Die Beschwerde der Beteiligten zu 7) gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 26. Mai 2011 - 19 BV 800/10 - wird zurückgewiesen.
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
I.
Die Beteiligten streiten um die Wirksamkeit einer Wahl zur Schwerbehindertenvertretung.
Am 17. Nov. 2010 fand die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung im Betrieb des Beteiligten zu 8) in A statt. Im Betrieb arbeiten u.a. 48 schwerbehinderte Menschen, zu denen die Beteiligten zu 1) bis 5) gehören. Die Beteiligte zu 7) ist die gewählte Schwerbehindertenvertretung. Die Wahl der Schwerbehindertenvertretung wurde im vereinfachten Verfahren durchgeführt. Auf die Einladung vom 26. Okt. 2010 zur Wahlversammlung vom 17. Nov. 2010 um 14 Uhr in der Kantine im Erdgeschoss des Gebäudes in der B wird Bezug genommen (Bl 14 d. A.).
Gewählt wurde an einem Tisch (Wahltisch), an dem kein Sichtschutz angebracht war, in einer Entfernung von etwa 3 m zum Tisch der Wahlleitung (Skizze Bl. 74 d. A.). An der Wahl nahmen 18 schwerbehinderte Mitarbeiter teil. Sie trugen sich in eine Wählerliste ein. Nach Vorbringen der Wahlvorschläge wurde ein Stimmzettel vorbereitet und fotokopiert. Es fanden die Wahlgänge zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung und zweier Stellvertreter statt. Die anwesenden Wahlberechtigten erhielten bei jedem Wahlgang einen Stimmzettel. Diese füllten sie der Reihe nach am Wahltisch aus, knickten den Stimmzettel, begaben sich zum Tisch der Wahlleitung und warfen den Stimmzettel in einen Karton. Für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung wurden 18 Stimmzettel abgegeben, von denen einer durch die Wahlleitung für ungültig erklärt worden ist. Mit einer Stimme Vorsprung wurde Herr C zur Vertrauensperson gewählt. Auf die Niederschrift über das Ergebnis der Wahl wird verwiesen (Bl. 73 d. A.). Das Wahlergebnis wurde am 18. Nov. 2010 ausgehängt (Bl. 13 d. A.).
Mit ihrem am 26. Nov. 2010 beim Arbeitsgericht Frankfurt am Main eingegangenen Antrag haben die Beteiligten zu 1) bis 5) die Wahl der Schwerbehindertenvertretung für ungültig angesehen, weil die Wahlleitung den Grundsatz der geheimen Wahl verletzt habe.
Die Beteiligten zu 1) bis 5) haben beantragt,
die Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 17. Nov. 2010 im Betrieb A der Arbeitgeberin für unwirksam zu erklären.
Die Schwerbehindertenvertretung hat beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Der Beteiligte zu 8) hat keinen Antrag gestellt.
Die Schwerbehindertenvertretung hat behauptet, die Teilnehmer an der Wahlversammlung hätten aufgrund des Abstandes zum Wahltisch nicht sehen können, ob und wie ein Wähler den Stimmzettel angekreuzt habe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten, des vom Arbeitsgericht festgestellten Sachverhalts und des erstinstanzlichen Verfahrens wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses verwiesen.
Das Arbeitsgericht Frankfurt am Main hat dem Antrag durch Beschluss vom 26. Mai 2011 - 19 BV 800/10 - stattgegeben. Zur Begründung hat es u.a. ausgeführt, die Wahl sei ungültig, da mangels Sichtschutzes am Wahltisch die Möglichkeit bestanden habe, dass Dritte beobachteten, wie die Wähler den Stimmzettel ausfüllen. Außerdem hätte theoretisch auch die Wahlleitung vom Wahlverhalten einzelner Wähler Kenntnis nehmen können, da keine Wahlumschläge benutzt worden seien. Es sei nicht auszuschließen, dass die schwerbehinderten Arbeitnehmer von ihrem Wahlrecht in anderer Art und Weise Gebrauch gemacht hätten, wenn das Wahlgeheimnis gesichert gewesen wäre. Es sei auch nicht auszuschließen, dass die Wähler sich beim Ausfüllen der Stimmzettel nicht unbeobachtet gefühlt haben. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die arbeitsgerichtlichen Beschlussgründe verwiesen.
Gegen den ihr am 16. Juni 2011 zugestellten Beschluss hat die Schwerbehindertenvertretung am 12. Juli 2011 Beschwerde eingelegt und diese am 15. Aug. 2011 begründet.
Die Schwerbehindertenvertretung trägt vor, entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts gebe es keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass einer der Wahlberechtigten auch nur theoretisch darin beeinflusst worden sein könnte, seine Stimme nach freier Entscheidung und unbeeinflusst abzugeben. Das Arbeitsgericht hätte sich durch Befragung des Wahlleiters D selbst ein Bild von den tatsächlichen Gegebenheiten am Wahltag machen müssen.
