Urteil
Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Wahl durch unzulässige Wahlwerbung

Gericht:

LAG Hessen 16. Kammer


Aktenzeichen:

16 TaBV 116/19


Urteil vom:

15.06.2020


Grundlage:

Leitsatz:

Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Chancengleichheit der Wahl liegt vor, wenn Wahlbewerber sich nicht - wie die übrigen Wahlbewerber - darauf beschränken, Wahlwerbung auf der vom Arbeitgeber im Intranet hierfür zur Verfügung gestellten Seite zu platzieren, sondern unmittelbar vor der Wahl Wahlwerbung an die privaten Postadressen der Wahlberechtigten versenden.

Rechtsweg:

ArbG Gießen, Beschluss vom 10.07.2019 - 7 BV 20/18

Quelle:

openJur

Tenor:

Die Beschwerde der Beteiligten zu 4 gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 10. Juli 2019 - 7 BV 20/18 - wird zurückgewiesen.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Anfechtung der Wahl zur Schwerbehindertenvertretung. Ferner begehrt der Arbeitgeber (Beteiligte zu 5) Einsicht in die mit Stimmabgabevermerken versehene Wählerliste.

Die drei Antragsteller sind wahlberechtigte Arbeitnehmer. Beteiligter zu 4 ist die im Betrieb des Arbeitgebers gewählte Schwerbehindertenvertretung. Der Arbeitgeber (Beteiligte zu 5) befasst sich mit der Entwicklung, Herstellung und dem Verkauf von Medikamenten aus Blutplasma. Er verfügt über 2 Standorte in A und B, wobei 186 schwerbehinderte Menschen in A und 4 in B zum Zeitpunkt der Wahl beschäftigt waren. Wegen des Wahlausschreibens wird auf Bl. 25, 26 der Akte Bezug genommen. Das vom Wahlvorstand festgestellte Wahlergebnis (Bl. 24 der Akte) wurde am 23. November 2018 ausschließlich am Standort A, nicht in B, ausgehängt. Hinsichtlich der Wahl der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen entfielen auf den Kandidaten C 66 Stimmen und auf die Kandidatin D 29 Stimmen. Bezüglich der Stellvertreter entfielen auf den Kandidaten E 82 Stimmen und auf den Kandidaten F 37 Stimmen.

Mit einem am 5. Dezember 2018 beim Arbeitsgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz haben die Antragsteller zu 1-3 die Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 23. November 2018 angefochten. Mit einem am 7. Dezember 2018 eingegangenen Anwaltsschriftsatz hat der Arbeitgeber ebenfalls diese Wahl angefochten und darüber hinaus Einsicht in die mit den Stimmabgabevermerken versehene Wählerliste begehrt.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Vorbringens der Beteiligten und der gestellten Anträge wird auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts im Beschluss unter I. (Bl. 198-215 der Akte) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat den Anträgen stattgegeben; wegen der Begründung wird auf die Ausführungen im Beschluss unter II. (Bl. 215-225 der Akte) verwiesen.

Dieser Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten der Schwerbehindertenvertretung am 24. Juli 2019 zugestellt, der dagegen am 20. August 2019 Beschwerde eingelegt und diese nach Verlängerung der Beschwerdebegründungsfrist bis 24. Oktober 2019 am 30. September 2019 begründet hat.

Die Schwerbehindertenvertretung ist der Auffassung, es könne dahinstehen, ob die 4 in B beschäftigten schwerbehinderten Menschen an der Wahl hätten beteiligt werden dürfen, denn dies habe keine Auswirkungen auf das Wahlergebnis gehabt. Deshalb sei es auch unerheblich, dass das Wahlergebnis in B nicht ausgehängt wurde.

Das Arbeitsgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, die Öffnung der Freiumschläge habe nicht in einer öffentlichen Sitzung des Wahlvorstandes stattgefunden. Der Wahlvorstand habe in Ziffer 17 des Wahlausschreibens (Bl. 25, 26 der Akte) mitgeteilt, dass die Auszählung der Stimmen und Feststellung des Wahlergebnisses am 23. November 2018 im Betriebsratsbüro, Sitzungszimmer, Raum 106 ab 16:00 Uhr stattfindet. Damit habe er der vom Arbeitsgericht zitierten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 10. Juli 2013 Rechnung getragen.

