Urteil
Wirksamkeit der Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen im Betrieb

Gericht:

LAG Köln 9. Kammer


Aktenzeichen:

9 TaBV 31/23


Urteil vom:

17.11.2023


Tenor:

I. Die Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 12.04.2023– 18 BV 177/22 – wird zurückgewiesen.

II. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Rechtsweg:

vorgehend ArbG Köln, Urteil vom 12.04.2023 - 18 BV 177/22

Quelle:

Justiz NRW

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen im Betrieb „Region Nord“ der Arbeitgeberin am 16.11.2022.

Die Arbeitgeberin betreibt deutschlandweit an rund 330 Standorten Baumärkte und Gartencenter. Über einen Zuordnungstarifvertrag nach § 3 BetrVG ist ein Betrieb „Region Nord“ gebildet, in dem zum Zeitpunkt der angegriffenen Wahl 357 schwerbehinderte Arbeitnehmer beschäftigt waren. Die zehn Antragsteller sind wahlberechtigte schwerbehinderte bzw. schwerbehinderten Menschen gleichgestellte Arbeitnehmer in diesem Betrieb.

Gemäß dem Wahlausschreiben vom 04.10.2022 hatte der Wahlvorstand die generelle schriftliche Stimmabgabe in zwei getrennten Wahlgängen beschlossen. Zu wählen waren nach dem Ausschreiben die Vertrauensperson und vier stellvertretende Mitglieder. Die Postadresse des Wahlvorstands war mit „S , “ angegeben. P ist der Wohnort der Wahlvorstandsvorsitzenden. Unter der im Wahlausschreiben angegebenen Anschrift befindet sich das Hotel-Restaurant „B “, das über mehrere Gast- und Nebenräume, Hotelzimmer sowie Besprechungszimmer verfügt.

Eine Reihe von Arbeitnehmern unterzeichnete daraufhin eine Erklärung, wonach sie sich wegen der Versendung der Wahlunterlagen an eine betriebsfremde Gaststätte in ihrem Wahlrecht eingeschränkt sähen und an der Wahl daher nicht teilnehmen würden.

Die Auszählung der Stimmen fand am 16.11.2022 ab 15.00 Uhr in einem Nebenraum der B statt. Das Wahlergebnis wurde am 21.11.2022 bekannt gegeben.

Mit ihrer am 30.11.2022 bei dem Arbeitsgericht Köln eingereichten Antragsschrift haben die Antragsteller die Auffassung vertreten, dass die Wahl nichtig, jedenfalls aber unwirksam sei. Sie haben gerügt,

- die Wahl hätte nicht ausschließlich als Briefwahl stattfinden dürfen;

- die Zahl der gewählten Stellvertreter sei zu hoch;

- eine namentlich benannte schwerbehinderte Arbeitnehmerin sei fehlerhaft nicht auf der Wählerliste geführt worden;

- im Wahlausschreiben habe der notwendige Hinweis darauf gefehlt, dass die Anfechtung durch die Wahlberechtigten wegen einer unrichtigen Wählerliste ausgeschlossen sei, wenn nicht zuvor aus demselben Grund ordnungsgemäß Einspruch gegen die Richtigkeit der Wählerliste eingelegt worden sei;

- Wahlvorschläge, wie derjenige der Antragstellerin zu 8. seien zu Unrecht abgelehnt worden.

Unzulässigerweise habe der Wahlvorstand die „B “ als Adresse für die Rücksendung der Stimmzettel und als Wahllokal bestimmt. Der Wahlort P sei augenscheinlich gewählt worden, um der Vorsitzenden möglichst kurze Wege zum Wahl-Briefkasten und daher eine möglichst hohe Bequemlichkeit für sie persönlich zu gewährleisten. Eine zeitnahe Erreichbarkeit wäre auch in dem nächstgelegenen Markt der Arbeitgeberin in W möglich gewesen.


