I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege der einstweiligen Anordnung die Verpflichtung der Bundesagentur für Arbeit (Bundesagentur) zur Auskunftserteilung im Wege eines presserechtlichen Auskunftsanspruchs.
Die Antragstellerin ist als freie Journalistin tätig mit den Schwerpunkten Desinformation im Netz, Machtmissbrauch und gesellschaftliche Ungleichheit. Derzeit recherchiert sie nach eigenen Angaben zum Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes, das am 1. Januar 2024 in Kraft treten wird. Nach geltender Rechtslage sind Arbeitgeber einer bestimmten Größe dazu verpflichtet, auf wenigstens 5% der Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen (
§ 154 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Wird dieser Pflicht nicht nachgekommen, stellt dies nach geltender Rechtslage eine Ordnungswidrigkeit dar, die durch die Bundesagentur mit Geldbuße geahndet werden kann (
§ 238 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 SGB IX). Das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes sieht die Abschaffung dieser Bußgeldregelung vor. Stattdessen sollen beschäftigungspflichtige Arbeitgeber, die keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen, eine erhöhte Ausgleichsabgabe zahlen (
vgl. BT-Drs. 20/5664,
S. 16).
Die Antragstellerin wandte sich per E-Mail am 2. August 2023 mit den folgenden Presseanfragen an die Pressestelle der Bundesagentur:
„1. Laut Staatssekretärin K. Gr. (siehe Pressemitteilung des Deutschen Bundestags https://www.... vom 19.04.2023) wurden im Jahr 2022 sechs Bußgeldverfahren gegen Unternehmen geführt, die trotz gesetzlicher Vorgaben keine Menschen mit Behinderung beschäftigen. Welche Unternehmen waren das und wie ist der aktuelle Stand dieser Bußgeldverfahren? Bitte geben Sie den jeweiligen Verfahrensstand zuordnend zu den einzelnen Unternehmen an.
2. Laut Staatssekretärin K. Gr. (siehe Pressemitteilung des Deutschen Bundestags https://www.... vom 19.04.2023) beschäftigen aktuell 45.000 Unternehmen in Deutschland trotz gesetzlicher Vorgaben keine Menschen mit Behinderung. Bitte nennen Sie mir diese 45.000 Unternehmen. Gerne können Sie mir die Daten als digitale Datei
z. B. Excel senden.“
Die Bundesagentur lehnte daraufhin mit E-Mail vom 2. August 2023 eine Auskunft mit Verweis auf den Datenschutz ab. Auf erneute Anfrage der Antragstellerin hin begründete die Bundesagentur dies damit, dass auch Betriebsdaten laut Gesetz datenschutzwürdig und dem Sozialdatenschutz gleichgestellt seien (mit Verweis auf § 35
Abs. 4
SGB I). Schließlich forderte die Antragstellerin die Bundesagentur mit anwaltlichem Schreiben vom 21. August 2023 erneut zur Auskunft auf. Daraufhin lehnte die Bundesagentur mit Schreiben vom 31. August 2023 die Auskunftserteilung erneut ab.
Mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 29. September 2023 hat die Antragstellerin einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123
Abs. 1 Satz 2
VwGO gestellt.
Ein Anordnungsanspruch ergebe sich vorliegend aus
Art. 5
Abs. 1 Satz 2
GG. Der Anspruch bestehe nur nicht, soweit schutzwürdige Interessen öffentlicher Stellen oder Privater an der Vertraulichkeit entgegenstünden.
Das Sozialgeheimnis sei mangels Betroffenheit von personenbezogenen Daten nicht betroffen. Es seien auch keine den Sozialdaten gleichstehenden Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse betroffen. Es könne schon angezweifelt werden, ob es sich bei der Information, dass ein Unternehmen keine Personen mit Schwerbehinderung beschäftigt, überhaupt um eine geschäftsbezogene Information handele. Ob solche Eigenschaften der Beschäftigten den erforderlichen Unternehmensbezug aufwiesen oder es sich dabei in erster Linie um Informationen aus dem persönlichen Lebensbereich der Beschäftigten handele, erscheine fraglich. Jedenfalls liege kein schutzwürdiges Geheimhaltungsinteresse vor. Dies setze zunächst Wettbewerbsrelevanz voraus. Die Wettbewerbsrelevanz lasse sich insbesondere anhand der Frage beurteilen, ob die Kenntnis bestimmter Daten Rückschlüsse auf die Betriebsführung, die Wirtschaft- und Marktstrategie und/oder die Kostenkalkulation und Entgeltgestaltung des Unternehmens zulasse. All dies sei hier nicht der Fall. Jedenfalls überwiege das Informationsinteresse. Dass es sich bei den angefragten Informationen zweifellos um Informationen über rechtswidrige Vorgänge handele, führe jedenfalls dazu, dass die Interessen der betroffenen Unternehmen im Rahmen einer Abwägung hinter der Pressefreiheit zurückstehen müssten.