Die Briefwahlunterlagen seien in einem Behältnis verschlossen gesammelt worden. Nach Herstellung der Öffentlichkeit seien die weißen Rückumschläge aus der verschlossenen Wahlurne genommen und auf den großen Konferenztisch gekippt und geöffnet worden. Sodann sei jeder dieser Briefumschläge geöffnet und kontrolliert worden, ob der jeweilige Absender wahlberechtigt war und eine ordnungsgemäße Erklärung nach § 11 SchwerbehindertenVWO vorlag. Der Rücklauf sei auf der ausgedruckten Liste der Wahlberechtigten im Beisein der Öffentlichkeit abgehakt worden. Danach seien die roten Wahlumschläge gesammelt auf den Konferenztisch auf einen Haufen gelegt und vermischt worden, um eine Rückverfolgung auf den jeweiligen Absender auszuschließen. Diese seien dann zu Zehnerpaketen zusammengefasst, vom Wahlvorstandsvorsitzenden geöffnet, die Stimmzettel laut verlesen und den weiteren Mitgliedern des Wahlvorstands gezeigt worden. Die Zahl der Rückumschläge und der Stimmzettel sei deckungsgleich.

Mit Schriftsatz vom 3. Januar 2020 (Bl. 320 ff. der Akte) trägt die Schwerbehindertenvertretung zum Vorgang der Auszählung ergänzend wie folgt vor: Zunächst habe der Wahlvorstandsvorsitzende noch einmal das Postfach der Schwerbehindertenvertretung kontrolliert, ob noch Rückumschläge eingegangen waren. Dann hätten die Zeugen G und H die verschlossene und versiegelte Wahlurne in das Betriebsratssitzungszimmer gebracht. Zuvor seien die Rückumschläge nach dem jeweiligen Posteingang in das Postfach der Schwerbehindertenvertretung von den Zeugen G und H in die versiegelte und abgeschlossene Wahlurne verbracht und aufbewahrt worden. Auch der Aufbewahrungsraum sei bei Abwesenheit der freigestellten Betriebsratsmitglieder verschlossen gewesen.

Der Schwerbehindertenvertreter, Herr C, habe überhaupt keine Wähler über deren privaten E-Mail-Account angeschrieben. Wahlwerbung sei lediglich per Post über die Privatadressen, die über Facebook etc. frei verfügbar waren, versandt worden.

Der Schwerbehindertenvertreter, Herr C, habe sich am 19. Oktober 2018 partiell, am 19. November 2018 während der gesamten Öffnungszeit und am 20. November 2018 bis 14:00 Uhr im Wahlbüro aufgehalten. Danach sei die als Ersatzmitglied im Wahlvorstand fungierende Frau H im Wahlbüro gewesen, weil das Wahlvorstandsmitglied, Herr E, erkrankt war.

Mit Schriftsatz vom 23. März 2020 (Bl. 371 ff. der Akte) trägt die Schwerbehindertenvertretung ergänzend wie folgt vor: Hinsichtlich der fehlenden Absenderangabe auf den Freiumschlägen sei nicht erkennbar, welche "klare Manipulationsmöglichkeit" hierdurch eröffnet und wie das Ergebnis der Wahl hierdurch beeinflusst worden sein soll.

Da die Wahlurne unmittelbar vor ihrer Öffnung unbeschädigt war, sei nicht erkennbar welche Gelegenheit für eine Manipulation hier genutzt worden sein könnte.

Sämtlichen Wahlbewerbern sei vom Arbeitgeber im Intranet eine Seite zur Wahlwerbung zur Verfügung gestellt worden. Von Chancenungleichheit könne daher nicht die Rede sein.

Durch die Wahlwerbung von Herrn C und Herrn E sei nicht gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoßen worden. Es liege kein Anhaltspunkt dafür vor, dass diese sich aus dem Adressenbestand der Schwerbehindertenvertretung bedient haben. Die Namen der Wahlberechtigten ergäben sich für jeden Wahlberechtigten aus der öffentlichen Wählerliste. Darüber hinaus hätten sämtliche Mitarbeiter einen Internet-Account. Darüber hinaus könnten zumindest die Internetadressen der Wahlberechtigten ermittelt werden.


Die Schwerbehindertenvertretung beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen vom 10. Juli 2019 -7 BV 20/18- abzuändern und die Anträge der Beteiligten zu 1-3 und 5 zurückzuweisen.


Die Beteiligten zu 1-3 und 5 beantragen,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Antragsteller zu 1-3 sind der Auffassung, ein Verstoß gegen § 12 Abs. 1 S. 2 SchwbVWO liege darin, dass (unstreitig) die roten Wahlumschläge nach der Entnahme aus den Freiumschläge nicht wieder in die Wahlurne zurückgelegt wurden. Hinsichtlich des Vortrags der Schwerbehindertenvertretung, die Wahlumschläge seien auf den Konferenztisch gelegt und vermischt worden, gehen die Antragsteller zu 1-3 davon aus, dass dies nicht so gewesen sei.

