Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach vom 09. Februar 2005 wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten um einen Entschädigungsanspruch im Zusammenhang mit der Bewerbung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers.
Der als schwerbehinderter Mensch anerkannte Kläger bewarb sich erfolglos um eine Stelle bei der Beklagten. In seiner Bewerbung hatte er auf seine Behinderung hingewiesen. Die Beklagte erteilte dem Kläger eine schriftliche Absage, ohne Gründe zu nennen. Mit der vorliegenden Klage hat der Kläger erstinstanzlich eine Entschädigung in Höhe von 3 Monatsgehältern gefordert.
Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Übrigen, des Vorbringens der Parteien und ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 92 - 97 d.A.) verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben und dem Kläger einen Entschädigungsanspruch
gem. § 81
Abs. 2
Nr. 3
SGB IX in Höhe von 2.200,00 EURO, der vom Kläger angegebenen Höhe eines Monatsgehalts, zugesprochen.
Gegen dieses Urteil vom 09. Februar 2005, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Beklagten.
Die Beklagte hält die rechtlichen Folgerungen, die das Arbeitsgericht aus § 81
SGB IX gezogen hat, für unzutreffend. Insbesondere äußert sie die Auffassung,
Abs. 1 Satz 9 dieser Vorschrift sei nur auf Betriebe anwendbar, in denen eine Schwerbehindertenvertretung besteht. Dass der Gesetzgeber notwendigerweise von mehreren Beteiligten ausgeht, folge schon aus dem Satz "Alle Beteiligten sind ... zu unterrichten". Außerdem folge aus dem Gesetz nicht, dass der Beklagten verwehrt sei, Ablehnungsgründe noch nachträglich vorzutragen. Die Rechtslage entspreche der des § 626
Abs. 2 Satz 3
BGB. Auch dort sei es dem Arbeitgeber möglich, noch nachträglich Kündigungsgründe zu nennen. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass das Arbeitsgericht, obwohl es selbst einen minder schweren Fall angenommen hat, dem Arbeitgeber diese Möglichkeit der nachträglichen Rechtfertigung entzogen habe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Offenbach am Main vom 09. Februar 2005, Az. 4 Ca 170/04 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags.
Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten ist zulässig.
Die Berufung ist jedoch in der Sache unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht teilweise stattgegeben.
Das Berufungsgericht schließt sich dem angefochtenen Urteil im Ergebnis und in der Begründung an (§ 69
Abs. 2
ArbGG), in der sowohl die Kommentierung als auch die bisher zu § 81
SGB IX ergangene Rechtsprechung ausführlich gewürdigt wurden.
Inzwischen hat auch das Bundesarbeitgericht mit seinem Urteil vom 15. Februar 2005 - 9 AZR 635/03 - die im dortigen Verfahren vorgetragenen verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Regelung in § 81
Abs. 2 Satz 2
Nr. 3 Satz 1
SGB IX, nach der ein wegen seiner Schwerbehinderung diskriminierter Bewerber, der auch bei benachteiligungsfreier Auswahl die Stelle nicht erhalten hätte, Anspruch auf Entschädigung von bis zu drei Monatsgehältern hat, verworfen. Darüber hinaus hat das Bundesarbeitsgericht festgestellt, dass der schwerbehinderte Bewerber eine Beweislastverschiebung herbeiführen kann, wenn er Hilfstatsachen darlegt und
ggf. unter Beweis stellt, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft vermuten lässt. Schließlich hat es die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft angenommen, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung entgegen § 81
Abs. 1 Satz 4
SGB IX nicht über die eingegangene Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen unterrichtet hat.
Dem entsprechen die Feststellungen des Arbeitsgerichts im vorliegenden Fall, das die Benachteiligung des Klägers ebenfalls wegen eines Verstoßes der Beklagten gegen eine Informationspflicht im Rahmen des Bewerbungsverfahrens - hier der Pflicht zur Information über die getroffene Entscheidung
i.S.d. § 81
Abs. 1 Satz 9
SGB IX - vermutet hat. Dies begegnet keinen Bedenken seitens der Berufungskammer.
