Urteil
Förmliche Wirksamkeit der Wahl einer Hauptschwerbehindertenvertretung

Gericht:

ArbG Bonn 5. Kammer


Aktenzeichen:

5 BV 51/11


Urteil vom:

04.05.2011


Tenor:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit der am 23.02.2011 bei dem zu 2) beteiligten C. durchgeführten Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung.

Die Rechte der schwerbehinderten Menschen sowie der gleichgestellten Menschen werden im Geschäftsbereich des C. durch Vertrauenspersonen wahrgenommen. Auf der Ebene der so genannten "Mittelbehörden" werden in den insgesamt 16 Kommandos und Ämtern der Bundeswehr Bezirksvertrauenspersonen gewählt. Beim C. werden eine Hauptvertrauensperson sowie deren Stellvertreter gewählt, die die Hauptschwerbehindertenvertretung darstellen. Wahlberechtigt hierzu sind die insgesamt 16 Bezirksvertrauenspersonen sowie die örtliche Vertrauensperson des C..

Bei den Antragstellern handelt es sich um Bezirksvertrauenspersonen. Der Beteiligte zu 1) ist die derzeitige Hauptvertrauensperson. Mit Schreiben vom 07.01.2011 lud die Hauptvertrauensperson sämtliche Bezirksvertretungen sowie die örtliche Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beim C. zu einer Jahresversammlung vom 22.02.2011 bis zum 25.02.2011 nach Bonn ein. Im Rahmen dieser Versammlung fand am 23.02.2011 die Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung des C. statt. An der Wahl beteiligten sich insgesamt 15 Vertreter der Bezirksschwerbehindertenvertretung sowie die örtliche Vertrauensperson des Ministeriums, zusätzlich waren noch die Herren D. und X. zugegen. Für den Bereich Sanitätsamt nahm keine Vertrauensperson an der Wahl teil. Nach dem Rücktritt des bisherigen Amtsinhabers und dessen Vertreters hatte dort bislang keine neue Wahl stattgefunden.

Als Wahlleiter wurde der Zeuge L. gewählt, der zu diesem Zeitpunkt kein Amt als Vertrauensperson bekleidete. Während der Wahl unterstützte diesen ein Wahlhelfer, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob auch noch ein zweiter Wahlhelfer tätig wurde. Die bei der Wahl verwendeten Wahlzettel entsprachen dem Muster, das die Integrationsämter für die Wahlen der Schwerbehindertenvertretung herausgeben. Der Beteiligte zu 1) wurde mit 9:7 Stimmen erneut gewählt.

Mit einem am 12.03.2011 beim Arbeitsgericht Bonn eingegangen Schriftsatz haben sich die Antragsteller gegen die Gültigkeit der Wahl gewandt.

Sie vertreten die Auffassung, dass die Wahl der Hauptvertrauensperson sowie der sieben Stellvertreter unter schweren Fehlern leide, die zu ihrer Nichtigkeit, zumindest aber zu ihrer Anfechtbarkeit führen. Die Wahl sei im vereinfachten Wahlverfahren durchgeführt worden, obschon dessen Voraussetzungen nicht vorgelegen und Teilnehmer vor der Wahl die Durchführung des förmlichen Verfahrens beantragt hätten. Eine allgemeine öffentliche Bekanntmachung der Wahl habe ebenfalls nicht stattgefunden. Auch erwecke die persönliche Einladung einzelner Kandidaten zum Zweck der Wahl den Eindruck der Manipulation. Durch die fehlende Teilnahme der Bezirksvertretung Sanitätsamt habe zudem ein eigentlich Wahlberechtigter nicht an der Wahl teilnehmen können. Darüber hinaus gehöre der Wahlleiter nicht zum Kreis der Wahlberechtigten und habe sein Amt damit unbefugt ausgeübt. Die Wahlzettel seien auch nicht von einer zweiten Person im Sinne eines "Vier-Augen-Prinzips" kontrolliert worden. Schließlich seien die Wahldurchgänge auch deshalb rechtswidrig, weil zwei der anwesenden Wahlberechtigten während der Wahl dienstunfähig gewesen seien.

Die Antragsteller beantragen,

1. die Wahl zur Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen C. vom 23.02.2011 für ungültig zu erklären,

2. die Wahl der insgesamt 7 Stellvertreter der Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beim C. vom 23.02.2011 für ungültig zu erklären.

Der Beteiligte zu 1) beantragt,

den Antrag zurückzuweisen.

Die Beteiligte zu 2) stellt keinen Antrag.