Ferner hätten die Freiumschläge nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprochen. Nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 SchwbVWO müsse der Freiumschlag den Namen und die Anschrift der wahlberechtigten Person (Absender) tragen. Dies war ausweislich des Fotos Bl. 300 der Akte nicht der Fall. Dies habe zur Folge, dass anlässlich der Öffnung der Freiumschläge nicht festgestellt werden konnte, ob die Person, die die persönliche Erklärung ausgefüllt und unterschrieben hat auch die gleiche war, die den Umschlag verschlossen und versandt hat.

Im Übrigen habe das Arbeitsgericht zutreffend erkannt, dass die Öffnung der Freiumschläge nicht in einer öffentlichen Sitzung im Sinne von § 12 Abs. 1 S. 1 SchwbVWO erfolgt sei, weil Ort und Zeitpunkt der Öffnung vorher nicht bekannt gemacht wurden. Das Wahlausschreiben sei hierfür nicht geeignet, weil dort nicht alle in § 12 Abs. 1 SchwbVWO genannten Handlungen aufgeführt sind.

Mit Schriftsatz vom 4. Februar 2020 (Bl. 341 ff. der Akte) tragen die Antragsteller ergänzend wie folgt vor: Die fehlende Absenderangabe auf den Freiumschlägen habe Manipulationsmöglichkeiten eröffnet. Dieser Verstoß sei geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.

Die Wahlurne im Wahllokal habe nicht unter Aufsicht des Wahlvorstands gestanden. Dieser sei nur gelegentlich im Wahllokal anwesend gewesen.

Es liege ein Verstoß gegen die Chancengleichheit der Wahl vor aufgrund rechtswidriger Wahlwerbung. Die Schwerbehindertenvertretung erhalte zur Wahrnehmung ihrer im SGB IX zugewiesenen Aufgaben regelmäßig aktualisierte Listen der schwerbehinderten Arbeitnehmer mit ihren Postadressen. Den Antragstellern zu 1-3 seien diese nur im Einzelfall bekannt gewesen. Sie hätten sich daher nicht mit einem Serienbrief an die Wahlberechtigten wenden können.

Ergänzend nimmt der Antragsteller zu 1 selbst unter dem 13. Februar 2020 (Bl. 351 ff. der Akte) Stellung: Es sei nicht auszuschließen, dass Freiumschläge aus dem offenen Postkorb des Betriebsrats, der für jeden zugänglich ist und in dem die zurückgekehrten Freiumschläge viele Stunden, manchmal sogar einen ganzen Tag lang lagen, entfernt wurden. Deshalb sei es nicht auszuschließen, dass jemand die Freiumschläge öffnete, die persönliche Erklärung des jeweiligen Wahlberechtigten entnahm und in einem anderen Freiumschlag mit selbst ausgefüllten Wahlzettel wieder in das Postfach legte.

Die Wahlberechtigten hätten die Wahlwerbung von Herrn C und Herrn E am Freitag und Samstag (17. und 18. November 2018) bekommen. Die weiteren Kandidaten hätten ihre Wahlwerbung frühestens am Montag (19. November 2018) verschicken können. Bis diese angekommen wäre, hätten die meisten Wähler bereits gewählt gehabt. Herrn C und Herrn E sei bekannt gewesen, dass es ein Share Point Portal gebe, um Wahlwerbung zu machen. Dies hätten Herr C und Herr E auch benutzt, aber mit ihrem Serienbrief an die Privatadressen der Wahlberechtigten auf unfaire Art und Weise mehr Wahlberechtigte erreichen wollen.

Während der Wahlwoche sei das Wahllokal nicht ordnungsgemäß besetzt gewesen. Einige Wähler, die ihre Stimme persönlich abgeben wollten, seien wieder weggegangen, ohne ihre Stimme abzugeben. Herr E könne am 18. Oktober 2018 nicht im Wahlvorstandbüro gewesen sein, da sein Kollege I an diesem Tag Altersfreizeit hatte und Herr E das Lager verwalten musste.

Der Arbeitgeber trägt wie folgt vor: Im Rahmen der Stimmauszählung habe der Wahlvorstand die roten Wahlumschläge nach deren und der Entnahme der vorgedruckten Erklärung nicht wieder in die Wahlurne zurückgelegt und auch nicht auf sonstige Weise vermischt, bevor diese zur Stimmauszählung geöffnet wurden. Es sei daher nicht sichergestellt, dass sich die roten Wahlumschläge nicht mehr in derselben Reihenfolge wie die zuvor geöffneten Freiumschläge befanden. Diesen Vorgang als solchen greife die Schwerbehindertenvertretung auch nicht an, sondern betonte lediglich, dass die "Briefumschläge gemischt" worden seien. § 12 Abs. 1 S. 2 SchwbVWO sehe aus gutem Grund vor, dass der Wahlvorstand die roten Wahlumschläge nach Vermerk der Stimmabgabe in der Liste der Wahlberechtigten ungeöffnet in die Wahlurne zurückzulegen hat. Dies sei nicht geschehen.