Die Antragsteller haben beantragt,

1. festzustellen, dass die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung im Betrieb „Region Nord“ der t GmbH, H , , vom 16.11.2022 nichtig ist;

2. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem vorgenannten Antrag, die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung im Betrieb „Region Nord“ der t GmbH, H , , vom 16.11.2022 für unwirksam zu erklären.


Die Schwerbehindertenvertretung und die Arbeitgeberin haben beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Die Schwerbehindertenvertretung ist den Vorwürfen der Antragsteller entgegengetreten und hat behauptet, die B in P als Wahllokal und Anschrift für die Wahlunterlagen ausgewählt zu haben, weil die Unternehmenszentrale der Arbeitgeberin in K und nicht zentral im Wahlgebiet liege. Für die Mehrzahl der Wahlberechtigten sei die B einfacher zu erreichen gewesen. Posteingänge in den Märkten und in der Zentrale der Arbeitgeberin seien nicht gegen unberechtigten Zugriff zu sichern. Ihr, der Schwerbehindertenvertretung, sei es wichtig gewesen, dass der Briefkasten zeitnah für die in P wohnhafte Wahlvorstandsvorsitzende erreichbar sei, um einen sicheren Zugang beim Wahlvorstand zu ermöglichen. Der unter dem Briefkasten der Gaststätte angebrachte weitere Briefkasten mit der Aufschrift „Wahlvorstand der SBV-Wahl t Region-Nord sei regelmäßig von der Wahlvorstandsvorsitzenden und dem Wirt der B geleert worden. Zudem habe auf dem Briefkasten die Telefonnummer des Wahlvorstands gestanden, um jederzeit eine persönliche Abgabe gewährleisten zu können. Der Weg zum Wahllokal in der B sei ausreichend beschildert gewesen.

Die Arbeitgeberin hat, ungeachtet der für sie damit einhergehenden finanziellen Belastung, eine Neuwahl angeregt, um damit den Interessen aller Beteiligten gerecht zu werden und der vierjährigen Amtszeit eine von allen akzeptierten, vertrauensvollen Basis zur Förderung der Eingliederung schwerbehinderter Menschen zu schaffen.

Das Arbeitsgericht hat den Hauptantrag der Antragsteller mit einem am 12.04.2023 verkündeten Beschluss zurückgewiesen und die Wahl der Schwerbehindertenvertretung entsprechend dem Hilfsantrag für unwirksam erklärt und dies im Wesentlichen wie folgt begründet:

Die Wahl sei nicht nichtig, jedoch nach § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Der Wahlvorstand habe dadurch gegen wesentliche Wahlverfahrensvorschriften verstoßen, dass er eine betriebsfremde Adresse zur Einreichung der Wahlvorschläge sowie als Postanschrift für die Briefwahl bestimmt habe. Dadurch sei die Freiheit der Wahl beeinträchtigt worden. Ein nicht unerheblicher Teil der Wahlberechtigten habe begründete Bedenken gegen eine Übersendung von Wahlunterlagen an die Adresse des Wahlvorstands in der B in P geäußert. Denn die Wahlvorschläge wie auch die den Stimmzetteln beizufügenden Unterlagen hätten die jeweilige Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung der dort aufgeführten Personen ausgewiesen. Bei einem Versand an eine betriebsfremde Adresse habe das Risiko der Kenntnisnahme betriebsfremder Dritter bestanden. Da es sich bei der Frage der Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung um ein besonders sensibles Datum handele, erweise sich die Wahl einer betriebsfremden Adresse für die Einreichung von Wahlvorschlägen und Stimmzetteln als unverhältnismäßiger Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung, zu dessen Wahrung auch der Wahlvorstand bei der Organisation der Wahl verpflichtet gewesen sei. Da nicht ausgeschlossen sei, dass bei Festlegung einer betriebsinternen Adresse zur Einreichung der Wahlvorschläge und Einsendung der Stimmzettel aufgrund der dann geminderten Besorgnis zur Preisgabe personenbezogener Daten ein weiterer (gültiger) Wahlvorschlag eingereicht worden wäre, könne eine Auswirkung auf das Wahlergebnis nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden.