Es liege auch ein Anordnungsgrund vor. Ein wesentlicher Nachteil sei in Fällen presserechtlicher Auskunftsansprüche anzunehmen, wenn für die begehrte Auskunft ein gesteigertes öffentliches Interesse sowie ein starker Gegenwartsbezug bestehe, der dazu führe, dass bei einem Abwarten der Klärung im Hauptsacheverfahren die begehrte Auskunft ihren Nachrichtenwert verliere und allenfalls noch von historischem Interesse sei. Da als Mittel zur Umsetzung für mehr Inklusion die Möglichkeit eines Bußgeldverfahrens gegen Unternehmen überhaupt erst geschaffen worden sei, bestehe ein generelles öffentliches Interesse, die Umsetzung und Effektivität dieses Mittels zu beobachten. Die Bundesagentur stehe akut im Verdacht, ein Vorgehen gegen Unternehmen, die keine schwerbehinderten Menschen beschäftigen, im großen Stil versäumt zu haben. Daraus ergebe sich das gesteigerte öffentliche Interesse, zu erfahren, gegen welche sechs Unternehmen zumindest ein Bußgeldverfahren eingeleitet wurde. Nur so könne auch ein öffentlicher Druck auf diese Unternehmen aufgebaut werden, die inklusionsfördernden Vorschriften einzuhalten und schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Es handele sich auch nicht lediglich um ein „Dauerthema“. Denn das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes trete mit Wirkung zum 1. Januar 2024 in Kraft, womit ein starker Gegenwartsbezug vorliege.
Die Vorwegnahme der Hauptsache sei gerechtfertigt, da die Rechtsnachteile, die die Antragstellerin treffen würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erlassen würde, durch eine spätere stattgebende Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht beseitigt werden könnten. Wie dargelegt käme der Berichterstattung kein Nachrichtenwert mehr zu.
Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, der Antragstellerin Auskunft auf die folgenden Fragen zu erteilen:
1. Gegen welche Unternehmen wurde im Jahr 2022 ein Bußgeldverfahren eingeleitet, weil sie entgegen gesetzlicher Vorgaben keine Menschen mit Behinderung beschäftigten?
2. Wie ist der Stand der jeweiligen Bußgeldverfahren nach Ziff. 1?
Die Antragsgegnerin beantragt,
Der Antrag wird in allen Punkten abgewiesen.
Es bestehe kein Anordnungsanspruch. Der Name eines Unternehmens in Verbindung mit der Information, ob gegen dieses Unternehmen ein Bußgeldverfahren wegen einer Ordnungswidrigkeit durchgeführt wurde, stelle ein Betriebs- und Geschäftsgeheimnis dar. Ein Unternehmensbezug sei gegeben. Eine Information darüber, dass ein Unternehmen keine schwerbehinderten Menschen beschäftigt und daher gegen das Unternehmen ein Bußgeld verhängt wurde, sei ausschließlich dem Unternehmen zuzuordnen und betreffe nicht Informationen aus dem privaten Lebensbereich der Beschäftigten.
Es bestehe ein subjektives Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen: Es sei davon auszugehen, dass auch ein Unternehmen grundsätzlich einen Geheimhaltungswillen an der Tatsache habe, eine Ordnungswidrigkeit gleich welcher Art begangen zu haben und dafür sanktioniert worden zu sein. Das Geheimhaltungsinteresse der Unternehmen sei aufgrund der grundsätzlichen Wettbewerbsrelevanz der Information objektiv berechtigt. Der Gesetzgeber habe die Bußgeldregelung zum 1. Januar 2024 aufgehoben, woraus deutlich werde, dass der Gesetzgeber selbst die Tatsache, dass ein Unternehmen überhaupt keine schwerbehinderten Menschen beschäftige, zumindest als nicht so schwerwiegend bewerte, dass dies sanktioniert werden müsse. Hier gehe es der Antragstellerin darum, die Namen von Unternehmen zu erfahren, deren rechtswidriges Verhalten bereits behördlich geahndet worden sei. Für „naming and shaming“ gebe es beispielsweise in § 57 Geldwäschegesetz eine Erlaubnisnorm. Eine vergleichbare Erlaubnisnorm kenne das Sozialgesetzbuch nicht.
