Urteil
Anfechtung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung - Fehlende Bekanntgabe von Ort und Zeitpunkt der Öffnung der Wahlbriefe - Gebot der Betriebsöffentlichkeit

Gericht:

LAG München 11. Kammer


Aktenzeichen:

11 TaBV 29/11


Urteil vom:

12.10.2011


Grundlage:

Tenor:

1. Die Beschwerde der Beteiligten zu 4 und 5 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg (Az.: 2 BV 46/10) vom 12.04.11 wird zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Anfechtung der Wahl einer Schwerbehindertenvertretung.

Die Beteiligten zu 1 bis 3 sind Beschäftigte der B. AG (der Beteiligten zu 6) in deren Werk 0, Standort Re. Sie sind Schwerbehinderte im Sinne des § 2 SGB IX und wahlberechtigt zur Schwerbehindertenvertretung. Im Werk der Beteiligten zu 6 sind ca. 813 schwerbehinderte Menschen beschäftigt. Die Beteiligten zu 4 und 5 sind die im Rahmen einer am 26.10.2010 durchgeführten Wahl gewählten Schwerbehindertenvertreter, der Beteiligte zu 4 die gewählte Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen, die Beteiligte zu 5 die erste stellvertretende Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen.

Für die am 26.10.2010 turnusgemäß stattfindende Wahl zur Schwerbehindertenvertretung wurde von der früheren Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen ein Wahlvorstand bestellt, bestehend aus Herrn B. als Vorsitzenden, Herrn M. als stellvertretenden Vorsitzenden, Frau Ry., Frau Kö. und Herrn Ku. als weitere Mitglieder.

Der Wahlvorstand erstellte am 07.09.2010 ein Wahlausschreiben für die Neuwahl der Schwerbehindertenvertretung. In Ziffern 7 bis 9 des Wahlausschreibens sind folgende Mitteilungen enthalten:

"7. Der Wahlvorstand hat schriftliche Stimmabgabe beschlossen. Die Unterlagen zur Briefwahl werden den Wahlberechtigten an die Heimatadresse geschickt und müssen bis spätestens 26. Oktober 2010, um 12.00 Uhr an den Wahlvorstand zurückgesendet bzw. übergeben werden. Die Zusendung der Wahlunterlagen entbindet den Wähler aber nicht von der Möglichkeit, sollte er keine Unterlagen erhalten, diese beim Wahlvorstand zu beantragen.

8. Die öffentliche Sitzung des Wahlvorstandes zur Auszählung der Stimmen und Feststellung des Wahlergebnisses findet am 26. Oktober 2010, 13.00 Uhr im B. AG Werk 0.1, Geb. 0.0 OG (R-B, Besprechungsraum) statt.

9. Einsprüche, Wahlvorschläge, Anträge und sonstige Erklärungen sind an den Wahlvorstand zu richten. Der Wahlvorstand ist an Arbeitstagen (Mo. bis Fr.) zu erreichen von 9.30 Uhr bis 13.00 Uhr im B. AG Werk 0.1, Geb. 0.0, OG-Zimmer 0, Tel. 000/000-000 oder Geb. 0.2, OG-Zimmer 0, Tel. 000/000-000."

Am 29.09.2010 fand eine Sitzung des Wahlvorstandes statt. Dabei wurde der Beschluss gefasst, die Briefwahlunterlagen in der 40. Kalenderwoche zu erstellen und an die Wahlberechtigten zu verschicken. Des Weiteren wurde der Beschluss gefasst, die Briefwahlunterlagen (Freiumschläge) am 26.10.2010 unmittelbar vor Wahlabschluss zu öffnen. Der Wahlvorstand sowie die eingeteilten Wahlhelfer, Frau L. und Herr Rö., sollten sich dazu am 26.10.2010 um 11.00 Uhr im Besprechungsraum des Betriebsrates treffen.

Die Wahlvorschläge wurden am 01.10.2010 ausgehängt.

Am 26.10.2010 ab 11.00 Uhr wurden die bis dahin eingegangenen Freiumschläge geöffnet. Das Öffnen der Freiumschläge erfolgte dabei in dem Raum, in dem auch die Stimmauszählung durchgeführt werden sollte. Die schriftlichen Erklärungen, die in den Freiumschlägen enthalten waren, wurden auf Vollständigkeit geprüft, die verschlossenen grünen Wahlumschläge wurden in die mit einem Vorhängeschloss gesicherte Wahlurne geworfen.