Der Beteiligte zu 1) ist der Ansicht, die Wahlen seien weder nichtig noch unterlägen sie der Anfechtung. Die Durchführung der Wahl im vereinfachten Verfahren sei nicht zu beanstanden, da dessen Voraussetzungen angesichts einer nur entsprechenden Anwendung über § 97 Abs. 7 SGB IX einschränkend anzuwenden seien. Ferner führe auch die fehlende Beteiligung der nicht existenten Bezirksschwerbehindertenvertretung Sanitätsamt nicht zur Anfechtung. Es fehle insoweit an einer Beeinflussung des Wahlergebnisses. Ebenso wenig habe es einer öffentlichen Bekanntmachung der Wahl bedurft. Eine Mitteilung über die Wahlberechtigten hinaus an sämtliche Beschäftigte sehe das Gesetz nicht vor. Auch die Anwesenheit der Herren X. und D. stelle sich als zulässig dar. Diese seien auf Wunsch der Beteiligten zu 1) erschienen, um sich als möglicherweise vorgeschlagene Kandidaten vorstellen zu können. Im Übrigen lasse § 20 Abs. 1 S. 1 SchwbVWO offen, ob die Person des Wahlleiters aus dem Kreis der Wahlberechtigten kommen müsse. Das von den Antragstellern geforderte "Vier-Augen-Prinzip" finde keine Stütze im Gesetz, sei aber zudem durch Einbeziehung von zwei Wahlhelfern eingehalten worden. Schließlich könne dahinstehen, ob die Zeugen I. und T. während der Wahl dienstunfähig waren. Maßgeblich sei allein, dass sie in der Lage waren, an den Wahlvorgängen teilzunehmen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die vorbereitenden Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen Bezug genommen.

Rechtsweg:

LAG Köln, Beschluss vom 19.10.2011 - 3 TaBV 51/11
BAG, Beschluss vom 23.07.2014 - 7 ABR 61/12

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

II.

Die zulässigen Anträge haben in der Sache keinen Erfolg.

Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist eröffnet. Nach § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG in der seit dem 1. Juli 2001 geltenden Fassung sind die Gerichte für Arbeitssachen ausschließlich zuständig für Angelegenheiten aus den §§ 94, 95, 139 des SGB IX. Dazu gehört auch das in § 94 Abs. 6 SGB IX genannte Verfahren über die Anfechtung zur Wahl der Schwerbehindertenvertretung. Das gilt auch dann, wenn die Wahl der Schwerbehindertenvertretung wie hier im Bereich des öffentlichen Dienstes angefochten wird. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG (vgl. BAG v. 11.11.2003 - 7 AZB 40/03, AP Nr. 1 zu § 94 SGB IX; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, § 94 SGB IX Rn. 42).

Die Wahlanfechtung ist nach §§ 97 Abs. 7, 94 Abs. 6 S. 2 SGB IX i.V.m. § 25 BPersVG statthaft.

Die Wahl wurde rechtzeitig innerhalb der nach §§ 97 Abs. 7, 94 Abs. 6 S. 2 SGB IX i.V.m. § 25 BPersVG einzuhaltenden Anfechtungsfrist von zwei Wochen ab Bekanntgabe des Wahlergebnisses angefochten. Zwar lässt sich aus den Wahlunterlagen eine konkrete Angabe zur Bekanntgabe nicht feststellen. Dies ist jedoch entbehrlich, da die am 11.03.2011 bei Gericht eingegangene Antragsschrift die Frist des § 25 BPersVG wahrt, unerheblich ob die Bekanntgabe schon mit Aushändigung vom 28.02.2011 oder erst mit Abnahme vom 14.03.2011 stattgefunden hat.

Schließlich sind die antragstellenden Vertrauenspersonen gemäß der §§ 97 Abs. 7, 94 Abs. 6 S. 2 SGB IX i.V.m. 25 BPersVG anfechtungsberechtigt. Bei der Personalratswahl sind nach § 25 BPersVG mindestens drei Wahlberechtigte anfechtungsberechtigt. Bei sinngemäßer Anwendung dieser Regelung auf die Anfechtung der Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung sind mindestens drei zur Wahl der Hauptvertrauensperson Wahlberechtigte anfechtungsbefugt. Diese Mindestzahl ist vorliegend erreicht, da der Antrag von sieben Bezirksvertrauenspersonen getragen wird.