Schließlich liege kein Anordnungsgrund vor. Von einem starken Gegenwartsbezug sei nicht auszugehen. Zum einen lägen die Sachverhalte bereits viele Monate zurück und zum anderen datiere die Pressemitteilung des Deutschen Bundestags, auf die die Antragstellerin referenziere, bereits vom 19. April 2023. Zum Zeitpunkt der ersten Kontaktaufnahme der Antragstellerin mit der Pressestelle der Antragsgegnerin am 2. August 2023 sei die Pressemitteilung, auf der die Antragstellerin ihre Berichterstattung habe aufbauen wollen, immerhin schon dreieinhalb Monate alt gewesen. Auch sei eine umfassende Berichterstattung zum Thema Inklusionsförderung des Arbeitsmarkts auch ohne Kenntnis der Namen der sechs Unternehmen, gegen die ein Bußgeld verhängt wurde, möglich. Soweit die Antragstellerin darlege, mit einer Berichterstattung durch namentliche Nennung öffentlichen Druck auf die sechs Unternehmen aufbauen zu wollen, sei dazu festzustellen, dass es nicht vorrangige journalistische Aufgabe der Antragstellerin sei, öffentlichen Druck aufzubauen. Es sei Aufgabe der Antragsgegnerin, ein Fehlverhalten zu sanktionieren und die Unternehmen dadurch zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Dieser Aufgabe sei sie bereits nachgekommen.
Im Übrigen wird verwiesen auf die Behördenakte und auf die Gerichtsakte.
II.
Der zulässige Antrag ist begründet; die Antragsgegnerin ist einstweilig zur Erteilung der begehrten Auskunft verpflichtet.
A.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in Gestalt einer Regelungsanordnung (§ 123
Abs. 1 Satz 2
VwGO) ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere bestehen keine Zweifel in Bezug auf das Vorliegen des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses; die Antragstellerin hat die Auskunft im beantragten Umfang bereits vorab bei der Bundesagentur erbeten, sodass kein einfacherer Weg zur Erreichung des Antragsziels ersichtlich ist. Eine gleichzeitige Klageerhebung in der Hauptsache ist nicht nötig, § 123
Abs. 1 Satz 1
VwGO.
B.
Der Antrag ist auch begründet. Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsanspruch (dazu I.) als auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (dazu II.) und es ist ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache angezeigt (dazu III.).
Nach § 123
Abs. 1 Satz 2
VwGO kann das Gericht auch schon vor Klageerhebung auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung nötig erscheint, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Nach § 123
Abs. 3
VwGO i.V.m. § 929
Abs. 2, § 294
Abs. 1
ZPO ist dabei neben einem in der Eilbedürftigkeit der Regelung begründeten Anordnungsgrund auch ein Anordnungsanspruch, d.h. der materielle Grund, für den der Antragsteller vorläufig Rechtsschutz ersucht, glaubhaft zu machen. Maßgebend sind dabei die tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung.
Der Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung, welche die Antragsgegnerin zur Beantwortung des Auskunftsbegehrens verpflichtet, stellt keine vorläufige Maßnahme dar; eine etwaige auf Auskunftserteilung gerichtete Hauptsache wäre dadurch erledigt. Vor diesem Hintergrund sind vorliegend erhöhte Anforderungen an die Darlegung sowohl des geltend gemachten Anordnungsgrunds als auch des Anordnungsanspruchs zu stellen (
vgl. BayVGH, B.v. 24.1.2017 – 7 CE 16.2056 – juris Rn. 9), die vorliegend allerdings erfüllt sind.
I.
Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch in Gestalt des allgemeinen presserechtlichen Auskunftsanspruchs glaubhaft gemacht.
