Leitsätze:
1. Für eine Unterrichtung nach § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber alle Bewerbungsunterlagen auch der Schwerbehindertenvertretung elektronisch zugänglich macht. Es muss vielmehr unverzüglich ein Hinweis ergehen, ob und welcher der - hier 50 - Bewerber schwerbehindert ist.
2. Die Klägerin ist als schwerbehinderte Bewerberin nicht automatisch deswegen offensichtlich ungeeignet für die ausgeschriebene Stelle nach der Vergütungsgruppe E 10 TV-L im Sinne von § 165 S. 4 SGB IX, weil sie über den im Anforderungsprofil verlangten Hochschulabschluss nicht verfügt, zumal sich diese Voraussetzung weder aus den Eingruppierungsmerkmalen noch aus dem Anforderungsprofil selbst ergibt.
Rechtsweg:
ArbG Berlin, Urteil vom 11.04.2019 - 58 Ca 11246/18
Quelle:
Tenor:
II. Die Kosten des Rechtsstreits II. Instanz haben die Klägerin zu 1/3 und das beklagte Land zu 2/3 zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die 1967 geborene Klägerin hat einen GdB (Grad der Behinderung) von 90. Sie weist einen Abschluss als staatlich anerkannte Grafik-Designerin auf, den sie nach dreijähriger Ausbildung im Jahr 1992 beim L. Verein, einer Berufsfachschule, erwarb. Danach war sie verschiedentlich als Grafikerin, aber auch in anderen Berufen tätig.
Das beklagte Land schrieb unter Angabe einer Bewerbungsfrist bis zum 30. März 2018 (Karfreitag) eine Stelle für eine Grafikerin für das Aufgabengebiet Grafik und Layout, Corporate Design, die nach der Entgeltgruppe 10 TV-L bewertet ist, aus. Als Anforderungen wurden in der Ausschreibung ein Studium Kommunikationsdesign, Grafikdesign (Bachelor oder FH-Diplom) und eine mindestens dreijährige Berufserfahrung als Grafikerin oder Kommunikationsdesignerin angeführt sowie wegen weiterer fachlicher und außerfachlicher Anforderungen auf ein ergänzendes Anforderungsprofil verwiesen. Wegen des weiteren Inhalts dieser Ausschreibung, insbesondere auch im Hinblick auf das dort genannte Arbeitsgebiet und die ausweislich des Anforderungsprofils genannten Fachkompetenzen wird auf die Anlage K 1 (Blatt 19 bis 27 der Akte) Bezug genommen. Die Klägerin bewarb sich elektronisch am 30.03.2018 unter Hinweis auf die bei ihr vorliegende Schwerbehinderteneigenschaft. Wegen ihres Lebenslaufs und der weiteren mit ihrer Bewerbung eingereichten Unterlagen wird auf das Anlagenkonvolut K 2 (Blatt 28 bis 41 der Akte) Bezug genommen.
Das beklagte Land hat einheitlich ein elektronisches Bewerbungsverfahren eingeführt. Innerhalb der einzelnen Senatsverwaltungen werden die eingehenden Bewerbungen mittels des sogenannten E-Recruitingverfahrens rexx erfasst und bearbeitet. Die Schwerbehindertenvertretung hat über das Portal laufend die Möglichkeit, sich über die Stellenausschreibungen und deren Anforderungsprofile zu informieren. Nach Ablauf der Bewerbungsfrist wird das Bewerberverfahren durch die Stellenwirtschaft weitergeleitet, womit dann die Angaben und Unterlagen für den beteiligten Fachbereich und die Gremien innerhalb des Verfahrens rexx einsehbar werden. In eine so genannte Generalienakte kommen dabei nach Ablauf der Bewerbungsfrist die Angaben des Fachbereichs zu einer Vorauswahl und die jeweilige Bewerberliste. Im Fall der Klägerin wurde die Schwerbehindertenvertreterin am 03.04.2018 mit dem Verfahren rexx über die vorliegenden 50 Bewerbungen, einschließlich der Bewerbung der Klägerin informiert. Sämtliche Unterlagen waren einsehbar. Ein gesonderter Hinweis an die Schwerbehindertenvertretung, dass sich eine schwerbehinderte Person unter den Bewerbern befand, erfolgte nicht. Das System zeigt an, wenn es Veränderungen in einem Bewerbungsverfahren gibt. Das System lässt es auch zu, dass die beteiligten Fachbereiche und Gremien eigene Listen und Bearbeitungen erstellen. Der interne Vorauswahlvermerk vom 09.04.2018 über die Einladungen zu einem Auswahlgespräch sowie eine Bewerbungsübersicht in tabellarischer Form (Bl. 127f der Akte) wurde am 26.04.2018 in der Generalienakte abgespeichert und war ab diesem Zeitpunkt auch für die Schwerbehindertenvertreterin dort sichtbar.
