Urteil
Zustimmungsverweigerung des Betriebsrats - unterlassene Prüfung des Arbeitgebers, ob Stelle mit Schwerbehindertem besetzt werden kann

Gericht:

ArbG Frankfurt


Aktenzeichen:

22 BV 856/05


Urteil vom:

01.03.2006


Orientierungssätze:

Die Einstellung eines nicht schwerbehinderten Arbeitnehmers verstößt gegen § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG, wenn der Arbeitgeber nicht zuvor gemäß § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX geprüft hat, ob der freie Arbeitsplatz mit einem Schwerbehinderten besetzt werden kann. Bereits bei dieser Prüfung soll der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung beteiligen und den Betriebsrat hören. Die Verpflichtung des Arbeitgebers besteht unabhängig davon, ob eine Beschäftigungspflicht nach dem SGB IX besteht, oder ob der Arbeitgeber dieser Beschäftigungspflicht schon nachgekommen ist. Die Prüfung ist in jedem Fall, in dem ein freier Arbeitsplatz besetzt werden soll, durchzuführen.

Es spielt keine Rolle, ob die zu besetzende Stelle mit einem Arbeitnehmer oder einem Leiharbeitnehmer besetzt werden soll. Die dem Arbeitgeber obliegende Prüfung hat er bei der Einstellung jeglicher Art von Mitarbeitern durchzuführen, folglich auch bei der Einstellung von Leiharbeitnehmern.

Aus sachlichen Gründen ist eine vorläufige personelle Maßnahme dringend erforderlich, wenn es mit dem ordnungsgemäßen betrieblichen Ablauf nicht zu vereinbaren ist, dass der Arbeitsplatz für längere Zeit unbesetzt bleibt.

Kurzbeschreibung:

Der Antragsteller (Arbeitgeber) schrieb eine Stelle aus mit dem Aufgabenbereich: Betreuung überwiegend bettlägeriger Bewohner des Pflegeheims. Gleichzeitig beantragte er beim Betriebsrat (Antragsgegner) die Zustimmung (§ 99 Abs. 1 BetrVG) zur befristeten Einstellung einer Leiharbeitnehmerin. Der Betriebsrat verweigerte gestützt auf § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG die Zustimmung u.a. wegen fehlender Beteiligung des Beauftragten des Arbeitgebers (§ 98 SGB IX) und der Vertrauensfrau für schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen (§ 81 Abs. 1 SGB IX). Das Arbeitsgericht hat den Antrag auf Ersetzung der Zustimmung des Betriebsrats zurückgewiesen.

Das Arbeitsgericht stützt seine Entscheidung darauf, dass der Arbeitgeber bei der Auswahl der Leiharbeitnehmerin gegen das Gesetz verstoßen habe. Er habe entgegen § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX nicht geprüft, ob der Arbeitsplatz mit einem bei der Agentur für Arbeit gemeldeten schwerbehinderten Arbeitnehmer besetzt werden könnte. Diese Verpflichtung bestehe unabhängig davon, ob die Pflichtquote für die Beschäftigung schwerbehinderter Arbeitnehmer (§ 71 SGB IX) erfüllt sei oder nicht. Zwar sei die Einstellung einer nichtbehinderten Arbeitnehmerin nicht verboten; es liege aber ein Verstoß gegen eine gesetzlich ausdrücklich geregelte Prüfungspflicht vor, die das Gesetz dem Arbeitgeber zur Verbesserung der Chancen schwerbehinderter Arbeitnehmer auferlege. Dies gelte auch bei der Einstellung von Leiharbeitnehmerinnen. Der Betriebsrat habe die Aufgabe, auf die Einhaltung der gesetzlichen Pflicht zu achten (§ 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG). Sein Beteiligungsrecht diene nicht nur dem Schutz der Belegschaft. Der Gesetzgeber habe es für erforderlich angesehen, ihm die Verpflichtung aufzuerlegen, die Berücksichtigung schwerbehinderter Menschen bei der Besetzung offener Stellen zu überwachen.

Hinweis:

Fachbeiträge zum Thema finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/b/B_2007-1...

Referenznummer:

R/R2616


Informationsstand: 23.02.2007