Art. 4
Abs. 1 BayPrG und die anderen Landespressegesetze finden keine Anwendung auf Auskunftsersuchen gegen Bundesbehörden wie die Antragsgegnerin. Daher ist unmittelbar auf die Pressefreiheit (
Art. 5
Abs. 1 Satz 2
GG) als Rechtsgrundlage für pressespezifische Auskunftspflichten zurückzugreifen (
vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 6 A 2/12 – juris). Der Anspruch darf dabei in seinem materiellen Gehalt nicht hinter den Ansprüchen nach den Landespressegesetzen zurückbleiben (
vgl. BVerwG, U.v. 8.6.2021 – 6 A 10/20 – juris Rn. 18).
Der presserechtliche Auskunftsanspruch kann als Individualrecht einzelner Pressangehöriger (
vgl. BVerwG, U.v. 8.6.2021 – 6 A 10/20 – juris Rn. 19) von der als freie Journalistin tätigen Antragstellerin geltend gemacht werden. Es ist vorliegend auch unstreitig, dass sich der geltend gemachte Auskunftsanspruch auf bei der Bundesagentur tatsächlich vorhandene Informationen bezieht, d.h. es wird keine nicht vom presserechtlichen Auskunftsanspruch umfasste Informationsbeschaffung verlangt (
vgl. dazu
vgl. BVerwG, U.v. 20.2.2013 – 6 A 2/12 – juris Rn. 30).
Der Auskunftsanspruch ist ausgeschlossen, wenn ihm im Einzelfall berechtigte, schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen entgegenstehen. Bei der Entscheidung hierüber bedarf es einer Abwägung des Informationsinteresses der Presse mit den gegenläufigen schutzwürdigen Interessen im Einzelfall, bei der eine Bewertung des Informationsinteresses grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Entscheidend ist vielmehr, ob diesem schutzwürdige Interessen von solchem Gewicht entgegenstehen, dass sie den presserechtlichen Auskunftsanspruch ausschließen (
vgl. u.a.
BVerwG, B.v. 10.5.2022 – 6 A 9/21, 6 A 9/21 (6 A 9/19) – juris Rn. 10).
Es kommt demnach nicht darauf an, welches Gewicht und welchen „Nachrichtenwert“ nach Ansicht des Gerichts die angefragte Information besitzt. Es ist vielmehr die Pressefreiheit, deren grundrechtliche Dimension stets zu beachten ist (
vgl. BVerfG, B.v. 14.9.2015 – 1 BvR 857/15 – juris Rn. 16), an sich mit den konkreten gegenläufigen Interessen im Einzelfall abzuwägen.
Diese Abwägung fällt zugunsten des Informationsinteresses der Antragstellerin aus. Denn es sind weder seitens der Unternehmen, gegen die 2022 ein Bußgeldverfahren eingeleitet wurde, noch seitens der Beschäftigten dieser Unternehmen ausreichend schutzwürdige Interessen betroffen, um vorliegend die Pressefreiheit aufzuwiegen.
1. Das Gericht geht angesichts des grundrechtlichen Gewichts des presserechtlichen Auskunftsanspruchs nicht davon aus, dass eine Information, die Sozialdaten
i.S.v. § 67
Abs. 2 Satz 1
SGB X oder Betriebs-
bzw. Geschäftsgeheimnisse
i.S.v. § 67
Abs. 2 Satz 2
SGB X betrifft, bereits angesichts der gesetzlichen Regelung des § 35
Abs. 3, 4
SGB I, die insoweit eine Auskunft absolut ausschließt, keinem presserechtlichen Auskunftsanspruch zugänglich ist (
vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 6 C 12/14 – NVwZ 2015, 1388 Rn. 29, siehe aber BayVGH, B.v. 10.8.2022 – 7 CE 22.1099 – BeckRS 2022, 19871 Rn. 39
ff.). Dennoch kann die gesetzliche Einordnung als Geschäfts-
bzw. Betriebsgeheimnis oder als dem Sozialgeheimnis unterfallende Information jedenfalls ein besonderes Gewicht eines schutzwürdigen Interesses indizieren.
2. Die Information, dass gegen ein Unternehmen im Jahr 2022 wegen Nichterfüllung seiner gesetzlichen Pflicht zur Einstellung von schwerbehinderten Menschen (§ 154
Abs. 1 Satz 1
SGB IX) durch die Bundesagentur ein Bußgeldverfahren eingeleitet wurde, sowie, was der Stand des besagten Verfahrens ist, stellt aber nach Ansicht des Gerichts kein Betriebs-
bzw. Geschäftsgeheimnis der betroffenen Unternehmen dar.
