1. Die Beschwerden der Beteiligten zu 22 und der Beteiligten zu 23 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 17.01.2012 - 25 BV 398/10 - werden zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 10.11.2010.
A
Die zu 1 bis 21 beteiligten Antragsteller sind wahlberechtigte Beschäftigte im hier als Wahlbetrieb betroffenen Werk U. Produktion und Entwicklung PKW der Beteiligten zu 23 (künftig: Arbeitgeberin). Die Beteiligte zu 22 ist in der hier umstrittenen Wahl vom 10.11.2010 als Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen (künftig auch: Schwerbehindertenvertretung) gewählt worden.
Der Wahlvorstand hatte am 28.09.2010 das Wahlausschreiben für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung bekanntgegeben (Anlage 3 zum Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 09.05.2011, Blatt 131
ff. ArbG-Akte). Auch der Beteiligte zu 1, seit 2004 Stellvertreter der Vertrauensperson, sowie die Beteiligte zu 22 traten zur Wahl an. Der Wahlvorstand hatte gemäß
§ 11 Abs. 2 SchwbVWO die schriftliche Stimmabgabe beschlossen. Ausweislich der Wählerliste vom 10.11.2010 waren 1 054 Wählerinnen und Wähler zur Wahl aufgerufen. Die Öffnung der Briefwahlunterlagen und die Stimmauszählung fanden am 10.11.2010 nachmittags im Gebäude 12, 1. OG im Betriebsratssitzungszimmer 188 statt. Die Öffentlichkeit war dabei rund zwei Meter von den Auszählenden, die sich rundherum an den in der Mitte des Raumes positionierten Auszählungstischen befanden, entfernt. Zur Abschrankung waren an der Stirnseite Tische aufgestellt und an der Längsseite eine Kordel angebracht. Zu den räumlichen Einzelheiten wird auf die von der Schwerbehindertenvertretung als Anlage zum Schriftsatz vom 07.11.2011 eingereichte Skizze Bezug genommen (Blatt 294
ArbG-Akte). Das Ergebnis der Auszählung wurde in der Wahlniederschrift festgehalten (Anlage 6 zum Schriftsatz der Arbeitgeberin vom 09.05.2011, Blatt 136
ff. ArbG-Akte). Das endgültige Wahlergebnis hängte der Wahlvorstand am 11.11.2010 aus. Demnach wurde die Beteiligte zu 22 mit 335 Stimmen zur Vertrauensperson gewählt. Der Beteiligte zu 1 wurde mit 266 Stimmen zum 3. Stellvertreter gewählt.
Zu den weiteren Einzelheiten des zwischen den Beteiligten nicht umstrittenen Teils des Sachverhalts einschließlich des Verfahrensverlaufs sowie zum sonstigen erstinstanzlichen Vorbringen der Beteiligten einschließlich ihrer Rechtsansichten wird auf den Abschnitt I. der Gründe des angegriffenen Beschlusses des Arbeitsgerichts einschließlich dessen Verweisungen im letzten Absatz Bezug genommen.
Die Beteiligten zu 1 bis 21 haben erstinstanzlich beantragt,
die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung bei der D.
AG, Werk U. Produktion und Entwicklung PKW vom 10.11.2010 für unwirksam zu erklären.