Das Öffnen der Freiumschläge, die Prüfung der Erklärungen und die Eintragung in das elektronische Wählerverzeichnis dauerten bis ca. 12.45 Uhr. Die Tür des Raumes, in dem die Behandlung der Freiumschläge stattfand, stand während der ganzen Zeit geöffnet.

Um 12.45 Uhr verließen sämtliche Mitglieder des Wahlvorstandes den Raum. Der Raum wurde verschlossen. Die Wahlurne war in dieser Zeit unversiegelt. Ab 13.00 Uhr fand die Auszählung der Stimmen statt. Im Rahmen der Auszählung der Stimmen wurden auch Briefwahlunterlagen, deren Gültigkeit bei der Eröffnung der Freiumschläge nicht eindeutig geklärt werden konnte, öffentlich behandelt.
Durch Aushang am 27.10.2010 wurde das Wahlergebnis bekanntgemacht. Zur Vertrauensperson wurde der Beteiligte zu 4, zur ersten Stellvertreterin die Beteiligte zu 5 und zum zweiten Stellvertreter der Beteiligte zu 2 gewählt.

Seit ca. zehn Jahren benutzen die verschiedenen Wahlvorstände für die Wahl des Betriebsrates sowie für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung den im Wahlausschreiben angegebenen Besprechungsraum, B. AG Werk 0.1, Geb. 0.0 OG (R-B Besprechungsraum) für die Wahlvorgänge, Öffnung der Briefunterlagen und Stimmauszählung.

Die Beteiligten zu 1 bis 3 haben mit Antrag vom 09.11.2010 die Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 26.10.2010 angefochten. Sie waren erstinstanzlich der Auffassung, dass die Wahl wegen Verstoßes gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht unwirksam und deshalb anfechtbar sei. Aufgrund von § 12 Abs. 1 SchwbVWO sei vorgesehen, dass die Eröffnung der Freiumschläge in öffentlicher Sitzung zu erfolgen habe. Da aber im Wahlausschreiben vom 07.09.2010 die öffentliche Auszählung erst um 13.00 Uhr angegeben war und eine Mitteilung des Zeitpunkts der Eröffnung der Freiumschläge in öffentlicher Sitzung nicht enthalten gewesen und auch nicht anderweitig bekanntgegeben worden sei, sei die Betriebsöffentlichkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 SchwbVWO nicht hergestellt gewesen. Bereits bei Öffnung der Briefwahlunterlagen seien aber wahlerhebliche Entscheidungen durch den Wahlvorstand zu treffen in Form der Überprüfung der Gültigkeit der Wahlunterlagen, z. B. im Hinblick auf Verschlossensein des Freiumschlages, Unterzeichnung der abgegebenen Erklärung, Vorhandensein eines Wahlumschlages oder Berechtigung der wählenden Person. Insoweit hätte eine Bekanntgabe des Zeitpunkts der öffentlichen Eröffnung der Freiumschläge erfolgen müssen, um die hinreichende Kontrollmöglichkeit durch die Öffentlichkeit zu gewährleisten. Es sei auch nicht ausreichend, dass evtl. interessierte Personen zufällig die Öffentlichkeit des Auswertens der Freiumschläge bemerken bzw. durch Nachfrage den Zeitpunkt der öffentlichen Sitzung der Eröffnung der Freiumschläge ermitteln könnten. Der Mangel könne auch nicht nachträglich durch die Behandlung strittiger Umschläge beseitigt werden.

Die Beteiligten zu 1 bis 3 haben erstinstanzlich beantragt:

Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung bei der B. AG, Werk 0 R., vom 26.10.2010, wird für unwirksam erklärt.

Die Beteiligten zu 4 bis 6 haben beantragt:

Antragsabweisung.

Die Beteiligten zu 4 und 5 sind der Ansicht gewesen, dass die Wahl unter Beachtung des § 12 SchwbVWO erfolgt sei. Insoweit sei in dieser Vorschrift lediglich die Behandlung der eingegangenen Freiumschläge unmittelbar vor Abschluss der Wahl vorgesehen. In Anbetracht der zahlreichen Wahlberechtigten sei eine Eröffnung der Freiumschläge bereits ab 11.00 Uhr veranlasst gewesen. Die Eröffnung der Freiumschläge habe auch nicht hinter verschlossenen Türen, sondern im öffentlichen Auszählungsraum stattgefunden. Nachdem auch die Wahlordnung ausgelegen habe, worauf im Wahlausschreiben vom 07.09.2010 hingewiesen worden sei, hätte sich jeder über den Zeitpunkt der Behandlung der Freiumschläge Kenntnis verschaffen können.

