihnachtsfestes traditionell erhöhten Ausgaben und Aufwendungen der Arbeitnehmerin/des Arbeitnehmers mit abzudecken.

bbb. Vom Weihnachtsgeld zu unterscheiden ist das sog. 13. Monatsgehalt, dessen Zweckbestimmung darin besteht, tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung zusätzlich zu vergüten. Typisch für ein 13. Monatsgehalt, das nicht selten auch allmonatlich zu je 1/12 ausgezahlt wird, ist es, wenn die Arbeitnehmerin/der Arbeitnehmer, der nicht während des gesamten Kalenderjahres im Arbeitsverhältnis verbracht hat, das 13. Gehalt zeitanteilig erhält. Dies gilt dann nicht nur für solche Mitarbeiter, die erst im Laufe eines Kalenderjahres in das Arbeitsverhältnis eingetreten sind. Vielmehr können auch Mitarbeiter, die vor dem Jahresende und vor dem Monat, in dem das 13. Gehalt gegebenenfalls als jährliche Einmalzahlung erbracht wird, aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, eine zeitanteilige Leistung beanspruchen. Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der von den Beklagten als "Weihnachtsgeld" bezeichneten Sonderzahlung in Wirklichkeit eher um ein "13. Gehalt" im soeben skizzierten Sinne gehandelt hätte, liegen nicht vor.

ccc. Hinzukommt, dass die Klägerin aufgrund der Formulierung im Arbeitsvertrag, wonach Weihnachtsgeld "entsprechend der bürointernen Gepflogenheiten bezahlt" werde, das avisierte Weihnachtsgeld auch nicht fest als unabdingbar zu zahlende zusätzliche Gegenleistung für von ihr erbrachte Arbeit einkalkulieren konnte; denn zum einen werden die "bürointernen Gepflogenheiten" im Arbeitsvertrag in keiner Weise inhaltlich erläutert, zum anderen können sich "bürointerne Gepflogenheiten" im Laufe der Jahre auch ändern.

c. Konkrete rechnerische Einwände gegen den vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Differenzanspruch zum gesetzlichen Mindestlohn haben die Beklagten ansonsten nicht vorgebracht.

6. Demnach konnte die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 31.08.2017 insgesamt keinen Erfolg haben.

III. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ein gesetzlicher Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor.

Referenznummer:

R/R7904


Informationsstand: 11.02.2019