1. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts München vom 31.05.2011 - 3 BV 65/11 - wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
I.
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Wahl zur Gesamtschwerbehindertenvertretung. Auf Rüge der Beteiligten zu 2 hat das Arbeitsgericht München durch Beschluss vom 31.05.2011 den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen für zulässig erklärt. Nach § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG seien diese zuständig für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Gesamtschwerbehindertenvertretung. Dies ergebe sich aus der Verweisungsnorm des
§ 97 Abs. 7 SGB IX und den Motiven des Gesetzgebers im Jahre 1996, mit der Aufnahme des § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG der Arbeitsgerichtsbarkeit eine umfassende Zuständigkeit für Fragen der Schwerbehindertenvertretung auf allen Ebenen des Unternehmens zuzuweisen.
Gegen den ihr am 03.06.2011 zugestellten Beschluss hat die Beteiligte zu 2 mit Schriftsatz vom 15.06.2011, am selben Tag zunächst per Telefax beim Arbeitsgericht München eingegangen, sofortige Beschwerde eingelegt. § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG erfasse keine Streitigkeit aus § 97
SGB IX. Diese Norm werde in § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG nicht genannt; es handle sich um eine abschließende Aufzählung. Trotz Verweisung in § 97
Abs. 7
SGB IX handle es sich bei der Wahl einer Gesamtschwerbehindertenvertretung nicht um eine Wahl nach
§ 94 SGB IX. Deshalb seien die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit nach § 51
Abs. 1
Nr. 7
SGG zuständig, weil mit den Regelungen des
SGB IX und mithin auch dessen § 97 öffentlich-rechtliche Normen vorlägen.
Das Arbeitsgericht hat der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 21.06.2011 nicht abgeholfen und das Verfahren dem Landesarbeitsgericht München zur Entscheidung vorgelegt. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ergebe sich jedenfalls aus einer teleologischen Auslegung des § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG. Es sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber durch die Einführung dieser Norm der Arbeitsgerichtsbarkeit eine Zuständigkeit lediglich für Streitigkeiten der betrieblichen Schwerbehindertenvertretung zuweisen wollte.
Die Beteiligte zu 2 macht hiergegen geltend, dass eine teleologische Auslegung bei einem ausschließlichen Gerichtsstand nicht zulässig sei. Ein ausschließlicher Gerichtsstand bestehe nur dann, wenn das Gesetz die ausschließliche Zuständigkeit einer Gerichtsbarkeit ausdrücklich festlege.
II.
Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2 ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2 ist zulässig. Sie ist statthaft, §§ 48
Abs. 1, 80
Abs. 3
ArbGG, § 17 a
Abs. 4 Satz 3 und
Abs. 2 GVG, sowie form- und fristgerecht eingelegt, § 17 a
Abs. 4 Satz 3 GVG, §§ 567
Abs. 1 und
Abs. 2, 569
Abs. 1 und
Abs. 2
ZPO.
2. Die sofortige Beschwerde der Beteiligten zu 2 ist jedoch unbegründet. Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist zulässig, § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG i. V. m. § 94
Abs. 3 bis 7
i. V. m. § 97
Abs. 7
SGB IX,
§ 95 i. V. m. § 97
Abs. 6 Satz 1
SGB IX.
a) Nach § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für "Angelegenheiten aus den §§ 94, 95,
139 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch". Zu den Angelegenheiten "aus" den §§ 94, 95, 139
SGB IX - so der ausdrückliche Wortlaut der streitigen Rechtsnorm - gehört die Wahl und Amtszeit der Schwerbehindertenvertretung i.
S. d. § 94
SGB IX sowie darüber hinaus wegen der Verweisung in § 97
Abs. 7
SGB IX auch die Wahl und Amtszeit der Gesamtschwerbehindertenvertretung. Denn § 97
Abs. 7
SGB IX bestimmt, dass § 94
Abs. 3 bis 7
SGB IX entsprechend gelten. Die Regelung, dass eine Rechtsnorm entsprechend anwendbar ist, begründet aber ihre - mittelbare - Geltung. Diese am Wortlaut orientierte Auslegung wird durch die Gesetzessystematik, die Gesetzesgeschichte sowie dem Zweck der Regelung in § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG bestätigt.
b) § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
i. V. m.
Abs. 2
ArbGG eröffnet die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen in Beschlussverfahren für Angelegenheiten aus den §§ 94, 95 und 139
SGB IX. Diese betrifft Streitigkeiten über die Wahl und die Amtszeit der Schwerbehindertenvertretungen (§ 94
SGB IX), die Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung (§ 95
SGB IX) und die Mitwirkung durch Werkstatträte (§ 139
SGB IX). Hierbei handelt es sich um Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretungen, die in der Organstellung ihres Gremiums ihre Grundlage haben. Diese kollektivrechtlichen Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretungen hat der Gesetzgeber durch die Regelung in § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG hinsichtlich des Rechtswegs und der Verfahrensart betriebsverfassungsrechtlichen Angelegenheiten gleichgestellt und für Streitigkeiten hierüber die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen im Beschlussverfahren angeordnet (