Vorstellungsgespräche, zu denen 7 Personen eingeladen wurden, fanden am 04.05.2018 statt. Die Auswahlentscheidung wurde am 09.05.2018 getroffen. Am 15.05.2018 hat die Schwerbehindertenvertretung durch Abzeichnung ihre Beteiligung abgeschlossen.
Mit Schreiben vom 23.05.2018 teilte das beklagte Land der Klägerin mit, die Wahl sei auf eine Mitbewerberin gefallen. Mit Schreiben vom 16.07.2018, auf das das beklagte Land mit Schreiben vom 20.07.2018 antwortete, machte die Klägerin einen Entschädigungsanspruch nach dem AGG (Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz) geltend.
Mit der am 23.08.2018 eingereichten Klage verfolgt sie dieses Begehren weiter. Sie hat in zweierlei Hinsicht Indizien für eine Diskriminierung wegen der bei ihr vorliegenden Schwerbehinderung als gegeben angesehen. So sei der Vortrag zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung unsubstantiiert geblieben. Weiter stelle die unterbliebene Einladung zu einem Vorstellungsgespräch sich als entsprechendes Indiz dar, da es ihr jedenfalls nicht offensichtlich an der fachlichen Eignung für die fragliche Stelle fehle. Soweit in der Ausschreibung ein Hochschulabschluss gefordert werde, sei dies für die in Aussicht genommenen Aufgaben nicht zwingend, ein Bezug zu diesem bereits nicht erkennbar. So finde sich die nunmehr angeführte Erforderlichkeit der Anleitung einer einzigen bereits tätigen Grafikerin mit einer Eingruppierung und Vergütung nach Entgeltgruppe 8 bereits nicht in der Ausschreibung, auch erschließe sich das Erfordernis einer akademischen Ausbildung hierfür nicht. Auch werde dort Führungserfahrung nicht gefordert, sei bei ihr, der Klägerin, aber sogar vorhanden. Das weiter angeführte Argument des beklagten Landes, es handele sich um die Position eines Senior Art Directors beziehungsweise einer künstlerischen Leiterin für Corporate Design und Corporate Identity finde sich ebenfalls nicht in der Ausschreibung. Soweit das beklagte Land darauf abstelle, dass auch eine inhaltliche und konzeptionelle Entwicklung von Publikationen in Eigenverantwortung anfalle, ergebe sich aus ihrer Bewerbung, dass dies sowohl zu ihrer aktuellen Aufgabe zähle als auch in der Vergangenheit zu ihren Berufserfahrungen, nämlich im museumspädagogischen Bereich in einer dortigen Beschäftigung mit derartigen Aufgaben von rund einem Jahr. Schließlich bleibe der Vortrag des beklagten Landes unsubstantiiert, soweit es behaupte, als leitende Grafikerin sei ein Agieren mit den Redakteuren, die ihrerseits mindestens einen Fachhochschulabschluss aufwiesen, "auf Augenhöhe" geboten.
Der Höhe nach, so die Klägerin weiter, solle sich die begehrte Entschädigung auf mindestens drei zu erwartende Bruttomonatsgehälter belaufen, wobei sie von einer Eingruppierung und Vergütung wie ausgeschrieben in die Entgeltgruppe 10 sowie einer Stufenzuordnung in Stufe 3 im Hinblick auf ihre vorangegangenen Berufserfahrungen ausgeht.