Im Übrigen wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Sitzungsniederschriften der ersten Instanz Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Regensburg hat mit Beschluss vom 12.04.2011 dem Antrag der Beteiligten zu 1 bis 3 stattgegeben und die Wahl der Schwerbehindertenvertretung für unwirksam erklärt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die formellen Voraussetzungen der Anfechtung gegeben seien. Die Wahl sei unwirksam, weil gegen wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens verstoßen, der Verstoß nicht berichtigt worden und eine Auswirkung auf das Wahlergebnis nicht auszuschließen sei. Entsprechend der Vorschriften in §§ 9 bis 18 BetrVG und der Wahlordnung sei auch in der Schwerbehindertenvertretungswahlordnung in § 12 die Eröffnung der eingegangenen Freiumschläge unmittelbar vor Abschluss der Wahl in öffentlicher Sitzung vorgesehen. Ein Verstoß habe insoweit vorgelegen, als in § 12 SchwbVWO zwingend die Eröffnung der Freiumschläge in öffentlicher Sitzung vorgesehen sei. Dabei handle es sich bei der Öffentlichkeit nicht um die allgemeine Öffentlichkeit, sondern die Betriebsöffentlichkeit. Die Öffentlichkeit sei aber nicht hinreichend hergestellt gewesen, da die Betriebsöffentlichkeit mangels Bekanntgabe des Eröffnungszeitpunktes nicht mit der Eröffnung der Freiumschläge rechnen musste. Zwar habe das Gesetz keinen exakten Zeitpunkt für die Eröffnung der Freiumschläge festgelegt. Insoweit sei auch der Zeitpunkt der öffentlichen Eröffnung der Freiumschläge bekanntzugeben.

Dies sei erforderlich, damit jeder Wahlberechtigte die Möglichkeit habe, sich von der ordnungsgemäßen Behandlung der durch Briefwahl abgegebenen Stimmen zu überzeugen.

Dabei sei eine Eröffnung der Freiumschläge unmittelbar vor Abschluss der Wahl nur möglich, wenn ein Wahllokal zur Verfügung stehe und eine allgemeine Stimmabgabe möglich sei. Nachdem aber ausschließlich die Briefwahl beschlossen gewesen sei, habe gerade kein Wahlraum zur Verfügung gestanden, in dem die Kontrollmöglichkeiten durch die Öffentlichkeit wahrgenommen hätten werden können. Daher sei § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO in diesem Fall teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass die Behandlung der Freiumschläge erst im Rahmen der in öffentlicher Sitzung stattfindenden, vorab bekanntgemachten Stimmauszählung vorzunehmen sei und nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt. Selbst wenn die Betriebsöffentlichkeit von der Behandlung der Freiumschläge unmittelbar vor Abschluss der Wahl Kenntnis gehabt hätte, sei der Zweck des § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO nicht erreichbar gewesen. In diesem Fall sei nicht klar gewesen, wo die Behandlung der Freiumschläge stattfinden sollte. Die Auszählung sei erst ab 13.00 Uhr in dem benannten Raum vorgesehen gewesen. Mit einer Behandlung der Freiumschläge im Raum der Auszählung habe die Betriebsöffentlichkeit nicht rechnen müssen.

Unbeachtlich sei insoweit auch, ob tatsächlich der Raum öffentlich zugänglich gewesen sei. Auch die hohe Zahl der zu erwartenden abgegebenen Stimmen habe keine Behandlung vor 13.00 Uhr erfordert. Eine nachträgliche Behebung dieses Mangels sei nicht möglich gewesen. Auch die nachträgliche Behandlung zweifelhafter Wahlunterlagen habe den Mangel nicht nachträglich beseitigen können, da die Kontrollmöglichkeiten nachträglich nicht mehr hätten hergestellt werden können. Soweit sei nicht auszuschließen, dass das Wahlergebnis durch diesen Mangel beeinflusst worden sei. Es sei auch bei hypothetischer Betrachtung einer ohne den Verstoß durchgeführten Wahl nicht zwingend zu schließen, dass dasselbe Ergebnis herbeigeführt worden wäre. Bereits bei der Prüfung der Freiumschläge seien maßgebliche Entscheidungen hinsichtlich der Gültigkeit der Stimmen zu treffen. Das Gebot der Öffentlichkeit solle gerade gewährleisten, dass die Behandlung der Freiumschläge durch den Wahlvorstand kontrolliert werden könne. Soweit sei auch im Nachhinein nicht mehr überprüfbar, ob die Freiumschläge tatsächlich korrekt durch den Wahlvorstand behandelt worden seien. Daher sei auch nicht auszuschließen, dass bewusst oder unbewusst Fehler passiert seien, die das Wahlergebnis beeinflusst haben könnten.

