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Urteil
Entschädigungsanspruch wegen Benachteiligung im Bewerbungsverfahren - Keine Einladung zum Vorstellungsgespräch - Öffentlicher Dienst

Gericht:

VGH Baden-Württemberg 4. Senat


Aktenzeichen:

4 S 82/12 | VGH 4 S 82/12


Urteil vom:

07.02.2012


Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Dezember 2010 - 3 K 1688/10 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 10% über dem aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrag abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 10% über dem zu vollstreckenden Betrag leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).

Der im Jahr 1964 geborene Kläger leidet an einem nicht behandlungsbedürftigen essentiellen Tremor. Seit dem 23.09.1997 ist für ihn eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 60 festgestellt. Nach verschiedenen abgeschlossenen Vorausbildungen (Lehre zum Großhandelskaufmann, Studium der Betriebswirtschaftslehre an der Fachhochschule Fulda mit dem Abschluss Diplombetriebswirt [FH], Berufsausbildung zum chemisch-technischen Assistenten) studierte er ab 2005 an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl. Am 17.09.2008 legte er die Staatsprüfung für den gehobenen Verwaltungsdienst mit der Gesamtnote "befriedigend (7 Punkte)" ab, mit Urkunde vom 25.09.2008 wurde ihm der Hochschulgrad "Diplomverwaltungswirt (Fachhochschule)" verliehen.

Von da an bewarb sich der Kläger bei einer Vielzahl von Anstellungskörperschaften auf Stellen des gehobenen Verwaltungsdienstes. Da er häufig nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen wurde, machte er seit dem dritten Quartal 2009 Entschädigungsansprüche gemäß § 15 Abs. 2 AGG geltend.

Am 16.12.2009 sagte die bayerische Gemeinde U. dem Kläger eine Stelle als Fachbeamter für das Finanzwesen im Gewerbesteueramt zu (vergütet nach E 9 TVöD), die er am 12.01.2009 antrat. Das probeweise Arbeitsverhältnis endete nach Kündigung durch die Gemeinde am 31.03.2010.

Im Dezember 2009 schrieb die Beklagte die Stelle des Leiters ihres Hauptamtes öffentlich aus. In der Stellenbeschreibung heißt es unter anderem:

"Sie sind:

- Dipl.-Verwaltungswirt (FH) oder haben eine vergleichbare Ausbildung
- verfügen idealerweise über einige Berufserfahrung oder sind sonst schon fachlich sehr versiert."

Bewerber wurden gebeten, ihre Bewerbung bis 15.01.2010 an die Postanschrift der Beklagten zu richten. Angegeben waren außerdem eine Telefonnummer sowie die E-Mail-Adresse der zuständigen Mitarbeiterin.

Mit E-Mail vom 31.12.2009 bewarb sich der Kläger unter Vorlage eines ausführlichen Lebenslaufs um diese Stelle. Er führte unter anderem aus, dass ihn seine Schwerbehinderung nicht in seiner geistigen und körperlichen Amtsausübung beeinträchtige und auch nicht zu erhöhten Krankheitstagen führe. Mit Schreiben vom 12.02.2010 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe ein interessantes Bild seiner Person und seiner fachlichen Qualifikation übermittelt, letztlich sei die Stelle aber einem anderen Stellenbewerber übertragen worden.

Der frühere Prozessbevollmächtigte des Klägers machte mit Schreiben vom 07.04.2010 gegenüber der Beklagten auf der Grundlage des § 81 Abs. 2 SGB IX i.V.m. den §§ 7 und 15 AGG einen Anspruch auf angemessene Entschädigung geltend, den die WGV-Versicherung, bei der die Beklagte versichert ist, in deren Namen mit Schreiben vom 03.05.2010 ablehnte.

Auf die daraufhin erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Stuttgart die Beklagte mit Urteil vom 16.12.2010 verurteilt, an den Kläger 5.648,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 11.05.2010 zu bezahlen. In den Entscheidungsgründen ist ausgeführt, die Klage sei als allgemeine Leistungsklage zulässig. Der Anspruch des Klägers auf angemessene Entschädigung folge dem Grunde nach aus § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX i.V.m. § 15 Abs. 2 AGB. Entgegen der Auffassung der Beklagten stehe dem ein rechtsmissbräuchliches Verhalten nicht entgegen. Der Kläger habe mit seinen Bewerbungen von seinem Recht, den Arbeitsplatz frei zu wählen, Gebrauch gemacht. Die Beklagte habe unstreitig sowohl die Meldung an die Agentur für Arbeit als auch die Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch unterlassen. In der Rechtsprechung sei anerkannt, dass insbesondere die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch die Vermutung eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung schwerbehinderter Menschen aus § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX begründe. Gleiches gelte bei Verletzung der sich aus § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX folgenden Verpflichtung zur Prüfung, ob der freie Arbeitsplatz mit bei der Agentur für Arbeit als arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten schwerbehinderten Menschen besetzt werden könne. Der Kläger habe damit unstreitige Indizien vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten ließen. In diesem Fall trage die Beklagte nach § 22 AGG die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorliege. Hinsichtlich der fehlenden Einladung zu einem Vorstellungsgespräch könne sich die Beklagte nicht darauf berufen, der Kläger sei für die ausgeschriebene Stelle als Hauptamtsleiter offensichtlich fachlich ungeeignet gewesen. Die Eignung von Stellenbewerbern sei an dem vom Arbeitgeber bestimmten Anforderungsprofil zu messen. Die in der Stellenausschreibung der Beklagten geforderte Qualifikation Dipl.-Verwaltungswirt (FH) oder vergleichbare Ausbildung erfülle der Kläger unstreitig. Entgegen der Auffassung der Beklagten könne dem Kläger auch nicht entgegengehalten werden, er sei wegen seiner fehlenden Berufserfahrung im gehobenen Verwaltungsdienst offensichtlich ungeeignet gewesen. Ohne Erfolg mache die Beklagte weiter geltend, beim Auswahlverfahren habe dann die berufliche Erfahrung der Kandidaten die maßgebliche Rolle gespielt, weil dies für die herausgehobene Position des Hauptamtsleiters sehr wichtig sei, und aus diesem Grund seien nur Bewerber mit Berufserfahrung zum Vorstellungsgespräch vor dem Gemeinderat eingeladen worden. Die Beklagte verkenne insoweit, dass die Bestimmungen in §§ 81 Abs. 2 Satz 1, 82 SGB IX i.V.m. § 15 Abs. 2 AGG das Recht des Bewerbers auf ein diskriminierungsfreies Bewerbungsverfahren schützten. Seien die Chancen eines Bewerbers bereits durch ein diskriminierendes Verfahren beeinträchtigt worden, komme es nicht mehr darauf an, ob die Schwerbehinderung bei der abschließenden Einstellungsentscheidung noch eine nachweisbare Rolle gespielt habe. Für die Höhe der dem Kläger zustehenden angemessenen Entschädigung sei die in § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG bestimmte Obergrenze maßgebend. Die Beklagte habe überzeugend ausgeführt, dass für die Vorauswahl der Bewerber, die sich dem Gemeinderat hätten präsentieren sollen, und die anschließende Auswahlentscheidung die einschlägige Berufserfahrung der Bewerber maßgebend gewesen sei. Das erkennende Gericht sei deshalb der Überzeugung, dass der Kläger auch bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Bewerberauswahlverfahrens von der Beklagten nicht eingestellt worden wäre. Innerhalb des danach geltenden Rahmens von drei Bruttomonatsverdiensten richte sich die Festsetzung der angemessenen Entschädigung nach den Umständen des Einzelfalls. Vorliegend sei zugunsten der Beklagten zu werten, dass das letztlich entscheidende Kriterium der Berufserfahrung in der Stellenbeschreibung bereits - wenn auch nicht als Ausschlusskriterium - angesprochen worden sei und insofern die Absage an den Kläger hinsichtlich der Auswirkungen auf sein Selbstwertgefühl und sein Persönlichkeitsrecht abgemildert erschienen. Außerdem sei der Beklagten insoweit zuzugestehen, dass die Entscheidung, den Kläger wegen fehlender Berufserfahrung nicht zum Vorstellungsgespräch einzuladen, eher einem fahrlässigen Verfahrensverstoß zuzuordnen sei. Zu Lasten der Beklagten und zu Gunsten des Klägers sei auf der anderen Seite zu gewichten, dass sowohl gegen die Verpflichtung zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch als auch gegen die Pflicht zur Einschaltung der Agentur für Arbeit verstoßen worden sei und es sich bei der vom Kläger angestrebten Stelle nicht um eine nur kurzfristige Beschäftigung, sondern um eine dauerhafte Beamtenstelle handele, die für den seit langer Zeit arbeitslosen Kläger von besonderer Bedeutung gewesen wäre. Das Gericht halte deshalb eine Entschädigung in Höhe von zwei Bruttomonatsgehältern für angemessen. Da die Beklagte der vom Kläger von Anfang an unter Zugrundelegung der Besoldungstabelle Baden-Württemberg (Besoldungsordnung A) für den Fall der Einstellung angesetzten Höhe des Bruttomonatsgehalts nicht widersprochen habe, sehe das Gericht insoweit keine Veranlassung zu einer näheren Prüfung und gehe von diesem Betrag aus.

