Urteil
Entschädigungsanspruch wegen Nichtberücksichtigung eines Beamten bei der Auswahl der Besetzung einer Beigeordnetenstelle aufgrund seiner Behinderung - Auswahlverfahren und Bewerbungsverfahrensanspruch

Gericht:

VG Köln 19. Kammer


Aktenzeichen:

19 K 5642/17


Urteil vom:

25.06.2019


Grundlage:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Der Kläger macht mit seiner Klage einen Entschädigungsanspruch nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend, weil die Beklagte bei der Besetzung einer Beigeordnetenstelle gegen das Verbot der Benachteiligung Schwerbehinderter verstoßen habe.

Die Beklagte schrieb am 00.00.0000 eine zum 00.00.0000 zu besetzende nach Besoldungsgruppe X 0 besoldete Stelle eines C. aus. Der Aufgabenbereich dieser Stelle umfasste die Fachbereiche Ordnung, Kultur, Sport, Soziales, Wohnen, Kinder, Jugend, Schule sowie die Stabsstelle Wohnraum/AsylbewLG und Rechtsdienst. Als Bewerbungsfrist legte die Beklagte den 00.00.0000 fest.

Der im Jahre 0000 geborene Kläger besitzt die Befähigung zum Richteramt. Er bewarb sich mit Schreiben vom 00.00.0000 um die ausgeschriebene Stelle des C. und wies hier u.a. darauf hin, dass er mit einem Grad von 50 % schwerbehindert sei.

Der Stadtrat der Beklagten wählte den Bewerber E. in seiner Sitzung am 00.00.0000 mit 29 Stimmen bei 20 Enthaltungen zum C. ohne weitere Aussprache. Unter dem 00.00.0000 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass der Rat der Beklagten in seiner Sitzung vom 00.00.0000 den Bewerber E. zum C3. gewählt hat.

Der Kläger beschwerte sich daraufhin mit Schreiben vom 00.00.0000 bei der Beklagten, dass er im Auswahlverfahren als Schwerbehinderter nicht berücksichtigt wurde, ohne zuvor gem. § 82 Sätze 2 und 3 SGB IX i.V.m. § 71 Abs. 3 SGB IX zu einem Vorstellungsgespräch geladen worden zu sein. Er machte hier einen Schadensersatzanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG in Höhe des dreifachen Monatsentgeltes von 21.172,92 Euro geltend, das ihm bei einer Auswahl für die in Rede stehende Stelle zugestanden hätte.

Die Beklagte lehnte die Zahlung der geforderten Entschädigung mit Schreiben vom 00.00.0000 mit der Begründung ab, dass der Kläger nicht gem. § 82 Sätze 2 und 3 SGB IX a.F. i.V.m. § 71 Abs. 3 SGB IX a.F. zu einem Vorstellungsgespräch habe geladen werden müssen, weil C4. kommunale Wahlbeamte und ihre Stellen deshalb keine Arbeitsplätze i.S.d. § 73 SGB IX seien.

Dem Bewerber E. wurde die Urkunde über seine Ernennung zum C. mit Wirkung zum 00.00.0000 am 00.00.0000 ausgehändigt.

