Die Parteien streiten über eine Entschädigung des Klägers aufgrund einer von ihm angenommenen Diskriminierung als schwerbehinderter Mensch im Rahmen von vier Einstellungsverfahren der Beklagten.
Der Kläger ist 57 Jahre alt (
geb. xx.xx.1962) und ist mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert. Er war bereits vom 4. Januar 2010 bis 3. Januar 2012 bei der Beklagten als Fachassistent in der Leistungsabteilung beschäftigt. Er hat sich bei der Beklagten im Rahmen von 4 Stellenausschreibungen
1. am 30. Januar 2017 (Teamassistenz für die Aktenhaltung)
2. am 25. Februar 2017 (Sekretär der Geschäftsführung)
3. am 10. März 2017 (Fachassistent im Kundenportal)
4. am 17. März 2017 (Teamassistent in der Aktenhaltung)
beworben. In den verschiedenen Anschreiben zu den Bewerbungen hatte der Kläger jeweils auf eine 50 %ige Schwerbehinderung hingewiesen. In den der Bewerbung beigefügten E-Mails vom 30. Januar 2017 und 10. März 2017 sowie dem beigefügten Schreiben vom 17. März 2017 hatte der Kläger ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er aufgrund der Struktur der Beklagten davon ausgehe, dass es sich nicht um denselben Arbeitgeber im Sinne des § 14
Abs. 2
TzBfG handele. Die Beklagte hat den Kläger nicht zu Vorstellungsgesprächen eingeladen.
Mit E-Mail der Beklagten vom 7. Juli 2017 wurde dem Kläger zur zweiten Bewerbung mitgeteilt, dass "sich die Auswahlkommission für eine/n andere/n Bewerber/in entschieden" habe. Mit drei gleichlautenden E-Mails der Beklagten vom 24. Juli 2017 wurde dem Kläger zu den Bewerbungen 1, 3 und 4 jeweils mitgeteilt, dass man ihm "nach Durchführung des Auswahlverfahrens" mitteilen müsse, dass seine Bewerbung nicht zum Ziel geführt habe.
Der Kläger erhob am 5. September 2017 Klage vor dem Arbeitsgericht wegen vierfacher Diskriminierung und verlangte eine Entschädigung in Höhe von jeweils 3 Monatsgehältern á 2.190,06
EUR, weil die Beklagte gegen ihre Verpflichtungen aus
§§ 81 (jetzt
164) und
82 (jetzt
165 SGB IX) verstoßen habe. Diese Klage wurde der Beklagten am 14. September 2017 zugestellt.
Der Kläger hat die Stellenanzeigen nicht vorgelegt. Er hat aber ausgeführt, dass er die vorgegebenen formalen, fachlichen und außerfachlichen Anforderungen aus den Stellenausschreibungen erfülle. Dazu hat er auf seinen beruflichen Werdegang verwiesen.
Die Beklagte hat erklärt, dass die vier Stellen alle sachgrundlos ausgeschrieben und andere schwerbehinderte Bewerber eingestellt worden seien. Der Kläger sei aufgrund des Vorbeschäftigungsverbots des § 14
Abs. 2 Satz 2
TzBfG nicht eingestellt worden.
Der Kläger hat entgegnet, dass in keinem Stellenangebot eine Einschränkung
bzw. ein Ausschlussgrund wegen einer Vorbeschäftigung enthalten gewesen sei.
Nachdem das Verfahren zwischenzeitlich längere Zeit geruht hatte, wies das Arbeitsgericht die Klage mit Urteil vom 16. Januar 2019 ab. Der Kläger habe keinen Entschädigungsanspruch nach
§ 15 Abs. 2 AGG in Verbindung mit § 81
Abs. 2 Satz 2
SGB IX (jetzt § 164
Abs. 2 Satz 2
SGB IX). Der pauschale Vortrag des Klägers, er erfülle die formalen, fachlichen und außerfachlichen Anforderungen der ausgeschriebenen Stellen, sei nicht ausreichend. Da der Kläger die Stellenausschreibungen nicht eingereicht habe, könne diese Prüfung nicht vorgenommen werden. Es sei unschädlich, dass die Beklagte dem Kläger die Stellenausschreibungen trotz entsprechender Aufforderung nicht zur Verfügung gestellt habe, weil es der Beklagten nicht obliege, die Klage durch Einreichung der Stellenausschreibungen schlüssig zu machen. Dadurch, dass der Kläger aufgrund der Vorbeschäftigung bei der Besetzung der Stellen nicht berücksichtigt worden sei, sei die Diskriminierung aufgrund der Schwerbehinderung des Klägers widerlegt. Die Behauptung des Klägers, dass in keinem Stellenangebot eine Einschränkung
bzw. ein Ausschlussgrund wegen einer Vorbeschäftigung enthalten gewesen sei, sei unbeachtlich, da diese Behauptung ins Blaue hinein aufgestellt worden sei, da er nach seinem eigenen Vortrag nicht mehr im Besitz der Stellenausschreibungen gewesen sei.