Die Entscheidung des Arbeitsgerichts sei richtig. Ziffer 17 des Wahlausschreibens enthalte nur die Information über die öffentliche Sitzung zur Auszählung der Stimmen und Feststellung des Wahlergebnisses am 23. November 2018 ab 16:00 Uhr. Davon sei die Öffnung der Freiumschläge zu unterscheiden.

Mit Schriftsatz vom 28. Februar 2020 (Bl. 362 ff. der Akte) trägt der Arbeitgeber ergänzend wie folgt vor: Der Versand der Wahlwerbung an die privaten Postadressen der Wahlberechtigten durch die Herren C und E verletze den Grundsatz der Chancengleichheit der Wahl. Die privaten Postadressen hätten ihnen nur in ihrer Eigenschaft als Schwerbehindertenvertreter bzw. Stellvertreter zur Verfügung gestanden. Sie hätten diese Daten zweckwidrig verwendet, was einen Verstoß gegen Art. 5 Abs. 1b Datenschutz Grundverordnung darstelle. Die Versendung sei vor dem letzten Wochenende vor der Wahl erfolgt. Entgegen der Behauptung der Schwerbehindertenvertretung (Bl. 97 der Akte) seien den übrigen Wahlbewerbern die privaten Postadressen der Wahlberechtigten nicht bekannt gewesen. Da die Herren C und E ihre Wahlwerbung nicht an den Antragsteller zu 1 versandten, habe dieser erst am Freitag, 16. November 2018, Kenntnis hiervon erhalten, als der Antragsteller zu 2 ihm diese per WhatsApp weiterleitete. Der Antragsteller zu 1 habe sich daraufhin bei der Personalabteilung beschwert. Selbst wenn diese dann zur Herstellung der Chancengleichheit ihm die Privatadressen der Wahlberechtigten mitgeteilt hätte, wäre es zu spät gewesen.

Entgegen § 3 Abs. 2 SchwbVWO sei die Wählerliste nicht unverzüglich ausgelegt worden. Zudem genüge es nicht, dass diese nur während eines Teils der betriebsüblichen Arbeitszeit eingesehen werden kann. Das Wahlvorstandsbüro sei vom 16. bis 19. Oktober 2018 nicht besetzt gewesen, so dass keine Einsicht in die Wählerliste habe genommen werden können. Der entgegenstehende Vortrag der Schwerbehindertenvertretung werde bestritten. Der Antragsteller zu 1, dessen Büro gegenüber dem Büro des Wahlvorstands liegt, habe während der gesamten Arbeitszeit in der Zeit vom 16. bis 19. Oktober 2018 niemanden im Wahlvorstandsbüro gesehen. Am 18. Oktober 2018 habe Herr E jedenfalls im Lager gearbeitet.

Ein weiterer Anfechtungsgrund liege im Umgang mit den Wahlrückläufern (Freiumschläge). Es sei nicht auszuschließen, dass diese manipuliert wurden. Sie wurden unstreitig teilweise den ganzen Tag offen und für jeden zugänglich im Briefkorb des Betriebsrats aufbewahrt, der sich in einem separaten Raum (Raum 113) im FBBT (nicht im Betriebsratsbüro) befindet und für jedermann zugänglich ist. Der weiße Freiumschlag sei nicht personalisiert gewesen. Der Wahlvorstand hätte geeignete Maßnahmen ergreifen müssen, um die Freiumschläge sicher aufzubewahren. Dies habe er nicht getan.

Aufgrund der nicht erfolgten Vermischung der Wahlumschläge in der Wahlurne sei die Wahl nichtig. Die Verwendung einer Wahlurne sei zwingend. Der Grundsatz der geheimen Wahl sei substantiell. Die Freiumschläge hätten sich zunächst in der Wahlurne befunden, wurden dann gegen 16:00 Uhr dieser entnommen, die Freiumschläge geöffnet und nach Vermerk der Stimmabgabe die roten Wahlumschläge nicht wieder zurück in die Urne gelegt und auch nicht auf sonstige Weise vermischt. Ein Verstoß gegen zwingende Wahlvorschriften müsse die Nichtigkeit der Wahl zur Folge haben. Auf die Frage der Kausalität komme es bei der Nichtigkeit nicht an.

Das Gericht hat den Beteiligten unter dem 30. September 2019 (Bl. 250 der Akte) und 30. Dezember 2019 (Bl. 319 der Akte) rechtliche Hinweise erteilt. Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Anhörungsprotokolle nebst Anlagen Bezug genommen.


II.

1. Die Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung ist hinsichtlich des Tenors zu 2 der angegriffenen Entscheidung bereits unzulässig.

