Urteil
Entschädigungszahlung wegen Diskriminierung eines schwerbehinderten Stellenbewerbers

Gericht:

ArbG Kiel 5. Kammer


Aktenzeichen:

5 Ca 1995 d/05


Urteil vom:

09.02.2006


Grundlage:

Pressemitteilung:

(des LAG Schleswig-Holstein Nr. 7/2006)

Wer beim Einstellungsverfahren einen schwerbehinderten Bewerber benachteiligt, ist gesetzlich verpflichtet, diesem eine Entschädigung zu zahlen. Dies gilt auch dann, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch ohne Benachteiligung die Stelle gar nicht erhalten hätte.

Das Arbeitsgericht Kiel hat die Klage eines schwerbehinderten Bewerbers (einem Rechtsanwalt) auf Entschädigung mit Urteil vom 09.02.2006 (Az.: ö.D. 5 Ca 1995 d/05) trotzdem abgewiesen. Das Gericht stellt klar, dass eine Benachteiligung des Schwerbehinderten nur in Frage kommt, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehinderung kennt. Dies war nach Überzeugung des Gerichts nicht der Fall: Die insgesamt 60 Bewerbungen vom Arbeitgeber sind zunächst gar nicht durchgelesen worden, sondern wurden nur nach Wohnortnähe zum Arbeitsort sortiert. Dabei wurde die Bewerbung des Klägers ohne weiteres wegen dessen weit entfernten Wohnorts aussortiert.

Das Gericht macht deutlich, dass eine Entschädigung auch nur dann fällig ist, wenn sich der Bewerber ernstlich um die ausgeschriebene Stelle bemüht und nicht nur die Entschädigung abkassieren möchte. Genau dieses ernstliche Bemühen vermisst das Gericht beim Kläger: Nachdem der Arbeitgeber die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers erfahren hatte (nach Besetzung der ursprünglichen Stelle), lud er ihn mehrfach zu einem Vorstellungsgespräch für eine nahezu identische Stelle ein. Der Kläger nahm diese Möglichkeit nicht wahr und tat das Angebot pauschal als nicht ernsthaft ab. Sein Verhalten führt beim Arbeitsgericht zu dem Schluss, dass der Kläger als freier Rechtsanwalt von vornherein kein wirkliches Interesse an der Stelle gehabt habe.

Gegen das Urteil ist mittlerweile Berufung beim Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein unter dem Aktenzeichen 5 Sa 152/06 eingelegt worden.

Rechtsweg:

LAG Schleswig-Holstein - 5 Sa 152/06 - durch Vergleich erledigt

Quelle:

Arbeitsgerichtsbarkeit Schleswig-Holstein

Tenor:

In dem Rechtsstreit hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Kiel auf die mündliche Verhandlung vom 09.02. 2006 durch die Richterin am Arbeitsgericht ... als Vorsitzende und d. ehrenamtlichen Richterin ... als Beisitzerin und d. ehrenamtlichen Richterin ... als Beisitzerin für Recht erkannt:

1. Die Klage wird abgewiesen

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits

3. Der Wert des Streitgegenstands beträgt 7.371,00 Euro.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Entschädigungszahlung wegen Diskriminierung seiner Person als schwerbehinderten Stellenbewerber in einem Bewerbungsverfahren nach § 81 SGB IX.

Der Kläger ist 41 Jahre alt und ledig. Er hat keine unterhaltsberechtigten Personen zu versorgen. Der Kläger ist seit einem Jahr als selbstständiger Rechtsanwalt tätig.

Die Beklagte sucht per Stellenausschreibung im Internet eine/einen Jurist(in) für A.... In der Stellenbeschreibung wurde eine engagierte Kraft für die Tätigkeit in der Widerspruchsstelle der A... gesucht. Arbeitsort: R.... Gern Bewerber/innen aus dem Raum S.-H/HH, da Befristung vorerst bis 31.12.2005 geplant. Bitte nur schriftliche Bewerbungen bis 31.03.2005 an die Agentur für Arbeit R....
Frühestes Eintrittsdatum: sofort
Dotierung: BAT Vb (vgl. die Stellenausschreibung, Bl. 10 d.A.).
Dies entspricht einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 2.454 Euro.

Auf die Stelle bewarben sich ca. 60 Personen.