Die Beteiligten zu 22 und zu 23 haben erstinstanzlich beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Das Arbeitsgericht hat mit dem hier angegriffenen Beschluss dem Antrag stattgegeben. Die frist- und formgerecht eingeleitete Wahlanfechtung sei begründet, weil die Wahl an einem wesentlichen Mangel leide. Bei Auszählung der Stimmen sei dem Gebot der Öffentlichkeit und Nachvollziehbarkeit des Wahlergebnisses nicht in ausreichendem Maße Rechnung getragen worden. Nach
§ 13 Abs. 1 der auf der Grundlage von
§ 100 SGB IX erlassenen Wahlordnung Schwerbehindertenvertretungen (
SchwbVWO) nehme der Wahlvorstand öffentlich die Auszählung der Stimmen vor und stelle das Ergebnis fest, so dass auch die Öffnung der Freiumschläge (
§ 12 Abs. 1 SchwbVWO) in öffentlicher Sitzung zu erfolgen habe. Das Gebot der Öffentlichkeit sei Ausfluss des Demokratiegrundsatzes aus
Art. 20
GG und gehöre damit zu den wichtigsten Eckpfeilern einer demokratischen Wahl. Der Öffentlichkeitsgrundsatz diene dazu, der interessierten Betriebsöffentlichkeit die Überwachung der ordnungsgemäßen Durchführung der Wahl zu ermöglichen und dadurch eine zusätzliche Gewähr für den ordnungsgemäßen Ablauf des Wahlverfahrens zu leisten (
vgl. OVG Rheinland-Pfalz 04.12.1990 - 7 A 11827/90 - NVwZ 1991, 598;
LAG München 10.03.2008 - 6 TaBV 87/07 - Juris). Der Öffentlichkeitsgrundsatz gebiete, dass alle wesentlichen Schritte der Wahl öffentlicher Überprüfbarkeit unterlägen, soweit nicht andere verfassungsrechtliche Belange eine Ausnahme rechtfertigten. Das erfordere es, jede unzumutbare Einschränkung dieser Überwachung zu vermeiden. Der Zutritt sei gewährleistet, soweit das ohne Störung des Wahlgeschäfts möglich sei. Das Gebot der Öffentlichkeit finde in den Erfordernissen einer geordneten Ermittlung und Feststellung des Wahlergebnisses seine Grenzen. Deshalb sei keine abstandslose Nähe zu den Zähltischen zu fordern, da jede Einflussnahme Dritter auf das Wahlergebnis zu verhindern sei (
vgl. VGH Baden-Württemberg 02.07.1991 - 15 S 1812/90 - Juris). Andererseits genüge es entgegen der Auffassung des VGH Baden-Württemberg (aaO) nicht, wenn die Ermittlung des Wahlergebnisses als Gesamtvorgang im Großen und Ganzen beobachtet werden könne. Ließe man dies ausreichen, ohne dass das Handeln der auszählenden Personen nachvollziehbar sei, liefe das Gebot der öffentlichen Stimmauszählung ins Leere.
Dem werde die Auszählungssituation am 10.11.2010 nicht gerecht. Aus einer Entfernung von
ca. zwei Metern sei es der Betriebsöffentlichkeit bei den örtlichen Gegebenheiten nicht möglich gewesen, die Feststellung des Wahlergebnisses ausreichend mitzuverfolgen. Die Auszähltische seien rundherum mit dem Wahlvorstand
bzw. mit Wahlhelfern besetzt gewesen. Diese hätten eine geschlossene, schwer einsehbare Reihe gebildet. Was im Einzelnen auf den Tischen geschehen sei, sei aufgrund der Entfernung und der verdeckten Sicht nicht erkennbar gewesen. Die Auszählung sei auch nicht nachvollziehbar auf einem Flipchart oder Ähnlichem, sondern an den Tischen auf Auszählungsbögen einer Größe von rund
DIN A 3 durchgeführt worden. Nach der Überzeugung der Kammer sei die Abschrankung mit Tischen nicht zur Sicherung einer ordnungsgemäßen Auszählung nötig gewesen. Manipulationen durch die Öffentlichkeit seien mit einer Kordelabschrankung im Abstand von einem Meter ebenso ausgeschlossen. Auch der Schutz des Wahlgeheimnisses erfordere keine weitergehende Absperrung. Soweit die Öffentlichkeit nicht zur Ermöglichung einer unbeobachteten Erzeugung der Stimme ausgeschlossen sei, stehe das Wahlverfahren unter der Herrschaft des Öffentlichkeitsprinzips (
vgl. BVerfG 03.03.2009 - 2 BvC 3/07, 2 BvC 4/07 - NVwZ 2009, 708). Das Wahlgeheimnis werde durch das in
§ 12 Abs. 1 SchwbVWO vorgesehene Verfahren ausreichend gesichert. Der Wahlvorstand lege den Wahlumschlag, nachdem er ihn dem Freiumschlag entnommen und die Ordnungsgemäßheit der Stimmabgabe überprüft habe, zu den anderen Wahlumschlägen in die Wahlurne. Die Möglichkeit der Zuordnung der Wahlentscheidung zu einzelnen Wählern bestehe daher nicht.
Der zu große Abstand der Absperrtische und die Position der auszählenden Personen führten damit zu einer unverhältnismäßigen Beschränkung der Öffentlichkeit. Dies gelte umso mehr, als die Betriebsöffentlichkeit bei Wahlen der Schwerbehindertenvertretung in der Regel aus Menschen mit körperlichen Einschränkungen bestehe. Von den im Auszählungsraum bereitgestellten Sitzgelegenheiten aus habe der Auszählungsvorgang noch nicht einmal im Großen und Ganzen wahrgenommen werden können.