Gegen diesen ihr am 16.05.2023 zugestellten Beschluss richtet sich die am 15.06.2023 bei dem Landesarbeitsgericht eingelegte Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung, die sie mit einem am 10.07.2023 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat.

Sie meint, das Arbeitsgericht habe seinen Beschluss zu Unrecht darauf gestützt, dass einige Wahlberechtigte Bedenken gegen die Übersendung von Wahlunterlagen an die in der B eingerichtete Adresse des Wahlvorstandes geäußert hätten. Das Arbeitsgericht habe übersehen, dass der Betriebsratsvorsitzende die Unterschriftensammlung initiiert und unter den Wahlberechtigten unter Vorspiegelung unzutreffender Tatsachen Bedenken geschürt habe. Die Entscheidung für die Nutzung einer gesonderten Adresse sei sachlichen Erwägungen gefolgt. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts führe dazu, dass eine demokratisch legitimierte Wahl lediglich durch die Behauptung objektiv nicht begründeter Befürchtungen angegriffen werden könnte. So werde einzelnen „besorgten“ Betriebsangehörigen die Möglichkeit gegeben in den demokratischen Prozess einzugreifen.


Die Schwerbehindertenvertretung beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Köln vom 12.04.2023– 18 BV 177/22 – aufzuheben und die Anträge zurückzuweisen.


Die Antragsteller und die Arbeitgeberin beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verteidigen die Entscheidung des Arbeitsgerichts und meinen, es müsse als Verstoß gegen das Wahlverfahren gewichtet werden, wenn, wie vorliegend, zahlreiche schwerbehinderte und gleichgestellte Wahlbewerber unter dem Gesichtspunkt des Datenschutzes Vorbehalte und Bedenken geltend machten, weil sie Unterlagen mit ihren sensiblen Personaldaten an eine ihnen fremde und außerhalb des Betriebes gelegene Adresse, gar einer Gastwirtschaft, übermitteln sollten, deren Wirt, gegebenenfalls dessen Beschäftige, den Briefkasten leerten.

Der freigestellten Wahlvorstandsvorsitzenden sei es zumutbar gewesen, am Unternehmenssitz in K zu erscheinen, Wahlvorstandsmitglieder entsprechend zu beauftragen oder gegebenenfalls die zahlreichen elektronischen Kommunikationsmittel einzusetzen. Zudem habe die Möglichkeit bestanden, den offenbar eigens für die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung angeschafften Briefkasten nicht an einer betriebsfremden Adresse, sondern an einer der Betriebsstätten der Arbeitgeberin anzubringen, wodurch den durch eine Vielzahl von Wahlberechtigten geäußerten datenschutzrechtlichen Bedenken zumindest zu Teilen hätte begegnet werden können.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses, die im Beschwerdeverfahren gewechselten Schriftsätze, die eingereichten Unterlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

Die nach § 87 Abs. 1 ArbGG statthafte, gemäß §§ 89 Abs. 2, 87 Abs. 2 Satz1, 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG form- und fristgerecht eingelegte und insgesamt zulässige Beschwerde ist unbegründet. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht die Wahl der Vertrauensperson gemäß § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 1 BetrVG für unwirksam erklärt.

1.) Wie das Arbeitsgericht zunächst richtig erkannt hat, haben die Antragsteller lediglich die Wahl der Vertrauensperson, nicht die Wahl der Stellvertreter angegriffen. Denn auf die Wahl der Stellvertreter bezogen sich weder der Anfechtungsantrag noch sind die Stellvertreter als Beteiligte im Rubrum der Antragsschrift bezeichnet. Deshalb hat das Arbeitsgericht den Antrag zutreffend dahin ausgelegt, dass neben der Wahl der Vertrauensperson nicht auch die Stellvertreterwahl angefochten werden sollte. Dagegen wurde auch kein Rechtsmittel eingelegt.