Gegen dieses ihr am 28.12.2010 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14.01.2011 die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Sie beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 16. Dezember 2010 - 3 K 1688/10 - zu ändern und die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt sie vor, die Klage sei rechtsmissbräuchlich. Der Kläger führe seit ca. 1 1/2 Jahren mindestens 30 Rechtsstreite gegen öffentliche Arbeitgeber. Nach ihrer Kenntnis habe er in dieser Zeit außerdem mindestens 9 öffentliche Arbeitgeber außergerichtlich in Anspruch genommen. Nach ihrer Auffassung habe sich der Kläger im vorliegenden Fall nicht ernsthaft beworben. Für eine fehlende Ernsthaftigkeit der Bewerbung spreche u.a., dass sich der Kläger bei ihr am 31.12.2009 zu einem Zeitpunkt beworben habe, als er bereits die Zusage der Gemeinde U. gehabt habe, bei der er im Januar 2010 ein Arbeitsverhältnis begonnen habe. Ihm habe klar gewesen sein müssen, dass er bei einer Einladung durch die Beklagte zu einem Vorstellungsgespräch wegen der räumlichen Distanz zwischen U. und R. am Tage des Vorstellungsgesprächs nicht an seinem Arbeitsplatz erscheinen könne, was in der Probezeit für ihn problematisch gewesen wäre. Aus genau diesen Gründen habe der Kläger auch die Einladung des Landkreises Heilbronn zu einem Vorstellungsgespräch am 19.01.2010 nicht wahrgenommen. Beim Landkreis Heilbronn habe sich der Kläger als Kreiskämmerer beworben. Diese Stelle sei ebenfalls besser dotiert gewesen als diejenige in U. Sie sei daher der Auffassung, dass der Kläger auch einer Einladung ihrerseits zum Vorstellungsgespräch in der zweiten Januarhälfte 2010 nicht nachgekommen wäre. Ebenfalls habe sich der Kläger bei der Gemeinde L. im Februar 2010 beworben. Einen Vorstellungstermin in L. am 04.03.2010 habe der Kläger ebenfalls nicht wahrgenommen. Auch zu diesem Zeitpunkt sei er noch bei der Gemeinde U. beschäftigt gewesen. Wieso hätte der Kläger also ausgerechnet einen Vorstellungstermin bei ihr wahrnehmen sollen? Gegen die fehlende Ernsthaftigkeit seiner Bewerbung im Allgemeinen wie im Besonderen spreche außerdem, dass der Kläger damals wie heute Massenbewerbungen per E-Mail mit gleichem Wortlaut an öffentliche Arbeitgeber versendet habe. Innerhalb kürzester Zeit nach Erhalt einer Absage lasse der Kläger in einem standardisierten Verfahren ein standardisiertes Anwaltsschreiben an den absagenden öffentlichen Arbeitgeber übersenden, mit welchem er Entschädigungsansprüche nach § 15 AGG geltend mache. Diese standardisierten Aufforderungsschreiben hätten ebenso wie die Bewerbungsschreiben stets den gleichen Inhalt. Auch die eingereichten Klagen seien standardisiert und hätten denselben Wortlaut. Hinzu kämen die während des Rechtsstreits geführten Telefonate des Klägers mit der Prozessbevollmächtigten und die darin ausgesprochenen Drohungen, noch weitere zahlreiche Entschädigungsklagen zu erheben. Nach ihrer Auffassung könne ein Bewerber, der angeblich so dringend eine Beschäftigung bei einem öffentlichen Arbeitgeber suche, aber gleichzeitig 30 öffentliche Arbeitgeber verklage, nicht ernsthaft an einer Arbeit bei einem solchen öffentlichen Arbeitgeber interessiert sein. Denn dem Kläger müsse klar gewesen sein, dass er bei Klageerhebungen in dieser Größenordnung für einen öffentlichen Arbeitgeber wohl kaum in Betracht komme. Hierauf sei der Kläger sogar vor Beginn seiner Klagewelle von einem ehemaligen Kommilitonen hingewiesen worden.

Jedenfalls aber habe sie die begründete Indizwirkung einer Benachteiligung entkräftet. Das Alter des Klägers sei ebenso wenig wie dessen Behinderung bei der Nichtberücksichtigung ein Kriterium für sie gewesen. Kriterium für die Auswahl der 5 eingeladenen Bewerber bzw. für die Nichteinladung des Klägers sei die Berufserfahrung der eingeladenen Bewerber bzw. die fehlende Berufserfahrung des Klägers gewesen sowie seine mit 7 Punkten eher durchschnittliche Abschlussnote. Alle 5 eingeladenen Bewerber hätten über Berufs- und teilweise auch über Führungserfahrung verfügt. Bewerber ohne Berufserfahrung wie beispielsweise der Kläger seien von vornherein nicht eingeladen worden. Hiervon habe sie keine Ausnahme gemacht - weder beim Kläger noch bei anderen Bewerbern. Sie hätte den Kläger wegen seiner fehlenden Berufserfahrung auch dann nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, wenn er nicht schwerbehindert gewesen wäre. Die Schwerbehinderung des Klägers habe auf ihre Auswahlentscheidung keinerlei Einfluss gehabt. Der eingestellte Bewerber habe sich durch ein Prädikatsexamen mit 10 Punkten in der Staatsprüfung sowie mit 4 Jahren Berufserfahrung als stellvertretender Amtsleiter im Baurechtsamt auszeichnen und damit auch die nötige Führungserfahrung nachweisen können. Da ausweislich der vorgelegten Bewerberübersicht auch andere nicht behinderte Bewerber ohne Berufserfahrung nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden seien, könne mit Sicherheit festgestellt werden, dass ein nicht behinderter Bewerber mit vergleichbaren Examensnoten wie der Kläger und ohne Berufserfahrung nicht eingeladen worden wäre. Die Nichteinladung und Nichteinstellung des Klägers hätten daher ausschließlich auf der Tatsache beruht, dass die fehlende Berufserfahrung und die von ihm erzielten Examensnoten ihren Anforderungen zum fraglichen Einstellungstermin nicht genügt hätten. Eine - ggf. auch nur anteilige - Benachteiligung wegen seiner Behinderung scheide damit aus. Die maßgebliche Bezugnahme auf die Berufserfahrung und die erzielten Examensnoten entspreche auch den Vorgaben aus Art. 33 Abs. 2 GG und sei nicht zu beanstanden.

