Urteil
Zulässige Verfahrensart - Schwerbehindertenvertretung

Gericht:

ArbG Bamberg


Aktenzeichen:

4 BV 9/14


Urteil vom:

13.08.2015


Grundlage:

  • ArbGG § 2a Abs. 1 Nr. 3a |
  • ArbGG § 10 S. 1 |
  • SGB IX § 96

Tenor:

Das Beschlussverfahren ist die zulässige Verfahrensart.

Gründe:

I.
Die Beteiligten streiten um die Entfernung einer gegenüber der Vertrauensperson der Schwerbehinderten, Frau E. (Beteiligte zu 3; im Folgenden: Vertrauensperson), durch die Beteiligte zu 2 (im Folgenden: Arbeitgeberin) ausgesprochenen Abmahnung vom 25.07.2014 aus sämtlichen betrieblichen Unterlagen.

Die Antragstellerin und Beteiligte zu 1 ist die Schwerbehindertenvertretung (im Folgenden: Schwerbehindertenvertretung) bei der Arbeitgeberin in deren Betrieb in A-Stadt. Die Vertrauensperson ist Arbeitnehmerin der Arbeitgeberin und gleichzeitig Mitglied des in A-Stadt bestehenden Betriebsrates.

Mit Schreiben vom 25.07.2014 erhielt die Vertrauensperson eine "Abmahnung", in der es auszugsweise heißt:
"am Donnerstag, den 03.07.2014, wurden Sie von Herrn D. zu einem Fehlzeitengespräch ... betreffend die Mitarbeiterin ... eingeladen.
... Sie sagten den Termin mit der Begründung ab, dass sie nicht richtig informiert worden wären.
Kurz bevor das Fehlzeitengespräch am 09.07.2014 stattfinden sollte, meldeten Sie sich telefonisch bei Herrn D. und drohten ihm, die Polizei zu rufen, da er sie in Ihrem Amt als Schwerbehindertenvertretung behindern würde.
...
Gegen 14:03 Uhr betraten Sie mit der Mitarbeiterin ... das Besprechungszimmer und gingen Herrn D. lautstark schreiend in aggressivem Ton an. Sie schrien, dass Sie das Fehlzeitengespräch abgesagt hätten und das Gespräch nicht hätte stattfinden dürfen.
Sie haben dadurch folgende Pflichtverletzungen begangen:
- Sie haben Herrn D. falsch beschuldigt, Ihr Amt als Schwerbehindertenvertretung zu behindern.
- Sie haben durch Ihr Schreien mutwillig den Betriebsfrieden gestört.
- Sie haben Herrn D. widerrechtlich mit dem Einsatz der Polizei zur Klärung arbeitsrechtlicher Angelegenheiten gedroht.
Zudem verstoßen Sie mit diesem Verhalten gegen den B.-Verhaltenskodex. ... Wir teilen Ihnen auf diesem Weg mit, dass wir mit einem solchen Verhalten keineswegs einverstanden sind. Ihr vorbeschriebenes Verhalten stellt einen Verstoß gegen Ihre arbeitsvertraglichen Pflichten dar. Deshalb sprechen wir Ihnen eine Abmahnung aus und ... Darüber hinaus weisen wir Sie ausdrücklich darauf hin, dass wir im Wiederholungsfall oder bei vergleichbaren Pflichtverletzungen weitere arbeitsrechtliche Maßnahmen bis hin zur Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses einleiten werden. ..."

Wegen des genauen Inhalts des Abmahnungsschreibens wird Bezug genommen auf die Anlage 1 zur Antragsschrift vom 06.10.2014 = Bl. 20 f. d.A.

Mit ihrer Antragsschrift vom 06.10.2014 hat die Schwerbehindertenvertretung das vorliegende Verfahren als Beschlussverfahren mit folgenden Anträgen eingeleitet:

1. Der Beteiligten zu 2) wird aufgegeben, die gegenüber der Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung Frau E. unter dem Datum 25.07.2014 ausgehändigte Abmahnung zurückzunehmen und aus sämtlichen betrieblichen Unterlagen zu entfernen.

2. Es wird festgestellt, dass die der Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung, Frau E. unter dem Datum 25.07.2014 ausgehändigte Abmahnung ohne Berechtigung erfolgt ist.

Zur Begründung ihrer Anträge hat sich die Schwerbehindertenvertretung darauf berufen, dass die ausgesprochene Abmahnung eine Behinderung der Schwerbehindertenvertretungstätigkeit darstelle, da hierdurch eine Schlechterstellung der Vertrauensperson gegenüber sonstigen Arbeitnehmern herbeigeführt worden sei und die Vertrauensperson hierdurch in ihrem Schutz im Hinblick auf das Behinderungs- und Benachteiligungsverbot gemäß § 96 Abs. 2 SGB IX i.V.m. § 78 Satz 2 BetrVG verletzt sei (vgl. Antragsschrift vom 06.10.2014 Seite 3 unten).