Gegen diese ihnen am 14.04.2011 zugestellte Entscheidung des Arbeitsgerichts Regensburg wendet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 4 und 5 mit Schriftsatz vom 03.05.2011, beim Landesarbeitsgericht München eingegangen am 04.05.2011.

Im Rahmen der Begründung mit Schriftsatz vom 14.06.2011, beim Landesarbeitsgericht München eingegangen am selben Tag, sind die Beteiligten zu 4 und 5 der Auffassung, dass ein wesentlicher Verstoß gegen Wahlvorschriften nicht vorgelegen habe. Soweit sei zwischen dem Öffentlichkeitsbegriff des § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO und dem Öffentlichkeitsbegriff, der im Rahmen der BAG-Rechtsprechung hinsichtlich der Auszählung der Stimmen aufgestellt worden sei, zu unterscheiden. Nachdem in § 3 Abs. 2 der Wahlordnung 2001 der Gesetzgeber nunmehr bestimmt habe, dass Ort, Tag und Zeit der öffentlichen Stimmauszählung im Wahlausschreiben enthalten sein müssen, könne hieraus geschlossen werden, dass diese Voraussetzungen nicht gleichermaßen für die öffentliche Eröffnung der Freiumschläge gelten müsse. Denn eine gleichlautende Bekanntmachungsvorschrift sei in die Wahlordnung nicht aufgenommen worden. Soweit sei auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes nicht übertragbar. Nach dem Willen des Gesetzgeber sei es ausreichend, dass sich hinsichtlich der Behandlung der Freiumschläge die Interessierten selbst informieren könnten, andernfalls wäre eine entsprechende Bestimmung in die Schwerbehindertenvertretungswahlordnung aufgenommen worden. Insoweit sei es für die Öffentlichkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO ausreichend, wenn Interessierte die Möglichkeit hätten, der Eröffnung der Freiumschläge beizuwohnen.

Dies sei aber im vorliegenden Fall gegeben gewesen. Die Interessierten hätten sich auch entsprechend über den Raum und den Zeitpunkt informieren können. Nachdem die Eröffnung der Freiumschläge im Sinne des Gesetzes unmittelbar vor Abschluss der Wahl stattgefunden habe und auch der Raum öffentlich gewesen sei, seien die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt. Im Übrigen sei das Wahlergebnis auch hierdurch nicht beeinflusst worden. Unklare Wahlunterlagen seien zudem in der öffentlichen Auszählung der Stimmen nochmals öffentlich behandelt worden.

Die Beteiligten zu 4 und 5 beantragen:

1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts Regensburg vom 12.04.2011, Az. 2 BV 46/10, wird abgeändert.

2. Der Antrag wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 1 bis 3 beantragen:

Zurückweisung der Beschwerde.

Sie sind der Auffassung, dass ein wesentlicher Verstoß gegen den Grundsatz der Öffentlichkeit der Wahl stattgefunden habe. § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO stelle keinen anderen Öffentlichkeitsbegriff als denjenigen der Betriebsöffentlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes auf. Insoweit sei es auch erforderlich gewesen, Ort und Zeit der Eröffnung der Freiumschläge öffentlich bekanntzumachen. Daran ändere auch die Neuregelung des § 3 Abs. 2 der Wahlordnung 2001 nichts. Darin sei nur geregelt, was im Wahlausschreiben aufzunehmen sei, nicht aber, wie die Betriebsöffentlichkeit herzustellen sei. Auch aus den Gesetzesmaterialien und der Begründung der Änderung der Wahlordnung 2001 ergebe sich nichts, was für einen erkennbaren Willen des Gesetzgebers spräche, hier bewusst die Bekanntmachung nicht zu verlangen. Insbesondere soweit die Stimmabgabe nur in Form der schriftlichen Abgabe erfolge, sei der Zeitpunkt bekanntzugeben. Für die Öffentlichkeit sei es nicht ausreichend, dass der Raum öffentlich zugänglich gewesen sei. Auch sei es nicht ausreichend, dass jeder Interessierte auf Nachfrage beim Wahlvorstand erfahren könne, wann und wo die Stimmen ausgezählt würden. Nachdem für die Betriebsöffentlichkeit es auch nicht ersichtlich und erkennbar gewesen sei, in welchem Raum die Eröffnung der Freiumschläge stattfinden würde, sei ein intern gefasster Beschluss des Wahlvorstandes insoweit unmaßgeblich.

