I. Die Parteien streiten um die Zahlung von Lohn und die Erstattung von Fahrtunkosten.
Der Kläger ist Schwerbehindertenobmann im Betrieb der Beklagten. Im Frühjahr 1994 wurde er darüber hinaus in den Betriebsrat gewählt.
Am 7.5.1994 erhielt der Kläger eine Einladung der IG Metallverwaltungsstelle Dortmund zu einer Fortbildungsveranstaltung mit dem Thema "Zu gesund für die Rente, zu krank für die Arbeit", die am 9.6.1994 in der Stadthalle Rheine stattfinden sollte.
Nach dem Einladungsschreiben richtete sich die Veranstaltung an Schwerbehindertenvertreter/innen und Betriebsräte. Der Kläger unterrichtete den Personalleiter der Beklagten schriftlich von seiner geplanten Teilnahme.
Der Betriebsrat der Beklagten beschloss die Teilnahme des Betriebsratsmitgliedes
S. an dem Seminar.
S. ist gleichzeitig stellvertretender Schwerbehindertenobmann. In der Sitzung des Betriebsrates vom 25.5.1994 wurde dem Kläger ein Schreiben übergeben, in dem der Personalleiter gegenüber dem Betriebsrat erklärte, dass nur eine Person zu der Veranstaltung fahren solle. Der Betriebsrat hielt darauf hin weiterhin an seinem Beschluss, das Betriebsmitglied
S. teilnehmen zu lassen, fest. Am 31.5.1994 wurde dem Kläger durch den Personalchef der Beklagten telefonisch mitgeteilt, dass er für die Fortbildungsveranstaltung nicht freigestellt werde.
Dennoch nahmen sowohl
S. als auch der Kläger an der Veranstaltung am 9.6.1994 teil. Der Kläger fuhr dorthin alleine in seinem privateigenen Pkw.
Mit der Verdienstabrechnung für den Monat Juli 1994 zog die Beklagte (Arbeitgeber) dem Kläger für den Tag, an dem er an der Veranstaltung teilgenommen hatte, 191,06 DM brutto ab.
II. Die Klage ist begründet.
Dem Kläger steht der Lohn für den Tag der Schulungsteilnahme
gem. § 611
Abs. 1
BGB in Verbindung mit § 26
Abs. 4
SchwbG zu. Danach sind die Vertrauensmänner und Vertrauensfrauen der Schwerbehinderten von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgeltes oder der Dienstbezüge zu befreien, wenn es und soweit es zur Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist.
Die Verpflichtung, die Fahrtkosten zur Veranstaltung zu tragen, folgt aus § 26
Abs. 8
SchwbG, wonach der Arbeitgeber die durch die Tätigkeit der Schwerbehindertenvertretung entstehenden Kosten zu tragen hat.
Für die Kostentragungspflicht gelten die gleichen Grundsätze, nach denen ein Betriebsratsmitglied die Erstattung der Kosten nach § 37
Abs. 6
BetrVG verlangen kann (Gröninger/Thomas Schwerbehindertegesetz, § 26
Anm. 20). Dementsprechend muss das Seminar Kenntnisse vermitteln, die für die Arbeit der Schwerbehindertenvertretung erforderlich sind (§ 26
Abs. 4
SchwbG, § 37
Abs. 6
BetrVG). Erforderlich ist die Vermittlung von Kenntnissen dann, wenn sie unter Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse im Betrieb und im Betriebsrat notwendig sind, damit dieser seine gegenwärtigen oder in naher Zukunft anstehenden Aufgaben sach- und fachgerecht erfüllen kann (Fitting/Auffarth/Kayer/Heither, Betriebsverfassungsgesetz, 17. Aufl., § 37
Anm. 80).
Die Schwerbehindertenvertretung hat die Interessen der Schwerbehinderten im Betrieb zu vertreten, ihre Eingliederung in den Betrieb oder die Dienststelle zu fördern und ihnen beratend und helfend zur Seite zu stehen (§ 25
Abs. 1
SchwbG). Diese Kenntnis hat das fragliche Seminar vermittelt. Typischerweise entstehen bei Schwerbehinderten Probleme, wenn einerseits die Arbeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr getan werden kann, andererseits die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Rente noch nicht erfüllt sind. Die diesbezüglichen Vermeidungs- und Hilfsstrategien sind erforderliches Wissen, die der Obmann sowohl in seiner beratenden Funktion benötigt, andererseits auch bei der Frage der Eingliederung in den Betrieb. Der Eintritt der Berufsunfähigkeit kann durch Förderung von Reha-Maßnahmen abgebaut werden. Auch müssen gegebenenfalls innerbetriebliche und behördliche Maßnahmen eingeleitet werden, was
gem. § 25
Abs. 1
Nr. 2
SchwbG ebenfalls der Überwachung durch den Schwerbehindertenobmann obliegt. Es ist nicht auszuschließen, daß sich auch den Schwerbehinderten im Betrieb der Beklagten diese Probleme stellen. Den betrieblichen Bezug hat die Beklagte im übrigen auch selbst nicht verneint, denn sie hat im Falle des Betriebsratsmitgliedes
S. die Kostenerstattung für erforderlich gehalten.
Die Geltendmachung ist auch nicht rechtsmissbräuchlich, weil
S., der gleichzeitig stellvertretender Schwerbehindertenobmann ist, an der Veranstaltung ebenfalls teilgenommen hat.
Die Amtsführung obliegt grundsätzlich dem Kläger. Zwar steht der Stellvertreter dem Vertrauensmann gleich, wenn er nach § 25
Abs. 1
SchwbG für bestimmte Aufgaben herangezogen wird. Im übrigen hat er jedoch solange keinen Anspruch, als er nicht wegen Verhinderung des Vertrauensmannes dessen Aufgaben wahrnimmt. Die Teilnahme des Klägers als Schwerbehindertenobmann besaß somit grundsätzlich Priorität vor der Teilnahme von
S. als dessen Stellvertreter. Die Wahl zwischen beiden stand nicht in der Disposition des Betriebsrates. Wenn dieser aufgrund des § 37,6 einen eigenen Schulungsbedarf sah, so tangierte dies nicht die Ansprüche des Klägers.
Dem Kläger kann auch nicht vorgeworfen werden, er habe dem Betriebsrat gegenüber seine Absicht zur Teilnahme nicht offenbart. Aufgrund der autonomen Amtsführung des Schwerbehindertenobmanns besteht eine grundsätzliche Mitteilungspflicht nicht.
Ebenso wenig kann dem Kläger vorgeworfen werden, er habe die Kosten nicht dadurch minimiert, daß er nicht mit
S. zusammengefahren sei. Insoweit greift der Einwand des Klägers durch, dass beide die Fahrt zur Veranstaltung von unterschiedlichen Ausgangspunkten, der eine von Datteln, der andere von Lünen aus antraten.