Die Arbeitgeberin hat mit Schriftsatz vom 05.02.2015 zur Antragsschrift Stellung genommen und gerügt, dass das Beschlussverfahren nicht die zulässige Verfahrensart sei. Es läge vielmehr eine individualrechtliche Streitigkeit vor, die im Urteilsverfahren geltend zu machen sei.

Im Anhörungstermin vor der Kammer am 11.06.2015 hat das Gericht bezüglich der Begründetheit der Rüge auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 04.12.2013 - 7 ABR 7/12 hingewiesen. Die Arbeitgeberin hat an der Rüge festgehalten.

Rechtsweg:

LAG Nürnberg, Urteil vom 10.11.2015 - 2 Ta 132/15

Quelle:

BAYERN.RECHT

II.
Auf die Rüge der zutreffenden Verfahrensart durch die Arbeitgeberin war über diese Frage vorab zu entscheiden, §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17a Abs. 3 Satz 2 GVG.

Das Beschlussverfahren ist die zulässige Verfahrensart. Bei den beiden erhobenen Ansprüchen der Schwerbehindertenvertretung handelt es sich um "Angelegenheiten aus den §§ 94, 95, 139 des Neunten Buches Sozialgesetzbuch" i.S.d. § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG, bei denen nach §§ 2a Abs. 2, 80 Abs. 1 ArbGG das Beschlussverfahren stattfindet. Die Schwerbehindertenvertretung beruft sich auf ihre Rechte als Interessenvertreter der Gruppe der schwerbehinderten Menschen. Es geht ihr um die Rechtsbeziehung zwischen ihr, der Vertrauensperson und der Arbeitgeberin, denn zur Begründung der erhobenen Ansprüche führt die Antragstellerin aus, dass die ausgesprochene Abmahnung eine Behinderung der Schwerbehindertenvertretungstätigkeit darstelle, da hierdurch die Vertrauensperson nach § 96 Abs. 2 SGB IX i.V.m. § 78 Satz 2 BetrVG benachteiligt werde. Eine kollektivrechtliche Streitigkeit nach § 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG scheidet nicht schon deshalb aus, weil es in diesem Zusammenhang um eine der Vertrauensperson als Arbeitnehmerin erteilte Abmahnung geht. Entscheidend ist, ob sich das Verfahren auf das Verhältnis zwischen der Schwerbehindertenvertretung und der Arbeitgeberin aus § 95 SGB XI bezieht (vgl. zum Fall eines Betriebsrates BAG vom 04.12.2013 - 7 ABR 7/12, juris). Das ist aufgrund der dargestellten Antragsbegründung zu bejahen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Vertrauensperson nach § 96 SGB IX die gleiche Rechtsstellung wie ein Betriebsrats- oder Personalratsmitglied besitzt. Dies legt es nahe, auch für Streitigkeiten bezüglich der Rechte und Rechtsstellung der Vertrauensperson der Schwerbehinderten das Beschlussverfahren als die richtige Verfahrensart anzusehen (vgl. hierzu Matthes/Schlewing in: GMP, 8. Aufl. 2013, § 2a Rn. 26). Ein Urteilsverfahren könnte die Schwerbehindertenvertretung mangels Parteifähigkeit gar nicht betreiben; sie ist nur im Beschlussverfahren nach § 10 Satz 1 2. HS ArbGG beteiligtenfähig (vgl. hierzu BAG vom 21.09.1989 - 1 AZR 465/88, juris).

Die Beantwortung der Frage der zulässigen Verfahrensart im soeben dargestellten Sinn hat keine Auswirkung auf die Frage, ob die Schwerbehindertenvertretung materiell die Entfernung der Abmahnung, gestützt auf eine Behinderung ihrer Tätigkeit bzw. eine Benachteiligung der Vertrauensperson bzw. eine andere Rechtsgrundlage, beanspruchen kann, sowie auf die Frage, ob es sich um eine Abmahnung wegen Verletzung individualrechtlicher Pflichten oder wegen der Verletzung von Pflichten als Schwerbehindertenvertretung bzw. Vertrauensperson handelt. Dies kann hier dahinstehen.

Die Entscheidung konnte durch die Kammer ohne mündliche Verhandlung ergehen, §§ 48 Abs. 1 ArbGG, 17a Abs. 4 Satz 1 GVG.

Referenznummer:

R/R7397


Informationsstand: 11.10.2017