Der Inhalt der Berufungsbegründung gibt lediglich Anlass zu folgenden Ergänzungen:
Für eine Beschränkung des Geltungsbereichs des § 81
Abs. 1 auf solche Betriebe, in denen eine Schwerbehindertenvertretung besteht, findet sich im Gegensatz zur Auffassung der Beklagten im Gesetz keine Stütze. Insbesondere folgt dies nicht aus der Formulierung in Satz 9 ("Alle Beteiligten ..."). Es hieße das Verhältnis von Voraussetzungen und Rechtsfolgen entgegen dem erkennbaren Sinn der Vorschrift verdrehen, wollte man das Bestehen einer Schwerbehindertenvertretung zur Voraussetzung für die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers machen. Denn der Gesetzgeber wollte damit ganz offensichtlich bewirken, dass - wenn sie besteht - auch die Schwerbehindertenvertretung neben dem Bewerber die Ablehnungsgründe mitgeteilt bekommt, nicht aber das Bestehen der Schwerbehindertenvertretung zur Voraussetzung der Informationspflicht machen. Im Übrigen beschränkt sich die Beteiligteneigenschaft auch nicht auf den Bewerber und
ggf. die Schwerbehindertenvertretung, sondern nach § 81
Abs. 1 Satz 4 bis 7
SGB IX sind auch die weiteren in § 93
SGB IX genannten Vertretungsgremien zu beteiligen. Wenn der Gesetzgeber nun im vorletzten Satz der Verfahrensregelung die Informationspflicht über die getroffene Entscheidung gegenüber "allen Beteiligten" anordnet, so würde es jeglicher sinnvollen Gesetzessystematik widersprechen, wenn das Verfahren selbst vom Bestehen der zu beteiligenden Mitbestimmungsorgane abhängig gemacht würde.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht auch darauf hingewiesen, dass sich ein eingeschränkter Geltungsbereich, wie ihn die Beklagte annimmt, nicht mit dem Schutzzweck der Begründungspflicht vereinbaren ließe. Mit Hilfe der Begründungspflicht des § 81
Abs. 1 Satz 9
SGB IX soll das Einstellungsverfahren für den schwerbehinderten Menschen transparent und überprüfbar gemacht werden. Diese Notwendigkeit besteht unabhängig davon, ob bei dem jeweiligen Arbeitgeber eine Schwerbehindertenvertretung besteht oder nicht. Im Gegenteil müsste in den Betrieben ohne Schwerbehindertenvertretung das Schutzbedürfnis des schwerbehinderten Bewerbers gerade besonders groß sein, weil im Rahmen des Bewerbungsverfahrens keine spezielle Vertretung über die spezifischen Interessen der schwerbehinderten Bewerber wacht. Gerade in solchen Betrieben ist die umfassende Information des schwerbehinderten Bewerbers selbst zur Überprüfung der Arbeitgeberentscheidung besonders wichtig.
Dem Arbeitsgericht ist auch insofern zu folgen, als es die nachträgliche Heilung der fehlenden Begründung regelmäßig ausgeschlossen und nur für solche Gründe ermöglicht hat, die dem Arbeitgeber zum Zeitpunkt der Ablehnung nicht bekannt waren. Die Zulassung nachträglicher Begründung widerspräche der gesetzlich angeordneten Pflicht zur unverzüglichen Angabe von Gründen. Sie ermöglichte dem Arbeitgeber, das Benachteiligungsverbot jederzeit unter Missachtung der Formvorschriften zu umgehen, um dann im Falle der entsprechenden Rüge noch Gründe nachzutragen. Dies widerspräche den bereits aufgeführten Intentionen des Gesetzgebers bei der Schaffung der Formvorschriften des § 81
Abs. 1
SGB IX.
Auch der Hinweis der Beklagten auf § 626
Abs. 2 Satz 3
BGB verfängt nicht, da diese Vorschrift völlig anders ausgestaltet ist. Im Gegensatz zu § 81
Abs. 1 Satz 9
SGB IX, der eine unbedingte Informationspflicht konstituiert, fordert § 626
Abs. 2 Satz 3
BGB die Mitteilung der Kündigungsgründe ausdrücklich nur auf Verlangen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97
ZPO.
Für die Zulassung des Rechtsmittels der Revision gemäß § 72
Abs. 2
ArbGG bestand keine gesetzlich begründbare Veranlassung.