Im Übrigen wird auf den Sachvortrag der Beteiligten in den Schriftsätzen vom 14.06.2011, 19.08.2011 und 07.10.2011 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 12.10.2011 Bezug genommen.

Rechtsweg:

ArbG Regensburg Beschluss vom 12.04.11 - 2 BV 46/10
BAG Beschluss vom 10.07.2013 - 7 ABR 83/11

Quelle:

Arbeitsgerichtsbarkeit Bayern

II.

Die Beschwerde ist unbegründet.

1. Die gem. § 87 ArbGG statthafte Beschwerde der Beteiligten zu 4 und 5 ist form und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 87 Abs. 2, 66 Abs. 1 Satz 1 und 3 ArbGG).

2. Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Landesarbeitsgericht schließt sich insoweit teilweise der Begründung der ersten Instanz an, insbesondere was die Bedeutung der Betriebsöffentlichkeit im Sinne des § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO und das Erfordernis der Bekanntmachung anbelangt. Im Übrigen ist zu dem Vorbringen insbesondere in der Beschwerdeinstanz Folgendes anzumerken:

a) Wie das Erstgericht zutreffend festgestellt hat, sind die formellen Voraussetzungen der Anfechtung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung erfüllt. Die Antragsbefugnis der Beteiligten zu 1 bis 3 ergibt sich aus § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX i. V. m. § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG. Unstreitig sind die drei Antragsteller Arbeitnehmer der Beteiligten zu 6 und schwerbehinderte Menschen im Sinne des SGB IX und insoweit auch wahlberechtigt. Als wahlberechtigte Arbeitnehmer sind sie auch gem. § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX i. V. m. § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigt. Die Anfechtungsfrist von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Ergebnisses gem. § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX i. V. m. § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG wurde unstreitig gewahrt.

b) Bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 26.10.2010 wurde gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren verstoßen. Eine Auswirkung auf das Wahlergebnis ist nicht auszuschließen.

aa) Gem. § 19 Abs. 1 BetrVG, der über § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX anzuwenden ist, kann die Wahl beim Arbeitsgericht dann angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist, eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Diese Voraussetzungen liegen vor.

bb) Im vorliegenden Fall handelt es sich um die Wahlvorschriften für das Wahlverfahren zur Schwerbehindertenvertretung, wie sie in der Schwerbehindertenvertretungswahlordnung enthalten sind. So wie in § 26 Abs. 1 Satz 1 der Wahlordnung 2001 für die Betriebsratswahl die Eröffnung der Freiumschläge unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe in öffentlicher Sitzung vorgesehen ist, ist in § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO die Öffnung der bis zu diesem Zeitpunkt eingegangenen Freiumschläge sowie die Entnahme der Wahlumschläge und der vorgedruckten Erklärungen vorgesehen. Aus § 12 Abs. 1 Satz 2 SchwbVWO ergibt sich, dass in diesem Zeitpunkt überprüft werden soll, ob im Sinne des § 11 SchwbVWO die schriftliche Stimmabgabe ordnungsgemäß erfolgt ist. Nur dann hat der Wahlvorstand die Wahlumschläge nach Vermerk der Stimmabgabe in der Liste der Wahlberechtigten ungeöffnet in die Wahlurne einzulegen. Insoweit handelt es sich bei § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO eindeutig um Vorschriften über das Wahlverfahren.

cc) Nicht jeder Verstoß, sondern nur ein Verstoß gegen wesentliche Vorschriften berechtigt zur Anfechtung. Insbesondere sind wesentlich solche Vorschriften, die tragende Grundprinzipien der Wahl beinhalten. Hierzu zählen grundsätzlich die zwingenden Regelungen, während bloße Ordnungsvorschriften oder Sollbestimmungen in der Regel die Anfechtung der Wahl nicht rechtfertigen (vgl. Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/Linsenmeier, BetrVG, 25. Aufl., § 19 Rn. 10).