Unter dem 18.03.2005 bewarb sich auch der schwerbehinderte Kläger (GdB 50, Gehbehinderung), auf die
ausgeschriebene Position als Sachbearbeiter in der Widerspruchsstelle der A... der Beklagten (Bl. 8 d.A.). Im unteren Teil seiner Bewerbung wies er auf seine Schwerbehinderung hin und markerte diesen Teil auffällig. Des Weiteren heftete er eine Kopie seines Schwerbehindertenausweises an sein Bewerbungsschreiben (Bl. 9 d.A.).

Der Kläger ist Volljurist und derzeit als selbstständiger Rechtsanwalt tätig. Er war vorher in der öffentlichen Verwaltung im Rechtsamt der Stadt ... von 1997 bis 2001 aufgrund mehrerer befristeter Verträge und als Rechtsschutzstellenleiter des Sozialverbandes ... von 2002 - 2003 tätig (vgl. die Zeugnisse des Klägers Bl. 15 - 18 d.A.).

Mit Schreiben vom 25.04.2005 sandte die Beklagte die Bewerbungsunterlagen des Klägers zurück, ohne diese Absage näher zu begründen (Bl. 11 d.A.).

Mit Schreiben vom 30.04.2005 bat der Kläger um Mitteilung der tragenden Gründe für die Nichtberücksichtigung seiner Bewerbung und der unterbliebenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch (Bl. 12 d.A.).

Mit Schreiben vom 14.06.2005 antwortete die Beklagte dem Kläger und räumte ein, die Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bei der Besetzung der Stelle des Sachbearbeiters übersehen zu haben. Es handele sich hierbei um einen bedauerlichen Flüchtigkeitsfehler. In diesem Schreiben wurde dem Kläger mitgeteilt, dass die Beklagte einen Juristen für die Widerspruchsstelle in der A... suche und den Kläger gern in das Auswahlverfahren mit einbeziehen möchte. Die an diese Beschäftigung zu stellenden Anforderungen deckten sich vollständig mit dem Profil des Sachbearbeiters in der Widerspruchsstelle der ... Diese Stelle war ebenfalls auf ein Jahr befristet. Es sei vorgesehen am 20.06.2005 ein Vorstellungsgespräch durchzuführen (Bl. 13 - 14 d.A.).

Mit Schreiben vom 21. Juni 2005 bot die Beklagte dem Kläger nochmals an sich in ihrem Hause vorzustellen (Bl. 46 d.A.).

Dieses Angebot der Beklagten nahm der Kläger nicht wahr. Er nahm nicht an dem Vorstellungsgespräch teil.

Die Beklagte beschäftigt 14,8 % Schwerbehinderte.

Der Kläger ist der Auffassung, dass ihm ein Entschädigungsanspruch gemäß § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, § 81 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SGB IX in Höhe von 5.140 Euro zustünde. Die Beklagte sei als öffentlicher Arbeitgeber gemäß § 82 Satz 2 SGB IX verpflichtet alle fachlich geeigneten Stellenbewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Allein der objektive Verstoß gegen diese Verpflichtung begründe die Entschädigungspflicht. Daran ändere auch der von der Beklagten behauptete Flüchtigkeitsfehler nichts. Im Übrigen werde bestritten, dass die Beklagte seine Schwerbehinderung übersehen habe. Die Beklagte müsse sich ein etwaiges Fehlverhalten ihrer Angestellten zurechnen lassen.

Er sei auf den Verdienst aus dieser Stelle eines Sachbearbeiters angewiesen, da sein Einkommen als Rechtsanwalt nicht hoch sei.

Die nachträgliche Einladung zu einem Vorstellungsgespräch sei in rechtsmissbräuchlicher Absicht erfolgt, um sich der Entschädigungsverpflichtung zu entledigen. Die Stellenausschreibung sei auch gar nicht ernst zu nehmen gewesen, da diese Stelle nicht im Internet ausgeschrieben gewesen sei.

Er sei auch deswegen diskriminiert worden, da in dem streitgegenständlichen Bewerbungsverfahren nicht die Schwerbehindertenvertretung und der Personalrat beteiligt worden sei. Auch dieser Verstoß begründe die Vermutung einer diskriminierenden Auswahlentscheidung zu seinen Lasten.

Im Übrigen verteidigt sich der Kläger mit Rechtsausführungen.


Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 07.06.2005 an den Kläger zu zahlen.


Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Eine Entschädigungspflicht besteht nach Auffassung der Beklagten nicht. Nachdem die Bewerbungsfrist am 31.03.2005 abgelaufen sei, habe sich die zuständige Sachbearbeiterin, die Zeugin K ..., angesichts der Vielzahl der Bewerbungen und der Vorgaben im Stellenprofil gehalten gesehen, eine Vorauswahl durchzuführen. Hierzu seien zunächst sämtliche Bewerbungen gleich qualifizierter Bewerber anhand der Anschrift gesichtet und nach dem Kriterium der Wohnortnähe zum Arbeitsplatz vorsortiert worden. Da sich eine ganze Reihe von Bewerbern aus dem Raum Schleswig-Holstein und Hamburg auf die Stelle beworben hatten und der Kläger seinen Wohnsitz und Kanzleisitz in O... hatte, sei seine Bewerbung ohne weitere Prüfung zunächst zurückgestellt worden. Angesichts der Vielzahl der Bewerbungen habe die zuständige Sachbearbeiterin im Rahmen der Sicherung der Adressen die Anschreiben der Bewerbung zunächst nicht weiter gelesen, weshalb sie die vom Kläger im unteren Breich seines Anschreibens erwähnte Schwerbehinderung nicht zur Kenntnis genommen habe.

Sie sei erstmals mit dem Schreiben des Klägers vom 30.04.2005 auf den Schwerbehindertenstatus des Klägers aufmerksam geworden. Sogleich sei von Seiten der Personalstelle in Abstimmung mit der Schwerbehindertenvertretung geprüft worden, wie den Belangen des Klägers am besten Rechnung getragen werden könne. Da das ursprüngliche Bewerbungsverfahren abgeschlossen war, habe man den Kläger auf die identische Stelle eines Sachbearbeiters in der Widerspruchsstelle Neumünster eingeladen.

Vor dem Hintergrund des tatsächlichen Geschehensablaufs habe der Kläger keinen Entschädigungsanspruch. Der Kläger sei nicht bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses wegen seiner Behinderung benachteiligt worden. Zwar läge die vom Gesetzgeber geforderte gesetzliche Vermutung für die Diskriminierung des Klägers vor, dies könne sie, die Beklagte, allerdings widerlegen. Eine Benachteiligung des Klägers habe mangels Kenntnis von selbiger gar nicht erfolgen können. Damit fehle es an der für den Schadensersatzanspruch erforderlichen kausalen Verknüpfung der Diskriminierung aufgrund der Behinderung mit der ablehnenden Entscheidung.

Die Behinderung des Klägers bestehe im Übrigen in einer Gehbehinderung, die bei der Ausübung der Tätigkeit der ausgeschriebenen Stelle im Vergleich zu einem nicht behinderten Bewerber keinerlei Einschränkung bedeutet habe. Auch aus dieser Tatsache ergebe sich, dass die unterbliebene Einladung des Klägers nicht auf dessen Schwerbehinderung beruht habe.

Der Kläger habe durch sein Verhalten auch selbst eine Schadensvertiefung herbeigeführt. Hätte der Kläger an dem nachfolgenden Bewerbungsverfahren der identischen Position in der Widerspruchsstelle der A... teilgenommen, wäre der angebliche Schaden und auch die wirtschaftlichen Folgen gemindert worden.

Es sei auch davon auszugehen, dass der Kläger als Rechtsanwalt aus seiner freiberuflichen Tätigkeit Einnahmen erziele. Hätte der Kläger die ausgeschriebene Stelle angenommen, hätte er seine Tätigkeit als Rechtsanwalt ruhen lassen müssen. Er hätte somit während dieser Zeit keine Einnahmen aus seiner Beschäftigung erzielen könne. Damit es nicht zu einer Besserstellung des Klägers komme, müssten die vermeintlichen Einnahmen dem Schadensersatzanspruch gegenüber gestellt werden und bei der Bemessung eines Schadensersatzanspruches berücksichtigt werden.

Das Gericht hat gemäß Beweisbeschluss vom 09.02.2006 Beweis für die Behauptung der Beklagten erhoben, es sei zu einem vorzeitigen Ausschluss des Klägers und der mangelhaften Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung an dem Verfahren gekommen, weil bei der Vorauswahl die eingegangenen Bewerbungen anhand der Adressen der Bewerber zunächst nach den in der Stellenbeschreibung angesprochenen Kriterien der Arbeitsplatznähe vorsortiert worden waren. Die Schwerbehinderung des Klägers, auf die dieser am Ende seines Antrages hingewiesen hat, sei somit nicht zur Kenntnis genommen worden. Das Gericht hat die Zeugin Frau K vernommen. Auf das Egebnis der Beweisaufnahme wird Bezug genommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 28.10.2005 und vom 09.02.2006 verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte zu Zahlung einer angemessenen Entschädigung verurteilt wird.