Gemäß § 15 Abs. 2 AGG habe die Entschädigung angemessen zu sein. Dabei seien die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der Kläger zu einem Vorstellungsgespräch hätte eingeladen werden müssen, wäre die Tatsache, dass dies versäumt worden sei, der einzige Vorwurf, der ihr gemacht werden könnte. Ein derartiger Vorfall sei bei ihr bislang auch noch nicht vorgekommen, sodass auch keineswegs von einem Wiederholungsfall die Rede sein könne. Eine Zahlung in beantragter Höhe würde den Kläger motivieren, weiterhin im großen Stil Entschädigungszahlungen von öffentlichen Arbeitgebern zu fordern. Die Schadensersatzregelung in § 15 AGG sei trotz des von der Rechtsprechung betonten Sanktionszwecks weder ein Tatbestand der Gefährdungshaftung noch sei sie als Strafschadensersatz angelegt, sondern als Instrument zur präventiven Verhaltenssteuerung. Der Sanktionszweck müsse daher inhaltlich durch den Schadensausgleichsgedanken begrenzt werden. Dies sei bei der Bemessung immaterieller Entschädigungsansprüche möglich, die keinen exakt bezifferbaren Schaden ausglichen, ohne die von der Vertragsfreiheit gezogene Grenze zu überschreiten. Angesichts der Anzahl der vom Kläger erhobenen Entschädigungsklagen könne es bei ihm nicht mehr darum gehen, einen Schaden wegen seiner behaupteten Diskriminierung auszugleichen. Ein Schaden in Höhe der insgesamt geltend gemachten Beträge könne dem Kläger durch die behaupteten Diskriminierungen nicht entstanden sein. Rechne man die bekannten Fälle der letzten Monate hoch auf ein Jahr, ergebe sich hieraus ein Bruttojahresgehalt von mehr als 350.000,00 bis 400.000,00 EUR. Ein solches Jahresgehalt lasse sich mit einer angeblich vom Kläger angestrebten Tätigkeit im gehobenen Dienst nicht erzielen. Die Entschädigungsforderungen des Klägers hätten nach ihrer Auffassung nichts mehr mit einer Entschädigung wegen Diskriminierung zu tun. Vielmehr handele es sich im Erfolgsfall um ein lukratives Geschäftsfeld des Klägers. Der Kläger könnte mit seiner angekündigten Klageflut dauerhaft seinen Lebensunterhalt verdienen. Dies sei aber nicht Sinn und Zweck des AGG.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil und trägt vor, die Klage sei nicht rechtsmissbräuchlich. Einer entsprechenden Entschädigungsklage nach dem AGG könne der Einwand des Rechtsmissbrauchs nur dann entgegengehalten werden, wenn die Bewerbung nicht subjektiv ernsthaft, sondern nur zum Zwecke des Erwerbs von Entschädigungsansprüchen erfolgt sei. Allein die Vielzahl von Entschädigungsklagen und Entschädigungsforderungen sei hierfür allerdings nicht ausreichend. Ein abgelehnter Bewerber sei nicht gehindert, aus seiner Sicht bestehende Rechte auszuüben. Er nehme eine Vielzahl von Bewerbungsgesprächen wahr, um einen Arbeitsplatz zu erhalten. Insoweit sei es unzutreffend, wenn die Beklagte behaupte, seine Bewerbungen seien nicht ernsthaft. Die Beklagte habe ihn auch wegen seiner Behinderung benachteiligt. Die durch die Verletzung der Pflicht nach § 82 SGB IX begründete Vermutung eine Benachteiligung wegen der Behinderung habe sie nicht entkräftet. Sie sei deshalb verpflichtet, nach § 15 Abs. 2 AGG eine angemessene Entschädigung zu zahlen. In jedem Falle sei der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, weshalb die Höhe auch danach zu bemessen sei, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich sei. Dabei sei zu beachten, dass die Entschädigung geeignet sein müsse, eine entsprechende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber zu haben, und in jedem Fall in einem angemessen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen müsse. Deshalb bestünden keine Zweifel an der vom Verwaltungsgericht ausgeurteilten Höhe.

Wegen des übrigen Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze, wegen der sonstigen Einzelheiten auf die einschlägigen Akten der Beklagten und die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts Stuttgart verwiesen.

Rechtsweg:

VG Stuttgart Urteil vom 16.12.2010 - 3 K 1688/10
BVerwG Urteil vom 04.09.2012 - BVerwG 5 B 31.12

Quelle:

Justizportal des Landes Baden-Württemberg

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten ist nach Zulassung durch das Verwaltungsgericht statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist jedoch nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Beklagte zu Recht verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 Satz 1 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vom 14.08.2006 (BGBl. I S. 1897), zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.02.2009 (BGBl. I S. 160), in Höhe von zwei Monatsgehältern nebst Prozesszinsen zu bezahlen.

Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage zulässig; das Entschädigungsbegehren setzt eine vorherige Behördenentscheidung gerade in der Form des Verwaltungsakts nicht voraus. Der Durchführung eines Vorverfahrens nach § 126 Abs. 3 BRRG, § 54 Abs. 2 Satz 1 BeamtStG bedarf es nicht, da das die besondere Verfahrensanordnung dieser Vorschriften begründende Dienst- und Treueverhältnis zwischen Beamten und Dienstherrn im vorliegenden Fall nicht gegeben ist und mit der vorliegenden Klage auch nicht angestrebt wird (vgl. dazu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.08.2009 - 9 S 3330/08 -, ZBR 2010, 128); der Kläger begehrt weder eine auf dem Gebiet des Beamtenrechts liegende Entscheidung noch geht er gegen eine solche vor.

1. Der Kläger hat nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG einen Anspruch auf Entschädigung wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist (1.1.). Die insoweit nach Maßgabe des § 7 Abs. 1 AGG erforderliche Benachteiligung des Klägers liegt darin, dass ihm die Beklagte die in § 82 Satz 2 SGB IX angeordnete Besserstellung gegenüber nicht schwerbehinderten Bewerberinnen und Bewerbern durch Einladung zu einem Vorstellungsgespräch vorenthalten hat, obwohl ihm im Sinne von § 82 Satz 3 SGB IX die fachliche Eignung nicht offensichtlich fehlte (1.2.). Der darüber hinaus für die Annahme eines Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Behinderung und Nachteil ist gegeben (1.3.). Der Entschädigungsanspruch wurde innerhalb der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG geltend gemacht (1.4.). Auch kann dem Kläger der Einwand des Rechtsmissbrauchs nicht entgegengehalten werden (1.5.).

1.1. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG ist anzuwenden. Für Benachteiligungen wegen einer Behinderung im Rahmen von Stellenbesetzungsverfahren, die zeitlich nach dem Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes liegen, gelten dessen Vorschriften ohne Einschränkung (vgl. § 33 Abs. 3 AGG). Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz trat am 18.08.2006 in Kraft. Die Beklagte lehnte die Bewerbung des Klägers, ohne diesen vorher zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen zu haben, mit Schreiben vom 12.02.2010 ab.

Die Beteiligten unterfallen auch dem persönlichen Anwendungsbereich des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Als Bewerber für ein öffentlich-rechtliches Beschäftigungsverhältnis im Verwaltungsdienst der Beklagten gilt der Kläger gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG als Beschäftigter im Sinne des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes; die Beklagte als möglicher (künftiger) Dienstherr ist Arbeitgeber im Sinne dieses Gesetzes (§ 6 Abs. 2 AGG).