Betrachtet man die Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO, ist ersichtlich, dass in dieser Vorschrift nicht eine reine Soll- oder Ordnungsvorschrift enthalten ist, sondern tatsächlich eine zwingende Regelung dahingehend, dass in öffentlicher Sitzung die eingegangenen Freiumschläge zu öffnen sind. Dem Wahlvorstand ist insoweit keine Ermessensentscheidung gegeben. Ebenso wie in § 18 Abs. 3 BetrVG vorgesehen ist, dass der Wahlvorstand öffentlich die Auszählung der Stimmen vornimmt, so ist bei der Schwerbehindertenvertretungswahl in öffentlicher Sitzung die Eröffnung der Freiumschläge und die Entnahme der Wahlumschläge und der vorgedruckten Erklärungen durchzuführen.

Zwischen den Beteiligten ist insoweit auch unstreitig, dass die Betriebsöffentlichkeit insoweit gemeint und herzustellen ist. Dies bedeutet, dass nicht jegliche Öffentlichkeit gemeint ist, sondern die Möglichkeit, dass die Arbeitnehmer des Betriebes, im vorliegenden Fall die schwerbehinderten Menschen des Betriebes, einen ungehinderten Zugang zum Ort der Stimmauszählung erhalten.

dd) Zwar ist den Beschwerdeführern insoweit zuzugeben, dass nach dem zuletzt unstreitigen Sachverhalt jedenfalls der Wortlaut der Wahlordnung erfüllt wurde, indem in öffentlicher Sitzung, d. h. grundsätzlich öffentlich auch für die schwerbehinderten Menschen des Betriebes die Eröffnung der Freiumschläge erfolgt ist. Zuletzt wurde vonseiten der Beschwerdegegner nicht bestritten, dass der Raum, in dem die Eröffnung der Freiumschläge stattgefunden hat, öffentlich zugänglich war, d. h. etwa in Form der geöffneten Türen. Der Raum war nicht verschlossen und insoweit der Öffentlichkeit zugänglich. Des Weiteren ist den Beschwerdeführern auch zuzugeben, dass jedenfalls die Vorschriften über die Wahlausschreibung (§ 5 SchwbVWO) keine Verpflichtung vorsehen, den Raum oder den Zeitpunkt der Eröffnung der Freiumschläge bekanntzumachen, wie das etwa in § 5 Ziff. 15 SchwbVWO für den Ort und die Zeit der Stimmenauszählung vorgesehen ist.

Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts über die Betriebsöffentlichkeit bei der Auszählung der Betriebsratswahl kein anderer Maßstab angelegt werden kann an die öffentliche Sitzung der Eröffnung der Freiumschläge. Soweit das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 15.11.2000 (Az. 7 ABR 53/99) über die Voraussetzung der Betriebsöffentlichkeit entschieden hat, insbesondere hierbei die Bekanntgabe des Orts und der Zeit der öffentlichen Auszählung verlangt, kann auch für die Frage der Eröffnung der Freiumschläge und der Überprüfung der wirksam abgegebenen Stimmen insoweit nichts anderes gelten. Die Tatsache, dass in § 5 SchwbVWO eine entsprechende Vorschrift nicht aufgenommen wurde, spricht nicht gegen dieses Ergebnis. Zum einen ergibt sich, worauf die Beschwerdegegner hingewiesen haben, aus den Gesetzgebungsmaterialien nichts dahingehend, dass im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens die Notwendigkeit der Bekanntgabe der Eröffnung der Freiumschläge diskutiert oder etwa abschlägig vorbeschieden worden wäre.

Zum anderen war auch im Zeitpunkt der oben genannten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes im Gesetz noch keine Bekanntgabeverpflichtung hinsichtlich der Öffentlichkeit der Auszählung geregelt. Dies ist erst 2001 in die Wahlordnung aufgenommen worden. Somit spricht auch die Tatsache, dass die Bekanntgabe noch nicht ausdrücklich geregelt ist, nicht gegen die Bekanntgabeverpflichtung.