Die Klägerin hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung, mindestens jedoch 10.960,11 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat behauptet, die Schwerbehindertenvertretung habe den Vorgang am 15.05.2018 zur Beteiligung gehabt; über die Vorabauswahlentscheidung sei sie mittels Netzinformation an diesem Tag informiert worden, weiter darüber, dass schwerbehinderte Menschen am Vorauswahlverfahren beteiligt waren; Einwendungen seien durch die Schwerbehindertenvertretung nicht erhoben worden. Zum Beweis bezieht sich das beklagte Land auf das Zeugnis der Schwerbehindertenvertreterin Frau D.
Eine Einladung der Klägerin zu einem Vorstellungsgespräch, so das beklagte Land weiter, sei im Hinblick auf deren offensichtlich fehlende fachliche Eignung entbehrlich gewesen, denn die Klägerin weise den im Anforderungsprofil als erforderlich aufgeführten Fachhochschulabschluss nicht auf. Das Anforderungsprofil wiederum mit der dort geforderten akademischen Ausbildung und mindestens dreijährigen Berufserfahrung sei nach den zu erledigenden Aufgaben und im Hinblick auf diese erstellt worden. Sowohl die Anleitung der bereits beschäftigten Grafikerin der Entgeltgruppe 8 als auch das Agieren als leitende Grafikerin "auf Augenhöhe" mit den Redakteuren, die ihrerseits mindestens ein Fachhochschulstudium aufweisen müssten, erfordere einen derartigen Abschluss. Zu den Aufgaben zählten auch die inhaltliche und konzeptionelle eigenverantwortliche Entwicklung von Publikationen; es handele sich um die Position eines Senior Art Directors (künstlerische Leiterin). Schließlich zähle es auch zu den Aufgaben, die fachlichen Präsentationen für die Hausleitung grafisch umzusetzen und inhaltlich zu entwickeln. Dieses Aufgaben-Portfolio mache die geforderte akademische Ausbildung erforderlich.
Jedenfalls aber, so das beklagte Land weiter, sei bei einer etwaigen Entschädigung hinsichtlich der Höhe zu berücksichtigen, dass die Klägerin mangels Vorhandenseins des geforderten Abschlusses allenfalls in die Entgeltgruppe 9 hätte eingruppiert und entsprechend vergütet werden können.
Mit Urteil vom 11.04.2019 hat das Arbeitsgericht Berlin der Klägerin eine Entschädigung i.H.v. zwei Monatsgehältern (je 3.172,55 Euro, somit insgesamt 6.345,10 Euro) zugesprochen. Die Klägerin habe zwei Indizien für eine Benachteiligung wegen Ihrer Schwerbehinderung dargetan. Es sei nicht ersichtlich, dass die Schwerbehindertenvertretung umfassend unterrichtet worden sein soll. Der Hinweis, die Schwerbehindertenvertretung sei "mittels Netzinformation" in Kenntnis gesetzt worden, reiche insofern nicht aus. Ein weiteres Indiz ergebe sich daraus, dass das beklagte Land entgegen der Verpflichtung aus § 165 S. 3 SGB IX die Klägerin als schwerbehinderten Menschen nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat. Die behauptete offensichtlich fehlende fachliche Eignung der Klägerin liege aus Sicht der Kammer nicht vor, auch wenn die Klägerin nicht über den im Anforderungsprofil geforderten akademischen Abschluss verfüge. Weder der Ausschreibung noch den ergänzenden schriftsätzlichen Ausführungen lasse sich entnehmen, dass der geforderte akademische Abschluss für die zu besetzende Stelle erforderlich sein soll. Die Anleitung einer einzigen Grafikerin setze nicht zwingend eine akademische Ausbildung voraus. Es seien zwei Gehälter als Entschädigung anzusetzen, da vorliegend zwei Indizien für eine Diskriminierung verwirklicht worden sind. Wegen des fehlenden akademischen Abschlusses sei davon auszugehen, dass die Vergütung der Klägerin entsprechend der Vorbemerkung zu allen Teilen der Entgeltordnung zum TV-L nach der nächst niedrigeren Entgeltgruppe 9 (dort Stufe 3) erfolgt wäre.
