Urteil
Abmahnung - Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung

Gericht:

LAG Nürnberg


Aktenzeichen:

4 Sa 200/15


Urteil vom:

04.11.2015


Grundlage:

  • BGB § 823 |
  • BGB § 1004

Orientierungshilfe:

Entfernung einer Abmahnung; Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit; die fehlende Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung führt nicht zur Unwirksamkeit einer Abmahnung.

Rechtsweg:

ArbG Nürnberg, Urteil vom 10.12.2014 - 8 Ca 1590/14

Quelle:

Arbeitsgerichtsbarkeit Bayern

Tenor:


1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 10.12.2014, Az.: 8 Ca 1590/14 wird auf Kosten der Berufungsführerin zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:


Die Parteien streiten über die Entfernung der Abmahnung vom 24.02.2014 aus der Personalakte der Klägerin.

Die am 25.04.1965 geborene schwerbehinderte Klägerin ist seit dem Jahr 2006 bei dem Beklagten als Verwaltungsangestellte im International Office der Technischen Fakultät an der F...-Universität (künftig: F...) beschäftigt.
Die Technische Fakultät wird von dem Dekanat der Fakultät geleitet, der u.a. die Dekanin, der 1. Prodekan und drei Studiendekane angehören. Des Weiteren existiert eine Fakultätsverwaltung, der seit Mai 2013 die Geschäftsführerin Dr. M... vorsteht; diese wird vertreten durch die Referentin B....

Die Geschäftsführung ist zuständig für die administrativen und personalrechtlichen Fragen innerhalb der Fakultät, während für die fachlichen Fragen bzw. die inhaltliche Leitung die Zuständigkeit bei Dekanin, Prodekan und den drei Studiendekanen liegt.
Von der neuen Leitungsstruktur im Dekanat sind die Mitarbeiter in der Informationsveranstaltung vom 07.05.2013 in Kenntnis gesetzt worden (vgl. Protokoll Bl. 53 - 55 d.A). An dieser Informationsveranstaltung hatte die Klägerin nicht teilgenommen.
Die Verwaltungsstruktur des Dekanats ist in einem Organigramm (Kopie Bl. 49 d.A.) festgehalten und wurde auch in einem Infoschreiben (Kopie Bl. 50, 51 d.A.) dargestellt; sie war zudem Gegenstand einer Mitarbeiterinfo zum Thema "Organisatorisches und Geschäftsgang" (Kopie Bl. 52 d.A.).

Im November 2013 wandte sich die Klägerin wegen der Anbringung eines besseren Blendschutzes in ihrem Büro per Email an die Referentin B.... Mit Email vom 14.11.2013 (Kopie Bl. 12, 13 d.A.) richtete sie ihren Wunsch an die Fakultätsgeschäftsführerin Dr. M....
Mit weiterem Email vom 27.11.2013 begehrte die Klägerin die Ausstattung ihres Büroraums mit einem Lamellenvorhang als Blendschutz, einem orthopädisch sinnvollen Stuhl und Stehpult sowie einer Freisprechanlage. Bis 18.12.2013 kam es zwischen ihnen zum Austausch mehrerer Emails, diesbezüglich wird auf die bei den Akten befindlichen Kopien verwiesen (Bl. 58, 59 d.A.).

Bereits am 27.11.2013 führte die Betriebsärztin Dr. Z... bei der Klägerin eine Arbeitsplatzbegehung durch und erstellte hinsichtlich der begehrten Büroausstattung unter dem Datum 19.12.2013 eine ärztliche Stellungnahme (Kopie Bl. 20 d.A.) zur Vorlage beim Arbeitgeber.

Mit Email vom 10.01.2014 (Kopie Bl. 60 d.A.) wandte sich die Klägerin an den 1. Prodekan Prof. Dr. G... und bemängelte ihm gegenüber unter Vorlage des betriebsärztlichen Attestes die monatelange Untätigkeit der Geschäftsführerin Dr. M... in dieser Angelegenheit.

Mit Schreiben vom 24.02.2014 (Kopie Bl. 8, 9 d.A.) sprach die F... der Klägerin gegenüber wegen Missachtung des Dienstweges, der Verletzung des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit und wegen der Vorenthaltung von Informationen und der Diskreditierung von Vorgesetzten eine Abmahnung aus.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 07.03.2014 beim Arbeitsgericht Nürnberg eingereichten Klage vom 03.03.2014 und beantragt die Entfernung dieser Abmahnung.

Wegen der Anträge der Parteien und ihres näheren Vorbringens im erstinstanzlichen Verfahren wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht Nürnberg hat mit Endurteil vom 10.12.2014 die Klage abgewiesen. Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen darauf gestützt, mit Einschaltung des für ihre Büroausstattung nicht zuständigen 1. Prodekans habe die Klägerin den vorgeschriebenen Dienstweg missachtet. Dies habe die Arbeitgeberin rügen und darauf eine Abmahnung stützen dürfen.