Die Anträge haben aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Wahl zur Hauptvertrauensperson der schwerbehinderten Menschen beim C. ist nicht für ungültig zu erklären, da Nichtigkeits- oder Anfechtungsgründe nicht vorliegen. Im Einzelnen:

Nach dem sinngemäß anwendbaren § 25 BPersVG kann die Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen worden ist und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Nach diesen Grundsätzen lässt sich vorliegend ein zur Ungültigkeit der Wahl führender Fehler nicht feststellen.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller durfte die Wahl zur Hauptschwerbehindertenvertretung im vereinfachten Verfahren durchgeführt werden. Die hierfür notwendigen Voraussetzungen lagen vor.

Gemäß § 94 Abs. 6 S. 3 SGB IX wird in Betrieben mit weniger als 50 wahlberechtigten schwerbehinderten Menschen die Vertrauensperson und das stellvertretende Mitglied im vereinfachten Wahlverfahren gewählt, sofern der Betrieb nicht aus räumlich weit auseinander liegenden Teilen besteht. Für die Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung gilt diese Vorschrift über § 97 Abs. 7 SGB IX "entsprechend".

Bei der Bestimmung der Anzahl der dem Betrieb angehörenden wahlberechtigten schwerbehinderten Menschen zum Zeitpunkt der Einleitung der Wahl kann insoweit nicht der Begriff der Wahlberechtigten, wie er in § 94 Abs. 2 SGB IX Verwendung findet, zugrundegelegt werden. Während zur Schwerbehindertenvertretungswahl jeder wahlberechtigt ist, der schwerbehindert oder ein gleichgestellter behinderter Mensch ist, sind zur Hauptschwerbehindertenvertretung ausschließlich die in einer Verwaltung gewählten und zur Zeit der Stimmabgaben amtierenden Vertrauenspersonen wahlberechtigt. Der Gesetzgeber hat aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung für die Schwerbehindertenvertretungen in einer mehrstufigen Verwaltung keine Direktwahl durch die schwerbehinderten Menschen, sondern vorrangig eine Wahl durch die Bezirksvertrauenspersonen vorgesehen. Danach ist die Hauptschwerbehindertenvertretung grundsätzlich nur durch die Bezirksschwerbehindertenvertretungen zu wählen, soweit deren Zahl zumindest zehn beträgt, vgl. § 97 Abs. 3 S. 2 SGB IX.

Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der in § 94 Abs. 6 S. 3 SGB IX aufgestellte Grenzwert wurde nicht überschritten. Im Zeitpunkt der Einleitung der Wahl am 07.01.2011 gehörten dem C. neben der örtlichen Vertrauensperson 16 Bezirksschwerbehindertenvertretungen an. Dies folgt schon aus der Einladung und der als Anlage beigefügten Anschriftenliste der Hauptvertrauensperson zur diesjährigen Jahresversammlung.

Soweit die Antragsteller einwenden, das vereinfachte Verfahren habe nicht durchgeführt werden dürfen, weil sich die den jeweiligen Bezirksvertrauenspersonen zugeordneten Kommandobereiche bzw. Ämter über das ganze Bundesgebiet verteilen, dringen sie hiermit nicht durch. Zwar hängt die Anwendung des vereinfachten Verfahrens nach § 94 Abs. 6 S. 2 SGB IX grundsätzlich auch davon ab, dass die Betriebe oder Dienststellen nicht räumlich weit auseinander liegen, indes kann dem Kriterium im Rahmen einer Wahl zur Hauptschwerbehindertenvertretung angesichts der abweichenden Ausgestaltung zum "Normalverfahren" keine maßgebliche Bedeutung zukommen.

Ausschlaggebend hierfür ist die nur "entsprechende" Anwendbarkeit der Norm über § 97 Abs. 7 SGB IX. Die in Bezug genommene Bestimmung ist daher nicht in strikter und ausschließlicher Befolgung ihres Wortlauts anzuwenden, sondern unter Berücksichtigung des mit ihr verfolgten Zwecks. Insoweit sind die einzelnen Elemente des durch die Verweisung geregelten und desjenigen Tatbestands, auf dessen Rechtsfolgen verwiesen wird, so miteinander in Beziehung zu setzen, dass den jeweils nach ihrer Funktion, ihrer Stellung und Sinnzusammenhang des Tatbestands gleich zu erachtenden Elementen jeweils die gleiche Rechtsfolge zugeordnet wird. Unsachgemäße Gleichsetzungen sind zu vermeiden. Von der Sache her gebotene Differenzierungen dürfen nicht ausgeschlossen werden. Die für die Schwerbehindertenvertretung geltende Vorschrift über das vereinfachte Verfahren in § 94 Abs. 6 S. 2 und 3 SGB IX ist daher für die Wahl zur Hauptschwerbehindertenvertretung in der Weise anzuwenden, dass den bei dieser Wahl bestehenden Besonderheiten gegenüber der Schwerbehindertenvertretungswahl Rechnung getragen wird.