Da
§ 13 Abs. 1 SchwbVWO gerade der Minderung abstrakter Gefährdungen diene (
vgl. zu
§ 18 Abs. 3 BetrVG:
BAG 15.11.2000 -
7 ABR 53/99 - NZA 2001, 853), komme es nicht darauf an, ob Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass das Wahlergebnis habe geändert oder beeinflusst werden können, die Anfechtung der Wahl sei nicht unter diesem Gesichtspunkt nach
§ 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm.
§ 19 Abs. 1 BetrVG ausgeschlossen.
Auf die von den Anfechtenden darüber hinaus geltend gemachten weiteren Wahlvorschriftenverletzungen komme es deshalb nicht mehr an. Auch eine Häufung von Verfahrensverstößen, von denen jeder für sich allein betrachtet lediglich die Anfechtung rechtfertigen würde, vermöge es nicht, die - über die erfolgreiche Anfechtung hinausgehende - Nichtigkeit der Wahl zu bewirken (
vgl. BAG 19.11.2003 - 7 ABR 24/03 - NZA 2004, 395). Hier lägen keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass die Wahl nicht nur erfolgreich angefochten, sondern sogar nichtig sei. Die Nichtigkeit sei nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nur in ganz besonderen Ausnahmefällen anzunehmen, in denen gegen wesentliche Grundsätze der Wahl in so hohem Maße verstoßen worden sei, dass nicht einmal mehr der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl vorliege. Es müsse sowohl ein offensichtlicher als auch ein besonders grober Verstoß gegen wesentliche Verfahrensregeln der Wahl vorliegen. Davon könne vorliegend nicht ausgegangen werden.
Dieser Beschluss wurde der Schwerbehindertenvertretung sowie der Arbeitgeberin jeweils am 29.02.2012 zugestellt. Die Schwerbehindertenvertretung wendet sich gegen ihn mit der vorliegenden Beschwerde, die am 14.03.2012 beim Landesarbeitsgericht einging und am Montag, dem 30.04.2012 begründet wurde. Die Arbeitgeberin wendet sich gegen den Beschluss mit der vorliegenden, am 20.03.2012 eingegangenen Beschwerde, die sie innerhalb der für sie bis zum 30.05.2012 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist am 29.05.2012 begründet hat.
Zweitinstanzlich wiederholen, ergänzen und vertiefen die Schwerbehindertenvertretung und die Arbeitgeberin unter Auseinandersetzung mit den Beschlussgründen des Arbeitsgerichts ihr erstinstanzliches Vorbringen.
Die Schwerbehindertenvertretung führt insbesondere aus, die Darstellung des Arbeitsgerichts hinsichtlich des Abstands der Öffentlichkeit zum Auszählvorgang und hinsichtlich der Einsehbarkeit bedürfe der Korrektur. Der Abstand habe maximal 1,95 Meter an der Längsseite und 1,90 Meter an der schmalen Seite betragen, es habe keine "geschlossene schwer einsehbare Reihe der Auszählenden" bestanden, und was auf den Tischen geschehen sei, sei trotz der Entfernung und teilweise verdeckter Sicht dennoch erkennbar gewesen. Die Auszählung habe keinesfalls früher als 16.30 Uhr begonnen.
Der Öffentlichkeitsgrundsatz sei nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, des Landesarbeitsgerichts München und des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg gewahrt, wenn die Beobachtung der Ordnungsmäßigkeit der Feststellung des Wahlergebnisses möglich sei. Selbst das Bundesverfassungsgericht spreche nur von der Möglichkeit einer Kontrolle, ob die Stimme unverfälscht erfasst und in die Ermittlung des Wahlergebnisses einbezogen werde, nicht aber von Überwachung. Überwachungsaufgaben seien nicht der Öffentlichkeit, sondern nur den staatlichen Organen mit deren entsprechenden Kompetenzen zugewiesen. Das Arbeitsgericht habe die Belange einer ordnungsgemäßen Durchführung der Auszählung und des Wahlgeheimnisses nicht ausreichend bedacht. Zu Recht habe der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg betont, dass zum Schutz dieser Belange nicht ein Einblick der Öffentlichkeit in Wahlunterlagen, insbesondere nicht in Stimmzettel, verlangt werden könne.