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sind nach der Legaldefinition des § 67
Abs. 2 Satz 2
SGB X alle betriebs- oder geschäftsbezogenen Daten, auch von juristischen Personen, die Geheimnischarakter haben. Der streitgegenständlichen Information über die Einleitung von Bußgeldverfahren fehlt nach Überzeugung des Gerichts bereits der nötige Betriebs-
bzw. Geschäftsbezug, sodass es auf den Geheimnischarakter der Information und die in diesem Zusammenhang vorgebrachten Argumente der Beteiligten nicht ankommt.
Betriebsgeheimnisse betreffen typischerweise den – hier offensichtlich nicht einschlägigen – technischen Bereich, Geschäftsgeheimnisse regelmäßig den kaufmännischen Bereich (
vgl. Leopold in BeckOGK Sozialrecht, Stand: 15.5.2023,
SGB X § 67 Rn. 105). Geschäftsgeheimnisse sind somit Tatsachen, die den kaufmännischen Bereich eines Unternehmens betreffen, im Zusammenhang mit einem Geschäftsbetrieb stehen und an deren Geheimhaltung ein schutzwürdiges wirtschaftliches Interesse besteht (
vgl. BayVGH, B.v. 10.8.2022 – 7 CE 22.1099 – BeckRS 2022, 19871 Rn. 45). Zwar wirkt sich ein Bußgeldverfahren auf die Unternehmensfinanzen und damit (mittelbar) auf den kaufmännischen Bereich aus. Entscheidend ist aber, dass die bloße Tatsache, dass ein Unternehmen 2022 keine schwerbehinderten Menschen eingestellt hat, an sich ohne Weiteres keine Rückschlüsse auf kaufmännische
bzw. unternehmerische Entscheidungen zulässt. Die Hintergründe, die dazu führen können, dass ein Unternehmen seiner Pflicht nach § 154
Abs. 1 Satz 1
SGB IX nicht nachkommt – oder im Einzelfall nicht nachkommen konnte – sind denkbar vielfältig, und es kann von der bloßen Tatsache eines Bußgeldverfahrens nicht etwa auf eine zugrundeliegende Kosten-Risiko-Kalkulation eines Unternehmens geschlossen worden. Folglich droht durch die Auskunft auch nicht die Offenbarung einer Information, die den sensiblen geschützten Kern geschäftsbezogener Informationen betrifft.
3. Ohne dass Geschäfts-
bzw. Betriebsgeheimnisse betroffen wären, droht den sechs Unternehmen durch eine Berichtserstattung über den Inhalt der Auskunft, dass öffentlich bekannt wird, dass sie im Jahr 2022 ihrer rechtlichen – in der öffentlichen Wahrnehmung potenziell auch moralischen – Pflicht nicht nachgekommen sind, schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Es ist denkbar, dass in der Folge das Ansehen der besagten Unternehmen in der Öffentlichkeit leidet, und dass sich potenziell (gerade schwerbehinderte) Bewerber und Bewerberinnen abgeschreckt fühlen.
Unternehmen genießen allerdings grundsätzlich keinen grundrechtlichen Schutz vor der aktiven Verbreitung zutreffender und sachlich gehaltener Informationen und vor informationsbedingten Imageschäden und Umsatzeinbußen (
vgl. OVG NRW, B.v. 7.5.2020 – 15 B 315/20 – juris Rn. 7
ff.). Dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass der streitgegenständlichen Information ein Verstoß gegen eine Rechtspflicht zugrunde liegt.
Eine „Prangerwirkung“ ist auch dadurch gerade abgeschwächt, dass bekannt ist, dass 45.000 Unternehmen 2022 ihrer gesetzlichen Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht nachgekommen sind. Wie bereits dargelegt, sind die Hintergründe von Verstößen gegen § 154
Abs. 1 Satz 1
SGB IX denkbar vielfältig. Die bloße Information, dass in diesem Zusammenhang ein Bußgeldverfahren stattgefunden hat oder stattfindet, stellt keine Grundlage für den Schluss dar, es komme einem einzelnen Unternehmen gerade darauf an, keine schwerbehinderten Menschen zu beschäftigen. Vielmehr ist angesichts der hohen Anzahl an Pflichtverstößen von einem systemischen Problem auszugehen, das eher ein Vollzugsdefizit der Antragsgegnerin nahelegt.