Hiergegen richten sich die Berufung des beklagten Landes und die Anschlussberufung der Klägerin.
Das beklagte Land hat erstmals und ausführlich das E-Recruitingverfahren rexx dargestellt. Es ist insofern der Ansicht, dass die Schwerbehindertenvertretung über dieses Verfahren ausreichend informiert worden sei. Im Gegensatz zur Auffassung des Arbeitsgerichts hätte auch in zutreffender Weise verlangt werden dürfen, dass ein Studienabschluss vorliegt. Hierbei sei auch zu berücksichtigen, dass die einzustellende Person nicht nur einzelne Produkte zu gestalten hätte, sondern für die Entwicklung des Corporate Designs der gesamten Senatsverwaltung verantwortlich wäre. Auch aus der Größe und Bedeutung der Senatsverwaltung (34.000 Lehrkräfte; 600 Schulen; 350.000 Schüler und 170.000 Kinder in Kitas) ergebe sich, dass eine Leitungsposition mit akademischen Abschluss erforderlich sei. Das Verfahren rexx sei unter Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung entwickelt worden und eröffne ab Beginn eines Bewerbungsverfahrens die Möglichkeit, sich fortlaufend zu informieren. Am 09.05.2018 sei die Schwerbehindertenvertretung in Schriftform über das Vorauswahlverfahren (Verlauf und Ergebnisse) informiert worden.
Das beklagte Land beantragt sinngemäß,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11.04.2019 - 58 Ca 11246/18 - teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
1. die Berufung des beklagten Landes zurückzuweisen und
2. das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 11.04.2019, AZ. 58 Ca 11246/18 abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung, mindestens jedoch 9.517,65 Euro brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 31.08.2018 zu zahlen.
Das beklagte Land beantragt,
die Anschlussberufung zurückzuweisen.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Schwerbehindertenvertretung sei nicht unverzüglich über ihre Bewerbung informiert worden. Ein reines Einstellen von Unterlagen in ein elektronisches System reiche nicht aus. Auch hätte die Schwerbehindertenvertretung vor einer Entscheidung angehört werden müssen, welche Personen zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden sollen. Sie hätte zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden müssen. Auf die formalen Anforderungen eines Anforderungsprofils komme es nicht an. Maßgeblich sei vielmehr, welche Anforderungen an den Bewerber redlicherweise hätten gestellt werden dürfen. Zu berücksichtigen sei auch, dass in zahlreichen Stellenausschreibungen für ähnliche Tätigkeiten ein Studium nicht verlangt wird. Es sei davon auszugehen, dass die Bewerberin, die mit einem Grad von 30 behindert sei, über das geforderte Studium nicht verfüge. Diese sei jedoch unstreitig zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Hinsichtlich der Höhe der Entschädigung sei zu berücksichtigen, dass sie seit über einem Jahr arbeitslos und mit einem hohen Grad schwerbehindert sei.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des beklagten Landes ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist daher zulässig. Im Ergebnis hat sie jedoch keinen Erfolg. Zu Recht hat das Arbeitsgericht Berlin das beklagte Land verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung i.H.v. 6.345,10 Euro zu zahlen. Die Klägerin hat in zwei Punkten ausreichend Indizien für eine Benachteiligung wegen Ihrer Schwerbehinderung nachgewiesen, die das beklagte Land nicht widerlegt hat (§ 22 AGG). Insofern steht der Klägerin eine Entschädigung i.H.v. zwei Monatsentgelten gemäß § 15 Abs. 2 AGG zu. Auch das neue und ausführliche Vorbringen des beklagten Landes rechtfertigt eine abweichende Entscheidung nicht. Daher war die Berufung zurückzuweisen.