Selbst wenn ein Abstand von zwei Metern bestanden hätte, hätte dies genügt, weil jeder Interessierte hätte hören können, was bei der Auszählung gesprochen werde. Jeder Interessierte könne auf eine solche Distanz wahrnehmen, ob bei der Auszählung einzelne Stimmzettel für gültig oder ungültig angesehen würden und welche Stimmen abgegeben worden seien. Jeder Interessierte könne erkennen, ob die jeweils abgegebene Stimme registriert werde.
Das Wahlgeheimnis sei hier besonders stark zu schützen gewesen, solange der Wahlvorstand die Freiumschläge geöffnet habe, die Wahlberechtigung des Abgebenden geprüft und die Umschläge mit den Stimmzetteln der Stimmurne zugeführt habe. Im Übrigen habe gerade die Abschrankung gewährleistet, dass eine größere Anzahl Interessierter gleichzeitig die Auszählung habe verfolgen können, als wenn sich eine "Traube" direkt um die Auszähltische gebildet hätte, erst recht angesichts der Prognose, dass körperlich eingeschränkte Menschen zu den Beobachtern zählen würden. Die Gefahr einer Behinderung der freien Beobachtung durch einen zu geringen Abstand habe auch der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg betont. Das Landesarbeitsgericht Nürnberg (23.11.1999 - 6 TaBV 37/98 - NZA 2001, 853) habe sogar eine Abschrankung des Auszählungsraums durch Tische zugelassen. Es seien im Übrigen dieselben Maßstäbe anzulegen wie an die Öffentlichkeit einer Gerichtsverhandlung.
Die Arbeitgeberin macht zweitinstanzlich insbesondere geltend, es habe entgegen der Darstellung im angegriffenen Beschluss bei der Auszählung keine geschlossenen, schwer einsehbaren Reihen der Auszählenden gegeben. Der Auszählvorgang habe mindestens von zwei Seiten aus beobachtet werden können. Die auf Sitzgelegenheiten angewiesenen körperlich eingeschränkten Beobachter hätten durch Lücken sehen können oder sich einer Vertrauensperson bedienen können.
Wie der Wahlvorstand überträgt auch die Arbeitgeberin die Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg auf die vorliegende Konstellation. Ein Abstand von bloß einem Meter sei nicht geboten. Weder müsse die Öffentlichkeit die einzelnen Wahlscheine einsehen können noch müsse sie kontrollieren können, ob der richtige Schein auf den richtigen Stapel gelegt werde. Es genüge eine Distanz, bei der ohne Mühe beobachtet werden könne, ob an den Wahlscheinen irgendwelche Manipulationen vorgenommen würden oder ob etwa Wahlscheine verschwänden. Die Öffentlichkeit müsse keine Rechtmäßigkeitsprüfung durchführen können. Außerdem könne bei der vom Arbeitsgericht favorisierten Methode einer Absperrung durch Kordel ein Beobachter sich auf eine kürzere Distanz als einen Meter vorbeugen und dadurch die Auszählenden behindern.
Die Schwerbehindertenvertretung beantragt zweitinstanzlich:
1. Der Beschluss des Arbeitsgerichts vom 17.01.2012 - 25 BV 398/10 - wird abgeändert.
2. Der Antrag der Antragsteller wird abgewiesen.
Die Arbeitgeberin beantragt zweitinstanzlich:
Der Beschluss des Arbeitsgerichts Stuttgart vom 17.01.2012 - 25 BV 398/10 - wird abgeändert und der Antrag wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten zu 1 bis 21 beantragen zweitinstanzlich,
die Beschwerde der Beteiligten zu 22 und die Beschwerde der Beteiligten zu 23 zurückzuweisen.
Die Beteiligten zu 1 bis 21 verteidigen den erstinstanzlichen Beschluss unter Wiederholung, Ergänzung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. In der Beschwerdeverhandlung haben sie klargestellt, dass die Anträge
Nr. 2 und
Nr. 3 aus dem Schriftsatz vom 10.05.2012, wie in diesem Schriftsatz formuliert, nur als prozessleitende Anträge, nicht als (im Wege einer Anschlussbeschwerde erhobene) Sachanträge zu verstehen seien.
Zu den weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst der Anlagen sowie auf das Protokoll über die Beschwerdeverhandlung Bezug genommen.
