Urteil
Unwirksamkeit des Wahlverfahrens der Schwerbehindertenvertretung wegen unzureichender Unterrichtung der ausländischen Belegschaft über die Wahlprozedur

Gericht:

LAG Köln 13. Kammer


Aktenzeichen:

13 TaBV 82/11


Urteil vom:

08.03.2012


Grundlage:

Nicht-amtliche Leitsätze:

1. Nach § 2 Abs. 5 SchwbVWO muss der Wahlvorstand dafür Sorge tragen, dass ausländische Wahlberechtigte rechtzeitig über das Wahlverfahren, die Aufstellung der Liste der Wahlberechtigten, die Wahlvorschläge, den Wahlvorgang und die Stimmabgabe in geeigneter Weise unterrichtet werden. Danach handelt es sich bei der mit § 2 Abs. 5 WO zum BetrVG im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschrift des § 2 Abs. 5 SchwbVWO um eine wesentliche Vorschrift des Wahlverfahren im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG, weil die Regelung die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts sicherstellen soll und sie zudem der betrieblichen Integration ausländischer Arbeitnehmer dient. Fehlende oder begrenzte Kenntnisse der deutschen Sprache erschweren ihnen die Ausübung ihres aktiven und passiven Wahlrechts.

2. Die Unterfrankierung der Briefwahlumschläge (Freiumschlag zur schriftlichen Stimmabgabe) durch den Wahlvorstand stellt einen Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Ziff. 4 SchwbVWO dar, der zur Wahlanfechtung berechtigt.

Quelle: Behindertenrecht 03/2013

Rechtsweg:

ArbG Köln Urteil vom 29.07.2011 - 5 BV 265/10

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Beteiligten zu 1) - 4) wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 29.07.2011 - 5 BV 265/10 - abgeändert:

Die am 23.11.2010 im Betrieb der Arbeitgeberin durchgeführte Wahl zur Schwerbehindertenvertretung wird für unwirksam erklärt.

2. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Wahl zur Schwerbehindertenvertretung.

Die zu 1) - 4) beteiligten Antragsteller sind im Betrieb der zu 6) beteiligten Arbeitgeberin beschäftigte wahlberechtigte schwerbehinderte Arbeitnehmer. Die Arbeitgeberin ist ein Frachtunternehmen mit einer Betriebsstätte am Flughafen K und einer Betriebsstätte in T. Bei ihr sind 95 wahlberechtigte schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt. Eine große Zahl der in den U-Betriebsstätten beschäftigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist ausländischer Herkunft. Dies gilt insbesondere für die gewerblichen Beschäftigten. Ein Großteil der ausländischen Beschäftigten spricht türkisch. Etwa ein Drittel der Schwerbehinderten hat einen Migrationshintergrund, wobei auch hier die absolute Mehrzahl von ihnen im gewerblichen Bereich tätig ist, türkisch spricht und ihren Dienstsitz in der Betriebsstätte am Flughafen K hat.

In dem am 06.10.2010 in beiden Betriebsstätten ausgehängten Wahlausschreiben wurde u. a. auf Folgendes hingewiesen:

"2. Wählbar als Vertrauensperson oder als stellvertretendes Mitglied ist jeder im Betrieb/in der Dienststelle nicht nur vorübergehend Beschäftigte, der am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet hat und dem Betrieb/der Dienststelle seit mindestens sechs Monaten angehört. Auch nicht selbst schwerbehinderte Beschäftigte sind wählbar. Wer kraft Gesetzes dem Betriebsrat nicht angehören kann, ist nicht wählbar.

1. Wahlberechtigt sind alle im Betrieb beschäftigten schwerbehinderten Menschen. Sie können aber nur dann wählen, wenn sie in der Liste der Wahlberechtigten eingetragen sind. Einsprüche gegen die Richtigkeit der Liste der Wahlberechtigten können nur innerhalb von zwei Wochen seit dem Erlass dieses Wahlausschreibens, also spätestens bis zum 20.10.2010 schriftlich beim Wahlvorstand eingelegt werden.