1.2. Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG ist ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG. Zu den Gründen, aus denen nach § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG eine Benachteiligung verboten ist, gehört die Behinderung des Klägers. Der Kläger wurde dadurch benachteiligt, dass er unter Verletzung des § 82 Satz 2 und 3 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.

Zu diesen und weiteren Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 03.03.2011 (- 5 C 16.10 - , BVerwGE 139, 135; vgl. auch Urteil vom 15.12.2011 - 2 A 13.10 -, Juris) mit Blick auf die dortige Klägerin ausgeführt:

"a) Zwar wird der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot nur in § 15 Abs. 1 AGG als Tatbestandsvoraussetzung für den Ersatz materieller Schäden ausdrücklich genannt. Dem Charakter des § 15 AGG als umfassender Regelung der finanziellen Einstandspflicht des Arbeitgebers bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot (vgl. BTDrucks 16/1780 S. 25 und 38) entspricht es aber, auch die Entschädigung immaterieller Schäden nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG an einen derartigen Verstoß zu binden (so auch z.B.: BAG, Urteil vom 17. August 2010 - 9 AZR 839/08 - juris Rn. 25).

b) Der Begriff der Behinderung im Sinne von § 1 AGG, wegen der gemäß § 7 AGG Beschäftigte nicht benachteiligt werden dürfen, entspricht den gesetzlichen Definitionen in § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX und § 3 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen - BGG - (vgl. BTDrucks 16/1780 S. 31). Er ist damit weiter gefasst als der Begriff der Schwerbehinderung (§ 2 Abs. 2 SGB IX) und der ihr gleichgestellten Behinderung (§ 2 Abs. 3 i.V.m. § 68 Abs. 2 Satz 1 SGB IX). Er erfasst alle Menschen, deren körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigen. Demzufolge handelt es sich bei der Behinderung der Klägerin, die mit Bescheid der Bundesagentur für Arbeit vom 29. Januar 2007 mit schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden ist, um eine solche im Sinne des § 1 AGG.

c) Die Klägerin ist durch das Vorgehen der Beklagten auch im Sinne des § 7 AGG benachteiligt worden.

Benachteiligung im Sinne des Benachteiligungsverbots des § 7 AGG ist jede unterschiedliche Behandlung, die mit einem Nachteil verbunden ist; nicht erforderlich ist, dass in Benachteiligungsabsicht gehandelt oder die Benachteiligung sonst schuldhaft bewirkt worden ist. Nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die unmittelbare Benachteiligung kann auch in einem Unterlassen liegen (vgl. BTDrucks 16/1780 S. 32). Eine unmittelbare Benachteiligung durch Unterlassen ist insbesondere gegeben, wenn ein (künftiger) Arbeitgeber einer gesetzlich auferlegten Handlungspflicht nicht nachkommt, durch die im Sinne des § 5 AGG eine bisher in Beschäftigung und Beruf benachteiligte Gruppe gezielt gefördert werden soll. Die Benachteiligung liegt dabei in der Vorenthaltung eines gesetzlich eingeräumten Vorteils, dessen Ziel es ist, bestehende Nachteile zu beseitigen oder zu verhindern. Die betreffende Person wird weniger günstig behandelt, als es das Gesetz zur Herstellung gleicher Chancen für erforderlich hält. Eine gesetzliche positive Maßnahme im Sinne von § 5 AGG ist angesichts ihres drittschützenden Charakters nicht neutral, sodass die in den Schutzbereich der betreffenden Vorschrift fallenden Personen im Falle ihres Unterlassens unmittelbar benachteiligt werden. Für die gegenüber anderen weniger günstige Behandlung als solche trägt die Beschäftigte oder der Beschäftigte mangels einer abweichenden Regelung nach den allgemeinen Grundsätzen die Beweislast. § 22 AGG greift insoweit nicht ein (vgl. BTDrucks 16/1780 S. 47).

§ 82 Satz 2 und 3 SGB IX begründet eine solche Handlungspflicht, bei deren Nichterfüllung eine unmittelbare Benachteiligung durch Unterlassen anzunehmen ist. Danach haben öffentliche Arbeitgeber schwerbehinderte Menschen oder die ihnen gleichgestellten behinderten Menschen, die sich um einen frei werdenden und neu zu besetzenden sowie neue Arbeitsplätze beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, es sei denn, die fachliche Eignung fehlt offensichtlich. Der Gesetzgeber stellt damit schwerbehinderte Menschen und die ihnen gleichgestellten behinderten Menschen zum Ausgleich ihrer im Allgemeinen tatsächlich schlechteren Chancen auf dem Arbeitsmarkt im Bewerbungsverfahren besser als die nicht schwerbehinderten Konkurrentinnen und Konkurrenten. Anders als diese sollen schwerbehinderte Menschen und die ihnen gleichgestellten behinderten Menschen die Gelegenheit erhalten, den öffentlichen Arbeitgeber im Vorstellungsgespräch von ihrer Leistungsfähigkeit und Eignung zu überzeugen, auch wenn ihre fachliche Eignung für die zu besetzende Stelle zweifelhaft sein mag, solange sie nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Der öffentliche Arbeitgeber hat sich in diesem Fall über die schriftlichen Bewerbungsunterlagen hinaus einen persönlichen Eindruck von der schwerbehinderten Bewerberin oder dem schwerbehinderten Bewerber und dem ihnen gleichgestellten behinderten Menschen, insbesondere von ihrem positiven Leistungsprofil zu verschaffen.

Ziel des § 82 Satz 2 SGB IX ist es, die Teilhabe schwerbehinderter Menschen und der ihnen gleichgestellten behinderten Menschen am Arbeitsleben durch eine ausgleichende Bevorzugungsregelung zu fördern. Sein Anwendungsbereich erstreckt sich daher auf alle im Stellenplan des öffentlichen Arbeitgebers verzeichneten und verfügbaren Stellen. Verfügbarkeit ist zu bejahen, wenn eine besetzbare Stelle nicht besetzt ist, frei wird oder neu geschaffen wurde. In Übereinstimmung mit dem Gesetzeszweck beschränkt sich die Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch nicht auf Bewerbungen, die auf eine konkrete Stellenanzeige oder Stellenausschreibung antworten. Führt der öffentliche Arbeitgeber - wie hier - ein Besetzungsverfahren durch, obliegt ihm diese Pflicht vielmehr auch hinsichtlich der sogenannten Initiativbewerbungen, die sich dadurch auszeichnen, dass sie ohne Bezug auf eine ausdrückliche Stellenausschreibung abgegeben werden. Nicht erforderlich ist, dass der zu besetzende Arbeitsplatz auch tatsächlich gemäß § 82 Satz 1 SGB IX gemeldet worden ist. Die Verletzung der Meldepflicht ließe die Pflicht unberührt, schwerbehinderte Bewerberinnen und Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen.

Der Klägerin fehlte auch nicht offensichtlich die fachliche Eignung für die zu besetzende Stelle im Sinne von § 82 Satz 3 SGB IX. Ob dies der Fall ist, ist anhand eines Vergleichs zwischen dem Anforderungsprofil dieser Stelle und dem Leistungsprofil der Bewerberin oder des Bewerbers zu ermitteln. Für die Stellenvergabe im öffentlichen Dienst gilt insoweit das verfassungsrechtlich garantierte Prinzip der Bestenauslese, d.h. der Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG, uneingeschränkt. Danach hat nur die für die zu besetzende Stelle am besten geeignete Bewerberin oder der am besten geeignete Bewerber einen Anspruch auf Einstellung oder Beförderung, sobald und solange sich der öffentliche Arbeitgeber im Rahmen seiner Organisationsgewalt - wie hier - dafür entschieden hat, verfügbare Stellen im Wege der Bewerberauswahl zu besetzen. Dem Prinzip der Auslese nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung sind auch die durch das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG geschützten Personengruppen unterworfen. Fehlen einer Bewerberin oder einem Bewerber die erforderlichen Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen, verschafft ihnen das Benachteiligungsverbot keinen Anspruch darauf, von bestimmten Qualifikationsmerkmalen befreit zu werden (s.a. Ziffer 17 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf).