Die Anspruchsgrundlage für die Entschädigungsleistung ist § 81 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX. Nach dieser Vorschrift hat der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Bewerber, den er bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses entgegen dem in § 81 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX statuierten Benachteiligungsverbot benachteiligt hat, eine angemessene Entschädigung in Geld zu zahlen. Dies gilt auch dann, wenn der schwerbehinderte Bewerber bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre; In diesem Fall ist lediglich die Höhe der Entschädigungsleistung auf drei Monatsverdienste beschränkt, § 81 Abs. 2 Nr. 3 Satz 1 SGB IX. Letzteren Entschädigungsanspruch macht der Kläger vorliegend geltend.

a) Nach den allgemeinen Darlegungs- und Beweislastregeln muss der schwerbehinderte Bewerber, der eine Entschädigungszahlung wegen Verstoßes gegen das Diskriminierungsverbot geltend macht, darlegen, dass er beim Auswahl- bzw. Einstellungsverfahren wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden ist. Eine unmittelbare Diskriminierung liegt vor, wenn eine Person wegen ihrer Schwerbehinderteneigenschaft eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in der vergleichbaren Situation erfahren hat oder erfahren würde. Der Kläger wäre danach diskriminiert, wenn er ausschließlich wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft für die ausgeschriebene Stelle nicht in Betracht gezogen wäre (BAG, Urt. v. 15. 01.2005 - 9 AZR 635/03 -, a.a.O.).

Der insoweit darlegungs- und beweispflichtige schwerbehinderte Bewerber genügt indessen nach § 81 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX seiner Darlegungspflicht, wenn er Tatsachen glaubhaft macht, die den Schluss nahe legen, dass eine Ungleichbehandlung zwischen ihm und anderen vergleichbaren Bewerbern vorliegt. Der klagende Bewerber kann eine Beweislast des Arbeitgebers dadurch herbeiführen, dass er Hilfstatsachen darlegt und ggf. unter Beweis stellt, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft vermuten lassen (BAG, Urt. v. 15.01.2005 - 9 AZR 635/03 - a.a.O.). Dies begründet im Regelfall die Vermutung, dass die Ungleichbehandlung durch die Behinderung verursacht ist. Die Benachteiligung wegen der Behinderung ist dann zu bejahen bzw. zu vermuten, wenn die Schwerbehinderteneigenschaft zumindest eine von mehreren Motiven d.h. Beweggründen, für die ablehnende Entscheidung des Arbeitgebers ist (LAG Nürnberg, Beschluss vom 01. April 2001 -- 7 SHa 4/04 -, AP Nr. 6 zu § 81 SGB IX).

Von der Benachteiligungsmaßnahme (hier: Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch) wird mithin auf den Benachteiligungsgrund ( hier: wegen der Behinderung) geschlossen. Das Gericht muss letztlich die Überzeugung einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Schwerbehinderteneigenschaft und Nachteil gewinnen (vgl. BAG, Urt. v. 05.02. 2004 - 8 AZR 112/03 -, AP Nr. 23 zu § 611 a BGB).

aa) Dies zugrunde gelegt, hat der Kläger zunächst Hilfstatsachen vorgetragen, die vermuten lassen, dass er wegen seiner Behinderung bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses benachteiligt worden ist. Der Kläger ist von der Beklagten unstreitig nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden, obgleich er in dem Bewerbungsschreiben auf seine Schwerbehinderteneigenschaft ausdrücklich und unter Beifügung einer Kopie des Schwerbehindertenausweises hingewiesen hat.