Bei diesem Verständnis der Verweisungsnorm in § 97 Abs. 7 SGB IX ergibt sich unter Berücksichtigung des mit § 94 Abs. 6 S. 3 SGB IX verfolgten Zweckes, dass das Vorliegen der räumlichen Nähe für die Anwendung des vereinfachten Verfahrens nicht zwingend erforderlich ist. Eine Hauptschwerbehindertenvertretung wird - anders als eine örtliche Schwerbehindertenvertretung - nicht unmittelbar von den in den Dienststellen beschäftigten schwerbehinderten Arbeitnehmern gewählt, sondern von der Schwerbehindertenvertretung der obersten Dienstbehörde und den Bezirksschwerbehindertenvertretungen des Geschäftsbereichs, vgl. § 97 Abs. 3 S. 2 SGB IX. Daraus folgt typischerweise, dass die einzelnen Dienststellen und Teile von Dienststellen räumlich weit voneinander entfernt liegen können. Bei konsequenter Anwendung würde das vereinfachte Verfahren somit im Rahmen einer Wahl zur Hauptschwerbehindertenvertretung nahezu nie zur Anwendung kommen. Ein solches Ergebnis ist vom Gesetzgeber jedoch nicht gewollt, wie auch der systematische Zusammenhang zu den § 22 Abs. 3 SchwbVWO und § 97 Abs. 8 SGB IX zeigt. Danach kann nach § 22 Abs. 3 SchwbVWO, sofern wie hier vor Ablauf der Amtszeit eine Versammlung nach § 97 Abs. 8 SGB IX stattgefunden hat, die Wahl auch im Rahmen dieser Versammlung durchgeführt werden. Der Verordnungsgeber setzt hier selbst die Anwendung des vereinfachten Verfahrens voraus, da nach dem Wortlaut "die Wahl abweichend von Absatz 1 [...] durchgeführt werden kann". Absatz 1 normiert aber gerade die besonderen Voraussetzungen für das förmliche Verfahren. Insoweit wird das vereinfachte Verfahren für anwendbar erklärt, ohne dass die strengen Voraussetzungen des § 94 Abs. 6 S. 3 SGB IX vorliegen müssen.

Ein derartiges Verständnis widerspricht auch nicht dem Zweck des Kriteriums der räumlichen Nähe. Das Erfordernis soll gewährleisten, dass die Wahlberechtigten die ansonsten im förmlichen Verfahren vermittelten Kenntnisse über die Wahlbewerber erlangen können und die Verständigung der Wahlberechtigten über Art und Inhalt der Wahl trotz der gegenüber dem förmlichen Wahlverfahren erheblich kürzeren Vorbereitungszeit möglich ist (vgl. BAG v. 7.4.2004 - 7 ABR 42/03, AP Nr. 3 zu § 94 SGB IX). Dieser Zweck wird aber auch bei Nichtanwendung des Kriteriums der räumlichen Nähe gewahrt. Denn anders als bei der örtlichen Schwerbehindertenvertretung handelt es sich bei den Wahlberechtigten zur Wahl zur Hauptschwerbehindertenvertretung durchweg um Vertrauenspersonen. Selbige sind mit dem Wahlverfahren ungleich mehr vertraut als die "einfachen" Beschäftigten in den Dienststellen. Es fehlt damit schon an einer vergleichbaren Schutzbedürftigkeit, die ein Festhalten an dem Kriterium rechtfertigen würde. Darüber hinaus führt das räumliche Auseinanderfallen der Dienstellen nicht zu einer Beeinträchtigung der Wahlchancen der Bezirksvertrauenspersonen auf einer Wahlversammlung. Denn sämtliche Wahlberechtigte sehen sich den gleichen möglichen Kommunikationshindernissen gegenüber.

Vor diesem Hintergrund müssen die Besonderheiten der Wahl zur Hauptschwerbehindertenvertretung in der Weise berücksichtigt werden, dass es auf die Erfüllung des zweiten Kriteriums des § 94 Abs. 6 S. 3 SGB IX nicht ankommt.