Der Kläger hat am 00.00.0000 Klage erhoben, mit der er sein Entschädigungsbegehren weiter verfolgt. Er trägt vor, dass ihm ein Entschädigungsanspruch aus § 15 Abs. 2 AGG zustehe, weil er im Auswahlverfahren wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sei. Er erfülle die fachlichen Voraussetzungen nach § 71 Abs. 3 GO NRW für die Ernennung zum C. Die Beklagte habe ihn zunächst dadurch benachteiligt, dass sie ihn entgegen § 82 Sätze 2 und 3 SGB IX a.F. i.V.m. § 71 Abs. 3 SGB IX a.F. nicht zu einem Vorstellungsgespräch im Rat der Beklagten eingeladen habe. Die Ausnahmevorschrift des § 73 Abs. 2 Nr. 5 SGB IX a.F. finde auf C4. keine Anwendung. Sie finde nur Anwendung auf echte Wahlämter - wie Bürgermeister und Bundeskanzler -, für die es kein Stellenauschreibungsverfahren gebe. Ein Indiz für seine Benachteiligung ergebe sich auch daraus, dass die Beklagte seinen aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt habe. Sie sei verpflichtet gewesen, ihn vor der durch den Stadtrat erfolgten Wahl des Bewerbers am 00.00.0000 von der vom Bürgermeister der Beklagten getroffenen Vorentscheidung zu informieren. Die Beklagte sei gehalten gewesen, ihm rechtzeitig vor der Wahl die Gründe für seine Nichtberücksichtigung mitzuteilen, damit er die anstehende Wahl des Bewerbers noch hätte verhindern können. Die Wahl durch den Stadtrat hätte erst dann stattfinden dürfen, nachdem ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtskräftig abgelehnt worden sei. Wegen der pflichtwidrig unterbliebenen Information habe er keine Möglichkeit gehabt, einstweiligen gerichtlichen Rechtsschutz gegen die Besetzung der Stelle des C. zu beantragen. Er bestreite, dass alle Ratsmitglieder Einsicht in seine Bewerbungsunterlagen gehabt hätten. Der von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsvorgang enthalte keine Nachweise darüber, dass die Bewerbungsunterlagen allen Fraktionen des Stadtrates und dem fraktionslosen Ratsmitglied zugegangen seien. Es sei verfahrensfehlerhaft, dass die Mitarbeiterin I. erst nach Einholung der Zustimmung der Mitarbeiterin G. dem fraktionslosen Ratsmitglied "H." die Bewerbungsunterlagen der Bewerber übersandt habe. Die von der Beklagten vorgenommene Unterrichtung des Rates sei unzureichend. Es hätten nicht nur die Bewerbungen und Lebensläufe, sondern auch die vorgelegten Zeugnisse übersandt werden müssen. Die ihn - den Kläger - betreffenden Angaben im Bewerberspiegel seien unzutreffend. Er sei am 00.00.0000 geboren. Der ausgewählte Bewerber E. sei der am wenigsten geeignete Bewerber gewesen. Es werde bestritten, dass die Beklagte den Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung gem. § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX a. F. über seine Bewerbung unterrichtet habe und dass Personalrat und Schwerbehindertenvertretung seiner Nichteinladung zu einem Vorstellungsgespräch zugestimmt hätten. Es werde ferner bestritten, dass die Beklagte die Schwerbehindertenquote einhalte und dass sie die Schwerbehindertenvertretung bei der Prüfung nach § 81 Abs. 1 Sätze 1 und 6 SGB IX a.F. beteiligt hat, ob der Arbeitsplatz für Schwerbehinderte geeignet ist. Es sei unklar, mit welchen Bewerbern die Beklagte Vorstellungsgespräche geführt habe. Es sei zu vermuten, dass der Bewerber N. zum Vorstellungsgespräch am 00.00.0000 nicht erschienen sei. Die Bewerberin I1.-T. habe ihre Teilnahme am Vorstellungsgespräch bereits vorher abgesagt. Der Bewerber G1. habe nach Durchführung des Gespräches seine Bewerbung zurückgezogen. Es erschließe sich nicht, warum die Beklagte nach den Absagen keine weiteren Vorstellungsgespräche durchgeführt habe. Es bleibe unklar, wann die Fraktionen entschieden hätten, wer an den Vorstellungsgesprächen teilnehme. Im Übrigen sei nicht belegt, wer an den Gesprächen teilgenommen habe.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine in das Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung, jedoch mindestens 7.057,64 Euro, zuzüglich 5 % Zinspunkte über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 00.00.0000 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, es bestünden Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Bewerbung des Klägers. Er habe sich in der Vergangenheit häufig auf Ausschreibungen öffentlicher Arbeitgeber beworben und nach seiner Nichtberücksichtigung Entschädigungsklagen wegen vermeintlicher Diskriminierungen erhoben. Es seien keine Indizien dafür ersichtlich, dass die Nichtberücksichtigung des Klägers auf seine Schwerbehinderung zurückzuführen sei. Das Auswahlverfahren sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Zur Wahrung des Bewerbungsverfahrensanspruchs sei es ausreichend gewesen, dass alle Ratsmitglieder Kenntnis von den Bewerbungen gehabt hätten, weil die Wahl des C. dem direktdemokraktisch legitimierten Rat vorbehalten sei. Die Bewerbungsschreiben aller 23 Bewerber nebst Lebensläufen seien Vertretern aller im Stadtrat vertretenen Fraktionen spätestens am 00.00.0000 übersandt worden. Alle Fraktionen und auch das fraktionslose Ratsmitglied hätte jederzeit die Möglichkeit gehabt, ergänzend zu den ihnen übersandten Unterlagen auch die vollständigen Bewerbungsunterlagen einzusehen. Davon sei jedoch kein Gebrauch gemacht worden. Am 00.00.0000 hätten alle Fraktionsvorsitzenden und das fraktionslose Ratsmitglied über das "Bürgermeisterratsbüro" einen weiteren Bewerberspiegel aller 23 Bewerber erhalten. Die den Kläger betreffenden Angaben hätten einen Hinweis auf seine Schwerbehinderung enthalten. Vier der insgesamt 23 Bewerber seien für den 00.00.0000 zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden. An den Vorstellungesgesprächen am 00.00.0000 hätten Vertreter aller im Rat vertretenen Fraktionen, einschließlich des fraktionslosen Ratsmitgliedes, der Bürgermeister T1. sowie die C. H. und M. teilgenommen. Ein Bewerber habe seine Bewerbung vor den Vorstellungsgesprächen zurückgenommen und ein Bewerber nach den Vorstellungsgesprächen. Der Kläger habe nicht über die für den 00.00.0000 anstehende Wahl des C. informiert werden müssen. Er hätte sich über die Sitzung am 00.00.0000 selbst informieren können. Die Beklagte habe den Termin und die Tagesordnung der Sitzung des Stadtrates über ihr Bürgerinformationssystem öffentlich bekannt gemacht. Im Übrigen habe für den Kläger ausreichend Zeit bestanden, um gegen die erst am 00.00.0000 erfolgte Ernennung des Bewerbers E. gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, weil ihm die Wahl des Bewerbers E. nach seinen eigenen Angaben bereits am 00.00.0000 durch die Presseberichterstattung bekannt gewesen sei. Der Kläger habe nicht zu einem Vorstellungsgespräch geladen werden müssen. C. stellen seien gem. § 73 Abs. 2 Ziff. 5 SGB IX a.F. nicht als Arbeitsplätze i.S.v. § 82 Satz 2 SGB IX a.F. anzusehen, weil C2. gem. § 71 Abs. 1 GO NRW kommunale Wahlbeamte seien. Selbst wenn das Auswahlverfahren fehlerhaft gewesen sein sollte, fehle es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen dem Unterliegen des Klägers bei der Wahl und seiner Schwerbehinderung, weil nicht feststellbar sei, ob und inwieweit die Entscheidung der Ratsmehrheit auf politisch motivierten Erwägungen beruht habe. Der Rat habe den Bewerber E. auch wählen dürfen, weil dieser alle Befähigungsanforderungen des § 71 Abs. 3 GO NRW erfülle. Die Bewerbung des Bewerbers E. sei bei ihr am 00.00.0000 eingegangen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Entschädigungsanspruch nicht zu. Die Voraussetzungen der gem. § 24 Nr. 1 AGG auch auf Beamtenbewerber anwendbaren und allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden Vorschrift des § 15 Abs. 2 AGG liegen nicht vor.

