Auf die Rechtsbeschwerde der zu 2) beteiligten Schwerbehindertenvertretung und der zu 3) beteiligten Arbeitgeberin wird der Beschluss des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 14. Februar 2008 - 6 TaBV 13/07 - aufgehoben.
Die Beschwerde der Gewerkschaft gegen den Beschluss des Arbeitsgerichts Leipzig vom 20. April 2007 - 15 BV 75/06 - wird zurückgewiesen.
I. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der Wahl der zu 2) beteiligten Schwerbehindertenvertretung.
Die zu 3) beteiligte Kommune (im Folgenden: Arbeitgeberin) errichtete gemeinsam mit der Bundesagentur für Arbeit durch öffentlich-rechtlichen Vertrag vom 2./12. November 2004 eine ARGE
gem. § 44b
Abs. 1 Satz 2
SGB II zur Wahrnehmung von Aufgaben der Grundsicherung von Arbeitsuchenden. Die ARGE verfügt nicht über eigenes Personal. Dieses wird von der Bundesagentur für Arbeit und der Arbeitgeberin gestellt. Der Geschäftsführer der ARGE hat das fachliche und dienstaufsichtliche Weisungsrecht, soweit dies für eine ordnungsgemäße Dienstleistungserbringung und einen störungsfreien Arbeitsablauf erforderlich ist. Die Arbeitgeberin und die Bundesagentur für Arbeit bleiben Dienstvorgesetzte ihrer jeweiligen Mitarbeiter.
Am 9. Oktober 2006 fand in der Dienststelle der Arbeitgeberin die Wahl der Schwerbehindertenvertretung statt. Seinerzeit standen
ca. 250 schwerbehinderte Arbeitnehmer in Arbeitsverhältnissen zu der Arbeitgeberin, von denen 22 der ARGE zugewiesen waren. Diese 22 Arbeitnehmer wurden an der Wahl nicht beteiligt. Aus der Wahl ging die zu 2) beteiligte Schwerbehindertenvertretung hervor. Das Wahlergebnis wurde am 10. Oktober 2006 bekannt gemacht.
Mit der am 24. Oktober 2006 beim Arbeitsgericht eingegangenen Antragsschrift hat die Gewerkschaft ver.di die Wahl angefochten. Sie hat die Auffassung vertreten, bei der Wahl sei gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht verstoßen worden. Die 22 der ARGE zugewiesenen schwerbehinderten Arbeitnehmer seien wahlberechtigt gewesen, da sie trotz des Einsatzes bei der ARGE nach wie vor in die Dienststelle der Arbeitgeberin eingegliedert gewesen seien.
Die Gewerkschaft hat beantragt,
die Wahl der Schwerbehindertenvertretung vom 9. Oktober 2006 für unwirksam zu erklären.
Die Arbeitgeberin und die Schwerbehindertenvertretung haben die Zurückweisung des Antrags beantragt.
Das Arbeitsgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Auf die Beschwerde der Gewerkschaft hat das Landesarbeitsgericht den erstinstanzlichen Beschluss abgeändert und dem Antrag stattgegeben. Mit der Rechtsbeschwerde begehren die Schwerbehindertenvertretung und die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Gewerkschaft beantragt die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Wiederherstellung der Entscheidung des Arbeitsgerichts. Das Landesarbeitsgericht hat dem Wahlanfechtungsantrag zu Unrecht stattgegeben. Der Antrag ist unzulässig, da die Gewerkschaft nicht anfechtungsberechtigt ist.
1. Nach
§ 94 Abs. 6 Satz 2 SGB IX gelten für die Anfechtung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung die Vorschriften über die Anfechtung der Wahl des Personalrats sinngemäß. Nach der bei der Anfechtung der Personalratswahl in der Dienststelle der Arbeitgeberin anzuwendenden Bestimmung in § 25
Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG sind - ebenso wie nach § 25
Abs. 1 Satz 1 BPersVG - mindestens drei Wahlberechtigte, jede in der Dienststelle vertretene Gewerkschaft und der Dienststellenleiter berechtigt, die Wahl des Personalrats anzufechten. Trotz der Verweisung in § 94
Abs. 6 Satz 2
SGB IX auf diese Bestimmung besteht bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung - anders als bei der Personalratswahl - kein Anfechtungsrecht der in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften (ebenso:
OVG Nordrhein-Westfalen 7. April 2004 -
1 A 4778/03.PVL - zu II der Gründe, Behindertenrecht 2006, 20;
VG Ansbach 4. September 1995 -
AN 8 P 94.02216 - PersV 1996, 370, 371; Kossens/von der Heide/Maaß
SGB IX 3. Aufl. § 94 Rn. 32; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen
SGB IX 11. Aufl. § 94 Rn. 42;
GK-SGB IX/Schimanski Stand Juni 2009 § 94 Rn. 142a; aA Müller-Wenner/Schorn
SGB IX § 94 Rn. 45; Hohmann in Wiegand
SGB IX Stand März 2008 § 94 Rn. 156; offen gelassen von Dau/Düwell/Haines
SGB IX 2. Aufl. § 94 Rn. 49). Dies ergibt die Auslegung von § 94
Abs. 6 Satz 2
SGB IX und § 25
Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG.
a) § 94
Abs. 6 Satz 2
SGB IX bestimmt für die Anfechtung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung die "sinngemäße" Anwendung der Vorschriften über die Anfechtung von Personalratswahlen. Die in Bezug genommenen personalvertretungsrechtlichen Bestimmungen sind daher nicht in strikter und ausschließlicher Befolgung ihres Wortlauts anzuwenden, sondern unter Berücksichtigung des mit ihnen verfolgten Zwecks. Ebenso wie bei einer Verweisung, die die "entsprechende" Anwendung einer Norm anordnet, sind "die einzelnen Elemente des durch die Verweisung geregelten und desjenigen Tatbestandes, auf dessen Rechtsfolgen verwiesen wird, so miteinander in Beziehung zu setzen, dass den jeweils nach ihrer Funktion, ihrer Stellung und Sinnzusammenhang des Tatbestandes gleich zu erachtenden Elementen jeweils die gleiche Rechtsfolge zugeordnet wird" (Larenz Methodenlehre der Rechtswissenschaft 6. Aufl.