vgl. BAG, Beschl. v. 11.11.2003 -
7 AZB 40/03 -, NZA-RR 2004, 657).
§ 97
SGB IX betrifft nach seiner Überschrift die Konzern-, Gesamt-, Bezirks- und Hauptschwerbehindertenvertretung. Materiell regelt die Rechtsnorm Rechte und Pflichten der Schwerbehindertenvertretung, die
gem. § 94
SGB IX gewählt wird, und der Gesamtschwerbehindertenvertretung, deren Wahl kraft Verweisung in § 97
Abs. 7
SGB IX nach § 94
Abs. 3 bis 7
SGB IX erfolgt: So nimmt die Schwerbehindertenvertretung die Rechte und Pflichten der Gesamtschwerbehindertenvertretung wahr, wenn diese nur in einem der Betriebe oder in einer der Dienststellen des Arbeitgebers gewählt ist, § 97
Abs. 1 Satz 2
SGB IX. Umgekehrt vertritt die Gesamtschwerbehindertenvertretung die Interessen der schwerbehinderten Menschen, die in einem Betrieb oder einer Dienststelle tätig sind, für die eine Schwerbehindertenvertretung nicht gewählt ist; dies umfasst auch die Verhandlungen und den Abschluss entsprechender Integrationsvereinbarungen, § 97
Abs. 6 Satz 1
SGB IX. Nach der Konzeption des Gesetzes werden Schwerbehindertenvertretung und Gesamtschwerbehindertenvertretung je nach Bedarf wechselseitig für die Interessenvertretung der schwerbehinderten Arbeitnehmer zuständig.
c) Für die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen auch für die Wahl der Gesamtschwerbehindertenvertretung spricht auch die Gesetzesgeschichte. Bis zum 31.07.1996 war nicht gesetzlich geregelt, von welchem Gericht und in welcher Verfahrensart Rechtsstreitigkeiten über Rechte und Pflichten der Schwerbehindertenvertretungen gegenüber dem Arbeitgeber zu entscheiden sind. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts wurden derartige Rechtsstreitigkeiten wie solche aus dem Betriebsverfassungsgesetz und dem Personalvertretungsrecht behandelt und waren im Beschlussverfahren vom Arbeitsgericht oder vom Verwaltungsgericht zu entscheiden. Der Rechtsweg hing davon ab, ob die Schwerbehindertenvertretung in einem Betrieb der Privatwirtschaft oder in einer Dienststelle, für die Personalvertretungsrecht galt, gebildet war (
vgl. BAG, Urt. v. 21.09.1989 -
1 AZR 465/88 -, NZA 1990, 362). Mit Wirkung zum 01.08.1996 wurde § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG eingeführt, wonach Angelegenheiten des neu geschaffenen Werkstattrats nach § 54 c
SchwbG (jetzt: § 139
SGB IX) der ausschließlichen Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen zugewiesen wurden. Zum 01.05.2000 wurde die Regelung in § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG um die Angelegenheiten nach §§ 24 und 25
SchwbG (jetzt: §§ 94 und 95
SGB IX) ergänzt. Nach der Gesetzesbegründung war es im Rahmen der zum 01.08.1996 erfolgten Gesetzesänderung vom 23.07.1996 versäumt worden "klarzustellen, dass nicht nur die Angelegenheiten der Werkstatträte der Behinderten gemäß § 54 c
SchwbG, sondern auch die Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretung (§§ 24, 25
SchwbG) im Beschlussverfahren zu entscheiden sind". Anlässlich der Übernahme der Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes in das
SGB IX zum 01.07.2001 erfolgte eine redaktionelle Angleichung von § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG an die Vorschriften des
SGB IX (zu allem
vgl. BAG, Beschl. v. 30.03.2010 -
7 AZB 32/09 -, NZA 2010, 668).
Aus dieser Gesetzesgeschichte ergibt sich, dass es der Wille des Gesetzgebers ist, Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretungen der ausschließlichen Zuständigkeit den Gerichten für Arbeitssachen zuzuweisen. Das Arbeitsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass hiervon "alle Stufen" der Schwerbehindertenvertretung erfasst sind. Zudem gehört es zu den Aufgaben und damit zu den Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretung, in einzelnen Betrieben oder Dienststellen des Arbeitgebers eine Schwerbehindertenvertretung zu wählen, § 97
Abs. 1 Satz 1
SGB IX.
Schließlich gebietet der Sinn und Zweck der Regelung in § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG, die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen auch für die Wahl der Gesamtschwerbehindertenvertretung zu bejahen. Der Zweck der Regelung in § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG geht
dahingehend, die kollektivrechtlichen Angelegenheiten der Schwerbehindertenvertretungen insgesamt der Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen im Beschlussverfahren zu übertragen. Dies dient der Einheitlichkeit der Rechtsprechung und der Rechtssicherheit (
vgl. BAG, Beschl. v. 30.03.2010, aaO; auf den Gesichtspunkt der Sachnähe ausdrücklich für die Auslegung des § 2 a
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG hinweisend:
BAG, Beschl. v. 11.11.2003, aaO). Diesem Sinn und Zweck widerspräche es, die Anfechtung der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung den Gerichten für Arbeitssachen, diejenige der Wahl zur Gesamtschwerbehindertenvertretung der Sozialgerichtsbarkeit zuzuweisen.
Zu den Angelegenheiten "aus" den §§ 94 und 95
SGB IX, für die § 2
Abs. 1
Nr. 3 a
ArbGG die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen bestimmt hat, gehören daher auch Angelegenheiten "der Gesamtschwerbehindertenvertretung" (ebenso: Walker in Schwab/Weth,
ArbGG, 2. Aufl. 2008, § 2 a Rn. 83; Roos in Natter/Grosz,
ArbGG, 1. Aufl. 2010, § 2 a Rn. 35;
GK-
ArbGG/Dörner,
ArbGG, § 2 a Rn. 72; Düwell in Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX, 3. Aufl. 2010, § 97 Rn. 70;
ArbG Köln v. 30.06.2009 - 14 BV 399/08 -, BeckRS 2010, 67485).
3. Die Rechtsbeschwerde ist
gem. § 17 a
Abs. 4 Satz 4 GVG
i. V. m. §§ 574 f.
ZPO zuzulassen, weil die Rechtsfrage höchstrichterlich noch nicht geklärt ist und deshalb grundsätzliche Bedeutung hat.