2.) Die formellen Voraussetzungen einer zulässigen Wahlanfechtung sind hier bezogen auf die Wahl der Vertrauensperson erfüllt. Die zehn wahlberechtigten Antragsteller sind nach § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 2 Satz 1 BetrVG anfechtungsberechtigt. Der auf Unwirksamkeitserklärung gerichtete Antrag ist innerhalb der Frist des § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG bei dem Arbeitsgericht eingegangen.

3.) Auch die materiellen Voraussetzungen einer Anfechtung nach § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 1 BetrVG sind gegeben.

a) Der Wahlvorstand hat dadurch gegen eine wesentliche Wahlverfahrensvorschrift verstoßen, dass er mit der B in P eine betriebsfremde Adresse zur Einreichung der Wahlvorschläge sowie als Postanschrift für die Briefwahl bestimmt hat. Dadurch hat er die Freiheit der Wahl beeinträchtigt.

aa) Die Freiheit der Wahl besteht darin, dass jeder Wähler sein Wahlrecht ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussungen von außen ausüben kann. Im Betriebsverfassungsrecht hat der allgemeine Grundsatz der freien Wahl ua. im Verbot der Wahlbehinderung in § 20 Abs. 1 und 2 BetrVG seinen Ausdruck gefunden (BAG, Beschluss vom 6. Dezember 2000 – 7 ABR 34/99 –, BAGE 96, 326-336, Rn. 24). Kein Wähler, Kandidat oder sonstiger Beteiligter an der Wahl darf beeinträchtigt oder beschränkt werden, wenn er seine Rechte, Befugnisse oder Aufgaben ausübt. Die Wahl muss ungestört ablaufen können.

bb) Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, sah sich ein nicht unerheblicher Teil der Wahlberechtigten in seiner Wahlfreiheit beschränkt, weil sie ihre Wahlunterlagen nicht an eine Gaststätte übersenden wollten. Zu Recht hat das Arbeitsgericht insoweit darauf abgestellt, dass die den Wahlvorschlägen wie auch den Stimmzetteln nach § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Nr. 4, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und Nr. 3 SchwbVWO beizufügenden Unterlagen die jeweilige Schwerbehinderung bzw. Gleichstellung der dort aufgeführten Personen auswiesen. Mit dem Versand an eine betriebsfremde Adresse war die Kenntnisnahme betriebsfremder Dritter zu befürchten, wohingegen bei dem Versand an eine betriebszugehörige Adresse regelmäßig auch bei nicht sachgerechter Behandlung regelmäßig nur die Kenntnisnahme durch betriebszugehörige Dritte zu besorgen gewesen wäre, was aber deswegen unproblematisch ist, weil die Liste der Wahlberechtigten oder eine Abschrift ohnehin nach § 3 Abs. 1 SchwbVWO unverzüglich nach Einleitung der Wahl bis zum Abschluss der Stimmabgabe an geeigneter Stelle zur Einsicht auszulegen ist. Die Gefahr, dass auch nicht betriebszugehörige Dritte von der Schwerbehinderteneigenschaft Kenntnis erhalten, hätte bei der Bestimmung einer betriebsinternen Postadresse für die Einreichung von Wahlvorschlägen und für die Einsendung von Stimmzetteln durch die Inanspruchnahme des gemäß § 182 Abs. 2 Satz 1 SGB IX zur Unterstützung verpflichteten Betriebsrats sowie § 179 Abs. 9 SGB IX durch die Zurverfügungstellung von Sachmitteln seitens der Arbeitgeberin minimiert werden können.

b) Zugleich hat der Wahlvorstand mit der Bestimmung der B als Wahllokal und für die Auszählung der Stimmen gegen den in § 12 Abs. 1 SchwbVWO enthaltenen Öffentlichkeitsgrundsatz verstoßen.