B
Die zulässigen Beschwerden der Schwerbehindertenvertretung und der Arbeitgeberin sind unbegründet.
I.
Die Beschwerden sind zulässig. Sie sind gemäß § 87
Abs. 1
ArbGG statthaft und sind in der gesetzlichen Form und Frist gemäß § 87
Abs. 2, § 89
Abs. 1,
Abs. 2, § 66
Abs. 1
ArbGG eingelegt und begründet worden.
II.
Die Beschwerden sind unbegründet.
1. Die Beschwerdekammer schließt sich vollumfänglich den überzeugenden Erwägungen des Arbeitsgerichts in Abschnitt II. 1. und II. 2. a. bis b. der Beschlussgründe an und macht sich diese Erwägungen zu eigen.
Die Ausführungen der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz veranlassen nur noch die folgenden ergänzenden Ausführungen.
a) Ob die Distanz einige Zentimeter weniger als zwei Meter betrug, ist nicht erheblich. Die genauen Entfernungen hängen ohnehin von der Größe des Beobachters und der Höhe des Tisches ab, weil die Blickrichtung schräg und nicht waagerecht verläuft. Entscheidend ist, dass die Größenordnung zwei Meter betrug und nicht nur einen Meter. Dass die Blickrichtung auf den Tisch durch die rundherum positionierten Auszählenden nicht unverstellt war, steht gleichfalls fest. Ob und inwieweit sich immer wieder Lücken auftaten, ändert daran nichts. Die tatsächlichen Annahmen das Arbeitsgerichts können deshalb auch von der Beschwerdekammer zugrundegelegt werden.
b) Die Beschwerdekammer hält es auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens der Schwerbehindertenvertretung und der Arbeitgeberin nicht für ausreichend, dass der Vorgang im Großen und Ganzen beobachtet werden konnte. Es genügt nicht eine Distanz, aus der man nur sehen kann, ob Stimmzettel beiseite gebracht werden. Auf der anderen Seite ist ein "Mitlesenkönnen" weder erforderlich noch hat das Arbeitsgericht dieses mit seiner Forderung einer Distanz der Größenordnung eines Meters gefordert. Auf einen Meter kann man nicht mitlesen. Wenn die Beschwerdekammer sich darauf beruft, in der von ihr zitierten Entscheidung spreche der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts von einer (zu gewährleistenden) Möglichkeit der Kontrolle, spricht dies nicht gegen, sondern gerade für die hier vertretene Auffassung. Eine vollständige Rechtmäßigkeitskontrolle ist zwar nicht das Recht und die Aufgabe der Öffentlichkeit, wie die Schwerbehindertenvertretung zutreffend ausführt. Die Beobachtungsmöglichkeit dient aber dennoch der angemessenen Kontrolle des Auszählungsablaufs durch die Öffentlichkeit, und dazu muss beispielsweise nachvollzogen werden können, ob der Stimmzettel ein Kreuz enthält und ob dies in der Strichliste vermerkt wird.
c) Die Ungestörtheit der Auszählung ist bei einem Meter Abstand gewahrt, selbst bei Benutzung einer Kordel. Dem steht nicht die Gefahr einer besonders leichten Verkürzung der Distanz durch Hineinlehnen des Beobachters in die Kordel entgegen. Die Gefahr, dass Schranken missachtet werden, ist immer gegeben. Dies wirksam zu unterbinden obliegt dem Wahlvorstand und den Wahlhelfern. Dass es speziell im hier betroffenen Wahlbetrieb je zu einem Tumult und/oder zu Uneinsichtigkeit der Öffentlichkeit gekommen wäre, ist nicht ersichtlich.
Entsprechendes gilt für die Bedenken des Wahlvorstands, ein zu geringer Abstand könne die Öffentlichkeit gefährden, weil nur eine kleine Anzahl von Beobachtern den Vorgang wahrnehmen könne. Die Zahl derjenigen, die gleichzeitig zuschauen können, ist ohnehin begrenzt und wird so oder so häufig geringer sein als die Anzahl der Interessierten. Auch hier obliegt es dem Wahlvorstand und den Wahlhelfern, dafür zu sorgen, dass - gegebenenfalls abwechselnd - jeder Beobachter angemessen zum Zuge kommt.
d) Das Wahlgeheimnis ist ebenfalls nicht nur dann gewahrt, wenn der Abstand sich - wie hier - in einer Größenordnung von zwei Metern bewegt.