Der Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 AGG voraus. Zu den Gründen, aus denen nach § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG eine Benachteiligung verboten ist, gehört die Behinderung des Klägers.

Benachteiligung im Sinne des Benachteiligungsverbots des § 7 AGG ist jede unterschiedliche Behandlung, die mit einem Nachteil verbunden ist; nicht erforderlich ist, dass in Benachteiligungsabsicht gehandelt oder die Benachteiligung sonst schuldhaft bewirkt worden ist. Nach der Legaldefinition des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Die unmittelbare Benachteiligung kann auch in einem Unterlassen liegen. Eine unmittelbare Benachteiligung durch Unterlassen ist insbesondere gegeben, wenn ein künftiger Arbeitgeber einer gesetzlich auferlegten Handlungspflicht nicht nachkommt, durch die im Sinne des § 5 AGG eine bisher in Beschäftigung und benachteiligte Gruppe gezielt gefördert werden soll. Die Benachteiligung liegt dabei in der Vorenthaltung eines gesetzlich eingeräumten Vorteils, dessen Ziel es ist, bestehende Nachteile für eine benachteiligte Gruppe - etwa behinderte Menschen - zu beseitigen oder zu verhindern,

vgl. BVerwG, Urteil vom 03.03.2011 - 5 C 16/10 -, juris.