Nach § 89 Abs. 2 Satz 2 ArbGG iVm. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO ist Voraussetzung einer ordnungsgemäßen Beschwerdebegründung die Bezeichnung der Umstände, aus denen sich die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergibt. Die Beschwerdebegründung muss sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Beschlusses befassen. Allgemeine, formelhafte Wendungen genügen hierfür nicht. Auch darf sich der Beschwerdeführer nicht darauf beschränken, seine Rechtsausführungen aus den Vorinstanzen zu wiederholen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der Beschwerdeführer die angefochtene Entscheidung im Hinblick auf das Rechtsmittel überprüft und mit Blickrichtung auf die Rechtslage durchdenkt (BAG 30. Dezember 2012 -1 ABR 64/11- Rn. 11; 27. Juli 2010 - 1 AZR 186/09 - Rn. 13).

Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung der Schwerbehindertenvertretung, soweit sie den Tenor zu 2 angreift, nicht.

Das Arbeitsgericht hat die Stattgabe des Antrags zu 2 (Seite 26-29 des Beschlusses, Bl. 222 ff. der Akte) tragend damit begründet, dass der geltend gemachte Anspruch auf Einsichtnahme in die mit den Stimmabgabevermerken versehenen Wählerliste zur Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Wahl erforderlich ist. Der Arbeitgeber habe vorgetragen, dass die Schwerbehindertenvertretung dem Vortrag, dass es solche Vermutungen gab, entgegengetreten wäre, einzelne Wahlberechtigte vermuteten, dass der Wahlvorstand die Wahl manipuliert habe, indem er selbst ausgefüllte Stimmzettel als solche von Wahlberechtigten behandelt habe, die nicht gewählt haben. Unstreitig geblieben sei ferner, dass mehr Briefwahlunterlagen seitens des Wahlvorstandes bestellt worden waren, als sodann an die Wahlberechtigten versandt wurden. Nur eine Einsichtnahme in die mit den Stimmabgabevermerken versehene Wählerliste ermögliche es vor dem Hintergrund dieser Geschehnisse der Arbeitgeberin, die Ordnungsmäßigkeit der Wahl dahingehend zu prüfen, ob nicht etwa Stimmabgabevermerke bei solchen Wahlberechtigten angebracht wurden, die gegebenenfalls nach eigener Angabe gegenüber der Arbeitgeberin sich an der Wahl nicht beteiligt haben.

Zum Tenor zu 2 der Entscheidung des Arbeitsgerichts verhält sich die Beschwerdebegründung auf Seite 4 unter 6. (Bl. 248 der Akte): "Im Hinblick auf die unzutreffenden und auf den vorgenannten Aspekt reduzierten Ausführungen im arbeitsgerichtlichen Beschluss ist auch die Tenorierung zu Ziffer 2 in der Entscheidung des Arbeitsgerichts Gießen vom 10. Juli 2019 ohne tragfähige Grundlage ergangen, so dass der angefochtene Beschluss des Arbeitsgerichts Gießen insgesamt abzuändern und die Anträge der Antragsteller in vollem Umfang zurückzuweisen sind."

Dies lässt jede Auseinandersetzung mit der oben wiedergegebenen Begründung das Arbeitsgerichts zur Stattgabe des Antrags zu 2 vermissen. Die Schwerbehindertenvertretung nimmt ausschließlich auf ihre vorangegangenen Ausführungen zum Tenor zu 1 Bezug. Hierbei wird verkannt, dass es sich um unterschiedliche Streitgegenstände handelt und der Tenor zu 2 in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht unabhängig von dem Tenor zu 1 der angegriffenen Entscheidung zu behandeln ist.

Im Übrigen (hinsichtlich des Tenors zu 1) ist die Beschwerde statthaft, § 87 Abs. 1 ArbGG, und zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet wurde, § 87 Abs. 2 S. 1, § 66 Abs. 1 S. 1, § 89 Abs. 1 und 2 ArbGG, § 594 ZPO.

2. Die Beschwerde der Schwerbehindertenvertretung ist nicht begründet.

Entgegen der Auffassung des Arbeitgebers ist die Wahl nicht bereits nichtig.

Ist beantragt worden, die Wahl für unwirksam zu erklären, ist der Antrag in der Regel dahin auszulegen, dass die Wahl unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt, d.h. sowohl der Nichtigkeit als auch der Anfechtbarkeit überprüft werden soll (Fitting, Betriebsverfassungsgesetz, 30. Aufl., § 19 Rn. 9 mit weiteren Nachweisen).

Die Nichtigkeit einer Betriebsratswahl (für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung gilt nichts Anderes) ist nur in ganz besonderen Ausnahmefällen gegeben. Voraussetzung ist, dass gegen allgemeine Grundsätze jeder ordnungsgemäßen Wahl in so hohem Maße verstoßen wird, dass auch der Anschein einer dem Gesetz entsprechenden Wahl nicht mehr besteht. Es muss sich um einen offensichtlichen und besonders groben Verstoß gegen Wahlvorschriften handeln (Bundesarbeitsgericht 27. Juli 2011 - 7 ABR 61/10 - Rn. 39).