I. Der Anspruch der Klägerin scheitert nicht an formalen Voraussetzungen (§ 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG), was zwischen den Parteien auch nicht streitig ist.
Nachdem die Klägerin am 23.05.2018 erstmals eine Absage zu Ihrer Bewerbung erhalten hat, hat sie mit Schreiben vom 16.07.2018 Entschädigungsansprüche geltend gemacht. Die Klage ging dann am 23.08.2018 beim Arbeitsgericht ein.
II. Ein Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG kann nur mit Erfolg durchgesetzt werden, wenn ein Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot vorliegt. Insofern sind sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen im Sinne des § 3 AGG verboten. Das Benachteiligungsverbot gemäß 7 Abs. 1 AGG untersagt eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, unter anderem auch wegen einer Behinderung. Unabhängig hiervon dürfen Arbeitgeber nach § 164 Abs. 2 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu die Regelungen des AGG (BAG 16.05.2019 - 8 AZR 315/18 - juris Rn. 13).
1. Die Klägerin hat eine Benachteiligung wegen ihrer (Schwer-) Behinderung erfahren.
Auch unter Berücksichtigung des Vorbringens des beklagten Landes im Berufungsverfahren liegen weiterhin Indizien im Sinn des § 22 AGG vor, die für sich allein betrachtet oder in der Gesamtschau aller Umstände mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass zwischen der benachteiligten Behandlung und einem Grund im Sinne des § 1 AGG (hier die Schwerbehinderung) der nach § 7 Abs. 1 AGG erforderliche Kausalzusammenhang bestand.
1.1 Die Klägerin wurde dadurch, dass sie von dem beklagten Land nicht eingestellt wurde, unmittelbar im Sinne von § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, denn sie hat eine ungünstigere Behandlung erfahren als die letztlich eingestellte Person.
1.2. Verstößt ein Arbeitgeber gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zu Gunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, greift grundsätzlich die Vermutung im Sinne des § 22 AGG, wonach eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vorliegt (BAG 16.05.2019 - 8 AZR 315/18 - juris Rn. 22).
1.2.1. Ein solcher Verstoß kann hier deswegen festgestellt werden, weil das beklagte Land gegen die Verpflichtung nach § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX verstoßen hat. Es hat die Schwerbehindertenvertretung nicht unmittelbar darüber informiert, dass mir der Bewerbung der Klägerin eine Bewerbung eines schwerbehinderten Menschen vorlag.
Für eine Unterrichtung nach § 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber alle Bewerbungsunterlagen auch der Schwerbehindertenvertretung elektronisch zugänglich macht. Es muss vielmehr unverzüglich ein Hinweis ergehen, ob und welcher der - hier 50 - Bewerber schwerbehindert ist. Daran fehlt es. Das beklagte Land hat die Schwerbehindertenvertretung nicht informiert, sondern ihr nur die Möglichkeit eingeräumt, nach Durchsicht zahlreicher Dokumente die erforderliche Information selbst zu finden.
Sinn und Zweck der Informationspflichten ist es, dass der Arbeitgeber frühzeitig Transparenz über die eingegangenen Bewerbungen gegenüber den betrieblichen Interessenvertretungen schafft, soweit es um Bewerbungen schwerbehinderter Menschen geht (FKS-SGB IX-Faber/Rabe-Rosendahl, 4. Aufl. 2018, § 164 Rn. 18). Hierbei hat der Arbeitgeber so umfassend zu informieren, dass die Schwerbehindertenvertretung in die Lage versetzt wird, die ihr nach § 178 SGB IX auferlegten Pflichten wahrzunehmen, insbesondere die Interessen der schwerbehinderten Menschen sachgerecht zu vertreten. Der Schwerbehindertenvertretung soll es ermöglicht werden, sich inhaltlich auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber auseinander zu setzen (Mushoft in Hauck/Noftz, SGB IX 2018, § 178 Rn. 53). All dies ist nur möglich, wenn der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung zielgerichtet über eingegangene Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen informiert. Wollte man dies anders beurteilen, bestünde die Gefahr, dass die Schwerbehindertenvertretung bei Durchsicht der umfangreichen Unterlagen übersieht, dass auch Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen vorliegen. Dies ist auch interessengerecht. Nach der Rechtsprechung des BAG muss ein Arbeitgeber nicht sämtliche Unterlagen eines Bewerbers auf einen Hinweis zu einer Schwerbehinderung überprüfen. Aus der Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme hat das BAG entwickelt, dass entsprechende Informationen im Bewerbungsschreiben oder an herausgehobener Stelle im Lebenslauf aufzuführen sind (BAG 18.09.2014 - 8 AZR 759/13 - juris Rn. 37). Nach den Grundsätzen der vertrauensvollen Zusammenarbeit ist der Arbeitgeber daher umgekehrt im Verhältnis zur Schwerbehindertenvertretung verpflichtet, die von ihm ermittelte Information der Schwerbehinderung in transparenter Form mitzuteilen.