Soweit die Schwerbehindertenvertretung hervorhebt, besondere Anforderungen an den Datenschutz seien bei demjenigen Handlungsabschnitt zu beachten, der von der Öffnung der Freiumschläge über Prüfung und Vermerk der ordnungsgemäßen Stimmabgabe auf der Wählerliste bis zur Einlegung der Wahlumschläge in die Urne reiche, trifft es zwar zu, dass das Wahlgeheimnis auch die Frage umfasst, ob sich ein Wahlberechtigter überhaupt an der Wahl beteiligt hat (
vgl. - zur Betriebsratswahl -
BAG 27.07.2005 - 7 ABR 54/04 - NZA 2006, 59 = Juris Rn. 25). Indessen rechtfertigt dies nicht, die daraus folgenden besonderen Anforderungen an den Datenschutz auf den weiteren Auszählungsvorgang zu übertragen. Gemäß § 12
Abs. 1
SchwbVWO hätte der Wahlvorstand diesen ersten Handlungsabschnitt "unmittelbar vor Abschluss der Wahl" in öffentlicher Sitzung durchführen müssen, während gemäß § 13
Abs. 1
SchwbVWO die Auszählung der Stimmen und die Feststellung des Ergebnisses "unverzüglich nach Abschluss der Wahl" öffentlich vorzunehmen sind. Es handelt sich also um zwei getrennte, zu unterschiedlichen Zeitpunkten durchzuführende Akte, so dass ohne Weiteres zwei verschiedene Distanzen hätten gewählt werden können.
e) Die Verweisung darauf, das Landesarbeitsgericht Nürnberg habe sogar die Absperrung des gesamten Auszählungsraums für zulässig gehalten, verfängt nicht, weil dort nur ein Teil des Raums abgeschrankt worden war und über die Distanzen nichts Näheres bekannt ist. Die Nichtbetretbarkeit des Auszählungsraums, die das Landesarbeitsgericht München (09.06.2010 - 4 TaBV 105/09 - Juris) für unbedenklich hielt, spricht nicht gegen die hier vertretene Ansicht, weil der dortige Raum ohnehin nur 8 Quadratmeter maß, so dass schon angesichts des Platzes, den ein üblicher Tisch einnimmt, die Distanz der Öffentlichkeit zur Auszählung weniger als zwei Meter betragen haben dürfte.
f) Die von der Schwerbehindertenvertretung gezogene Parallele zu den Anforderungen an die Öffentlichkeit einer Gerichtsverhandlung überzeugt die Beschwerdekammer ebenfalls nicht. Dort geht es um die Öffentlichkeit einer mündlichen Verhandlung. Es geht darum, das gesprochene Wort, die Gewährung von Gehör und den im Gesetz vorgesehenen Ablauf der mündlichen Verhandlung nachvollziehen zu können. Dagegen muss die Öffentlichkeit nicht nachvollziehen können, welche Unterlagen und Akten die Mitglieder des Spruchkörpers vor sich auf dem Richtertisch liegen haben. Ebensowenig muss sie erkennen können, ob und in welcher Form sich die Mitglieder des Spruchkörpers Notizen machen.
2. Ob die Wahl auch wegen eines oder mehrerer der weiteren von den Beteiligten zu 1 bis 21 beanstandeten Mängel für unwirksam zu erklären wäre, kann aus den vom Arbeitsgericht ausgeführten Gründen offen bleiben.
Offen bleiben kann aus entsprechenden Gründen die weitere, mit den Beteiligten in der Beschwerdeverhandlung diskutierte Frage, ob die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts München mit der Auffassung recht hat, dass auch Ort und Zeitpunkt der öffentlichen Sitzung, in der die Wahlbriefe geöffnet werden, ausdrücklich hätten bekanntgegeben werden müssen und wie sich diese Auffassung, würde man ihr folgen, auf den vorliegenden Fall auswirken würde (
vgl. LAG München 12.10.2011 -
11 TaBV 29/11 - Juris, laufendes Rechtsbeschwerdeverfahren
7 ABR 83/11).
III.
Die Zulassung der Rechtsbeschwerde beruht auf § 72
Abs. 2
Nr. 1
iVm. § 92
Abs. 1 Satz 1 und 2
ArbGG (grundsätzliche Bedeutung).
In diesem Verfahren werden gemäß § 2
Abs. 2 1. Fall GKG Kosten nicht erhoben.