Dementsprechend sind die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Unternehmen vorliegend von geringerem Gewicht als der unmittelbar aus
Art. 5
Abs. 1 Satz 2
GG folgende presserechtliche Auskunftsanspruch.
4. Das Sozialgeheimnis ist allenfalls am Rande durch die Information tangiert, dass gegen ein Unternehmen im Jahr 2022 wegen Nichterfüllung seiner gesetzlichen Pflicht zur Einstellung von schwerbehinderten Menschen durch die Bundesagentur ein Bußgeldverfahren eingeleitet wurde. Jedenfalls kommt der Pressefreiheit vorliegend das größere Gewicht zu.
Sozialdaten sind personenbezogene Daten (
Art. 4
Nr. 1
DS-GVO), die von einer in § 35
SGB I genannten Stelle im Hinblick auf ihre Aufgaben nach diesem Gesetzbuch verarbeitet werden (
vgl. § 67
Abs. 2 Satz 1
SGB X). Personenbezogene Daten sind alle Informationen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen (
vgl. Art. 4
Nr. 1
DS-GVO).
Aus der Information, dass ein Unternehmen im Jahr 2022 keine schwerbehinderten Menschen beschäftigt hat und deswegen gegen das Unternehmen ein Bußgeldverfahren eingeleitet wurde, lässt sich kein Schluss auf die bestehende oder nicht bestehende Schwerbehinderteneigenschaft einzelner Mitarbeiter des Unternehmens ziehen. Denn es besteht gerade keine Pflicht, dem Arbeitgeber eine Schwerbehinderteneigenschaft zu offenbaren; viele Menschen tun dies aus mannigfaltigen Gründen gerade nicht. Besonders schutzwürdige Gesundheitsdaten (
Art. 4
Nr. 14,
Art. 9
DS-GVO) werden folglich auch nicht mittelbar durch die Auskunft offenbart. Es lässt sich auf der Basis der Information lediglich die Aussage treffen, dass die Beschäftigten der sechs Unternehmen eine etwaige Schwerbehinderteneigenschaft nicht offenbart haben.
Zwar dürfte es sich bei dieser Information über die Beschäftigten dieser sechs Unternehmen um personenbezogene Daten
i.S.d. Art. 4
Nr. 1
DS-GVO und damit um Sozialdaten handeln, jedoch überwiegt das Interesse der Presse an der Auskunfterteilung. Es ist allenfalls ein geringfügiges Interesse einzelner Beschäftigte der betroffenen Unternehmen zu erkennen, dass nicht mittelbar offenbart wird, dass sie sich ihren Arbeitgebern gegenüber nicht als schwerbehindert zu erkennen gegeben haben. Dies stellt keine besonders sensible oder intime Information dar. Aus der herausgehobenen Stellung der Pressefreiheit folgt, dass, jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, aus § 35
Abs. 3
SGB I kein absolutes Verbot der Auskunft abzuleiten ist (in diese Richtung auch
BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 6 C 12/14 – NVwZ 2015, 1388 Rn. 29). Bei der gebotenen Abwägung überwiegt auch hier das bereits angesichts seiner grundrechtlichen Fundierung gewichtige Interesse der Presse an der behördlichen Auskunft.
Auch in der Gesamtschau der tangierten Individual- und Unternehmensinteressen überwiegt die Pressefreiheit. Damit besteht nach Überzeugung des Gerichts der geltend gemachte Anordnungsanspruch.
II.
Der Antragstellerin gelingt auch die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrunds.
Ein Anordnungsgrund liegt in der Regel dann vor, wenn dem Antragsteller ohne Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere, unzumutbare und nicht anders abwendbare Nachteile entstünden, die durch eine Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten. Wie bereits dargelegt sind die Anforderungen vorliegend wegen der drohenden Vorwegnahme der Hauptsache erhöht (
vgl. VG Ansbach, B.v. 2.6.2020 – AN 14 E 20.00435 – juris Rn. 41).