Die sachgerechte Prognose, wer von den Bewerberinnen und Bewerbern die zukünftigen Aufgaben am besten erfüllen wird, erfordert die Festlegung eines konkreten Anforderungsprofils. Der öffentliche Arbeitgeber hat im Anforderungsprofil die formalen Voraussetzungen, fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten sowie außerfachlichen Kompetenzen zu beschreiben, die eine Bewerberin oder ein Bewerber für eine erfolgreiche Bewältigung der künftigen Tätigkeit benötigt und die dementsprechend der leistungsbezogenen Auswahl zugrunde zu legen sind (vgl. Urteil vom 16. August 2001 - BVerwG 2 A 3.00 - BVerwGE 115, 58 (60 f.); BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 20. September 2007 - 2 BvR 1972/07 - ZBR 2008, 167 (168)). Dabei gibt der vorliegende Fall keinen Anlass zur abschließenden Beurteilung der Frage, wie differenziert ein Anforderungsprofil sein darf, das jedenfalls diskriminierungsfrei und der zu besetzenden Stelle angemessen sein und eine an dem Prinzip der Bestenauslese entsprechende Auswahl- und Besetzungsentscheidung gewährleisten muss. Bei einem rechtmäßigen Anforderungsprofil werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerberinnen und Bewerber an den aufgestellten Kriterien gemessen, um dem öffentlichen Interesse an einer bestmöglichen Erfüllung der öffentlichen Aufgaben gerecht zu werden.

Der öffentliche Arbeitgeber ist bei der Erstellung des Anforderungsprofils an die gesetzlichen und gegebenenfalls tarifvertraglichen Vorgaben gebunden. Er hat das Anforderungsprofil ausschließlich nach objektiven Kriterien anzufertigen. Eine Einengung des Kreises der nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung zu vergleichenden Bewerberinnen und Bewerber um ein öffentliches Amt darf nur aufgrund sachlicher Erwägungen erfolgen (BVerfG (1. Kammer des Zweiten Senats), Beschluss vom 20. September 2007 a.a.O).... Mit der Festlegung des Anforderungsprofils wird ein wesentlicher Teil der Auswahlentscheidung vorweggenommen. Zugleich bestimmt der öffentliche Arbeitgeber mit dem Anforderungsprofil den Umfang seiner der eigentlichen Auswahlentscheidung vorgelagerten verfahrensrechtlichen Verpflichtung nach § 82 Satz 2 und 3 SGB IX. Denn schwerbehinderte Menschen und die ihnen gleichgestellten behinderten Menschen, die nach den schriftlichen Bewerbungsunterlagen eine ihrerseits diskriminierungsfrei bestimmte fachliche Eignungsvoraussetzung, die im Anforderungsprofil ausdrücklich und eindeutig bezeichnet ist, nicht erfüllen, müssen nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden (so auch: BAG, Urteil vom 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - NJW 2009, 3319 (3322)).

Seiner Aufgabe als Grundlage der leistungsbezogenen Auswahl entsprechend muss das Anforderungsprofil zwingend vor Beginn der Auswahlentscheidung festgelegt werden (BAG, Urteil vom 12. September 2006 - 9 AZR 807/05 - BAGE 119, 262 (270)). Es ist für den öffentlichen Arbeitgeber während des Auswahlverfahrens verbindlich (Urteil vom 16. August 2001 a.a.O.). Der öffentliche Arbeitgeber muss das Anforderungsprofil dokumentieren, damit die Gründe für seine Entscheidung transparent sind und die Entscheidung nach den Kriterien des Art. 33 Abs. 2 GG überprüft werden kann. Ohne Dokumentation wäre es dem öffentlichen Arbeitgeber ansonsten in nahezu jedem Fall möglich, Eignungsmerkmale nachzuschieben, die das Absehen von der Einladung zu einem Vorstellungsgespräch rechtfertigen. Eine effektive gerichtliche Kontrolle (Art. 19 Abs. 4 GG) der Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf durch ein benachteiligungsfreies Auswahlverfahren wäre damit praktisch nicht möglich. Das Benachteiligungsverbot würde weitgehend seiner Schutzwirkung beraubt werden. Schreibt der öffentliche Arbeitgeber eine konkrete Stelle ausdrücklich aus, erfolgt die notwendige Dokumentation des Anforderungsprofils in der Regel durch den Text der Stellenausschreibung oder -anzeige. Das Anforderungsprofil kann sich darüber hinaus aus allgemeinen, vom öffentlichen Arbeitgeber beispielsweise auf seiner Homepage oder in Form von in Broschüren veröffentlichten Hinweisen über die Einstellungsvoraussetzungen und Eignungsanforderungen ergeben."

Die vorgenannten Ausführungen gelten im vorliegenden Verfahren gleichermaßen.

Danach hätte der Kläger, für den seit dem 23.09.1997 eine Schwerbehinderung mit einem Grad der Behinderung von 60 festgestellt ist, gemäß § 82 Satz 2 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen, weil ihm nach § 82 Satz 3 SGB IX die fachliche Eignung für die angestrebte Stelle auf der Grundlage eines Vergleichs zwischen dem Anforderungsprofil der Stelle - unter besonderer Berücksichtigung der konstitutiven Elemente - und seinem Leistungsprofil nicht offensichtlich fehlte. Als "konstitutiv" einzustufen sind diejenigen Merkmale des Anforderungsprofils, die zwingend vorgegeben und anhand objektiv überprüfbarer Kriterien, also insbesondere ohne Rücksichtnahme auf Wertungsspielräume des Dienstherrn, als tatsächlich gegeben letztlich eindeutig und unschwer festzustellen sind. Demgegenüber kennzeichnet das "beschreibende", nicht konstitutive Anforderungsprofil solche Qualifikationsmerkmale, die entweder ausdrücklich nicht zwingend vorliegen müssen oder die schon von ihrer Art her nicht allein anhand objektiv überprüfbarer Fakten - bejahend oder verneinend - festgestellt werden können. Bei Letzteren geht es um Merkmale, die sich erst auf der Grundlage eines persönlichkeitsbedingten, das betreffende Element des Eignungs- und Befähigungsprofils näher in den Blick nehmenden Werturteils erschließen (vgl. dazu Senatsbeschluss vom 07.12.2010 - 4 S 2057/10 -, NVwZ-RR 2011, 290). Die in der Stellenausschreibung der Beklagten geforderte Qualifikation "Dipl.-Verwaltungswirt (FH) oder vergleichbare Ausbildung" als konstitutives Merkmal des Anforderungsprofils erfüllt der Kläger offensichtlich. Ein Examensergebnis mit einer Mindestpunktzahl wird nicht verlangt. Soweit der Bewerber "idealerweise über einige Berufserfahrung" verfügen oder sonst "schon fachlich sehr versiert" sein soll, handelt es sich ersichtlich nicht um eine zwingende Einstellungsvoraussetzung. Die von der Beklagten gewählte Formulierung lässt gerade aus der Sicht schwerbehinderter Bewerber die Erwartung zu, dass ihnen beim durchzuführenden Vorstellungsgespräch die Möglichkeit eröffnet ist, fehlende Berufserfahrung durch sonstige fachliche und persönliche Kompetenz auszugleichen. Dass dem Kläger die fachliche Eignung für die angestrebte Stelle offensichtlich fehlte, ergibt sich danach nicht.