Die Durchführung der Wahl im vereinfachten Verfahren stellt sich damit als zulässig dar. Ob vor der Wahl einige Teilnehmer die Durchführung des förmlichen Verfahrens beantragt hatten, kann letztlich dahinstehen. Denn der Amtsinhaber ist an eine Anregung oder einen Antrag eines Wahlberechtigten, ein förmliches Verfahren durchzuführen, nicht gebunden (Cramer, SchwbG 5. Aufl., § 22 SchwbWO Rn. 3; Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, § 94 SGB IX Rn. 38). Die gegenteilige Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG v. 29.4.1983 - 6 P 14.81, ZBR 1983, 279) zum früheren Recht basierte maßgeblich darauf, dass bei der Wahl der Schwerbehindertenvertretung nach § 17 a.F. ein Antragsrecht der Wahlberechtigten gegeben war. Daraus folgerte es, dass auch im Rahmen des § 20, nunmehr § 22 SchwbVWO, ein derartiges Antragsrecht bestünde. Infolge der Streichung des Antragsrechts am 1.8.1986 kann diese Entscheidung für das geltende Recht keine Fortgeltung beanspruchen.

War die Wahl damit im vereinfachten Verfahren durchzuführen, können sich die Antragsteller auch nicht auf die fehlende allgemeine öffentliche Bekanntmachung berufen. Anders als beim förmlichen Wahlverfahren finden die besonderen Form- und Verfahrensvorschriften der §§ 2 bis 6 SchwbVWO im Rahmen des vereinfachten Verfahrens keine Anwendung. Die §§ 18 ff. SchwerbVWO gehen insoweit als speziellere Regelungen vor. Dies zeigt nicht zuletzt auch die gesetzliche Systematik, nach der für das Wahlverfahren im Rahmen einer Versammlung in § 22 Abs. 3 S. 2 SchwbWO zwar auf § 20 SchwbWO verwiesen wird, nicht aber auf dessen eigenen Absatz 1 oder gar unmittelbar auf die §§ 2 bis 6 SchwbWO. Im Wege eines Umkehrschlusses muss daher gefolgert werden, dass die Vorschriften gerade nicht zur Anwendung kommen sollen. Dies entspricht auch dem Sinn und Zweck des vereinfachten Verfahrens, dessen Daseinsberechtigung aus den gegenüber dem förmlichen Verfahren erleichterten Verfahrensvoraussetzungen folgt. Mit Einführung des vereinfachten Verfahrens sollte in kleinen, überschaubaren Betrieben eine gegenüber dem förmlichen Verfahren zügigere, beschleunigte und unkompliziertere Durchführung der Wahl ermöglicht werden. Diesem Zweck würde aber die Anwendung der Form- und Verfahrensvorschriften der §§ 2 bis 6 SchwbWO zuwiderlaufen.

Entscheidend für die Vorbereitung der Wahl ist demnach allein § 19 SchwbWO. Die Norm sieht vor, dass die Schwerbehindertenvertretung die Wahlberechtigten spätestens drei Wochen vor Ablauf ihrer Amtszeit durch Aushang oder sonst in geeigneter Weise zur Wahlversammlung einlädt. Dies ist vorliegend geschehen. Mit Schreiben vom 7.1.2011 wurden alle 16 Bezirksvertrauenspersonen sowie die örtliche Vertrauensperson des C. zur Jahresversammlung und der Rahmen dieser stattfindenden Wahl zur Hauptschwerbehindertenvertretung am 23.2.2011 durch den Beteiligten zu 1) eingeladen. Damit richtete sich die Einladung an sämtliche Wahlberechtigte. Einer darüber hinausgehenden Mitteilung an die ca. 200.000 sonstigen wählbaren Beschäftigten bedurfte es nicht, da sie im Gesetz nicht vorgesehen ist.

Dass die Einladung nicht durch Aushang am "schwarzen Brett" erfolgte ist ebenfalls unschädlich. Soweit dies vereinzelt gefordert wird (LAG Brandenburg v. 17.10.2003 - 8 TaBV 7/03, n.v. juris; Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, § 94 Rn. 65), verkennen die Vertreter den eindeutigen Wortlaut des § 19 SchwbWO, der auch von sonstigen geeigneten Kommunikationsmitteln spricht. Darunter fallen auch Rundschreiben (Cramer, SchwbG, § 19 SchwbWO Rn. 1, Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, § 19 SchwbVWO Rn. 2), da andernfalls die besondere Erwähnung neben dem "Aushang" überflüssig wäre. Zum anderen durfte eine persönliche Einladung sogar noch mehr dem Gesetzeszweck entsprechen, da der Wahlberechtigte konkret angesprochen wird und nicht beiläufig Kenntnis von der Wahlveranstaltung erhält.