Eine weniger günstige Behandlung ist im Falle der Bewerbung für die Einstellung in ein öffentlich-rechtliches Beamtenverhältnis auch dann gegeben, wenn der Angehörige einer benachteiligten Gruppe unter Verletzung seines ihm nach Art. 33 Abs. 2 GG zustehenden Bewerbungsverfahrensanspruches nicht berücksichtigt wird. Für die gegenüber anderen weniger günstige Behandlung als solche trägt der Beschäftigte mangels einer abweichenden Regelung nach den allgemeinen Grundsätzen die Beweislast. Ist eine Benachteiligung erwiesen, trägt der Arbeitgeber aufgrund der Beweislastregel des § 22 AGG die volle Beweislast dafür, dass die Nichtberücksichtigung des Beschäftigten nicht auf seiner Behinderung beruht,

vgl. BVerwG, Urteil vom 03.03.2011 - 5 C 16/10 -, juris.

Eine Benachteiligung des Klägers ist nicht gegeben. Es besteht zunächst keine Benachteiligung darin, dass die Beklagte den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch nach § 82 Satz 2 SGB IX a.F. eingeladen hat. Sie war nicht zu einer Einladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch verpflichtet, weil die zu besetzende Stelle eines C. kein Arbeitsplatz im Sinne des § 73 SGB IX a.F. ist. Nach § 73 Abs. 2 Nr. 5 SGB SGB IX a.F. gelten als Arbeitsplätze nicht Stellen, auf denen Personen beschäftigt werden, die nach ständiger Übung in ihre Stelle gewählt werden. Zu diesen Personen gehören kommunale Wahlbeamte wie C2., die gem. § 71 Abs. 1 GO NRW vom Rat der Beklagten gewählt werden,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 07.06.2018 - 6 B 444/18 -, juris; Goebel, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGB IX, 3. Auf. 2018, § 156 Rn. 31 zu § 156 SGB IX n.F (= § 73 SGB IX a.F.).

Weil die C.stelle kein Arbeitsplatz i.S.d. § 73 SGB IX a.F. ist, war die Beklagte - entgegen der Auffassung des Klägers - auch nicht gehalten, die Schwerbehindertenvertretung gem. § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX a.F. über seine Bewerbung zu unterrichten und gem. § 81 Abs. 1 Satz 1 SGB IX a.F. zu prüfen, ob die Stelle mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte zur Zeit des Stellenbesetzungsvefahrens die nach § 71 Abs. 1 SGB IX a.F. vorgegebene Anzahl schwerbehinderter Menschen beschäftigt hat. Selbst wenn die Beklagte die Beschäftigungsquote des § 71 Abs. 1 SGB IX a.F. nicht eingehalten hätte, lässt sich daraus eine Benachteiligung des Klägers im streitigen Besetzungsverfahren nicht ableiten, weil die Quote des § 71 SGB IX a.F. nur für Arbeitsplätze i.S.v. § 73 SGB IX a.F. gilt, wozu aber die hier in Rede stehende Stelle des C. nicht gehört.

Eine Benachteiligung des Klägers besteht auch nicht darin, dass er in dem Stellenbesetzungsverfahren nicht für die Stelle des C. ausgewählt wurde. Der Kläger wurde durch seine Nichtberücksichtigung im Stellenbesetzungsverfahren nicht in seinem Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt. Der aus Art. 33 Abs. 2 GG folgende Leistungsgrundsatz findet vorliegend keine uneingeschränkte Anwendung, weil hier die Ernennung eines kommunalen Wahlbeamten gem. § 71 Abs. 1 GO NRW im Streit steht. Der Begriff des öffentlichen Amtes im Hinblick auf das grundrechtsgleiche Recht des gleichen Zugangs zu öffentlichen Ämtern (Art. 33 Abs. 2 GG) umfasst nicht solche Ämter auf staatlicher oder kommunaler Ebene, die durch demokratische Wahlen der Wahlbürger oder - wie im Falle von kommunalen Wahlbeamten - von gewählten Wahlkörpern besetzt werden,

vgl. BVerfG, Beschluss vom 20.09.2016 - 2 BvR 2453/15, juris Rn. 21 m. w. N.