Dem Kläger kann auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, er sei deshalb für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich ungeeignet, weil ihm die Berufs- bzw. Leitungstauglichkeit fehle. Mit dem Hinweis auf eine bestimmte berufliche Qualifikation verbindet sich in der Regel die Erwartung, dass die in der Stellenbeschreibung genannten Aufgabenstellungen auf der Grundlage der beruflichen Qualifikation bewältigt werden können. Das gilt grundsätzlich auch für Aufgabengebiete, in denen der Bewerber noch keine Erfahrung gesammelt hat (BAG, Urteil vom 16.09.2008 - 9 AZR 791/07 -, BAGE 127, 367). Weil der öffentliche Arbeitgeber in der Verantwortung steht, ein Anforderungsprofil festzulegen und vorab nachvollziehbar zu dokumentieren, können auch andere Gesichtspunkte schon im rechtlichen Ansatz grundsätzlich nicht zur Ergänzung des Anforderungsprofils herangezogen werden. Vor diesem Hintergrund bedarf keiner Vertiefung, ob überhaupt Fälle denkbar sind, in denen sich bei feststehender fachlicher Eignung aus den Bewerbungsunterlagen und ggf. zusätzlich bekannt gewordenen Umständen eine Praxisuntauglichkeit für eine (Leitungs-)Aufgabe im Sinne einer offensichtlichen Ungeeignetheit nach § 82 Satz 3 SGB IX ergeben kann. Denn von deren Vorliegen kann hier nicht ausgegangen werden; der Umstand, dass sich an die verschiedenen beruflichen Ausbildungen des Klägers nie eine entsprechend nachhaltige berufliche Tätigkeit angeschlossen hat, führt nicht auf eine offensichtliche Berufs- bzw. Praxisuntauglichkeit. Für die Biographie des Klägers können unterschiedlichste Gründe vorliegen, deren Evaluierung gerade einem Vorstellungsgespräch und dem hieraus resultierenden persönlichen Eindruck vorbehalten bleibt. Dass sich aus den Bewerbungsunterlagen ergäbe, dass der Kläger offensichtlich nicht für die ausgeschriebene Stelle des Leiters des Hauptamts geeignet wäre, lässt sich insgesamt nicht feststellen.

1.3. Zwischen der Schwerbehinderung des Klägers und seiner Benachteiligung im Bewerbungsverfahren besteht ein Kausalzusammenhang. Einer pflichtwidrig unterlassenen Einladung zu einem Vorstellungsgespräch ist eine Indizwirkung im Sinne des § 22 AGG beizumessen. Die Beklagte hat die Kausalitätsvermutung nicht widerlegt.

Zu diesen Voraussetzungen hat das Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 03.03.2011 (a.a.O.) ausgeführt:

"a) Der Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot im Sinne des § 7 Abs. 1 AGG erfordert, dass die Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes - hier der Behinderung - erfolgt ist. Mitursächlichkeit reicht aus (BAG, Urteile vom 21. Juli 2009 a.a.O. S. 3321 f. und vom 17. August 2010 a.a.O. Rn. 31). Gemäß § 22 AGG muss die Beschäftigte oder der Beschäftigte Indizien (sog. Vermutungstatsachen) vortragen und beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. § 22 AGG senkt das Beweismaß. Es genügt die Überzeugung des Gerichts von der überwiegenden Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Grund und Nachteil (vgl. BTDrucks 16/1780 S. 47 unter Bezugnahme auf BAG, Urteil vom 5. Februar 2004 - 8 AZR 112/03 - BAGE 109, 265 (273 f.)).

Die Vorenthaltung des gesetzlich eingeräumten Chancenvorteils hat eine doppelte Bedeutung. In ihr liegt einerseits die weniger günstige Behandlung (Benachteiligung, Diskriminierung), andererseits ist sie Vermutungstatsache für die Kausalität. Die Indizwirkung ergibt sich daraus, dass der in Bezug auf das Bewerbungsverfahren gesetzlich eingeräumte Chancenvorteil seine entscheidende Rechtfertigung in der Schwerbehinderung oder einer ihr gleichgestellten Behinderung findet. Wird der oder dem Beschäftigten, die gerade wegen einer Behinderung zu gewährende verfahrensrechtliche Besserstellung pflichtwidrig vorenthalten, spricht zumindest der erste Anschein dafür, dass dieses Verhalten des öffentlichen Arbeitgebers gleichfalls seinen Grund in der Behinderung hat. Andernfalls würde der durch besondere verfahrensrechtliche Vorkehrungen zu gewährende Schutz vor einer Benachteiligung weitgehend leerlaufen (BAG, Urteil vom 21. Juli 2009 a.a.O. S. 3321; zum alten Recht im Ergebnis offen gelassen Beschluss vom 22. Februar 2008 - BVerwG 5 B 209.07 - Buchholz 436.61 § 81 SGB IX Nr. 1). ....

b) Im Falle der vermuteten Kausalität trägt der Arbeitgeber die volle Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Hierfür muss er Tatsachen darlegen und beweisen, aus denen sich ergibt, dass die in § 1 AGG genannten Gründe sein benachteiligendes Verhalten tatsächlich weder als negatives noch als positives Kriterium allein oder neben anderen Gründen (mit)beeinflusst haben (BAG, Urteile vom 21. Juli 2009 a.a.O. S. 3322 und vom 17. August 2010 a.a.O. Rn. 45).

Die durch die Vorenthaltung des in § 82 Satz 2 SGB IX eingeräumten Chancenvorteils vermutete Kausalität kann nicht mit dem Hinweis darauf widerlegt werden, dass das Ergebnis des Bewerbungsverfahrens, d.h. die Auswahlentscheidung und die daraufhin erfolgte Einstellung, unter dem Aspekt der fachlichen Eignung rechtlich nicht zu beanstanden sind. Für den nach § 22 AGG möglichen Nachweis, dass für die Nichteinladung einer Bewerberin oder eines Bewerbers entgegen § 82 Satz 2 SGB IX ausschließlich andere Gründe als die Behinderung erheblich waren, können nur solche Gründe herangezogen werden, die nicht die fachliche Eignung betreffen. Hierfür enthält die in § 82 Satz 3 SGB IX geregelte Ausnahme mit dem Erfordernis der 'offenkundigen' Nichteignung eine abschließende Regelung. Sie prägt auch die Anforderungen, die bei Verstößen im Bewerbungsverfahren bei auf die fachliche Eignung bezogenen Erwägungen für den Gegenbeweis zugrunde zu legen wären. Dies entspricht dem Schutzzweck des § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 82 Satz 2 SGB IX, der das Recht schwerbehinderter Menschen und der ihnen gleichgestellten behinderten Menschen auf ein benachteiligungsfreies Bewerbungsverfahren schützt (BAG, Urteile vom 21. Juli 2009 a.a.O. und vom 17. August 2010 a.a.O. Rn 48). Dementsprechend knüpft der Entschädigungsanspruch des § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG nicht an die behinderungsbedingte Nichteinstellung, sondern ausschließlich an Benachteiligungen im Bewerbungsverfahren an, z.B. an einen Verstoß gegen die Verfahrensvorschrift des § 82 Satz 2 SGB IX. Die - als Ergebnis des Bewerbungs- und Auswahlverfahrens - nach Maßgabe des Art. 33 Abs. 2 GG festgestellte bessere Eignung anderer Bewerberinnen und Bewerber rechtfertigt nur die Auswahlentscheidung und lässt nicht darauf schließen, dass auch das Bewerbungsverfahren tatsächlich ohne Benachteiligung einer Mitbewerberin oder eines Mitbewerbers durchgeführt worden ist. Wenn - wie durch § 82 Satz 3 SGB IX vorgegeben - die Frage der fachlichen Eignung bereits bei der Reichweite der verfahrensbezogenen Pflichten des Arbeitgebers zu prüfen ist, würde es das dort normierte Offensichtlichkeitserfordernis unterlaufen, wenn die fachliche Eignung auch für den Gegenbeweis herangezogen werden könnte; dieser ist auf andere Gesichtspunkte zu begrenzen. Nur dieses Verständnis entspricht § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG, der eine Entschädigung in Fällen, in denen der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, gerade nicht ausschließt, sondern diese lediglich der Höhe nach begrenzt. Beruht auch das Auswahlergebnis auf der Benachteiligung, besteht Anspruch auf vollen Schadensersatz nach § 15 Abs. 1 AGG.