Gegen dieses den Klägervertretern am 13. Februar 2019 zugestellte Urteil haben diese am 7. März 2019 Berufung eingelegt und diese am 4. April 2019 begründet.
Der Kläger sei nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden. Damit sei § 165 Satz 3
SGB IX verletzt. Das begründe regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der fachlichen Nicht-Eignung obliege der Beklagten. Die Vorbeschäftigung des Klägers bei der Beklagten stehe seiner Einstellung dem Grunde nach nicht entgegen. Denn auch das
BVerfG sehe mit seiner Entscheidung vom 6. Juni 2018 die "Sperre" aufgrund einer Vorbeschäftigung nicht unbegrenzt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 16. Januar 2019 - 21 Ca 11072/17 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 26.280,72
EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. September 2017 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte weist darauf hin, dass die vier den Bewerbungen zugrundeliegenden Stellenanzeigen jeweils den ausdrücklichen Hinweis beinhaltet hätten, dass die jeweilige Stelle befristet nach § 14
Abs. 2
TzBfG besetzt werden solle. Bei der zweiten Stelle sei sogar ausdrücklich aufgeführt gewesen, dass nur Bewerber berücksichtigt werden könnten, die zuvor nicht bei der Bundesagentur für Arbeit oder in einem Jobcenter beschäftigt worden seien.
Der Kläger sei wegen der Vorbeschäftigung nicht in die Bewerbungsverfahren einbezogen worden. Er sei bereits zu Beginn aus dem weiteren Bewerbungsverfahren ausgeschlossen worden. Andere schwerbehinderte Bewerber ohne Vorbeschäftigung bei der Beklagten seien zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden.
Der Kläger habe kein Indiz aufgezeigt, dass seine Diskriminierung begründe. Zunächst müsse der Kläger seine Eignung für die Stelle darlegen und danach müsse die Beklagte sich erst erklären. Der Anspruch auf Entschädigung setze eine Benachteiligung voraus.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Berufungsbegründung des Klägers vom 4. April 2019 und den vorgetragenen Inhalt der Berufungserwiderung der Beklagten vom 15. Mai 2019 sowie das Sitzungsprotokoll vom 29. August 2019 Bezug genommen.
I.
Die nach § 64
Abs. 2
ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66
Abs. 1
ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (
ZPO) eingelegt und begründet worden. Sie ist zulässig, jedoch nicht begründet.
II.
1. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Entschädigung nach
§ 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in
§ 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus (§ 15
Abs. 2
iVm. § 15
Abs. 1 Satz 1
AGG) und ist verschuldensunabhängig.
Das Benachteiligungsverbot in § 7
Abs. 1
AGG untersagt im Anwendungsbereich des
AGG eine Benachteiligung wegen eines in
§ 1 AGG genannten Grundes, u.a. wegen einer Behinderung. Zudem dürfen Arbeitgeber nach
§ 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 164
Abs. 2 Satz 2
SGB IX die Regelungen des
AGG.
§ 7
Abs. 1
AGG verbietet sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen. Nach
§ 3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine Person wegen eines in
§ 1 AGG genannten Grundes, u.a. einer Behinderung, eine weniger günstige Behandlung erfährt als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde.
Im Hinblick auf eine - insbesondere bei einer Einstellung und Beförderung - zu treffende Auswahlentscheidung des Arbeitgebers befinden sich Personen grundsätzlich bereits dann in einer vergleichbaren Situation, wenn sie sich für dieselbe Stelle beworben haben. Bereits deshalb kommt es, sofern ein Bewerber vorab ausgenommen und damit vorzeitig aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen wurde, nicht zwangsläufig auf einen Vergleich mit dem letztlich eingestellten Bewerber an (
BAG vom 20. Januar 2016 -
8 AZR 194/14).
2. Ob der Kläger grundsätzlich einen Entschädigungsanspruch nach § 15
Abs. 2
AGG wegen einer nicht gerechtfertigten Diskriminierung im Zusammenhang mit der Bewerbung vom 25. Februar 2017 besitzt, kann dahinstehen, da der Kläger diesen nicht innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Ausschlussfrist von 2 Monaten (§ 15
Abs. 4
AGG) gegenüber der Beklagten geltend gemacht hat. Zwar hat der Kläger nach Erhalt der diesbezüglichen Absage vom 7. Juli 2017 innerhalb von 2 Monaten Klage vor dem Arbeitsgericht erhoben. Diese Klage wurde der Beklagten jedoch erst am 14. September 2017 und damit außerhalb der 2-Monats-Frist zugestellt. Dass der Kläger den Entschädigungsanspruch zuvor außergerichtlich gegenüber der Beklagten geltend gemacht hätte, hat er nicht vorgetragen.
3. Ein Entschädigungsanspruch des Klägers nach § 15
Abs. 2
AGG besteht aber auch im Übrigen nicht.