aa) Gemäß § 12 Abs. 1 Satz 1 SchwbVWO öffnet der Wahlvorstand unmittelbar vor Abschluss der Wahl in öffentlicher Sitzung die bis zu diesem Zeitpunkt eingegangenen Freiumschläge und entnimmt ihnen die Wahlumschläge sowie die vorgedruckten Erklärungen. Öffentlichkeit im Sinne dieser Vorschrift ist nicht die allgemeine Öffentlichkeit, sondern die Betriebsöffentlichkeit. Die dazu gehörenden Personen, vor allem die Arbeitnehmer des Betriebs, müssen einen ungehinderten Zugang zum Ort der Stimmauszählung erhalten (BAG, Beschluss vom 15. November 2000 – 7 ABR 53/99 –, BAGE 96, 233-237, Rn. 12). Die Betriebsöffentlichkeit hat ein Interesse daran, diesen Vorgang verfolgen zu können (BAG, Beschluss vom 20. Mai 2020 – 7 ABR 42/18 –, Rn. 28, juris), damit der Verdacht von Wahlergebnismanipulationen "hinter verschlossenen Türen" nicht aufkommen kann. Die Betriebsöffentlichkeit muss daher ungehinderten Zugang zur Beobachtung der Auszählung haben (Fitting, 31. Aufl. 2022, § 13 WO, Rn. 4). Dies schließt auch psychologische Hemmschwellen aus, die einer Beobachtung entgegen stehen (BAG, Beschluss vom 15. November 2000 – 7 ABR 53/99 –, BAGE 96, 233-237, Rn. 13).

bb) Gemessen an diesen Grundsätzen war die Betriebsöffentlichkeit bei der Auszählung der Stimmen im vorliegenden Fall nicht gewahrt. Es gibt keine Betriebsstätte der Arbeitgeberin in P . Der nächstgelegene Baumarkt befindet sich in W und ist über die schnellste Autoroute (45,1 km) in 34 Minuten und mit öffentliche Verkehrsmitteln in 1 Stunde 27 Minuten zu erreichen. Es ist nicht gewährleistet, dass Arbeitnehmer, die der Auszählung beiwohnen möchten, dazu während der üblichen Arbeitszeit ihren Arbeitsplatz verlassen. Zudem ist die Hemmschwelle, in eine Gaststätte zu gehen, um eine Stimmauszählung zu beobachten, hoch. So könnten Arbeitnehmer, die nicht viel Geld haben, den Druck scheuen, etwas in der Gaststätte konsumieren zu müssen. Alkoholkranke Menschen können sogar ganz von dem Besuch absehen, um nicht mit Alkohol in Berührung zu kommen. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob die Unterschriftenaktion von dem Betriebsrat initiiert worden war. Denn die von ihm geäußerten Bedenken gegen die Wahl der B als Wahllokal waren ja nicht unbegründet.

c) Wie das Arbeitsgericht ferner überzeugend dargelegt hat, kann nicht im Sinne von § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 1 letzter Halbs. BetrVG davon ausgegangen werden, dass sich die Wahlverfahrensverstöße nicht auf das Ergebnis der Wahl ausgewirkt haben. Zumindest wegen der Festlegung der B als Adresse für die Einreichung der Wahlvorschläge und zur Einsendung der Stimmzettel hatten zahlreiche Wahlberechtigte auf einer Unterschriftenliste bereits angekündigt, an der Wahl nicht teilzunehmen. Bei einer höheren Wahlbeteiligung wäre ein anderes Wahlergebnis nicht auszuschließen gewesen. Zudem ist nicht auszuschließen, dass ein weiterer (gültiger) Wahlvorschlag eingereicht worden wäre.

III.

Die Kammer hat die Rechtsbeschwerde nicht zugelassen, weil ihre Entscheidung auf den besonderen Umständen des Einzelfalls beruht und die entscheidungserheblichen Rechtsfragen keine grundsätzliche Bedeutung haben.

Referenznummer:

R/R9820


Informationsstand: 24.02.2025