Der Arbeitgeber hat mit Schriftsatz vom 28. Februar 2020 auf Seite 6 (Bl. 367 der Akte) geltend gemacht, der Verstoß gegen § 12 Abs. 1 S. 2 SchwbVWO, die Wahlumschläge nach Vermerk der Stimmabgabe in der Liste der Wahlberechtigten ungeöffnet in die Wahlurne zu legen, führe aufgrund der nicht erfolgten Vermischung der Wahlumschläge in der Wahlurne zur Nichtigkeit der Wahl. Dies trifft nicht zu. Zwar mag es sich um einen Verstoß gegen eine Wahlvorschrift handeln. Er ist jedoch weder offensichtlich noch besonders schwerwiegend, zumal Beobachter im Regelfall sich nicht die Reihenfolge der sortierten Wahlumschläge merken können.

Auch die weiteren Verstöße gegen das Wahlrecht sind weder offensichtlich noch besonders grob.

Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Wahl der Schwerbehindertenvertretung für unwirksam erklärt.

Zwar rügt die Schwerbehindertenvertretung zu Recht, dass das Arbeitsgericht unzutreffend davon ausgegangen ist, Ort und Zeit der in § 12 Abs. 1 SchwbVWO genannten Handlungen seien nicht vorher rechtzeitig bekannt gemacht worden, denn der erforderliche Hinweis findet sich in Ziffer 17 des Wahlausschreibens (Bl. 25, 26 der Akte). Dort heißt es: Die öffentliche Sitzung des Wahlvorstandes zur Auszählung der Stimmen und Feststellung des Wahlergebnisses findet am 23. November 2018 im Betriebsratsbüro, Sitzungszimmer, Raum 106 ab 16:00 Uhr statt.

Damit war eindeutig festgelegt, wann mit der Auszählung der Briefwahlstimmen begonnen wurde, was die Öffnung der Freiumschläge der Briefwähler einschloss. Der Wahlvorstand hat mit dem Öffnen der Freiumschläge tatsächlich auch erst nach 16:00 Uhr begonnen (Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Schwerbehindertenvertretung vom 3. Januar 2020, Bl. 321 der Akte). Insoweit unterscheidet sich der Fall von dem Sachverhalt der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10. Juli 2013 -7 ABR 83/11- Rn. 22, wo die Öffnung der Freiumschläge nicht in der im Wahlausschreiben angekündigten Sitzung am 26. Oktober 2010 um 13:00 Uhr, sondern am selben Tage bereits in der Zeit zwischen 11:00 Uhr und 12:45 Uhr erfolgte.

Gleichwohl ist die Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 23. November 2018 unwirksam, § 177 Abs. 6 S. 2 SGB IX, § 19 Abs. 1 BetrVG.

Der Antrag ist nach § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 BetrVG zulässig.

Die Antragsteller zu 1-3 sind nach § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt. Sie sind in dem Betrieb wahlberechtigte schwerbehinderte Menschen iSd. § 177 Abs. 2 SGB IX. Die Anfechtungsberechtigung des Arbeitgebers ergibt sich aus § 177 Abs. 6 S. 2 SGB IX i.V.m. § 19 Abs. 2 S. 1 Alt. 3 Betriebsverfassungsgesetz.

Die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung ist rechtzeitig binnen zwei Wochen angefochten worden, nachdem das endgültige Wahlergebnis durch Aushang am 23. November 2018 in der Betriebsstätte in A (nicht dagegen in B) bekannt gegeben wurde, § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Die Antragsschrift ist beim Arbeitsgericht am 5. Dezember 2018 (Wahlanfechtung der Antragsteller zu 1-3) und am 7. Dezember 2018 (Wahlanfechtung des Arbeitgebers) eingegangen.

Der Antrag ist begründet. Die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung ist nach § 177 Abs. 6 Satz 2 SGB IX iVm. § 19 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Danach kann die Wahl zur Schwerbehindertenvertretung angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte.

Der Wahlvorstand hat gegen § 12 Abs. 1 S. 2 SchwbVWO verstoßen, indem er - nach dem Vortrag der Schwerbehindertenvertretung (Schriftsatz des Verfahrensbevollmächtigten der Schwerbehindertenvertretung vom 31. Oktober 2019, Seite 2, Bl. 261 der Akte) - die Wahlumschläge nach erfolgtem Vermerk der Stimmabgabe nicht wieder in die Wahlurne legte, sondern auf dem Konferenztisch auf einen Haufen legte, sodann zu Zehnerpaketen zusammenfasste, bevor sie vom Wahlvorstandsvorsitzenden geöffnet, laut vorgelesen und den weiteren Mitgliedern des Wahlvorstands gezeigt wurden. Demgegenüber sieht § 12 Abs. 1 S. 2 SchwbVWO vor, dass der Wahlvorstand die Wahlumschläge nach Vermerk der Stimmabgabe in der Liste der Wahlberechtigten ungeöffnet in die Wahlurne legt. Dabei handelt es sich um eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren, denn sie dient der Gewährleistung des Wahlgeheimnisses.