2. Die Liste der Wahlberechtigten und die Wahlordnung Schwerbehindertenvertretung liegen seit dem 06.10.2010 bis zum Abschluss der Stimmabgabe jeweils zur Einsichtnahme aus an folgendem Ort:
Büro der SBV T Donnerstag von 10:00 bis 12:00 Uhr PE Küche Fracht West Mittwochs von 22:00 bis 24:00 Uhr

3. Zu wählen sind die Vertrauensperson und 3 stellvertretende Mitglieder. Vertrauensperson und stellvertretende Mitglieder werden in zwei getrennten Wahlgängen gewählt.

4. Wir bitten die Wahlberechtigten, innerhalb von zwei Wochen seit dem Erlass dieses Wahlausschreibens, also spätestens am 20.10.2010 schriftliche Wahlvorschläge beim Wahlvorstand einzureichen. Nach diesem Termin eingehende Wahlvorschläge können nicht berücksichtigt werden.
...

5. Stimmabgabe
...
Der Wahlvorstand hat generelle schriftliche Stimmabgabe beschlossen. Die schriftliche Stimmabgabe (Briefwahl) endet am 23.11.2010 um 13:00 Uhr.

Die Briefwahlunterlagen erhalten Sie unaufgefordert durch den Wahlvorstand.
...

9. Einsprüche, Wahlvorschläge, Anträge auf Briefwahl (schriftliche Stimmabgabe) und sonstige Erklärungen sind an den Wahlvorstand zu richten. Der Wahlvorstand ist an Arbeitstagen zu (erreichen)

von 10:00 Uhr bis 12:00 Uhr in T, sowie PE Küche Fracht West Zeiten hier 22 - 24 Uhr

Tel.: 02241-4911015, Tel. PE Küche Fracht West 02241 491 311

Am selben Tag hängte der Wahlvorstand eine Information in türkischer Sprache - zwischen den Beteiligten ist streitig, ob nur in der Betriebsstätte T oder, wie die Beteiligte zu 5) behauptet, auch in der Betriebsstätte Flughafen K aus. Darin heißt es (übersetzt):

"Sehr geehrte Damen und Herren,

in Betrieben, in denen mindestens fünf schwerbehinderte und/oder gleichgestellte Menschen arbeiten, deren Arbeitsverhältnis nicht befristet ist, können nach § 94 Abs. 1 SGB IX eine Vertrauensperson und ein Vertreter gewählt werden. Unser Betrieb erfüllt diese Voraussetzungen.

Nach Absprache mit der Geschäftsleitung laden wir Sie gemäß § 19 Abs. 1 SchwbVWO zur Wahlsitzung ein:

Datum: 23.11.2010 Uhrzeit: 13:00 Uhr

Ort: T

Bei den Wahlen werden eine Vertrauensperson und ein oder mehrere Vertreter gewählt.

Bitte bringen Sie die Unterlagen mit, die den Grad der Behinderung oder die Gleichstellung belegen (z. B. Ihren Schwerbehindertenausweis, die Bescheinigung über die Festsetzung des Grades der Schwerbehinderung oder den Gleichstellungsbescheid).

Bei Ihrem Lohn kann nach § 94 Abs. 5 SGB IX wegen der Teilnahme an den Wahlen keine Kürzung vorgenommen werden."

Die mit den Wahlunterlagen übersandten Rückumschläge für die schriftliche Stimmabgabe waren mit 0,90 EUR frankiert. Der verwendete Briefumschlag hat in etwa die Maße 223 mm x 162 mm (L x B). Bei der verwendeten Frankierung von 0,90 EUR handelt es sich um das Porto für einen sog. Kompaktbrief, der die Höchstmaße 235 mm x 125 mm (L x B) nicht überschreiten darf. Der verwendete Briefumschlag war daher als Großbrief mit einer Frankierung von 1,45 EUR zu versenden. Von den abgegebenen Stimmen waren 8 nachfrankiert. Diese Wahlberechtigten erhielten die Umschläge mit ihrer Stimmabgabe durch die Deutsche Post zurück, versehen mit einem Aufkleber mit folgendem Vermerk:

"Sehr geehrte Kundin, sehr geehrter Kunde,

bei dieser Sendung wurden leider die zulässigen Entgelte, Gewichtsstufen oder Maße nicht eingehalten. An dem zu entrichtenden Entgelt fehlen: 0,55 EUR. Daher geht diese Sendung zurück an den Absender."