Die Widerlegung der infolge der Verletzung des § 82 Satz 2 SGB IX vermuteten Kausalität setzt daher den Nachweis voraus, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fachliche Eignung der Bewerberin oder des Bewerbers berühren. Letzteres folgt aus dem insoweit abschließenden Charakter des § 82 Satz 3 SGB IX. Damit wird dem öffentlichen Arbeitgeber nicht jede Möglichkeit genommen, unter Berufung auf die Examensnoten von einer Einladung schwerbehinderter Bewerberinnen und Bewerber sowie der ihnen gleichgestellten behinderten Menschen zu einem Vorstellungsgespräch abzusehen. Der öffentliche Arbeitgeber kann dies hier allerdings nur dadurch erreichen, dass er vorab und bindend bestimmte Erfordernisse (wie z.B. Noten) zum Nachweis der geforderten fachlichen Qualifikation in ein - seinerseits diskriminierungsfreies und sachlich gerechtfertigtes - Anforderungsprofil aufnimmt. Auf diese Weise kann der öffentliche Arbeitgeber die Reichweite seiner Verpflichtung nach § 82 Satz 2 und 3 SGB IX steuern und zugleich Einladungen zu Vorstellungsgesprächen entgegenwirken, bei denen die Bewerberinnen und Bewerber aller Voraussicht nach keine Einstellungschance haben. Bei einer vorrangig über Examensnoten gesteuerten Einstellungspraxis kommt die Bezeichnung an das Examensergebnis anknüpfender Kriterien bereits für die Vorauswahl der Bewerberinnen und Bewerber auch dann in Betracht, wenn für die jeweilige Einstellungsrunde der Kreis der Bewerberinnen und Bewerber und deren Examensergebnisse noch nicht bekannt sind; verzichtet aber ein öffentlicher Arbeitgeber auf eine transparente vorherige Festlegung von Mindestanforderungen, um sich für die Einstellungsentscheidung eine gewisse Flexibilität zu erhalten, kann er sich nicht auf nachträglich gebildete Maßstäbe berufen."

Auch diese Ausführungen gelten im vorliegenden Verfahren gleichermaßen. Der Kläger hat Vermutungstatsachen vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung indizieren. Als derartige Vermutungstatsachen kommen alle Pflichtverletzungen in Betracht, die der Arbeitgeber begeht, indem er Vorschriften nicht befolgt, die zur Förderung der Chancen der schwerbehinderten Menschen geschaffen wurden (BAG, Urteil vom 17.08.2010 - 9 AZR 839/08 -, NJW 2011, 550, m.w.N.). Insoweit kann sich der Kläger zwar nicht darauf berufen, dass über seine Bewerbung weder die Schwerbehindertenvertretung noch der Personalrat informiert worden wären. Eine Schwerbehindertenvertretung besteht bei der Beklagten nicht, und die Personalvertretung ist rechtzeitig beteiligt worden. Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass die Beklagte ihm im Ablehnungsschreiben oder unverzüglich danach nicht die Gründe für die von ihr getroffene Entscheidung mitgeteilt habe. Die Regelungen zur Unterrichtung in § 81 Abs. 1 Satz 9 SGB IX beziehen sich - was sowohl aus ihrem Wortlaut als auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung folgt - nur auf den Tatbestand des § 81 Abs. 1 Satz 7 SGB IX und betreffen damit nur Fälle, in denen der Arbeitgeber seine Beschäftigungspflicht nicht erfüllt und die Schwerbehindertenvertretung oder eine in § 93 SGB IX genannte Vertretung mit der beabsichtigten Entscheidung des Arbeitgebers nicht einverstanden ist (vgl. dazu BAG, Urteil vom 15.02.2005 - 9 AZR 635/03 -, BAGE 113, 361). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Der Kläger ist jedoch entgegen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden und die Beklagte hat entgegen § 82 Satz 1 SGB IX die zu besetzende Stelle nicht der Bundesagentur für Arbeit angezeigt (vgl. dazu BAG, Urteil vom 12.09.2006 - 9 AZR 807/05 -, BAGE 119, 262).

Dass die danach indizierte Benachteiligung des Klägers auf Umständen beruht, die weder einen Bezug zu seiner Schwerbehinderung aufweisen noch seine fachliche Eignung berühren, hat die Beklagte nicht dargetan. Der Kausalzusammenhang zwischen nachteiliger Behandlung und Behinderung ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Behinderung anknüpft oder durch sie motiviert ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Ausreichend ist, dass die Behinderung Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat. Es genügt, wenn vom Arbeitgeber unterlassene Maßnahmen objektiv geeignet sind, schwerbehinderten Menschen keine oder schlechtere Chancen einzuräumen. Ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht ist, wie dargelegt, nicht erforderlich (vgl. auch BAG, Urteil vom 17.08.2010, a.a.O.).

Die Beklagte macht geltend, Kriterium für die Auswahl der 5 eingeladenen Bewerber zum Vorstellungsgespräch bzw. für die Nichteinladung des Klägers sei nicht seine Behinderung, sondern die Berufserfahrung der eingeladenen Bewerber bzw. die fehlende Berufserfahrung des Klägers gewesen sowie seine mit 7 Punkten eher durchschnittliche Abschlussnote. Damit aber bezieht sich die Beklagte auf ein Merkmal, das die fachliche Eignung des Klägers berührt. Dies ist aber gerade nicht ausreichend, um die Indizwirkung zu entkräften, und belegt nicht, dass es ausschließlich andere Gründe waren als die Behinderung, die zu der weniger günstigen Behandlung führten. Die bessere Eignung von Mitbewerbern schließt eine Benachteiligung nicht aus. Das folgt schon aus § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG, wonach selbst dann eine Entschädigung zu leisten ist, wenn der schwerbehinderte Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Sind die Chancen eines Bewerbers - wie hier - bereits durch ein diskriminierendes Verfahren beeinträchtigt worden, kommt es nicht mehr darauf an, ob die (Schwer-)Behinderung bei der abschließenden Einstellungsentscheidung noch eine nachweisbare Rolle gespielt hat. Für diesen verfahrensrechtlichen Anspruch gelten deshalb andere Kriterien als für die Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 GG (vgl. auch BAG, Urteil vom 21.07.2009 - 9 AZR 431/08 -, NJW 2009, 3319). Nach dem Vorbringen der Beklagten ist nicht ausgeschlossen, dass die Behinderung in ihrem Motivbündel nicht doch enthalten war; die Vermutung der Benachteiligung des Klägers hat sie nicht widerlegt.

1.4. Der Entschädigungsanspruch ist auch gemäß § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Zugang der Ablehnung schriftlich geltend gemacht worden. Das Ablehnungsschreiben der Beklagten datiert vom 12.02.2010, der Entschädigungsanspruch wurde mit Schreiben des Klägers vom 07.04.2010 geltend gemacht.