Nach alledem geht auch der Verweis der Antragsteller auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Köln v. 11.04.2008 (11 TaBV 80/07) fehl. Denn dort ging es - anders als im vorliegenden Fall - um die Frage, ob infolge des Verweises des § 22 Abs. 1 Satz 1 SchwbWO auf eine (lediglich) sinngemäße Anwendung des § 5 Abs. 2 SchwbWO im Verfahren zur Wahl einer Konzern-, Gesamt-, Bezirks- oder Hauptschwerbehindertenvertretung geringere Anforderungen die Wahlbekanntmachung zu stellen sind als bei der Wahl einer Schwerbehindertenvertretung, was das Gericht verneint hat. Die Frage der Wahlbekanntmachung im vereinfachten Verfahren gem. § 18 SchwbWO betraf diese Entscheidung indes nicht. Im vorliegenden Fall geht es jedoch gerade um die Frage, ob im vereinfachten Verfahren (gleich ob zur Schwerbehindertenvertretung oder zur Hauptschwerbehindertenvertretung) die Anforderungen an die Bekanntmachung andere sind als im förmlichen Verfahren, was im Hinblick auf die Regelung des § 19 Abs. 1 SchwbWO zu bejahen ist. Überdies geht auch das Landesarbeitsgericht Köln davon aus, dass bei Wahl einer Konzernschwerbehindertenvertretung (die der im vorliegenden Fall erfolgten Wahl der Hauptvertrauensperson in etwa entspricht) "deren Besonderheiten zu berücksichtigen sind, die etwa darin bestehen, dass sich der Kreis der Wahlberechtigten anders zusammensetzt als bei einer Wahr zur Schwerbehindertenvertretung". Genau diese Besonderheiten sind - wie bereits ausgeführt - im vorliegenden Fall berücksichtigt worden.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller führt auch die Anwesenheit der Herren D. und X. nicht zur Anfechtbarkeit der Wahl. Ob deren Teilnahme an der Versammlung (und, was unstreitig ist, nicht am Wahlakt selbst) auf ausdrücklichen Wunsch des Beteiligten zu 1) erfolgte, oder wie von den Antragstellern vorgetragen, auf dessen Einladung hin geschehen ist, kann letztlich dahinstehen. Ein manipulatives Verhalten vermag die Kammer hierin nicht zu sehen. Die Teilnahme trägt vielmehr der besonderen gesetzlichen Ausgestaltung des Wahlverfahrens Rechnung. Zur Hauptvertrauensperson und zu stellvertretenden Mitgliedern können auch Beschäftigte gewählt werden, die bislang keiner Schwerbehindertenvertretung angehören. Eine Beschränkung der Wählbarkeit ist dem Gesetz nicht zu entnehmen. Allerdings müssen solche Beschäftigte zur Wahl vorgeschlagen werden. Das Vorschlagsrecht steht gemäß § 22 Abs. 3 S. 2 SchwbWO i.V.m. § 20 Abs. 2 S. 3 SchwbWO nur den wahlberechtigten Personen zu. Daraus folgt zugleich das Recht des jeweils Wahlberechtigten, die eigenen Vorschlagskandidaten zu bitten, an der Wahlversammlung teilzunehmen. Dies gilt umso mehr, als die sich zur Wahl stellenden nicht wahlberechtigten Beschäftigten im Rahmen des vereinfachten Verfahrens nur auf diese Weise Kenntnis von der Wahl erhalten. Es bedarf also stets der Initiative eines Wahlberechtigten, damit die nur passiv wahllegitimierten Personen in die Lage versetzt werden sich auf der Wahlversammlung als mögliche Kandidaten vorzustellen, was ihre Anwesenheit dort wiederum zwingend voraussetzt.

Ausgehend hiervon ist das Verhalten des Beteiligten zu 1) nicht zu beanstanden. Die Herren D. und X. erschienen ihm im Vorfeld als geeignete wählbare Personen für eine potenzielle Kandidatur. Um ihnen die Möglichkeit zu eröffnen sich auf der Wahlversammlung vorzustellen und von ihm vorgeschlagen zu werden, musste er diese bitten, an der Versammlung teilzunehmen. Damit machte der Beteiligten zu 1) nur von dem ihm nach dem Gesetz eingeräumten Recht Gebrauch. Dieses Recht stand allen wahlberechtigten Personen gleichermaßen zu. Den Antragstellern war es damit nicht verwehrt ebenso zu verfahren. Soweit letztere auf die Entscheidung des LAG Brandenburg v. 17.10.2003 - 8 TaBV 7/03, n.v. juris verweisen, kann diese für den vorliegenden Fall mangels Vergleichbarkeit nicht herangezogen werden. In dem vom LAG Brandenburg entschiedenen Fall ging es in einem Betrieb mit mehr als 1000 Mitarbeitern um die Einladung einzelner, persönlich ausgesuchter wahlberechtigter Personen. Damit ist aber die vorliegende Konstellation, in der nur potenzielle wählbare Bewerber durch den bisherigen Amtsinhaber gebeten wurden sich für eine Vorstellung in der Wahlversammlung bereitzuhalten, nicht zu vergleichen.