bb) Gemäß § 82 Satz 2 SGB IX ist der öffentliche Arbeitgeber grundsätzlich verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Ein Verstoß gegen dieses gesetzliche Gebot löst die Vermutungswirkung aus, dass der betreffende Bewerber wegen seiner Schwerbehinderteneigenschaft beim Einstellungsverfahren benachteiligt worden ist ( ArbG Berlin, Urt. v. 10.10.2003 - 91 Ca 17871/03 -, LAGE § 82 SGB IX Nr. 1; offen gelassen: BAG, Urt. v. 15.02.2005 - 9 AZR 635/03 -, NZA 2005, 125 ff.). § 82 Satz 2 SGB IX spricht nicht nur eine Empfehlung in Form einer Sollvorschrift aus, sondern begründet eine gesetzliche Verpflichtung gegenüber einem schwerbehinderten Bewerber. Das Vorstellungsgespräch mit dem schwerbehinderten Bewerber ist Pflicht für die personalverwaltende Behörde. Selbst wenn sie sich aufgrund einer anhand der Bewerbungsunterlagen getroffenen Vorauswahl von vornherein die Meinung gebildet hat, ein oder mehrere andere Bewerber seien so gut geeignet, dass der schwerbehinderte Bewerber nicht mehr in die nähere Auswahl einbezogen werden sollte, muss sie den schwerbehinderten Bewerber nach der gesetzlichen Intention einladen und ihm ein Vorstellungsgespräch gewähren (Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 11. Aufl. , Rn. 5 zu § 82 SGB IX). Dem schwerbehinderten Bewerber soll dadurch die Möglichkeit gegeben werden, im mündlichen Gespräch nochmals - ggf. klarstellend und vertiefend - seine spezielle Eignung, Befähigung und fachliche Leistung in Bezug auf die ausgeschriebene Stelle unter Beweis zu stellen. Wenn der öffentliche Arbeitgeber den schwerbehinderten Bewerber gleichwohl nicht zu einem Vorstellungsgespräch einlädt, löst dieser, die Rechte des Schwerbehinderten einschränkende Gesetzesverstoß, die Vermutung einer Diskriminierung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft aus.

Die Vermutungsregelung in § 81 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 SGB IX führt zu einer Beweislastumkehr zu Lasten des Arbeitgebers, d.h. vorliegend zu Lasten der Beklagten.

Die Beklagte ihrerseits hat vorliegend zu Überzeugung des Gerichts darzulegen vermocht, dass sie den Kläger ausschließlich aus tatsächlichen Gründen und nicht zumindest auch wegen seiner Schwerbehinderung bei der Begründung der Arbeitsverhältnisse, d.h. im Rahmen des Bewerbungsverfahrens, benachteiligt hat.

Eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft im Sinne des § 81 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX liegt nicht nur dann vor, wenn Personen, die an sich für die Tätigkeit geeignet wären, von vornherein und ausschließlich nur wegen ihrer Schwerbehinderung nicht für die Einstellung in Betracht gezogen werden, sondern bereits dann, wenn die Schwerbehinderung einer von vielen Auswahlkriterien war. Der Arbeitgeber kann sich von dem Diskriminierungsverbot mithin nur dann erfolgreich entlasten, wenn er nachweist, dass das verbotene Diskriminierungsmerkmal, d.h. die Schwerbehinderteneigenschaft des Bewerbers, auch als noch so untergeordnetes Aspekt in einem Motivbündel überhaupt keine Rolle bei seiner Entscheidung gespielt hat (Brors, jurisPR-ArbR 27/2005, Anm. 6).

Dies hat die Beklagte dargelegt und unter Beweis gestellt; sie hat sich entlastet.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Zeugin Frau K... die Schwerbehinderung des Klägers nicht zur Kenntnis genommen hat und die Bewerbung des Klägers aussortiert hat, weil sie sich zunächst auf das Auswahlkriterium "Wohnortnähe zum Arbeitsplatz" konzentriert hat. Die Bekundungen der Zeugin K... waren in sich schlüssig und glaubhaft. Sie hat bekundet, dass die Anforderungen, dass der Bewerber aus Hamburg oder Schleswig-Holstein kommen solle für sie als vorrangiges Auswahlkriterium galt. Es ist plausibel, dass bei einer Anzahl von 60 Bewerbungen für eine befristete Stelle von einem Jahr zunächst eine Vorauswahl getroffen wird und Bewerber, die größere private Veränderungen wie Umzug, weite Heimreise etc. auf sich nehmen müssen, zunächst aussortiert werden.

Die Zeugin wirkte auch deshalb absolut glaubwürdig, da sie sogar auf Nachfrage einräumt, dass ihr die Vorschrift des § 81 SGB IX bekannt sei und sie bei der Beweisaufnahme ihren eigenen Fehler nochmals - auch in Kenntnis dieser Vorschrift - einräumen musste und dies auch tat.

Somit stand nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme fest, dass die Beklagte, die sich das Verhalten ihrer Angestellten zurechnen lassen muss, die Schwerbehinderung des Klägers gar nicht zur Kenntnis genommen hat. Es konnte eine Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung nicht erfolgen. Es fehlt an der für einen Entschädigungsanspruch erforderlichen kausalen Verknüpfung einer Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung mit der ablehnenden Entscheidung einer Einladung zum Bewerbungsgespräch.