Die Beteiligte zu 7) beantragt,
den Beschluss des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 26. Mai 2011 - 19 BV 800/10 - abzuändern und den Antrag der Beteiligten zu 1) bis 5) zurückzuweisen.
Die Beteiligten zu 1) bis 5) beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Der Beteiligte zu 8) stellt keinen Antrag.
Die Beteiligten zu 1) bis 5) verteidigen die angefochtene Entscheidung und meinen, aufgrund der gravierenden Fehler und Mängel der Wahl sei nach der Lebenserfahrung nicht auszuschließen oder zumindest nicht ganz unwahrscheinlich, dass es zu einer Beeinflussung der Wahl gekommen ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der Beschwerdeschriftsätze und den Inhalt der Sitzungsniederschrift vom 1. Dez. 2011 verwiesen.
II.
Die Beschwerde ist statthaft, § 87
Abs. 1
ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist, §§ 87
Abs. 2 Satz 1, 66
Abs. 1 Satz 1, 89
Abs. 1 und 2
ArbGG.
Die Beschwerdeschrift selbst enthält zwar nur ein für die Rechtsmitteleinlegung unzulässiges Kurzrubrum. Die Beschwerdeführerin hat aber noch innerhalb der Beschwerdefrist am 18. Juli 2011 das erstinstanzliche Beschlussdeckblatt übersandt, welches ein vollständiges Rubrum enthält und die erstinstanzlichen Verfahrensrollen erkennen lässt. Dieses darf zur Ergänzung des Kurzrubrums in der Beschwerdeschrift herangezogen werden, so dass die Beschwerde zulässig ist.
Die Beschwerdebegründung enthält entgegen §§ 87
Abs. 2, 64
Abs. 6
ArbGG, 520
Abs. 3
Nr. 1
ZPO keinen förmlichen Beschwerdeantrag, was an sich zur Unzulässigkeit der Beschwerde führt. Ein förmlicher Beschwerdeantrag ist indessen nicht nötig, wenn sich aus der Beschwerdebegründung entnehmen lässt, in welchem Umfang die erstinstanzliche Entscheidung angegriffen wird (Zöller-Gummer/Heßler,
ZPO, § 520 Rz. 32 mit weiteren Nachw.). Hieran kann nach der Beschwerdebegründung vom 8. Aug. 2011, insbesondere dem letzten Satz, kein Zweifel aufkommen.
Die Beschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Der Anfechtungsantrag ist auslegungsbedürftig. Gegenstand des Verfahrens ist nach dem förmlichen Anfechtungsantrag nur die Wahl der Schwerbehindertenvertretung, also nur der erste Wahlgang, und nicht der weitere Wahlgang zur Wahl der Stellvertreter. Es handelt sich hierbei um zwei voneinander unabhängige Wahlen, die getrennt angefochten werden können (
BAG Beschluss vom 29. Juli 2009 -
7 ABR 91/07 - Juris). Mit der Antragsbegründung werden jedoch Gründe für die Anfechtung der gesamten Wahl mit beiden Wahlgängen vorgetragen und gegen deren Gültigkeit argumentiert, so dass der förmliche Antrag dahingehend auszulegen ist, dass er sich auf die gesamte Wahl bezieht.
Der Antrag der Beteiligten zu 1) bis 5) ist begründet, weil die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung vom 17. Nov. 2010 im Betrieb des Beteiligten zu 8) in A ungültig ist. Dies hat das Arbeitsgericht, auf dessen Begründung - auch wegen der formalen Anfechtungsvoraussetzungen - ergänzend verwiesen wird, zutreffend erkannt.