Zu berücksichtigen ist dabei, dass die Presse grundsätzlich in den Grenzen des Rechts selbst entscheidet, ob und wie sie über ein bestimmtes Thema berichtet. Das „Ob“ und „Wie“ der Berichterstattung ist Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse, das auch die Art und Weise ihrer hierauf gerichteten Informationsbeschaffung grundrechtlich schützt. Unter das Selbstbestimmungsrecht der Presse fällt auch die Freiheit der Presse, zu entscheiden, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll. Allerdings genügt es in diesem Zusammenhang, wenn Eilrechtsschutz nur gewährt wird, wo ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung vorliegen (
vgl. BVerfG, B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 – juris Rn. 29 f.), der Erlass einer einstweiligen Anordnung mithin notwendig ist, um wesentliche Nachteile abzuwenden. Damit die Presse ihre Kontroll- und Vermittlungsfunktion wahrnehmen kann, dürfen mit Blick auf die Garantie effektiven Rechtsschutzes (
Art. 19
Abs. 4
GG) und das von
Art. 5
Abs. 1 Satz 2
GG mitumfasste Selbstbestimmungsrecht der Presse insbesondere auch hinsichtlich der Aktualität einer Berichterstattung aber keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (
vgl. BVerfG, B.v. 8.9.2014 – 1 BvR 23/14 – juris Rn. 30).
Vorliegend ergibt sich das gesteigerte öffentliche Interesse entsprechend dem Vortrag der Antragstellerin daraus, dass ein gegenwärtiges öffentliches Interesse am Stand der Bemühungen um einen inklusiven Arbeitsmarkt besteht. Der Umstand, dass der gesetzliche Rahmen zum 1. Januar 2024 angepasst wird, spricht für die Aktualität der Thematik. Angesichts des Selbstbestimmungsrechts der Presse ist seitens des Gerichts auch im Rahmen der Prüfung eines Anordnungsgrunds Zurückhaltung bei der Bewertung des Nachrichtenwerts der angefragten Information geboten. Es ist jedenfalls nachvollziehbar, dass angesichts des groben Missverhältnisses von 45.000 Unternehmen, die ihrer Rechtspflicht nicht nachgekommen sind, und sechs Unternehmen, gegen die ein Bußgeldverfahren eingeleitet wurde, ein besonderes journalistisches und öffentliches Interesse daran besteht, durch Benennung der sechs Unternehmen einen besseren Einblick in die Schwächen des bisherigen gesetzlichen Systems und in ein naheliegendes Vollzugsdefizit seitens der Bundesagentur zu bekommen.
Der notwendige Gegenwartsbezug folgt daraus, dass das Inkrafttreten des Gesetzes zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes zum Jahreswechsel bevorsteht. Eine journalistische Berichterstattung, die darauf abzielt, zumindest einen Beitrag zu einer Diskussion über eine Gesetzesänderung zu leisten, hat im Vorfeld der Gesetzesänderung angesichts eines gesteigerten öffentlichen Interesses ein wesentlich höheres Gewicht als danach.
III.
Die Vorwegnahme der Hauptsache ist ausnahmsweise dann geboten, wenn das Abwarten in der Hauptsache für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile zur Folge hätte. Dabei ist dem jeweils betroffenen Grundrecht und den Erfordernissen eines effektiven Rechtsschutzes Rechnung zu tragen (
vgl. BVerwG, B.v. 26.11.2013 – 6
VR 3/13 – NVwZ-RR 2014, 558 Rn. 5
m.w.N.). Entscheidend ist dabei das Gewicht des Anordnungsgrunds (
vgl. Happ in Eyermann,
VwGO, 16. Aufl. 2022, § 123 Rn. 66a). Vorliegend droht eine etwaige Berichterstattung über das Gesetz zur Förderung eines inklusiven Arbeitsmarktes erheblich an öffentlichem Interesse einzubüßen, wenn sie bis zu einer Hauptsacheentscheidung aufgeschoben wird und erst eine ungewisse Zeit nach dem Inkrafttreten dieses Gesetzes erfolgen kann. Vor diesem Hintergrund und angesichts des hohen grundrechtlichen Gewichts der Pressefreiheit ist die Vorwegnahme der Hauptsache vorliegend durch
Art. 19
Abs. 4
GG geboten.
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154
Abs. 1
VwGO.
Der Streitwert folgt aus §§ 52
Abs. 2, 53
Abs. 2
Nr. 1 GKG; angesichts der Vorwegnahme der Hauptsache ist nicht gemäß Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit eine Halbierung des Auffangstreitwerts angezeigt.