Die Freischaltung gegenüber den Gremien reicht vorliegend auch deswegen allein nicht aus, weil die Schwerbehindertenvertretung nicht bei allen Bewerbungsverfahren zu beteiligen ist, sondern nur dann, wenn ein schwerbehinderter Mensch sich beworben hat. Nur dann steht der Schwerbehindertenvertretung auch ein Einsichtsrecht in die jeweiligen Bewerbungsunterlagen zu. Wenn die Schwerbehindertenvertretung jedoch nicht ausdrücklich darüber informiert wird, in welchem Bewerbungsverfahren sich schwerbehinderte Bewerber beteiligt haben, kann sie auch nicht beurteilen, ob sie in diese Bewerbungsunterlagen überhaupt Einblick nehmen darf.
Nach Darstellung des beklagten Landes konnte die Schwerbehindertenvertretung frühestens am 26.04.2018 in halbwegs übersichtlicher Form indirekt durch Zusammenstellung einer Bewerberübersicht mit Angaben zu einer Schwerbehinderteneigenschaft und Einstellung in die Generalienakte darüber informiert worden sein, dass bei der Klägerin das entsprechende Merkmal vorlag. In zeitlicher Hinsicht stellt dies jedenfalls keine "unmittelbare" Information dar, denn die Klägerin hatte sich schon am 30.03.2018 beworben. Nach hiesiger Ansicht dürfte jedoch auch erst die schriftliche Informierung am 09.05.2018 als ausreichend anzusehen sein.
1.2.2. Ein weiterer Verstoß gegen bestehende Verpflichtungen zum Schutz schwerbehinderter Menschen ist darin zu sehen, dass das beklagte Land die Klägerin nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat, obwohl hierzu nach § 165 S. 3 SGB IX eine Verpflichtung bestand.
Nach dieser Norm sind schwerbehinderte Menschen von einem öffentlichen Arbeitgeber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn sie sich beworben haben.
Das beklagte Land kann sich auch nicht mit Erfolg auf die Ausnahmevorschrift nach § 165 S. 4 SGB IX berufen. Danach ist eine Einladung entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.
Zur Beurteilung der fachlichen Eignung des/der Bewerbers/Bewerberin ist auf das in der veröffentlichten Stellenausschreibung enthaltene Anforderungsprofil abzustellen (BAG 11.08.2016 - 8 AZR 375/15 - juris Rn. 35). Die Festlegung des Anforderungsprofils muss jedoch wegen der so genannten Bestenauslese gemäß Art. 33 Abs. 2 GG im Hinblick auf die Anforderungen der zu besetzenden Stelle sachlich nachvollziehbar sein (BAG 12.09.2006 - 9 AZR 807/05 - juris Rn. 33).
Die hiesige Klägerin ist als schwerbehinderte Bewerberin nicht automatisch deswegen offensichtlich ungeeignet für die ausgeschriebene Stelle nach der Vergütungsgruppe E 10 TV-L im Sinne von § 165 S. 4 SGB IX, weil sie über den im Anforderungsprofil verlangten Hochschulabschluss nicht verfügt, zumal sich diese Voraussetzung weder aus den Eingruppierungsmerkmalen noch aus dem Anforderungsprofil selbst ergibt.