Auch aus dem Sinn und Zweck der Bekanntgabe von Zeit und Ort im Falle der Auszählung der Stimmen ergibt sich nicht, dass hier etwa ein anderer Maßstab angelegt werden müsste als im Falle der Eröffnung der Freiumschläge. In beiden Fällen dient die Herstellung der Öffentlichkeit insbesondere dazu, Interessierten die Kontrollmöglichkeit über die Handlungen des Wahlvorstandes zu geben. Insbesondere kann dem nicht entgegengehalten werden, dass die Handlungen des Wahlvorstandes im Rahmen der Eröffnung der Freiumschläge nicht entsprechend gleichwertig bedeutend sind, wie etwa die Handlungen bei der Auszählung der Stimmen. Denn wie bei der Auszählung der abgegebenen Stimmen, so sind bereits im Rahmen der Eröffnung der Freiumschläge bestimmte Kontrollen durch den Wahlvorstand durchzuführen. Insbesondere ist auch hier bereits festzustellen, ob der Freiumschlag verwendet worden, dieser verschlossen, die vorgedruckte Erklärung vorhanden und unterschrieben ist und ob eine wahlberechtigte Person die Erklärung abgegeben hat. Dies bedeutet, dass auch bereits hier maßgebliche Handlungen des Wahlvorstandes vorzunehmen sind, die auch Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben können, weil hier etwa Entscheidungen über die Gültigkeit von Stimmen zu treffen sind.

Soweit daher das Bundesarbeitsgericht in der oben genannten Entscheidung es für die Öffentlichkeit nicht ausreichen lässt, dass die Öffentlichkeit grundsätzlich besteht, sondern fordert, dass das Gebot der Öffentlichkeit auch die Bekanntgabe von Ort und Zeit fordert, kann im vorliegenden Fall der Eröffnung der Freiumschläge nichts anderes gelten (vgl. ebenso Kreutz in GK-BetrVG, 9. Aufl., § 26 WO Rn. 2 zur gleichlautenden Vorschrift der Wahlordnung zur Wahl des Betriebsrates).

ee) Dabei ist es auch unmaßgeblich, dass ggf. i. V. m. der ausgelegten Wahlordnung oder etwa auch im Zusammenhang mit bereits früher stattgefundenen Wahlen der Ort üblich und vielleicht bestimmten Mitarbeitern bekannt war oder hätte ermittelt werden können. Denn dies ist nicht ausreichend. Wie bereits das Bundesarbeitsgericht in der angegebenen Entscheidung entschieden hat, kann es nicht Interessierten überlassen bleiben, sich hinsichtlich des Ortes zu informieren oder nachzuforschen. Denn dies kann bereits dazu führen, dass an und für sich Interessierte durch den hierdurch erforderlichen Aufwand abgehalten werden. Insbesondere ist dabei aber auch zu berücksichtigen, dass gerade schwerbehinderte Mitarbeiter unter Umständen bereits aufgrund ihrer Behinderung einen Aufwand scheuen und deswegen davon abgehalten werden, von ihren Rechten Gebrauch zu machen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass der Wahlvorstand bereits in der Sitzung vom 29.09.2010 den Zeitpunkt der Eröffnung der Freiumschläge festgelegt hat. Insofern wäre es ohne Weiteres möglich gewesen, den insoweit beschlossenen Zeitpunkt und Ort der Eröffnung der Freiumschläge jederzeit öffentlich bekanntzugeben. Auch wenn aufgrund früherer Wahlen im Betrieb bekannt gewesen sein sollte, dass der Raum üblicherweise für derartige Tätigkeiten genutzt wird, so sagt dies zum einen nichts darüber aus, ob dies auch diesmal der Fall ist, zum anderen ist auch zu berücksichtigen, dass das Argument der Beschwerdeführer, bei früheren Wahlen sei entsprechend verfahren worden, nicht greifen kann, weil nicht sichergestellt ist, dass die Mitarbeiter auch bereits zu diesen früheren Zeitpunkten Mitglieder des Betriebes waren und insoweit Kenntnis davon hatten.

Dabei folgt die Kammer aber nicht der Auffassung des Erstgerichts, dass bereits aus der Tatsache, dass hier eine reine schriftliche Stimmabgabe vorgesehen wurde, die öffentliche Eröffnung der Freiumschläge erst nach Beendigung der Stimmabgabe, d. h. etwa im Rahmen der Auszählung durchgeführt werden könnte. Es ist durchaus möglich, dass, so wie es die Wahlordnung vorsieht, kurz vor Ende der Abgabe der Stimmen die Eröffnung der Freiumschläge durchgeführt wird, soweit diese nach Ort und Zeit öffentlich bekannt gegeben wird.