Die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung fand im Betrieb am 23.11.2010 statt. Daraus ging die zu 5) beteiligte Schwerbehindertenvertretung hervor. Von den insgesamt 95 Wahlberechtigten haben 65 ihre Stimme abgegeben. 30 Wahlberechtigte gaben ihre Stimme nicht ab. Von den 65 abgegebenen Stimmen wurden 42 persönlich abgegeben, 8 waren nachfrankiert und 15 wurden per Post gesendet. Im Wahlgang zur Wahl der Vertrauensperson entfielen auf den Kandidaten P B 45 Stimmen, auf den Kandidaten M S 12 Stimmen und auf den Kandidaten C D 1 Stimme. Im Wahlgang für die Wahl der stellvertretenden Mitglieder entfielen auf die Kandidatinnen und Kandidaten folgende Stimmen:

Br W 44

Bü Ba 35

A Sc 31

F U Cz 18

M S 13

E Ca 11

Mu Ba 1

C D 1

I G 0

Das Wahlergebnis wurde am 23.11.2010 bekannt gegeben.

Mit der am 07.12.2010 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift haben die Antragsteller die Schwerbehindertenwahl angefochten.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückzuwiesen. Auf den Beschluss (Bl. 131 - 138 d. A.) wird verwiesen. Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde der Antragsteller, die weiter der Auffassung sind, die am 23.11.2010 im Betrieb der Arbeitgeberin durchgeführte Wahl zur Schwerbehindertenvertretung sei unwirksam. Die zahlreichen türkischen gewerblichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien nicht ausreichend und durch das ausgehängte Schreiben sogar falsch informiert worden. Es sei nicht auszuschließen, dass bei ordnungsgemäßer Unterrichtung der türkischsprachigen Wahlberechtigten das Wahlergebnis anders ausgefallen wäre. Die mit den Wahlunterlagen übersandten Rückumschläge für die schriftliche Stimmabgabe seien mit 0,90 EUR unterfrankiert, es handele sich demnach um keinen "Freiumschlag". Unter Berücksichtigung der 30 nicht abgegebenen Stimmen sei nicht auszuschließen, dass diese Stimmen bei ordnungsgemäßer Freimachung der Briefwahlumschläge abgegeben worden wären. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Beschwerdebegründungsschrift vom 08.11.2011 verwiesen.


Die Antragsteller beantragen,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 29.07.2011 zu ändern und die am 23.11.2010 im Betrieb der Arbeitgeberin durchgeführte Wahl zur Schwerbehindertenvertretung für unwirksam zu erklären.


Die Schwerbehindertenvertretung beantragt

die Zurückweisung des Antrags.

Es habe eine ausreichende Unterrichtung der ausländischen Wahlberechtigten durch Aushang in türkischer Sprache in beiden Betriebsstätten stattgefunden. Darüber hinaus sei in beiden Betriebsstätten ein Hinweis ausgehängt worden, wonach im jeweiligen Wahlbüro sowohl die Wahlvorschriften als auch die Wahlunterlagen in türkischer Übersetzung zur Einsichtnahme bereit lägen. Die Antragsteller hätten nicht ansatzweise vorgetragen, in welchem Umfang Arbeitnehmer wahlberechtigt gewesen seien, die nicht über ausreichende Deutschkenntnisse verfügten, um die wesentlichen Wahlvorschriften und den Inhalt des Wahlausschreibens zu erfassen. Da die Antragsteller keinen einzigen Wahlberechtigten namentlich benannt haben, dem derartige Kenntnisse fehlen sollen, sei eine Kausalität eines vermeintlichen Verstoßes gegen § 2 Abs. 5 SchwbVWO offensichtlich nicht feststellbar. Entsprechendes gelte für den weiter geltend gemachten Wirksamkeitsgrund einer vermeintlich fehlerhaften Frankierung der Freiumschläge. Hinsichtlich der Wahl des Schwerbehindertenvertreters sei eine Kausalität schon deshalb ausgeschlossen, weil der gewählte Vertrauensmann der Schwerbehinderten einen Stimmenvorsprung von 33 Stimmen zu verzeichnen hatte, während nur 30 Wahlberechtigte ihre Stimme nicht abgegeben hatten. Für die Wahl der stellvertretenden Mitglieder ergebe sich nichts anderes, da die Antragsteller keinen einzigen Fall vorgetragen hätten, in dem tatsächlich wegen einer vermeintlichen Unterfrankierung Wahlberechtigte davon Abstand genommen hätten, ihre Stimme abzugeben. Tatsächlich bewege sich die Wahlbeteiligung im üblichen Rahmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

II.

1. Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die am 23.11.2010 im Betrieb der Arbeitgeberin durchgeführte Wahl zur Schwerbehindertenvertretung ist nach §§ 94 Abs. 6 S. 2 SGB IX i. V. m. § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam, weil bei der Wahl gegen § 2 Abs. 5 SchwbVWO sowie § 11 Abs. 1 Ziff. 4 SchwbVWO verstoßen wurde und das Wahlergebnis hierauf beruht.

2. Die Wahlanfechtung ist zulässig, insbesondere sind die Antragsteller als schwerbehinderte Menschen bzw. schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wahlanfechtungsberechtigt im Sinne des § 94 Abs. 6 S. 2 SGB IX i. V. m. § 19 Abs. 2 S. 1 BetrVG i. V. m. § 94 Abs. 2, 68 Abs. 1 SGB IX. Die Anfechtungsfrist gemäß § 19 Abs. 2 S. 2 BetrVG von zwei Wochen vom Tag der Bekanntmachung des Wahlergebnisses gerechnet (23.11.2010), ist durch den am 07.12.2010 beim am Arbeitsgericht eingegangenen Antrags gewahrt.

3. Nach § 19 Abs. 1 BetrVG kann eine Betriebsratswahl angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Diese Vorschrift findet nach § 94 Abs. 6 S. 2 SGB IX auf die Wahl der Schwerbehindertenvertretung sinngemäß Anwendung.

4. Nach § 2 Abs. 5 SchwbVWO muss der Wahlvorstand dafür Sorge tragen, dass ausländische Wahlberechtigte rechtzeitig über das Wahlverfahren, die Aufstellung der Liste der Wahlberechtigten, die Wahlvorschläge, den Wahlvorgang und die Stimmabgabe in geeigneter Weise unterrichtet werden. Danach handelt es sich bei der mit § 2 Abs. 5 WO im Wesentlichen inhaltsgleichen Vorschrift des § 2 Abs. 5 SchwbVWO um eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren im Sinne des § 19 Abs. 1 BetrVG, weil die Regelung die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts sicherstellen soll und sie zudem der betrieblichen Integration ausländischer Arbeitnehmer dient. Ausländische Arbeitnehmer sind unter denselben Voraussetzungen wie deutsche Arbeitnehmer wahlberechtigt und wählbar. Fehlende oder begrenzte Kenntnisse der deutschen Sprache erschweren ihnen die Ausübung ihres aktiven und passiven Wahlrechts. Durch die in § 2 Abs. 5 SchwbVWO normierte Unterrichtungspflicht soll gewährleistet werden, dass ausländischen Arbeitnehmern, die die deutsche Sprache nicht ausreichend beherrschen, um sich selbst anhand des Gesetzes, der Wahlordnung, der Wählerlisten und des Wahlausschreibens sowie durch Kommunikation mit anderen Arbeitnehmern über die Wahlgrundsätze und das Wahlverfahren zu informieren, die zur Wahlbeteiligung notwendigen Kenntnisse "in geeigneter Weise" vermittelt werden, damit sie ihr Wahlrecht in gleicher Weise ausüben können wie deutsche Arbeitnehmer (BAG 13.10.2004 - 7 ABR 5/04 für die im Wesentlichen gleichlautende Vorschrift des § 2 Abs. 5 WO).