Die Tatbestandsmerkmale für die Entgeltgruppe E 10 TV-L setzen nicht eine bestimmte Hochschulausbildung voraus, sondern verlangen nur eine Heraushebung im Hinblick auf die "besondere Schwierigkeit und Bedeutung" der Tätigkeit.
Erst ab der Entgeltgruppe E 13 werden Beschäftigte mit abgeschlossener wissenschaftlicher Hochschulausbildung und entsprechender Tätigkeit erfasst sowie sonstige Beschäftigte, die aufgrund gleichwertiger Fähigkeiten und ihrer Erfahrungen entsprechende Tätigkeiten ausüben. Schon dies zeigt, dass die Tarifvertragsparteien gerade nicht davon ausgehen, dass nur ein formaler Ausbildungsabschluss eine bestimmte Tätigkeit ermöglicht.
Auch das BAG geht davon aus, dass der Festlegung einer formalen Ausbildungsqualifikation nur die Aufgabe zukommt, die durch eine Prüfung nachgewiesene Befähigung zur Erledigung bestimmter Aufgaben abstrakt zu beschreiben. Im Hinblick auf das Recht des Zugangs zu einem öffentlichen Amt gemäß Art. 33 Abs. 2 GG ist ein Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes deswegen gehindert, aus subjektiven Erwägungen die Inhaber von gleichwertigen oder gar höherwertigen Qualifikation allein aus formalen Gründen auszuschließen (BAG 12.09.2006 - 9 AZR 807/05 - juris Rn. 34). Daher hätte das beklagte Land vorliegend prüfen müssen, ob die Klägerin nicht unabhängig von ihrer formalen Qualifikation auf Basis ihrer langjährigen Berufserfahrung offensichtlich nicht über gleichwertige Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt wie ein Bewerber, der das geforderte Studium formal abgeschlossen hat. Daran fehlt es.
Im Gegensatz zur Auffassung des beklagten Landes lässt sich unabhängig hiervon aus den Anforderungen der zu besetzenden Stellen auch nicht ableiten, dass Qualifikationen auf dem Niveau eines Fachhochschulabschlusses überhaupt erforderlich sein sollen. Die Leistungsmerkmale zu den Fachkompetenzen beziehen sich auf Kenntnisse mit InDesign, Photoshop, Gestaltung von Printmedien, MS Office einschließlich Powerpoint, Erstellung bzw. Weiterentwicklung eines Corporate Designs und Ähnliches. Er wird an keiner Stelle kenntlich gemacht, warum hierfür ein Fachhochschulabschluss notwendig sein soll. Dies gilt auch für die übrigen Rubriken (Leistungsverhalten, wirtschaftliches Handeln, Organisationsfähigkeit, Selbstständigkeit, Entscheidungsfähigkeit etc.). Soweit im Rahmen des Berufungsvorbringens darauf abgestellt wird, dass bei der Beschreibung des Arbeitsgebietes im Anforderungsprofil auch die Entwicklung des Corporate Designs der Senatsverwaltung angegeben ist, lässt sich auch daraus nicht die Notwendigkeit eines formalen Abschlusses der hier geforderten Form ableiten. Das entsprechende Design ist vielmehr für das gesamte Bundesland und die verschiedenen Senatsverwaltungen einheitlich (vergleiche Briefkopf des beklagten Landes 27.03.2019, Bl. 88 der Akte). Welche Spielräume insofern bestehen, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen hat die Klägerin unter Darlegung ihres Ausbildungsplans (Anl. K7, Bl. 164 der Akte) dargelegt, dass zu ihren theoretischen Fächern auch der Bereich Corporate Design gehörte.
Zusammengefasst hätte das beklagte Land eine offensichtliche Ungeeignetheit der Klägerin nicht damit begründen dürfen, dass ein von ihm verlangter formaler Ausbildungsabschluss nicht vorlag. Schon bei Zweifeln hinsichtlich der Geeignetheit der Klägerin hätte es diese vielmehr zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen.