Wie bereits das Erstgericht festgestellt hat, mag im Falle einer nicht rein schriftlichen Stimmabgabe die Situation anders zu bemessen sein. Hier kann die öffentliche Bekanntgabe von Ort und Zeit der Eröffnung der Freiumschläge bereits deswegen entbehrlich sein, weil aufgrund des Ortes der Abgabe der Stimmen feststeht, ob und wie lange die Stimmen abgegeben werden können. Insoweit kann auch etwa aus der nach dem Gesetz zulässigen unbestimmten Bezeichnung, unmittelbar vor Abschluss der Stimmabgabe, etwa der Interessierte den Zeitraum abschätzen, zu dem die Eröffnung der Freiumschläge erfolgt. Daher kann in diesem Fall die Angabe des Zeitpunktes entbehrlich sein. Wenn der Interessierte aber nicht weiß, wo die Stimmabgabe zu erfolgen hat, und auch die Abgabe
etwa der Wahlunterlagen nicht an dem Ort stattfinden soll, an dem letzten Endes die Auszählung stattfindet, kann hiervon nicht in gleichem Maße ausgegangen werden. Nach dem Wahlausschreiben waren die Wahlunterlagen an den Wahlvorstand zurückzusenden.

In dem Wahlausschreiben war zudem für die Abgabe von Erklärungen gegenüber dem Wahlvorstand nicht derselbe Raum angegeben wie der Raum, in dem letzten Endes die Eröffnung der Freiumschläge und auch die Auszählung der Stimmen stattgefunden haben. Ein Interessierter hätte sich also erst entsprechend informieren müssen. Dies kann aber nicht ausreichen, um etwa die Betriebsöffentlichkeit herzustellen, aus den oben genannten Gründen.

ff) Nachträglich wurde der Mangel auch nicht berichtigt, wie bereits die erste Instanz zutreffend festgestellt hat. Eine nachträgliche Berichtigung wäre auch nicht möglich gewesen.

Denn Sinn und Zweck der Betriebsöffentlichkeit bei dem Vorgang der Eröffnung der Freiumschläge ist es, Kontrollmöglichkeiten zu eröffnen. Wenn die maßgeblichen Handlungen aber bereits stattgefunden haben, kann eine Kontrolle nachträglich nicht mehr durchgeführt werden. Auch die Tatsache, dass zweifelhafte Umschläge anschließend im Rahmen der Auszählung der Stimmen nochmals behandelt wurden, führt nicht zu einer nachträglichen Berichtigung des Mangels. Denn es ist nachträglich nicht mehr feststellbar, ob tatsächlich nur die von Seiten des Wahlvorstandes vorgelegten Stimmen streitig waren oder ob er bewusst oder unbewusst bei der Zulassung von Stimmen Fehler gemacht hat.

gg) Schließlich ist auch davon auszugehen, dass der Mangel sich auf das Wahlergebnis ausgewirkt haben kann. Wie bereits das Bundesarbeitsgericht festgestellt hat, ist bei einem Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz nicht davon auszugehen, dass ohne den Verstoß zwingend auch dasselbe Ergebnis herbeigeführt worden wäre. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass es während der Eröffnung der Freiumschläge zu Fehlern gekommen ist, die im Falle der öffentlichen Auszählung nicht unterlaufen wären. Es kommt auch nicht darauf an, ob tatsächlich objektive Anhaltspunkte für solche Fehler vorliegen.

Hier sollen abstrakte Gefährdungen vermieden werden (vgl. BAG, a. a. O.; LAG Nürnberg, Beschl. v. 27.11.2007 - 6 TaBV 46/07). Da somit maßgebliche Vorschriften des Wahlverfahrens nicht beachtet wurden, war die Beschwerde zurückzuweisen.

III.

Da nach der herangezogenen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts eine Änderung der Vorschriften insbesondere im Hinblick auf den Inhalt des Wahlausschreibens stattgefunden hat und der Frage auch für eine Vielzahl von Wahlen grundsätzliche Bedeutung beikommt, war die Rechtsbeschwerde zuzulassen. Insoweit wird auf die nachfolgende Rechtsmittelbelehrung verwiesen.

Referenznummer:

R/R3765


Informationsstand: 13.01.2012