5. Der Wahlvorstand hat bei der Schwerbehindertenwahl gegen § 2 Abs. 5 SchwbVWO verstoßen, da er die größte Gruppe der im Betrieb beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer, die die türkische Sprache sprechen, nicht ausreichend und zum Teil falsch über das Wahlverfahren, die Aufstellung der Wähler- und Vorschlaglisten, den Wahlvorgang und die Stimmabgabe unterrichtet hat, obwohl er davon ausgehen musste, dass eine Vielzahl dieser Arbeitnehmer der deutschen Sprache nicht im Sinne von § 2 Abs. 5 SchwbVWO mächtig ist.

a. Bei der Beurteilung der Frage, ob die im Betrieb beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer der deutschen Sprache im Sinne von § 2 Abs. 5 SchwbVWO mächtig sind, ist im Hinblick auf den Zweck der Vorschrift, ausländischen Arbeitnehmern die wesentlichen Grundsätze über die durchzuführende Wahl zu vermitteln, um ihnen in gleicher Weise wie deutschen Arbeitnehmern die Wahrnehmung ihres aktiven und passiven Wahlrechts zu ermöglichen, nicht lediglich darauf abzustellen, ob sie sich bei der täglichen Arbeit hinreichend verständigen können. Entscheidend ist vielmehr, ob ihre Deutschkenntnisse ausreichen, um die zum Teil komplizierten Wahlvorschriften und den Inhalt eines Wahlausschreibens verstehen zu können. Im Zweifelsfall muss der Wahlvorstand von unzureichenden deutschen Sprachkenntnissen ausgehen. Das gilt jedenfalls dann, wenn im Betrieb eine größere Anzahl ausländischer Arbeitnehmer im gewerblichen Bereich mit einfachen Hilfsarbeiten beschäftigt ist. Diese Arbeitnehmer mögen zwar über die für die tägliche Arbeit erforderlichen Deutschkenntnisse verfügen. Das bedeutet aber nicht, dass diese Kenntnisse auch genügen, um sich die zu einer umfassenden Wahrnehmung der Rechte im Zusammenhang mit einer Schwerbehindertenwahl nötigen Informationen selbst zu verschaffen. Denn zur Erledigung einfacher Hilfstätigkeiten im gewerblichen Bereich sind in der Regel nur geringe Deutschkenntnisse erforderlich (BAG 13.10.2004 - 7 ABR 5/04).

b. Hiernach musste der Wahlvorstand aufgrund der betrieblichen Verhältnisse davon ausgehen, dass im Betrieb zahlreiche türkisch sprechende wahlberechtigte Arbeitnehmer die deutsche Sprache nicht hinreichend beherrschen, um sich selbst über Wahlverfahren, Aufstellung der Wähler- und Vorschlaglisten, Wahlvorgang und Stimmabgabe zu informieren. Denn etwa ein Drittel der Wahlberechtigten hat ein Migrationshintergrund, wobei die Mehrzahl von ihnen im gewerblichen Bereich tätig ist und türkisch spricht. Dementsprechend hat auch der Wahlvorstand für die Betriebsratswahl 2010 in den U-Betriebsstätten Flughafen K und T das Wahlausschreiben in türkischer Sprache ausgehängt. Der Wahlvorstand ist selbst davon ausgegangen, dass eine Unterrichtung in türkischer Sprache erforderlich ist, denn er hat - nach seinem Vortrag in beiden Betriebsstätten - eine Information in türkischer Sprache ausgehängt.

c. Diese Information ist jedoch nicht nur unzureichend, sondern teilweise sogar falsch und irreführend. Sie enthält nicht die erforderlichen im Wahlausschreiben vom 06.10.2010 enthaltenen Informationen über das passive Wahlrecht auch von nicht Schwerbehinderten, die Möglichkeit, einen eigenen Wahlvorschlag einzureichen, sich zur Wahl aufstellen zu lassen und das Verfahren und die Fristen bei der Einreichung von Wahlvorschlägen. Falsch und geradezu irreführend ist die fehlende Information über die beschlossene schriftliche Stimmabgabe, die zum 23.11.2010 um 13:00 Uhr endet. Darüber wird in dem Aushang in türkischer Sprache nicht unterrichtet, sondern zur Wahlsitzung am 23.11.2010, 13:00 Uhr, eingeladen. Wer dieser Einladung gefolgt wäre, hätte die Frist für die schriftliche Stimmabgabe verpasst.