2. Das beklagte Land hat es nicht vermocht, die hier festgestellten Indizwirkungen zu beseitigen.
Liegen Indizien vor, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Insofern muss der Arbeitgeber Tatsachen vortragen und gegebenenfalls beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG aaO Rn. 21). Ihm obliegt der Vollbeweis. Die Schwerbehinderung darf insofern auch nicht im Rahmen eines Motivbündels (BAG 12.12.2013 - 8 AZR 838/12 - juris Rn. 22) eine Rolle spielen. Zur Widerlegung der Kausalitätsvermutung reicht es nicht aus, wenn Tatsachen vorgetragen werden, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere Gründe als die Behinderung für die Benachteiligung des Bewerbers ausschlaggebend waren, sondern es muss hinzukommen, dass diese Gründe nicht die fachliche Eignung des Bewerbers betreffen. Dies gilt aber ausschließlich dann, wenn bei einem öffentlichen Arbeitgeber eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch unterblieben ist (BAG 11.08.2016 - 8 AZR 375/15 - juris Rn. 50).
Gemessen hieran hat das beklagte Land keinerlei Tatsachen vorgetragen, um einen gegenteiligen Vollbeweis zu erbringen.
III. Die Höhe der Entschädigung war auf zwei Monatsgehälter (6.345,10 EUR) zu beschränken. In dieser Höhe ist sie ausreichend und angemessen.
Nach der Rechtsprechung des BAG muss die Entschädigung einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus dem Unionsrecht hergeleiteten Rechte gewährleisten. Die Schwere des Verstoßes muss sich in der Höhe der Sanktionen widerspiegeln, aber auch den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalles - wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns - und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen (BAG 22.05.2014 - 8 AZR 662/13 - juris Rn. 44).
Der Verstoß ist hier als schwerwiegender einzuschätzen, zumal als Indiztatsachen zwei Verstöße gegen Schutzvorschriften festzustellen waren. Die Klägerin, die inzwischen länger arbeitslos ist, hatte keine Chance, ihre Fertigkeiten und Kenntnisse in einem Vorstellungsgespräch näher erläutern zu können. Das beklagte Land hat nicht bewusst eine Diskriminierung herbeiführen wollen, sondern die langjährige Praxis des E-Recruitingverfahrens für ausreichend erachtet. Auch hat es die rechtliche Situation verkannt, indem es einseitig auf formale Qualifikationen meinte abstellen zu dürfen. Da das beklagte Land einem Großbetrieb gleichgestellt werden kann, ist eine Entschädigung i.H.v. zwei Monatsgehältern angemessen, aber auch unter Berücksichtigung der Situation der Klägerin ausreichend, wobei die Höhe des Monatsgehalts zwischen den Parteien nicht streitig ist.
B.
Die Anschlussberufung der Klägerin ist ebenfalls zulässig, da sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ist. In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg. Mehr als zwei Monatsgehälter waren als Entschädigung nicht festzusetzen. Insofern wird auf die vorangegangenen Ausführungen verwiesen.
C.
Die Parteien haben die Kosten des Berufungsverfahrens anteilig zu ihrem Obsiegen und Unterliegen zu tragen (§ 92 ZPO).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 72 Abs. 2 ArbGG) liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung, die sich an der Rechtsprechung des BAG orientiert. Insofern ist gegen dieses Urteil ein Rechtsmittel nicht gegeben.
Themen:
- Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG) |
- Anhörung / Beteiligungspflicht / Mitwirkungsrecht |
- Benachteiligung / Benachteiligungsverbot |
- Beteiligung an Bewerbungsverfahren |
- Bewerbungsverfahren / Personalauswahl |
- Personalauswahl öffentlicher Arbeitgeber |
- Pflichten nach SGB IX § 164 Abs. 1 |
- Schwerbehindertenvertretung
Schlagworte:
Referenznummer:
R/R9045
Informationsstand: 16.04.2020