1.5. Der Entschädigungsanspruch ist nicht ausnahmsweise nach dem auch im öffentlichen Recht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs, insbesondere wegen mangelnder Ernsthaftigkeit der Bewerbung, ausgeschlossen. Mit Rücksicht auf die Gewährleistung eines tatsächlichen und wirksamen Rechtsschutzes vor Benachteiligungen in Beschäftigung und Beruf ist an einen derartigen Anspruchsausschluss ein strenger Maßstab anzulegen. Eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen allein lässt nicht darauf schließen, der Bewerber sei nicht ernsthaft interessiert. Von einem solchen Ausnahmefall ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn von vornherein der Wille fehlt, die ausgeschriebene Stelle tatsächlich einzunehmen, also in Wirklichkeit nur eine Entschädigung angestrebt wird (BAG, Urteile vom 21.07.2009 und vom 16.09.2008, jeweils a.a.O.). Dies kann hier nicht festgestellt werden. Der Kläger hat mit seinen Bewerbungen von seinem Recht, den Arbeitsplatz frei zu wählen, Gebrauch gemacht. Ihm kann nicht vorgehalten werden, dass er, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen, sich - auch unter Verwendung von Textbausteinen - um eine Vielzahl ausgeschriebener Stellen beworben hat. Auch wenn er in der Folge zahlreiche Entschädigungsklagen gegen öffentliche Arbeitgeber erhoben hat, steht dieser Umstand seinem Entschädigungsanspruch nicht entgegen. Denn dass offenbar eine Vielzahl von öffentlichen Arbeitgebern in Unkenntnis war über die besonderen gesetzlichen Verpflichtungen aus § 82 SGB IX, kann dem Kläger nicht angelastet werden. Hinreichende Anhaltspunkte für ein "AGG-Hopping" des Klägers ergeben sich nicht. Auch in der Verwendung von standardisierten Anwaltsschreiben, mit denen Entschädigungsansprüche geltend gemacht werden, liegt kein hinreichendes Indiz für eine nicht ernsthafte Bewerbung des Klägers. Ein Bewerber ist nicht daran gehindert, aus seiner Sicht bestehende Rechte auszuüben. Unerheblich ist auch, dass sich der Kläger im vorliegenden Fall zu einem Zeitpunkt beworben hat, als er bereits eine Zusage für die - letztlich nur kurzfristige - Beschäftigung bei einer bayerischen Gemeinde hatte. Abgesehen davon, dass der letztgenannte Umstand belegt, dass der Kläger gewillt ist, eine ihm angebotene Stelle auch anzunehmen, hat er plausibel vorgetragen, er habe immer eine Beamtenstelle und nicht nur ein Angestelltenverhältnis angestrebt und bevorzuge räumlich eindeutig eine Beschäftigung in Baden-Württemberg. Dass er sich aus diesen Gründen weiterhin um eine Beamtenstelle in Baden-Württemberg beworben hat, kann ihm deshalb nicht vorgeworfen werden. Ob der Arbeitgeber das der Bewerbung zugrunde liegende Motiv nachvollziehen kann, ist demgegenüber nicht entscheidend. Eine mangelnde Ernsthaftigkeit der Bewerbung folgt auch nicht daraus, dass der Kläger im Herbst 2009 und zu Beginn des Jahres 2010 einzelne Vorstellungsgespräche abgesagt hat. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass er auch ein etwaiges Vorstellungsgespräch bei der Beklagten nicht hätte wahrnehmen wollen. Er hat nachvollziehbar dargetan, dass er sich grundsätzlich bemüht hat, jedes ihm angetragene Vorstellungsgespräch wahrzunehmen oder sich - sofern ihm dies etwa wegen gleichzeitig stattfindender anderer Vorstellungsgespräche oder wegen Krankheit nicht möglich war - um einen Ersatztermin nachzusuchen. Form und Inhalt seiner Bewerbung lassen, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, ebenfalls nicht den Schluss zu, es habe sich um eine nicht ernsthafte Bewerbung gehandelt.

2. Die Höhe des hiernach dem Kläger dem Grunde nach zustehenden Entschädigungsanspruchs ist nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG begrenzt. Zwischen den Beteiligten ist nicht streitig und der Senat hat auch keinen Zweifel daran, dass der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Die Beklagte hat, wie das Verwaltungsgericht zutreffend entschieden hat, überzeugend nachgewiesen, dass für die Vorauswahl der Bewerber, die sich dem Gemeinderat hätten präsentieren sollen, und die anschließende Auswahlentscheidung die einschlägige Berufserfahrung der Bewerber maßgebend gewesen sei, über die der Kläger - was er selbst nicht in Abrede stellt - nicht verfügt.

Innerhalb des danach geltenden Rahmens von drei Bruttomonatsgehältern richtet sich die Festsetzung der angemessenen Entschädigung nach den Umständen des Einzelfalls, wobei etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, die Folgen für den Kläger hinsichtlich seines Persönlichkeitsrechts, der Grad der Verantwortlichkeit der Beklagten, der Anlass und Beweggrund ihres Handeln sowie der Sanktionszweck und die damit verbundene abschreckende Wirkung zu berücksichtigen sind (vgl. dazu BAG, Urteil vom 17.08.2010 - 9 AZR 839/08 -, NJW 2011, 550). Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, die Entscheidung der Beklagten, den Kläger wegen fehlender Berufserfahrung nicht zum Vorstellungsgespräch einzuladen, sei eher einem fahrlässigen Verfahrensverstoß zuzuordnen. Dass sowohl gegen die Verpflichtung zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch als auch gegen die Pflicht zur Einschaltung der Agentur für Arbeit verstoßen worden sei und es sich bei der vom Kläger angestrebten Stelle nicht um eine nur kurzfristige Beschäftigung, sondern um eine dauerhafte Beamtenstelle gehandelt habe, die für den seit langer Zeit arbeitslosen Kläger von besonderer Bedeutung gewesen wäre, sei ebenso zu berücksichtigen wie der Umstand, dass das letztlich entscheidende Kriterium der Berufserfahrung in der Stellenbeschreibung bereits - wenn auch nicht als Ausschlusskriterium - angesprochen worden sei und insofern die Absage an den Kläger hinsichtlich der Auswirkungen auf sein Selbstwertgefühl und sein Persönlichkeitsrecht abgemildert erscheine. Dies ist nicht zu beanstanden. Danach ist die vom Verwaltungsgericht festgesetzte Entschädigung in Höhe von zwei Monatsgehältern angemessen; sie berücksichtigt ebenso Art und Schwere der Benachteiligung des Klägers wie auch den Sanktionszweck der Entschädigung. Die Höhe des Monatsgehalts ist zutreffend ermittelt worden. Dem Kläger wäre bei einer Einstellung und einer Einstufung in die Besoldungsgruppe A 9 Stufe 9 einschließlich allgemeiner Stellenzulage ein monatlicher Betrag in Höhe von 2.824,03 EUR gezahlt worden (vgl. § 86 BBesG, §§ 27, 28 BBesG in der bis zum 31.08.2006 geltenden Fassung, § 3 BVAnpGBW 2009/2010). Zwei Monatsgehälter belaufen sich danach auf 5.648,06 EUR. Der Anspruch auf Prozesszinsen ab Eintritt der Rechtshängigkeit ergibt sich aus § 291 BGB in entsprechender Anwendung.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der Gründe des § 132 Abs. 2 VwGO gegeben ist.

Beschluss

vom 07. Februar 2012

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird gemäß § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG auf 5.648,06 EUR festgesetzt.

Der Beschluss ist unanfechtbar.

Referenznummer:

R/R6093


Informationsstand: 27.01.2014