d. Diese gravierenden Mängel der Informationen in türkischer Sprache können auch nicht dadurch geheilt werden, dass, wie die Schwerbehindertenvertretung behauptet, ein weiterer Hinweis in beiden Betriebsstätten ausgehängt worden sei, wonach im jeweiligen Wahlbüro sowohl die Wahlvorschriften als auch die Wahlunterlagen in türkischer Übersetzung zur Einsichtnahme bereit liegen würden. Zu Recht weisen die Antragsteller darauf hin, dass die Unterrichtung ebenso wie bei deutschen Wahlberechtigten nicht lediglich durch einen solchen Hinweis erfüllt werden kann. Dieser kann nur zusätzlich zu einer dem wesentlichen Inhalt des Wahlausschreibens entsprechenden Information in türkischer Sprache erfolgen.

6. Der Verstoß gegen § 2 Abs. 5 SchwbVWO führt zur Unwirksamkeit der Wahl, weil durch den Verstoß das Wahlergebnis beeinflusst werden konnte.

a. Nach § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz BetrVG i. V. m. § 94 Abs. 6 S. 2 SGB IX berechtigten Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte (st. Rechtsprechung des BAG, vgl. etwa BAG 05.05.2004 - 7 ABR 4/03 m. w. N.).

b. Dies kann im Streitfall jedoch nicht angenommen werden. Denn es ist nicht auszuschließen, dass die im Betrieb beschäftigten ausländischen türkischsprechenden Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, wären sie über die Möglichkeit des Einreichens von Wahlvorschriften unterrichtet worden, selbst Wahlvorschläge erstellt und eingereicht hätten und sich nicht schwerbehinderte Beschäftigte zur Wahl hätten aufstellen lassen, was möglicherweise zu einem anderen Wahlergebnis geführt hätte. Es ist darüber hinaus nicht ausgeschlossen, dass türkische Wahlberechtigte bei ordnungsgemäßer Unterrichtung ihre Stimme anders vergeben hätten. Da das Wahlvorschlags- und Kandidaturrecht sowohl die Vertrauensperson als auch die Stellvertreter erfasst, ist die gesamte Wahl für unwirksam zu erklären.

7. Der Wahlvorstand hat darüber hinaus durch die Unterfrankierung der Briefwahlumschläge gegen § 11 Abs. 1 Ziff. 4 SchwbVWO verstoßen, wonach den Wahlberechtigten ein Freiumschlag zu übersenden ist. Der Rückbrief für die von den Wahlberechtigten an den Wahlvorstand zurückzusendenden Briefwahlunterlagen war, wie die Antragsteller im Einzelnen zutreffend ausgeführt haben, mit 0,90 EUR unterfrankiert, da wegen der Maße 223 mm x 162 mm (L x B) eine Frankierung von 1,45 EUR (Großbrief) notwendig gewesen wäre. In einem solchen Fall ist die Post berechtigt, den unterfrankierten Brief an den Absender zurückzusenden. Dies geschieht dann mit der Aufforderung, den Brief bei erneuter Übersendung mit dem fehlenden Porto von hier 0,55 EUR nach zu frankieren. Die Umschläge von den zugestellten Wahlumschlägen wurden nachfrankiert. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass unter den 30 Wahlberechtigten, die ihre Stimme nicht abgegeben haben, auch welche sind, die ihre Stimme unter Verwendung des übersandten Wahlumschlags abgeben wollten, deren an den Wahlvorstand übersandte Briefwahlunterlagen von der Post an sie wegen zu geringen Portos zurückgesandt wurde, mit der Folge, dass sie ihre Stimme entweder aus zeitlichen Gründen überhaupt nicht mehr abgeben konnten, oder aus finanziellen Gründen von der Stimmabgabe abgehalten wurden. Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass bei ausreichender Frankierung bis zu 30 weitere Wahlberechtigte ihre Stimme abgegeben hätten. Dies hätte jedenfalls bei der Wahl für die Stellvertreter zu einem anderen Wahlergebnis führen können.

Die Rechtsbeschwerde war nach § 92 Abs. 2 i. V. m. § 71 Abs. 2 ArbGG nicht zuzulassen.

Referenznummer:

R/R5277


Informationsstand: 29.11.2012