Ferner liegt ein Verstoß gegen § 11 Abs. 1 Nr. 4 SchwbVWO vor. Danach muss der Freiumschlag als Absender Namen und Anschrift der wahlberechtigten Person enthalten. Eine derartige Absenderangabe enthielten die Freiumschläge nicht, wie sich aus den von den Antragstellern zu 1-3 als Anlage zu Ihrem Schriftsatz vom 14. November 2019 eingereichten Fotos (Bl. 299, 300 der Akte) ergibt. § 11 Abs. 1 Nr. 4 SchwbVWO ist eine wesentliche Wahlvorschrift, denn durch das Erfordernis der Absenderangabe sollen Manipulationen verhindert bzw. zumindest erschwert werden.

Darüber hinaus liegt ein Verstoß gegen die sich aus § 12 Abs. 1 S. 1 SchwbVWO ergebende Verpflichtung des Wahlvorstands, die eingegangenen Freiumschläge bis zum Wahltag unter Verschluss zu nehmen, vor. Für die Betriebsratswahl ist anerkannt, dass den Wahlvorstand hinsichtlich der schriftlich abgegebenen Stimmen die Verpflichtung trifft, die eingegangenen Freiumschläge sicher zu verwahren, z.B. in einer versiegelten Wahlurne (Fitting, Betriebsverfassungsgesetz, 29. Aufl., § 26 WahlO Rn. 5). Dies war hier nicht der Fall, denn die eingegangenen Freiumschläge samt Inhalt wurden teilweise einen ganzen Tag lang offen und für jeden zugänglich im Briefkorb des Betriebsrates (Foto Blatt 300 der Akte), der sich in einem separaten Raum (Raum 113), nicht im Betriebsratsbüro, befindet und für jeden zugänglich ist, verwahrt (siehe Skizze Bl. 368 der Akte). Während dieser Zeit war nicht gewährleistet, dass jemand nicht einen oder mehrere der eingegangenen Freiumschläge aus dem Postkorb des Betriebsrats entfernt. Erst später wurden sie in der verschlossenen Wahlurne verwahrt. In der Zeit zwischen ihrem Eingang im Postkorb des Betriebsrats und der Verwahrung in der verschlossenen Wahlurne, waren sie nicht hinreichend vor dem Zugriff Unbefugter geschützt. Dies hat der Arbeitgeber mit Schriftsatz vom 28. Februar 2020 auf Seite 5 (Bl. 366 der Akte) so vorgetragen, ohne dass die Schwerbehindertenvertretung dem im Einzelnen entgegengetreten wäre.

Schließlich liegt eine Verletzung des ungeschriebenen Grundsatzes der Chancengleichheit der Wahlbewerber vor. Hierbei handelt es sich um ein notwendiges Element einer demokratischen Wahl und damit eine wesentliche Verfahrensvorschrift, die verletzt wird, wenn der Wahlvorstand einzelnen Bewerbern Vorrechte gegenüber anderen einräumt (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 28. November 2017 -9 TaBV 4/17- Rn. 30; Richardi-Thüsing, Betriebsverfassungsgesetz, 16. Aufl., § 14 Rn. 18). Dasselbe muss gelten, wenn sich einzelne Wahlbewerber selbst Vorrechte gegenüber Mitbewerbern herausnehmen (Hessisches Landesarbeitsgericht 25. Mai 2020 - 16 TaBV 147/19). Die Wahlbewerber C und E haben gegen den Grundsatz der Chancengleichheit verstoßen, indem sie unmittelbar vor der Wahl Wahlwerbung an die privaten Postadressen der Wahlberechtigten versandten. Der Arbeitgeber hatte im Intranet eine Seite für Wahlwerbung zur Verfügung gestellt, die alle Wahlbewerber nutzen konnten und hiervon auch Gebrauch machten. Hierdurch sollte zumindest auch die Nutzung dienstlicher E-Mail-Adressen für Wahlwerbung vermieden werden. Dass ein Versand an Privatadressen per Post nicht erfolgen sollte, ergibt sich bereits aus Datenschutzgründen sowie daraus, dass die Wahlberechtigten ein überwiegendes Interesse daran haben, selbst zu bestimmen, ob und von wem sie außerhalb ihrer Berufstätigkeit und ihrer Arbeitsstätte aus dem Kreis der Arbeitskollegen kontaktiert werden (Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 28. November 2017 - 9 TaBV 4/17- Rn. 33). Indem die Wahlbewerber C und E über die vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellte Möglichkeit der Wahlwerbung im Intranet hinaus Wahlwerbung per Post verschickten, verschafften sie sich einen Vorteil gegenüber ihren Mitbewerbern, die sich an die Vorgaben hielten und ihre Wahlwerbung ausschließlich auf der Intranetseite platzierten. Hinzu kommt, dass es ihnen aufgrund des Zeitablaufs rein tatsächlich kaum möglich gewesen wäre, nach Bekanntwerden der von den Wahlbewerbern C und E durchgeführten Wahlwerbung per Post noch gleich zu ziehen. Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, auf welche Weise sich die Wahlbewerber C und E die Adressen der Wahlberechtigten verschafften und ob dies anderen Wahlbewerbern in gleicher Weise möglich gewesen wäre. Denn selbst wenn es den Antragstellern möglich gewesen wäre, sich über öffentlich zugängliche Quellen die Privatadressen der Wahlberechtigten zu beschaffen, wäre eine Verwendung derselben für Wahlwerbung aus Datenschutzgründen unzulässig gewesen (siehe LAG Baden-Württemberg, a.a.O.). Im Gegensatz zu den Wahlbewerbern C und E hielten sich die Antragsteller an diese rechtlichen Vorgaben. Der von diesen im Anhörungstermin vorgebrachte Einwand, diese hätten gleichfalls gegen den Datenschutz verstoßen können, ist unerheblich.