S. 261). Unsachgemäße Gleichsetzungen sind zu vermeiden. Von der Sache her gebotene Differenzierungen dürfen nicht ausgeschlossen werden (
vgl. Larenz aaO). Die für die Anfechtung der Personalratswahl geltenden Vorschriften sind daher für die Anfechtung der Wahl der Schwerbehindertenvertretung in der Weise anzuwenden, dass den bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung bestehenden Besonderheiten gegenüber der Personalratswahl Rechnung getragen wird. Dementsprechend ist zB die Wahl der Schwerbehindertenvertretung entgegen dem Wortlaut des § 25
Abs. 1 SächsPersVG nicht beim Verwaltungsgericht, sondern beim Arbeitsgericht anzufechten (
vgl. hierzu
BAG 11. November 2003 -
7 AZB 40/03 - AP
SGB IX § 94
Nr. 1 = EzA
ArbGG 1979 § 2a
Nr. 5).
b) Bei diesem Verständnis der Verweisungsnorm in § 94
Abs. 6 Satz 2
SGB IX ergibt sich unter Berücksichtigung der Zwecksetzung der in Bezug genommenen Regelung in § 25
Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG, dass die in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften nicht berechtigt sind, die Wahl der Schwerbehindertenvertretung anzufechten.
aa) Die in § 25
Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG normierte Berechtigung der in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften, die Wahl des Personalrats anzufechten, beruht darauf, dass den Gewerkschaften bei der Wahl des Personalrats nach dem Personalvertretungsrecht eigene Rechte zustehen. Die in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften haben nach § 19
Abs. 4 SächsPersVG das Recht, Wahlvorschläge zu machen. Nach § 21 Satz 1 SächsPersVG können die Gewerkschaften beim Dienststellenleiter die Einberufung einer Personalversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands beantragen, wenn neun Wochen vor Ablauf der Amtszeit kein Wahlvorstand besteht. Nach § 22 SächsPersVG kann eine in der Dienststelle vertretene Gewerkschaft beim Dienststellenleiter die Bestellung des Wahlvorstands beantragen, wenn eine Personalversammlung entgegen § 21 SächsPersVG nicht stattfindet oder sie keinen Wahlvorstand wählt. Diesen den Gewerkschaften zustehenden eigenen personalvertretungsrechtlichen Rechtspositionen bei der Wahl des Personalrats entspricht es, dass ihnen nach § 25
Abs. 1 Satz 1 SächsPersVG ein eigenständiges Recht zur Anfechtung der Wahl zusteht. Dies dient der Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes, da die Gewerkschaften die ihnen eingeräumten Rechte ansonsten praktisch nicht durchsetzen könnten.
bb) Das
SGB IX und die Wahlordnung gewähren den in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften hingegen bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung keine eigenen Rechte. Auch in
§ 99 SGB IX, der die Zusammenarbeit der Schwerbehindertenvertretung mit dem Arbeitgeber und sonstigen in den Betrieben und Dienststellen bestehenden Stellen regelt, werden Gewerkschaften nicht erwähnt. Den fehlenden eigenen gesetzlichen Befugnissen der in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung entspricht bei einer sinngemäßen Anwendung der Vorschriften über die Anfechtung der Personalratswahl die fehlende Berechtigung der Gewerkschaften zur Anfechtung der Wahl. Es ist weder zur Sicherung eigener Rechte der Gewerkschaften noch aus sonstigen Gründen veranlasst, den in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften als an der Wahl Unbeteiligten ein eigenes Anfechtungsrecht zuzuerkennen. Dies ist auch nicht aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten. Durch die fehlende Anfechtungsberechtigung bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung wird die durch
Art. 9
Abs. 3
GG geschützte koalitionsmäßige Betätigung der Gewerkschaften, die sich auch auf den Bereich der Personalvertretung erstreckt, nicht eingeschränkt. Die Gewerkschaften können auch ohne eigenes Wahlanfechtungsrecht die Bildung einer Schwerbehindertenvertretung in der Dienststelle fördern und hierfür werben.
cc) Über die Berechtigung der in der Dienststelle vertretenen Gewerkschaften zur Geltendmachung der Nichtigkeit der Wahl der Schwerbehindertenvertretung (
vgl. hierzu
OVG Nordrhein-Westfalen 7. April 2004 - 1 A 4778/03.PVL - Behindertenrecht 2006, 20), die jedermann jederzeit geltend machen kann, wenn hieran ein berechtigtes Interesse besteht, hat der Senat nicht zu befinden.
2. Da der Antrag unzulässig ist, hat der Senat nicht zu entscheiden, ob bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung gegen wesentliche Wahlgrundsätze verstoßen wurde.