Im vereinfachten Verfahren, dass hier nach
§ 18 der Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen i.d.F. vom 19. Juni 2001 (BGBl I, 1046) Anwendung findet, weil im Betrieb weniger als 50 Wahlberechtigte beschäftigt sind, wird das Wahlrecht gemäß
§ 20 Abs. 3 SchwbWO durch Abgabe eines Stimmzettels in einem Wahlumschlag ausgeübt. Der Wahlleiter verteilt die Stimmzettel und trifft Vorkehrungen, dass der Wähler oder die Wählerin ihre Stimme unbeobachtet abgeben kann. Der Wähler legt den Stimmzettel in den Wahlumschlag ein und übergibt diesen der Wahlleitung. Diese legt den Wahlumschlag ungeöffnet in den dafür bestimmten Behälter. Die in § 20
Abs. 3 SchwbWO zwingend vorgesehene Stimmabgabe durch die Abgabe von Stimmzetteln in den hierfür bestimmten Umschlägen (Wahlumschlägen) dient der Wahrung des elementaren Grundsatzes, dass Wahlen geheim durchzuführen sind. Dieser Grundsatz ist allen demokratischen Wahlen, zu denen auch Betriebsratswahlen gehören, immanent und wird in
§ 94 Abs. 1 Abs. 6 Satz 1 SGB IX bestätigt. Bei einer Sicherung des Wahlgeheimnisses durch Verwendung der in der Wahlordnung obligatorisch vorgeschriebenen Wahlumschläge kann jeder Arbeitnehmer mit der Aushändigung der Stimmzettel nebst Wahlumschlag sicher sein, dass sein Abstimmungsverhalten geheim bleiben wird. Diese Regelungen dienen der Gewährleistung der Grundsätze der geheimen Wahl (
vgl. LAG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25. Aug. 2011 - 25 TaBV 529/11 - Juris;
LAG Hamm Beschluss vom 9. März 2007 - 10 TaBV 105/06 - AiB 2009, 588 = Juris;
LAG Niedersachsen Beschluss vom 1. März 2004 - 16 TaBV 60/03 - AiB 2009, 723 = Juris). Das Wahlgeheimnis ist auch nach Abschluss der Stimmabgabe geschützt (
BAG Beschluss vom 27. Juli 2005 - 7 ABR 54/04 - EzA § 19
BetrVG 2001
Nr. 5 = Juris). Gegen diese zwingenden Vorschriften über das Wahlverfahren in § 20
Abs. 3 SchwbWO hat die Wahlleitung deutlich verstoßen, indem es keine Wahlumschläge gab und die Stimmzettel nur gefaltet in den Karton gelegt wurden.
Es kann nicht unterstellt werden, der Verfahrensfehler hätte sich nicht ausgewirkt. Der mit "es sei denn" eingeleitete Halbsatz in
§ 19 Abs. 1 BetrVG hat zum Ziel, Verstöße gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit und das Wahlverfahren nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl ausreichen zu lassen, wenn durch einen solchen Verstoß das Wahlergebnis objektiv weder geändert noch beeinflusst werden konnte (
BAG Beschluss vom 31. Mai 2000 - 7 ABR 78/98 - EzA § 19
BetrVG 1972
Nr.39;
BAG Beschluss vom 14. September 1988 - 7 ABR 93/87 - EzA § 16
BetrVG 1972
Nr. 6). Entscheidend ist, ob eine hypothetische Betrachtung (Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Vorschriften) unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis führt (
BAG a.a.O.). Die Ausgestaltung der Wahlanfechtungsvorschrift des § 19
Abs. 1 Satz 1 letzter Halbsatz
BetrVG nimmt Rücksicht darauf, dass in einer Vielzahl an Fällen die Beeinflussung durch einen Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften nicht positiv festgestellt werden kann, sich aber dennoch latent auf das Wahlverhalten auswirkt. Deshalb muss eine verfahrensfehlerhafte Wahl der Schwerbehindertenvertretung nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei der Einhaltung entsprechender Vorschriften zum Wahlverfahren kein anderes Wahlergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (
BAG a.a.O.). Zum Teil wird in der Rechtsprechung angenommen, Stimmzettel, die ohne Wahlumschlag eingeworfen würden, seien von Vornherein ungültig (so
LAG Niedersachsen Beschluss vom 1. März 2004 - 16 TaBV 60/03 - AiB 2009, 723 = Juris). Die Feststellung, dass die Wahl bei Verwendung von Wahlumschlägen zum selben Ergebnis geführt hätte, ist aber auf jeden Fall nicht möglich. Eine Beeinflussung des Wahlergebnisses durch das Fehlen von Wahlumschlägen ist vielmehr denkbar (ebenso
LAG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25. Aug. 2011 - 25 TaBV 529/11 - Juris). Der wählende Arbeitnehmer muss ohne die Verwendung von Wahlumschlägen damit rechnen, dass die Wahlleitung davon Kenntnis nehmen kann, wie er gewählt hat. Eine Beeinflussung von Wählern, die ihr Wahlverhalten an diese "nicht ganz" geheime Wahl (
vgl. LAG Berlin-Brandenburg Beschluss vom 25. Aug. 2011 - 25 TaBV 529/11 - Juris) anpassen, ist möglich. Hier reichte schon eine Stimme, um zu einem anderen Wahlergebnis zu gelangen.
Eine Kostenentscheidung ergeht nach § 2
Abs. GKG nicht.
Für die Zulassung der Rechtsbeschwerde besteht keine gesetzlich begründete Veranlassung, §§ 92
Abs. 1, 72
ArbGG. Die entscheidungserheblichen Rechtsfragen sind höchstrichterlich entschieden.