Der Verfahrensverstoß war auch geeignet, das Wahlergebnis zu beeinflussen.

Nach § 177 Abs. 6 S. 2 SGB IX i.V.m. § 19 Abs. 1 letzter Halbsatz Betriebsverfassungsgesetz berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften nur dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn die Verstöße das Wahlergebnis objektiv weder ändern noch beeinflussen konnten. Dabei ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß gegen wesentliche Wahlvorschriften unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte. Eine verfahrensfehlerhafte Wahl muss nur dann nicht wiederholt werden, wenn sich konkret feststellen lässt, dass auch bei Einhaltung der Wahlvorschriften kein anderes Ergebnis erzielt worden wäre. Kann diese Feststellung nicht getroffen werden, bleibt es bei der Unwirksamkeit der Wahl (ständige Rechtsprechung: Bundesarbeitsgericht 25. Oktober 2017 -7 ABR 2/16- Rn. 43; 26. Oktober 2016 - 7 ABR 4/15 - Rn. 31; 10. Juli 2013 - 7 ABR 83/11 - Rn. 24; 18. Juli 2012 -7 ABR 21/11- Rn. 30).

Das Bundesarbeitsgericht wendet das Kausalitätserfordernis auch bei einem Verstoß gegen die Vorschriften der geheimen Wahl an (Bundesarbeitsgericht 12. Juni 2013 - 7 ABR 77/11 - Rn. 38ff; kritisch hierzu: Landesarbeitsgericht Düsseldorf 13. Dezember 2016 - 9 TaBV 85/16 - Rn. 57). Insoweit bestehen hinsichtlich des ersten festgestellten Verstoßes Bedenken hinsichtlich der Kausalität, da dieser Verstoß den reinen Vorgang der Stimmenauszählung betrifft, das Wahlverhalten also nicht beeinflusst werden konnte. Dies bedarf jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da jedenfalls die anderen Verstöße Auswirkungen auf das Wahlergebnis haben konnten. Die Regelung des § 11 Abs. 1 Nr. 4 SchwbVWO (Absenderangabe auf dem Freiumschlag) dient dem Schutz vor Wahlmanipulationen. Indem hiergegen verstoßen wurde, ist nicht sichergestellt, dass an den zurückgekehrten Freiumschlägen bzw. deren Inhalt keine Manipulation erfolgte. Entsprechendes gilt für die unterbliebene sichere Verwahrung der eingegangenen Freiumschläge bis zum Zeitpunkt der Stimmenauszählung. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass solange diese in dem jedermann zugänglichen Postkorb des Betriebsrats lagen, Freiumschläge entwendet oder inhaltlich manipuliert wurden. Hinsichtlich der Verletzung des Grundsatzes der Chancengleichheit kann nicht ausgeschlossen werden, dass wenn die Wahlbewerber C und E sich korrekt verhalten und keine Wahlwerbung per Post an die Wahlberechtigten versandt hätten, die Wahl zu einem anderen Ergebnis geführt hätte.


III.

Gründe, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, liegen nicht vor, § 92 Abs. 1, § 72 ArbGG.

Referenznummer:

R/R8590


Informationsstand: 18.02.2021