Gegen das der Klägerin am 02.05.2015 zugestellte Urteil haben ihre Prozessbevollmächtigten mit dem noch am selben Tag beim Landesarbeitsgericht Nürnberg eingegangenen Schriftsatz vom 20.05.2015 Berufung eingelegt und sie innerhalb der bis 22.07.2015 verlängerten Begründungsfrist mit Telefax vom 20.07.2015 begründet.

Die Klägerin meint, die fehlende Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung führe zur Unwirksamkeit der angegriffenen Abmahnung. Das Ersturteil setze sich mit dem Inhalt der Abmahnung, was die gerügte Verletzung des Grundsatzes der vertrauensvollen Zusammenarbeit, die Vorenthaltung von Informationen und die Diskreditierung von Vorgesetzten betreffe, nicht auseinander.
Die Geschäftsführerin Dr. M... habe nach Mitteilung der gesundheitlichen Gründe für die begehrte Büroausstattung in ihrer Email vom 18.12.2013 mit nichtssagenden Worten reagiert und sich mit der Angelegenheit nicht ernsthaft beschäftigt. Dies stelle eine Verletzung der Fürsorgepflicht dar. Sie habe deshalb vom betriebsärztlichen Dienst ein Attest anfordern müssen. Dass sie sich wegen ihres Anliegens zusätzlich an den 1. Prodekan gewandt habe, stelle keine Dienstwegverletzung dar und auch keinen Verstoß gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit. Sie habe Vorgesetzten auch keine Informationen vorenthalten, da sie davon ausgegangen sei, das betriebsärztliche Attest gehe der Arbeitgeberin unmittelbar zu. Sie selbst habe es erst am 09.01.2014 erhalten und hätte es Frau Dr. M... nicht vorher zuleiten können. Die Einschaltung von Prof. Dr. G... stelle auch keine Diskreditierung von Frau Dr. M... dar.


Die Klägerin und Berufungsführerin beantragt,

1. Unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 10.12.2015, Aktenzeichen 8 Ca 1590/14 wird die Beklagte verurteilt, die Abmahnung vom 24.02.2014 zurückzunehmen und aus der Personalakte zu entfernen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.


Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Arbeitsgerichts Nürnberg vom 10.12.2015, Aktenzeichen 8 Ca 1590/14, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Berufung zu tragen.


Zur Begründung trägt er vor, die fehlende Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung habe nicht die Unwirksamkeit der angegriffenen Abmahnung zur Folge.
Die Missachtung des einzuhaltenden Dienstweges durch Einschaltung des Prodekans mit Email vom 10.01.2014 impliziere den gerügten Verstoß gegen den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit und die Vorenthaltung von Informationen gegenüber zuständigen Vorgesetzten. Die Klägerin habe gegenüber der Geschäftsführerin Dr. M... nicht erwähnt, dass sie in dieser Angelegenheit mit der Betriebsärztin am 27.11.2013 ihren Arbeitsplatz begangen habe. Nach Zugang des betriebsärztlichen Attestes im Januar habe sie dieses der Geschäftsführerin nicht in Beantwortung deren letzter Anfrage vom 18.12.2013 zugeleitet, sondern dem dafür nicht zuständigen Prodekan. Diese bewusste Umgehung der Geschäftsführerin diskreditiere diese und nähre die Vermutung, die Klägerin wolle Prodekan und Geschäftsführerin gegeneinander ausspielen. Ihre Beschwerde beim Prodekan habe zu unliebsamen Irritationen bei den betroffenen Stellen geführt.

Hinsichtlich weiterer Einzelheiten wird auf die im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Von einer weitergehenden Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft, § 64 Abs. 1, Abs. 2b) ArbGG, und auch in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO.


II.

Die Berufung ist sachlich nicht begründet.
Das Erstgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der gerügte Pflichtverstoß der Klägerin durfte zum Anlass genommen werden, dieser gegenüber die Kündigungsrelevanz weiterer gleichartiger Verhaltensweisen aufzuzeigen. Insoweit erweist sich die Abmahnung vom 24.02.2014 nicht als unverhältnismäßig. Die fehlende Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung führt nicht zur Unwirksamkeit der angegriffenen Abmahnung.

Es kann insofern auf die zutreffenden Ausführungen im Ersturteil verwiesen und von einer rein wiederholenden Darstellung abgesehen werden.

Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind nur folgende ergänzende Ausführungen veranlasst:

1. Bei der Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber als Gläubiger der Arbeitsleistung zunächst selbst zu entscheiden, ob er ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers missbilligen wird und ob er deswegen eine mündliche oder schriftliche Abmahnung erteilen will.
Verbindet er das ihm zustehende Rügerecht bei Ausspruch einer Abmahnung mit dem Hinweis auf die im Wiederholungsfall drohende Kündigungskonsequenz unterliegt er diesbezüglich aber gewissen Einschränkungen.
Auch bei Abmahnungen im Arbeitsverhältnis ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen. Danach ist die Ausübung eines einseitigen Bestimmungsrechts unzulässig, wenn sie der Gegenseite unverhältnismäßig große Nachteile zufügt und andere weniger schwerwiegende Maßnahmen möglich gewesen wären, die den Interessen des Berechtigten ebenso gut Rechnung getragen hätten oder ihm zumindest zumutbar gewesen wären. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wird als Übermaßverbot zur Vermeidung schwerwiegender Rechtsfolgen bei nur geringfügigen Rechtsverstößen verstanden (so BAG v. 31.08.1994 - 7 AZR 893/93 - NZA 1995, 225, 227; v. 13.11.1992 - 5 AZR 74/91 - NZA 1992, 690; KR-Fischermeier, 10. Aufl., § 626 BGB Rz. 279, m.w.N.).

2. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die mit Schreiben vom 24.02.2014 ausgesprochene Abmahnung nicht als unverhältnismäßig, denn die Arbeitgeberin hatte ausreichenden Anlass das beanstandete Verhalten der Klägerin als ausreichend gewichtig zu werten, um im Wiederholungsfall die Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Erwägung zu ziehen.

Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin bereits vor ihrer Email an die Geschäftsführerin Dr. M..., in der sie gesundheitliche Gründe für die begehrte Büroausstattung angegeben hat, mit der Betriebsärztin am Vortag eine Begehung ihres Arbeitsplatzes vorgenommen hatte. Es wäre daher angezeigt gewesen, dies der Geschäftsführerin mitzuteilen und zum Nachweis der gesundheitlichen Veranlassung auf das zu erwartende ärztliche Attest zu verweisen. Dies hätte überflüssige Nachfragen erspart und frühzeitig zu einer sachgerechten Behandlung der Angelegenheit beigetragen.
Bereits dies stellt einen Verstoß gegen die vertrauensvolle Zusammenarbeit dar und eine Vorenthaltung sachlich gebotener Informationen.

Dies gilt erst recht für die unterlassene Weiterleitung des der Klägerin zugeleiteten Attests vom 19.12.2013, das in Beantwortung der letzten Anfrage der Geschäftsführerin Dr. M... zwingend dieser hätte vorgelegt werden müssen. Damit wäre dem Anliegen der Klägerin gedient und eine sachgerechte Behandlung ihres Anliegens ermöglicht worden.
Jeder verständige Arbeitnehmer würde so handeln, wenn er an einer schnellen und konfliktfreien Bearbeitung seines Ausstattungswunsches interessiert ist.
Das Attest nicht der zuständigen Vorgesetzten in Beantwortung deren Anfrage zuzuleiten, sondern einer anderen Stelle in der Leitung des Dekanats, verbunden mit dem Vorwurf der Untätigkeit der verantwortlichen Stelle, diskreditiert die Person der Geschäftsführerin und muss zu Irritationen in der Leitung des Dekanats führen. Dies musste der Klägerin als Juristin auch bewusst gewesen sein.
Damit tritt die Behauptung der Klägerin, mit der Email vom 10.01.2014 alleine ihrem berechtigten Anliegen habe nützen zu wollen, in den Hintergrund, denn die Zuleitung des Attestes an die Geschäftsführerin hätte denselben Effekt gehabt. Zumindest wäre dann die parallele Zuleitung des Attestes an Geschäftsführerin und Prodekan die naheliegende Alternative gewesen. Die Geschäftsführerin indes die Existenz des Arztattestes vorzuenthalten und dieses einer anderen Stelle der Dekanatsleitung zuzuleiten ist geeignet, den Vorwurf zu tragen, die Klägerin habe bewusst die Arbeit der Geschäftsführerin in einem schlechten Licht erscheinen lassen und zwei Führungspersonen des Dekanats gegeneinander ausspielen wollen.
Diese Art der Zusammenarbeit kann ein Arbeitgeber zu Recht rügen und durch Ausspruch einer Abmahnung zu verhindern suchen, dass ein Wiederholungsfall eintritt. Hier ist nämlich bewusst ein überflüssiger Konfliktfall herbeigeführt und versuch worden, Ansehen und Autorität einer Vorgesetzten zu beschädigen.

3. Der Rechtsansicht des Arbeitsgerichts ist zu folgen, wonach die unterlassene Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nach § 95 Abs. 2 SGB IX nicht zur Rechtsunwirksamkeit einer rechtsgeschäftlichen Erklärung des Arbeitgebers oder einer von ihm durchgeführten Maßnahme führt. Dies entspricht nicht nur der im Ersturteil zitierten Literatur sondern auch der Rechtsprechung (vgl. LAG Rheinland-Pfalz vom 18.08.1993 - 10 Sa 332/93 - NZA 1993, 1133; ergangen noch zur Regelung in § 25 Abs. 2 SchwbG). Auch das BAG verweist im Falle einer Verletzung des § 95 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auf die Sonderregelung des Satzes 2 und leitet nicht die Rechtsunwirksamkeit der vom Arbeitgeber ausgesprochenen Abmahnung daraus ab (vgl. Urteil vom 30.04.2014 - 7 ABR 30/12 -NZA 2014, 1223,1226).


III.

1. Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

2. Für die Zulassung der Revision besteht kein gesetzlich begründeter Anlass, § 72 Abs. 2 ArbGG.

Referenznummer:

R/R7733


Informationsstand: 05.10.2018