Die für Wahlbeamte bestehende Einschränkung des Bewerbungsverfahrensanspruchs gilt jedoch nur für den eigentlichen Wahlakt des Wahlkörpers. Der Wahlakt des zur Wahl kommunaler Wahlbeamter berufenen Stadtrats unterliegt nicht den rechtlichen Bindungen des Bewerbungsverfahrensanspruchs des Art. 33 Abs. 2 GG. Allerdings verlangt der verfassungsrechtlich garantierte Leistungsgrundsatz, dass das dem Wahlakt vorausgehende Auswahlverfahren so gestaltet ist, dass sich die Mitglieder des Wahlkörpers einen Eindruck von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung aller Bewerber verschaffen können, indem ihnen durch Zusammenstellung die Bewerber mitgeteilt und ihre Bewerbungsunterlagen vollständig zur Einsicht und Überprüfung zur Verfügung gestellt werden,

vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 06.04.2017 - 1 M 38/17 -, juris; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 29.03.2018 - 2 B 10272/18 -, juris; VG Köln, Beschluss vom 05.12.2018 - 19 L 1922/18 -.

Diesen Pflichten ist die Beklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts nachgekommen. Die im Fachbereich A. E. der Beklagten als Bürokraft tätige Zeugin G. hat bei ihrer Vernehmung in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sie Kopien der Bewerbungsschreiben und Lebensläufe aller 23 Bewerber bis zum 00.00.000 an alle Fraktionen des Stadtrates und das fraktionslose Mitglied B. -A. übersandt hat. 21 Bewerbungen hätten ihr am Montag, dem 00.00.0000 an ihrem Arbeitsplatz vorgelegen. Auf Bitten des Bürgermeisters habe sie von den Bewerbungsanschreiben und Lebensläufen dieser Bewerbungen am 00.00.0000 Kopien gefertigt und diese noch am selben Tag entweder in den Fraktionsbüros persönlich abgegeben oder in die Briefkästen der Fraktionsbüros eingeworfen. Dem fraktionslosen Ratsmitglied B. -G2., das über kein Büro im Rathaus verfüge, habe sie die Unterlagen per Post übersandt. Mit zwei weiteren Bewerbungen, die ihr erst am 00.00.0000 an ihrem Arbeitsplatz vorgelegen hätten, habe sie in gleicher Weise verfahren. Für das Gericht besteht kein Anlass, an der Richtigkeit der Zeugin zu zweifeln. Sie hat die von ihr vorgenommene Weiterleitung der Unterlagen an die Fraktionen widerspruchsfrei und in Bezug auf die am 00.00.0000 und am 00.00.0000 an ihrem Arbeitsplatz vorliegenden 21 bzw. 23 Bewerbungen auch detailliert geschildert. Soweit sie zu Umständen befragt wurde, von denen sie keine Kenntnis hatte - etwa dazu wer die zu den Vorstellungsgesprächen geladenen Bewerber ausgewählt habe -, hat sie ihre Unkenntnis ohne weiteres eingeräumt. Unerheblich ist, dass den Fraktionen und dem fraktionslosen Ratsmitglied nicht von allen Bewerbern die gesamten Bewerbungsunterlagen, sondern nur Kopien ihrer Bewerbungsschreiben und Lebensläufe übersandt wurden. Auf der Grundlage der übersandten Bewerbungsanschreiben und Lebensläufe sowie des am 00.00.0000 übersandten Bewerbungsspiegels waren den Ratsmitgliedern die Namen und die wesentlichen Qualifikationen aller Bewerber bekannt. Jedem Ratsmitglied stand es nach den vom Kläger nicht bestrittenen Angaben der Beklagten frei, ergänzend zu den übersandten Unterlagen Einsicht in die vollständigen Bewerbungsunterlagen jedes Bewerbers zu erhalten.

