Gemäß § 105
SGG konnte das Gericht im vorliegenden Fall ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten vor Erlass ordnungsgemäß unter Angabe der entsprechenden Begründung gehört wurden. Der Kläger hat sich hiermit einverstanden erklärt.
Die Klage ist zulässig, insbesondere frist- und formgerecht erhoben. Sie ist aber unbegründet. Dem Kläger steht gemäß
§ 152 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (SGB IX) in der seit dem 01.01.2018 geltenden Fassung
i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 5 Schwerbehinderten-Ausweisverordnung (SchwbAwV) kein Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens RF seit dem 02.10.2018 zu.
Nach § 3
Abs. 1
Nr. 5
SchwbAwV ist der Nachteilsausgleich RF in den Ausweis einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch die landesrechtlich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht erfüllt. Gemäß § 4
Abs. 2 des in Niedersachsen geltenden Rundfunkbeitragsstaatsvertrages (RdfunkBeitrStVtr ND) wird der Rundfunkbeitrag nach § 2
Abs. 1 auf Antrag für folgende natürliche Personen auf 1/3 ermäßigt:
1. blinde oder nicht nur vorübergehend wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem Grad der Behinderung von wenigstens 60 allein wegen der Sehbehinderung,
2. hörgeschädigte Menschen, die gehörlos sind oder denen eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist, und
3. behinderte Menschen, deren
GdB nicht nur vorübergehend wenigstens 80 beträgt und die wegen ihres Leidens an öffentlichen Veranstaltungen ständig nicht teilnehmen können.
Der Kläger erfüllt diese Voraussetzungen des § 4
Abs. 2 RdfunkBeitrStVtr ND nicht. Er ist weder blind oder wesentlich sehbehindert noch hörgeschädigt im Sinne von § 4
Abs. 2 Nrn. 1 und 2 RdfunkBeitrStVtr ND.
Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen des § 4
Abs. 2
Nr. 3 RdfunkBeitrStVtr ND. Bei dem Kläger ist zwar inzwischen ein
GdB von 90 festgestellt; er ist aufgrund seines Leidens aber nicht ständig gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen.
Unter dem Begriff "öffentliche Veranstaltung" ist die Gesamtheit der Zusammenkünfte politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender und wirtschaftlicher Art zu verstehen (
vgl. hierzu Urteil des Bundessozialgerichts -
BSG - vom 10.08.1993 - Az.:
9/9a RVs 7/91, juris
Rdnr. 12). Ein ständiger Ausschluss von diesen Veranstaltungen liegt erst vor, wenn der Schwerbehinderte allgemein und umfassend vom Besuch ausgeschlossen ist, also allenfalls an einem nicht nennenswerten Teil der Gesamtheit solcher öffentlichen Veranstaltungen teilnehmen kann. Es ist eine enge Auslegung dieser Anspruchsvoraussetzungen geboten, sie sind einer Analogie nicht zugänglich. Praktisch muss eine Bindung an das Haus bestehen (
vgl. hierzu
BSG vom 11.09.1991, Az.:
9a/9 RVs 15/89, juris
Rdnr. 13, vom 03.06.1987, Az.:
9a RVs 27/85, juris
Rdnr. 10 sowie vom 16.03.1994, Az.:
9 RVs 3/93, juris
Rdnr. 10). Bei der Prüfung der Tatbestandsvoraussetzung des Ausschlusses von öffentlichen Veranstaltungen ist außerdem zu beachten, dass das
SGB IX der Förderung aktiver Teilnahme der Behinderten am gesellschaftlichen Leben dient und nicht dem Ausschluss von behinderten Menschen. Dementsprechend darf ein Ausschluss von sämtlichen Veranstaltungen nicht vorschnell bejaht werden. Für die Beurteilung dieser Maßstäbe kommt es dabei nicht auf die individuelle Situation des behinderten Menschen an, sondern darauf, ob er objektiv gehindert ist, an öffentlichen Veranstaltungen teilzunehmen. Es kommt nicht darauf an, ob diejenigen Veranstaltungen, an denen der Schwerbehinderte teilnehmen kann, seinen persönlichen Bedürfnissen, Neigungen und Interessen entsprechen. Denn das Gebührenrecht orientiert sich nicht am individuell unterschiedlichen Interesse, sondern an der Gesamtheit des Rundfunkprogrammes (
BSG vom 03.06.1987, a.a.O., juris
Rdnr. 13).
Nach diesen Grundsätzen ist der Kläger auch unter Beachtung seiner Leiden nicht gehindert, an öffentlichen Veranstaltungen ständig teilzunehmen. Dies ergibt sich bereits aus seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen
Dr. D., wonach er morgens mit dem Auto zur Bäckerei fährt, um Brötchen zu holen, und sonntags regelmäßig die Messe der katholischen Kirche besucht. Eine praktische Bindung an das Haus besteht daher nicht. Der Kläger ist nicht allgemein und umfassend vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausgeschlossen.
Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, dass die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen für ihn unzumutbar sei, da er als Folge seiner Grunderkrankung Myasthenia Gravis und der damit verbundenen Muskelschwäche unter einem vermehrten Speichelfluss sowie inzwischen unter einer Beeinträchtigung der Lungenfunktion leide, ist darauf hinzuweisen, dass eine Ausgrenzung der Behinderten und ein Schutz der Öffentlichkeit vor ihren Behinderten nur in äußersten Randsituationen erlaubt ist. Die Grenzen dessen, was der Öffentlichkeit an Behinderungen zumutbar ist, lässt sich nicht empirisch ermitteln. Um die Lage von Menschen mit Behinderungen zu erleichtern, müssen Nichtbehinderte ihre Wahrnehmung korrigieren. Weitestmögliche Einbeziehung in unser Leben sind wir Menschen mit allen Arten von Behinderungen und ihren Familien schuldig. Auch die Menschenwürde gebietet nicht die Zuerkennung des Merkzeichens RF mit der Begründung, dass Behinderte für die Öffentlichkeit nicht tragbar und daher abzusondern seien, sondern die Förderung aktiver Teilnahme der Behinderten am gesellschaftlichen Leben. Der Zweck des Nachteilsausgleichs RF wird in sein Gegenteil verkehrt, wenn er schon zuerkannt wird, um besonderen Empfindlichkeiten der Öffentlichkeit Rechnung zu tragen. Der Öffentlichkeit würde dann die Ausgrenzung der Behinderten erlaubt (
BSG vom 10.08.1993, Az.: 9/9a RVs 7/91, juris
Rdnr. 17 f.). Zwar ist es im Einzelfall möglich, dass Entstellung und Geruchsbelästigung, unwillkürliche Bewegungen wie bei Spastikern und ähnliches den Behinderten vom Besuch öffentlicher Veranstaltungen ausschließen. Zu beachten ist aber, dass nur ein Teil öffentlicher Veranstaltungen so geartet ist, dass bestimmte Behinderungen objektiv störend sind. Das gilt für störende akustische Nebengeräusche bei musikalischen Darbietungen, bei Geruchsbelästigungen in engen geschlossenen Räumen,
z.B. Restaurants. Bei den meisten öffentlichen Veranstaltungen herrscht aber entweder Toleranz (Kirche und Politik) oder sie spielen sich ohnedies in einem lebhaften geräuschvollen Rahmen ab (Sport, Volksfeste, Messen und Märkte), so dass Störungen durch Behinderte nicht ins Gewicht fallen (
BSG vom 10.08.1993, a.a.O., juris
Rdnr. 19). Da der Sachverständige
Dr. D. entsprechende Beeinträchtigungen nicht festgestellt und der Kläger selbst angegeben hat, regelmäßig an religiösen Gemeinschaftsveranstaltungen teilzunehmen, lässt sich nicht feststellen, dass der Kläger unter Berücksichtigung dieser Vorgaben aufgrund des vermehrten Speichelflusses, den Hustenanfällen und den Schleimabsonderungen umfassend von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen ist.
Es kann dahinstehen, ob der Kläger aufgrund der eingeschränkten Lungenfunktion nur mit Hilfe sowohl eines Rollstuhls,
ggf. auch einer Begleitperson, am kulturellen Leben teilnehmen kann. Denn selbst wenn dem so ist, besteht kein Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens RF. Solange ein Schwerbehinderter mit technischen Hilfsmitteln und mit Hilfe einer Begleitperson in zumutbarer Weise öffentliche Veranstaltungen aufsuchen kann, ist er von der Teilnahme am öffentlichen Geschehen nicht ausgeschlossen (Urteil des
BSG vom 03.06.1987, a.a.O., juris
Rdnr. 11).
Zur erstrebten Gebührenbefreiung vermag auch der Hinweis des Klägers, er gehöre aufgrund seiner Vorerkrankungen und seines Alters zur Risikogruppe, an Covid-19 zu erkranken, nicht zu führen. Von den Folgen der Corona-Pandemie und der Gesundheitsgefahr durch die Infektion mit dem Corona-Virus sind eine Vielzahl von Personen betroffen. Unabhängig davon, dass der inhaltliche Vortrag des Klägers, dass im Ergebnis nur ein absolutes Kontaktverbot eine Infektion verhindern könne, pauschal und ohne hinreichenden Beleg ist, berücksichtigt er auch nicht die Schutzvorkehrungen, unter denen öffentliche Veranstaltungen aufgrund der Vorgaben zur Eindämmung der Pandemie - wenn überhaupt - nur stattfinden dürfen. Grundgedanke des Befreiungstatbestandes ist, dass Behinderte, denen wegen ihres Leidens öffentliche Veranstaltungen nicht zugänglich sind, stattdessen zu Hause Rundfunk hören und fernsehen. Die dafür zu zahlenden Gebühren sind dann ein behinderungsbedingter Nachteil, von dem sie befreit werden. Finden aufgrund der Corona-Pandemie und der damit für alle verbundenen Gesundheitsgefahr Veranstaltungen nicht oder nur in einem eingeschränkten Umfang statt, liegt kein behinderungsbedingter Nachteil nur für einen schwerbehinderten Menschen mit einem
GdB von wenigstens 80 vor.
Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193
Abs. 1
SGG.