Auch die Wahl des Herrn L. zum Wahlleiter vermag keinen Fehler zu begründen. Der Wortlaut von § 20 Abs. 1 S. 1 SchwbVWO enthält keine nähere Eingrenzung über die Person, die zum Wahlleiter gewählt werden kann. Es fehlt insbesondere an einem hinreichenden Anhaltspunkt, dass hierzu lediglich ein Wahlberechtiger befugt sein soll. Ausgehend vom Sinn und Zweck der Funktion eines Wahlleiters dürfte sogar eher vom Gegenteil auszugehen sein. Der Wahlleiter soll die ordnungsgemäße Durchführung der Wahl sicherstellen. Insofern dürfte eine Person, die nicht aus dem Kreis der Wahlberechtigten stammt, im Hinblick hierauf eher geeignet erscheinen die notwendige Neutralität zu wahren, (vgl. OVG Münster v. 27.9.2000 - 1 A 1541/99.PVB, RiA 2002, 46; Cramer, SchwbG, 5. Aufl., § 20 SchwbWO Rn. 1; Wiegand, SGB IX, § 20 SchwbVWO Rn. 9; a.A. LAG Brandenburg v. 17.10.2003 - 8 TaBV 7/03 n.v. juris, Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, § 20 SchwbVWO Rn. 1) zumal Herr L. in der Vergangenheit bereits eine Vielzahl von Wahlen geleitet hat.

Ferner lässt sich auch kein zur Anfechtung der Wahl führender Fehler bei der Auszählung der Wahlzettel feststellen. Unabhängig davon, ob der Einwand der Antragsteller, die Auszählung habe nur durch einen Wahlhelfer stattgefunden der nicht im Sinne eines "Vier-Augen-Prinzips" kontrolliert worden sei, zutrifft, geht ihr Einwand ins Leere. Weder das SGB IX noch die SchwbVWO schreiben das "Vier-Augen-Prinzip" vor. In § 20 Abs. 1 S. 2 ist lediglich festgeschrieben, dass die Wahlversammlung zur Unterstützung der Wahlleitung Wahlhelfer bestimmen kann. Es steht damit im Ermessen der Wahlversammlung, ob sie Wahlhelfer zur Unterstützung des Wahlleiters benennt. Steht aber schon die Frage des "ob" im Ermessen der Wahlversammlung so ist erst recht die Frage der Anzahl der Wahlhelfer der Entscheidung der Wahlversammlung vorbehalten. Daran vermag auch die Besorgnis der Antragsteller, einer einzelnen Person hätten aufgrund der grafischen Gestaltung der Wahlzettel beim Ablesen Fehler unterlaufen können, nichts zu ändern. Zum einen fehlt es schon an einem hinreichenden substantiierten Vortrag, da die Wahlzettel dem von den Integrationsämtern für die Wahlen der Schwerbehindertenvertretungen herausgegebenen Muster entsprachen, zum anderen war es den Antragstellern unbenommen, selbst die Hinzuziehung weiterer Wahlhelfer auf der Wahlversammlung zu beantragen.