Ist die Beklagte somit den ihr im Besetzungsverfahren aus dem Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Mitteilungs- und Informationspflichten gegenüber den zur Wahl berufenen Mitgliedern des Rates nachgekommen, so fallen die Wahl des Beigeladenen durch den Stadtrat am 00.00.0000 und die dieser Wahl vorausgehenden Vorentscheidungen - wie etwa die Auswahl der zu Vorstellungsgesprächen geladenen Bewerber oder die Beschlussvorlage des Bürgermeisters - in die Kompetenz der Mitglieder des unmittelbar demokratisch legitimierten Stadtrates, deren Entscheidung nicht den rechtlichen Bindungen des Leistungsgrundsatzes des Art. 33 Abs. 2 GG unterliegt. Das Gericht musste deshalb keine Feststellungen dazu treffen, wie der Entscheidungsprozess des Rates im Vorfeld der Ratssitzung am 00.00.0000 verlaufen ist, insbesondere auch nicht dazu, wer die zu den Auswahlgesprächen eingeladenen Bewerber ausgewählt und warum der Bürgermeister der Beklagten den Bewerber E. in seiner Sitzungsvorlage vom 00.00.0000 zur Wahl vorgeschlagen hat. Deshalb war das Gericht auch nicht gehalten, der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung beantragten Beweisanregung nachzugehen und den Fortgang des in der Kompetenz des Stadtrates liegenden Auswahlverfahrens weiter aufzuklären.

Die Beklagte ist den aus Art. 33 Abs. 2 GG folgenden Mitteilungs- und Wartepflichten auch gegenüber dem Kläger mit der Mitteilung vom 00.00.0000 nachgekommen, dass der Stadtrat den Bewerber E. am 00.00.0000 gewählt hat. Die Mitteilungs- und Wartepflichten des Dienstherrn sollen es dem unterlegenen Bewerber ermöglichen, die gerichtliche Nachprüfung der Auswahlentscheidung zu ermöglichen, bevor die die Auswahlentscheidung umsetzende Ernennung des ausgewählten Bewerbers erfolgt, die aus Gründen der Ämterstabilität grundsätzlich nicht mehr gerichtlich aufgehoben werden kann,

vgl. BVerwG, Urteil vom 04.11.2010 - 2 C 16/09 -, juris.

Die Beklagte hat dem Kläger mit Schreiben vom 00.00.0000 rechtzeitig vor der Ernennung des Bewerbers E. am 00.00.0000 seine Nichtberücksichtigung mitgeteilt. Nach Erhalt des Schreibens vom 00.00.0000 hatte der Kläger über einen Zeitraum von mehr als einem Monat Gelegenheit, um gegen die bevorstehende Ernennung des Bewerbers E. um einstweiligen Rechtsschutz nachzusuchen. Einer Mitteilung von internen Vorentscheidungen des Rates und seiner Mitglieder bedurfte es nicht.

Der Kläger kann schließlich nicht mit Erfolg geltend machen, der Bewerber E. sei am wenigsten qualifiziert oder diesem fehle die Befähigung gem. § 71 Abs. 3 GO NRW vollständig. Die Auswahl eines kommunalen Walbeamten erfolgt durch Wahlakt des zur Wahl kommunaler Wahlbeamter berufenen Stadtrats. Dieser unterliegt nicht den rechtlichen Bindungen des Bewerbungsverfahrensanspruchs des Art. 33 Abs. 2 GG. Im Übrigen dient § 71 Abs. 3 GO NRW - anders als Art. 33 Abs. 2 GG - allein öffentlichen Interessen, nicht aber dem Interesse der Mitbewerber. Zu einer gerichtlichen Überprüfung der Befähigung des ausgewählten Bewerbers gem. § 71 Abs. 3 GO NRW kann es deshalb nur im Kommunalverfassungsstreit oder dann kommen, wenn die Aufsichtsbehörde die Wahl beanstandet hat,

vgl. OVG Schleswig, Beschluss vom 25.06.1992 - 5 M 2798/92 - NVwZ 1993, 1124; VG Münster, Beschluss vom 03.01.2012 - 4 L 670/11 -, juris.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Referenznummer:

R/R8491


Informationsstand: 22.10.2020