Der Kammer ist sehr wohl bewusst, dass sich damit eine Möglichkeit für den öffentlichen Arbeitgeber bietet, seiner Entschädigungspflicht zu entgehen, indem er behauptet, die Schwerbehinderung nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Gleichwohl erachtet die Kammer den vorliegenden Sachverhalt für ausreichend, um als Ergebnis festzustellen, dass gerade die Schwerbehinderung des Klägers keine Rolle bei der Auswahlentscheidung gespielt hat, sondern nur das Kriterium seines Wohnortes, der eben nicht in Hamburg oder Schleswig-Holstein lag, ausschlaggebend für die Beklagte war, um den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.

b) Der Kläger hat auch dehalb keinen Anspruch auf eine Entschädigung gemäß § 81 Abs. 2 Ziff. 2 SGB IX, weil die Beklagte die Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung des Klägers auch aus einem weiteren Grund entkräftet hat. Die Vermutung der Benachteiligung kann entkräftet werden, wenn dargelegt wird, dass die Bewerbung subjektiv nicht ernst zu nehmen war und von vornherein die Zahlung einer Entschädigung angestrebt war (vgl. dazu das Urteil des ArbG Potsdam vom 13.07.2005, 8 Ca 1150/ 05, § 611 a BGB - Hopper, NZA-RR 2005, 651). Schutzzweck des § 81 SGB IX ist die Entschädigung des fachlich geeigneten Bewerbers wegen der durch seine Behinderung bedingten Benachteiligung im Verfahren. Unstreitig ist zwischen den Parteien, dass der Kläger aufgrund seiner Qualifikation fachlich geeignet ist. Im Bewerbungsverfahren kann jedoch nur benachteiligt werden, wer sich subjektiv ernsthaft beworben hat und objektiv für die zu besetzende Stelle fachlich geeignet ist. Der Kläger hat sich nicht subjektiv ernsthaft um die Stelle des Sachbearbeiters in der Widerspruchsstelle beworben, sondern von vornherein die Zahlung einer Entschädigung angestrebt. Dass die Bewerbung des Klägers subjektiv nicht ernsthaft war, ergibt sich daraus, dass der Kläger zu dem nachfolgenden Vorstellungsgespräch auf die identische Position eines Sachbearbeiters in der Widerspruchsstelle N... keine Stellung genommen hat, nicht hingefahren ist, um sich vorzustellen und dieses Angebot der Beklagten einfach als "nicht ernsthaft" abgetan hat. Wenn es dem Kläger tatsächlich um eine Anstellung gegangen wäre, hätte er bei einer ernsthaften Absicht auch diesem Angebot der Beklagten Folge leisten müssen und sich wenigsten vorstellen müssen.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 09.02.2006 dargelegt, dass er seit einem Jahr als selbstständiger Rechtsanwalt auf den Verdienst aus der ausgeschriebenen Stelle angewiesen sei und die Höhe der Vergütung von 2454,- Euro brutto für ihn einen erstrebenswerten Verdienst darstelle, da sein Einkommen aus seiner freiberuflichen Tätigkeit nicht hoch sei. Wenn dies der Fall ist, ist es nach Auffassung der Kammer nicht nachvollziehbar, warum der Kläger dann nicht zu dem angebotenen Vorstellungsgespräch für die Stelle eines Sachbearbeiters in der Widerspruchsstelle Neumünster gefahren ist. Dies lässt nur den Schluss zu, dass es dem Kläger von vornherein nicht um eine Anstellung, sondern um die Entschädigungszahlung ging.

c) Die unterbliebene Unterrichtung der Schwerbehindertenvertretung über den Eingang einer Bewerbung eines schwerbehinderten Stellenbewerbers führt ebenfalls nicht zu einem Entschädigungsanspruch des Klägers nach § 81 Abs. 2 Ziffer 2 SGB IX. Zwar sieht § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX vor, dass bei Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 SGB IX genannten Vertretungen unmittelbar nach Eingang zu unterrichten sind. Da die Beklagte aber nach feststehender Überzeugung der Kammer von der Schwerbehinderung des Klägers keine Kenntnis hatte, traf sie auch nicht die nach § 81 Abs. 1 Satz 4 bestehende Unterrichtungspflicht. Aus den oben genannten Gründen liegt auch hier keine aufgrund seiner Behinderung vorgenommene Diskriminierung des Klägers vor.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 91 ZPO. Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus §§ 61 ArbGG, 34 ff. GKG in Höhe von drei Gehältern für die zu besetzende Stelle.

Referenznummer:

R/R2445


Informationsstand: 30.06.2006