3.1 Grundsätzlich ist der öffentliche Arbeitgeber, zu dem die Beklagte zählt, entsprechend
§ 165 Satz 3 SGB IX verpflichtet, schwerbehinderte Menschen, die sich um eine Stelle beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Unterlässt es der öffentliche Arbeitgeber entgegen dieser Vorschrift, den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, so ist dies eine geeignete Hilfstatsache nach
§ 22 AGG, die für das Vorliegen einer diskriminierenden Benachteiligung spricht (
BAG vom 24. Januar 2013 -
8 AZR 188/12). Eine Einladung des schwerbehinderten Bewerbers darf nach § 165 Satz 4
SGB IX unterbleiben, wenn dem Bewerber die fachliche Eignung offensichtlich fehlt. Den öffentlichen Arbeitgeber trifft in einem Prozess die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der schwerbehinderte Bewerber offensichtlich fachlich ungeeignet im Sinne von § 165 Satz 4
SGB IX ist (
BAG vom 11. August 2016 -
8 AZR 375/15). Deshalb gehen die Beklagte und das Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung fehl, wenn Sie meinen, dass der Kläger als anspruchsbegründende Tatsache zunächst seine fachliche Eignung anhand der Stellenausschreibung darlegen müsse.
3.2 Dennoch besteht der vom Kläger geltend gemachte Anspruch nicht.
Im besonderen Fall der Behinderung kann zwar eine Benachteiligung des einzelnen Bewerbers wegen eines unterbliebenen Vorstellungsgesprächs nicht dadurch widerlegt werden, dass in Bewerbungsverfahren die Gruppe der Schwerbehinderten nicht nachteilig behandelt wurde. § 165 Satz 3
SGB IX gibt dem einzelnen schwerbehinderten Bewerber einen Individualanspruch auf Einladung zu einem Vorstellungsgespräch. Die Indizwirkung wird durch die Schlechterstellung des Einzelnen ausgelöst und nicht dadurch aufgehoben, dass ansonsten im Bewerbungsverfahren schwerbehinderte Bewerber als Gruppe nicht nachteilig behandelt wurden (
BAG vom 24. Januar 2013 -
8 AZR 188/12). Deshalb ist die Behauptung der Beklagten unerheblich, dass die ausgeschriebenen Stellen mit schwerbehinderten Menschen besetzt worden seien.
3.3 Für den nach § 22
AGG möglichen Nachweis, dass für die Nichteinladung eines Bewerbers entgegen § 165 Satz 3
SGB IX ausschließlich andere Gründe als die Behinderung erheblich waren, können nur solche Gründe herangezogen werden, die - abgesehen von dem Fall der offensichtlichen Nichteignung - nicht die fachliche Eignung betreffen. Hierfür enthält die in § 165 Satz 4
SGB IX geregelte Ausnahme mit dem Erfordernis der "offensichtlichen" Nichteignung nämlich eine abschließende Regelung (
BAG vom 20. Januar 2016 - 8 AZR 194/14). Deshalb kann die Beklagte dem Entschädigungsanspruch infolge der Nichteinladung schwerbehinderter Bewerber*innen auf eine Stellenausschreibung nur dann entgehen, wenn der Bewerber entweder "offensichtlich" fachlich nicht geeignet ist oder es sich um Kriterien außerhalb der fachlichen Eignung handelt (
BAG vom 20. Januar 2016 - 8 AZR 194/14).
Dass der Kläger offensichtlich fachlich für die zu besetzenden Stellen nicht geeignet wäre, hat die Beklagte nicht behauptet und konnte vom Landesarbeitsgericht nicht festgestellt werden. Die Beklagte hat aber, insbesondere auch anhand des Textes der E-Mails des Klägers aus den Bewerbungen dargelegt, dass die Einladung zu einem Vorstellungsgespräch aufgrund von Umständen unterblieben ist, die weder einen Bezug zur Behinderung aufweisen noch die fachliche Eignung des Bewerbers berühren. Diese nur für den Bereich des öffentlichen Dienstes geltende Einschränkung (
BAG vom 20. Januar 2016 - 8 AZR 194/14) steht dem Entschädigungsanspruch des Klägers entgegen. Die Beklagte hat hinreichend deutlich gemacht, dass sie den Kläger wegen des Vorbeschäftigungsverbots des § 14
Abs. 2 Satz 2
TzBfG und der früheren Tätigkeit des Klägers für die Beklagte nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen hat. Auch wenn es sicher hilfreicher gewesen wäre, die so nicht näher in Erwägung gezogenen Bewerber schon vorab und nicht erst am Ende des Bewerbungsverfahrens zu informieren, vermochte die Kammer Anhaltspunkte, dass dieses nur eine Schutzbehauptung wäre, nicht zu erkennen. Gerade durch die Formulierung in den Bewerbungs-E-Mails des Klägers wurde von Anfang an deutlich, dass die Bewerbung des Klägers mit dieser Vorschrift kollidiert.
4. Da damit der Kläger nicht wegen seiner Behinderung diskriminiert worden ist, war seine Berufung zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung folgt § 64
Abs. 6
ArbGG in Verbindung mit § 97
ZPO. Der Kläger hat als unterlegene Partei die Kosten der erfolglosen Berufung zu tragen.
Die Zulassung der Revision gemäß § 72
Abs. 2
ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.