Entgegen der Auffassung der Antragsteller ist auch die fehlende Beteiligung der Bezirksvertrauensperson Sanitätsamt nicht für den Ausgang der Wahl bedeutsam. Zwar weisen die Antragsteller zutreffend darauf hin, dass nach dem Rücktritt der dortigen Vertrauensperson sowie ihrer Stellvertreter eine neue Vertrauensperson zeitnah hätte gewählt werden müssen, vgl. § 94 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 SchwbVWO i.V.m. § 94 Abs. 7 S. 3 SGB IX. Dass eine solche Wahl bislang nicht erfolgt ist, ist jedoch nicht dem Beteiligten zu 1) anzulasten. Es oblag grundsätzlich der bisherigen Bezirksvertrauensperson im Sanitätsamt eine neue Wahl einzuleiten. Dies folgt schon mittelbar aus den §§ 1 und 17 SchwbVWO. Wie es sich auswirkt, dass der Beteiligte zu 1) und nicht der ehemalige Amtsinhaber die Wahl vorbereitet hat, mit der Folge, dass aufgrund der zeitlichen Nähe zur Wahl der Hauptschwerbehindertenvertretung eine Neuwahl nicht stattfinden konnte, braucht hier nicht entschieden zu werden. Selbst wenn eine Wahl zur Hauptschwerbehindertenvertretung ohne Beteiligung der Bezirksvertrauensperson Sanitätsamt bzw. zumindest ohne deren Einladung nicht hätte erfolgen dürfen, hat dies nicht die Wahl beeinflusst. Nach § 25 BPersVG berechtigen Verstöße gegen wesentliche Wahlvorschriften dann nicht zur Anfechtung der Wahl, wenn durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Dafür ist entscheidend, ob bei einer hypothetischen Betrachtungsweise eine Wahl ohne den Verstoß unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zwingend zu demselben Wahlergebnis geführt hätte (vgl. BAG v. 24.5.2006 - 7 ABR 40/05, AP Nr. 1 zu § 97 SGB IX). So verhält es sich hier. Mit Beteiligung der Bezirksvertrauensperson wäre das Wahlergebnis 9:8 oder 10:7 ausgefallen. Die gewählte Person wäre in keiner dieser denkbaren Konstellationen eine andere.

Schließlich kann auch dahinstehen, ob die als Bezirksvertrauenspersonen wahlberechtigten Herren I. und Schulz während der Wahl krankheitsbedingt dienstunfähig waren. Entscheidend ist vielmehr, dass sie uneingeschränkt in der Lage waren, an den Wahlgängen teilzunehmen. Ob sie an der Ausübung ihres Amtes gehindert waren, ist losgelöst von der Frage der Dienstfähigkeit zu beurteilen. Insoweit sind die für ein Betriebsratsmitglied geltenden Grundsätze heranzuziehen. Ein Betriebsratsmitglied ist zeitweilig verhindert, wenn es aus tatsächlichen oder rechtlichen Gründen seine amtlichen Funktionen nicht ausüben kann (GK-Wiese, BetrVG, § 25 Rn. 16; Richardi-Thüsing, BetrVG, § 25 Rn. 6; Däubler/Kittner/Klebe-Buschmann, BetrVG, § 25 Rn. 15). Es muss daher gesichert sein, dass das Betriebsratsmitglied seine amtlichen Funktionen nicht wahrnehmen kann. Bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit eines Betriebsratsmitglieds kann nicht zwangsläufig auch auf dessen Amtsunfähigkeit geschlossen werden. Allerdings besteht bei Krankmeldung und gleichzeitigem Fernbleiben vom Dienst in der Regel eine Vermutung hierfür (vgl. BAG v. 15.11.1984 - 2 AZR 341/83, AP Nr. 2 zu § 25 BetrVG 1972 ; ErftK-Koch, BetrVG § 25 Rn. 4; GK-Oetker, BetrVG, § 25 Rn. 19; Däubler/Kittner/Klebe-Buschmann, BetrVG, § 25 Rn. 17).

Durch ihre tatsächliche Anwesenheit haben die Herren I. und Schulz diese Vermutung jedoch widerlegt. Denn wenn ein Betriebsratsmitglied für sich das Recht in Anspruch nimmt, an einer Sitzung teilzunehmen, dann ist zunächst davon auszugehen, dass das Mitglied aufgrund seiner tatsächlichen Anwesenheit wieder in der Lage ist, der Sitzung beizuwohnen. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Betriebsratsvorsitzende oder wie hier der Beteiligte zu 1) keine offenkundigen Anhaltspunkte dafür hat, der Erschienene sei beispielsweise aufgrund seiner Erkrankung geistig nicht in der Lage, der Sitzung zu folgen. Solche Anhaltspunkte wurden seitens der Antragsteller jedoch nicht vorgetragen. Zweifel an der damaligen Amtsfähigkeit bestehen damit nicht.

Aus den vorgenannten Gründen ergibt sich erst Recht, dass eine Nichtigkeit der Wahl nicht anzunehmen ist.

Auch der Antrag zu 2) ist unbegründet. Dies folgt schon aus der Erfolglosigkeit des Antrags zu 1). Denn die Antragsteller stützen die Anfechtung der Stellvertreterwahl auf dieselben Gründe wie für die Wahl der Hauptvertrauensperson. Gesonderte Anfechtungs- oder Nichtigkeitsgründe werden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. Daher bleibt auch der Antrag zu 2) ohne Erfolg.

Referenznummer:

R/R8093


Informationsstand: 03.05.2019