1. Die Berufung wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
In Streit steht die Frage, ob die Beklagte den Kläger wegen seiner Schwerbehinderung im Rahmen eines Bewerbungsverfahrens diskriminiert hat und ob sie deshalb zur Zahlung einer Entschädigung verpflichtet ist.
Die Beklagte ist eine kleine Stadt in Mecklenburg-Vorpommern mit weit unter 10.000 Einwohnern. Im Oktober 2017 hat die Beklagte eine Stelle für einen
bzw. eine "Mitarbeiter/in Bauhof" öffentlich ausgeschrieben. Die Stelle stand zur sofortigen Besetzung an. Es handelt sich um eine unbefristete Vollzeitstelle (40 Stunden pro Woche). Die Beklagte hat dafür eine tarifliche Vergütung aus der Entgeltgruppe
EG 4 TVöD VkA vorgesehen. Das tarifliche Tabellenentgelt hat im Oktober 2017 in der Entgeltgruppe
EG 4, Stufe 3 brutto 2.511,69 Euro betragen. Die Beklagte hat in der öffentlichen Stellenausschreibung die mit der Stelle verbundenen Aufgaben und die geforderten Qualifikationsvoraussetzungen für die Bewerber und Bewerberinnen wie folgt festgelegt:
"Die Stelle umfasst folgende Aufgaben:
- Baumpflege, Garten- und Grünflächenpflege und Einsatz im Winterdienst mit Bedienung der kommunalen Technik
- Sonstige Arbeiten zur Sicherstellung der Sicherheit und Ordnung im Stadtgebiet.
Für diese verantwortungs- und vertrauensvolle Tätigkeit erwarten wir
- eine Ausbildung in einem handwerklichen Beruf
- Einsatzbereitschaft und körperliche Belastbarkeit
- freundliches und zuvorkommendes Auftreten
- Bereitschaft zur flexiblen Arbeitszeit
- Führerscheinklasse C1E
- Sägeschein / Motorsägeschein"
In der Ausschreibung wurde ergänzend darauf verwiesen, dass bei gleicher Eignung Mitglieder der örtlichen Freiwilligen Feuerwehr bevorzugt berücksichtigt würden und dass es wünschenswert wäre, wenn der oder die Stelleninhaberin den Wohnsitz im Stadtgebiet habe,
bzw. die Bereitschaft bestehe, den Wohnsitz in der Stadt zu begründen. Die offene Stelle wurde von der Beklagten nicht bei der Bundesagentur für Arbeit angezeigt.
Auf diese Stelle hat sich innerhalb der von der Beklagten gesetzten Bewerbungsfrist unter anderem der Kläger beworben. Der Kläger stammt aus dem Vogtland im Südwesten von Sachsen aus einer kleinen Stadt mit ebenfalls deutlich unter 10.000 Einwohnern. Der in den 1950er Jahren im heutigen Sachsen geborene Kläger, der sein reguläres Renteneintrittsalter noch nicht erreicht hat, ist im Vogtland zur Schule gegangen und hat dort auch sein Berufsleben verbracht. Er hat 1976 das Abitur abgelegt, war danach beim Militär und hat dann 1979 seine Berufsausbildung zum Facharbeiter für Fleischerzeugnisse im KONSUM Fleischverarbeitungskombinat R. abgeschlossen. Ungefähr bis zur Gründung des Landes Sachsen im Jahre 1990 war der Kläger dann als Verkaufsstellenleiter in einer Konsumgenossenschaft tätig. In diese Zeit hat er dafür auch eine entsprechende Weiterbildung absolviert. Nach 1990 haben sich beim Kläger Zeiten einer selbständigen Tätigkeit, Zeiten der Arbeitslosigkeit (mehrfach) und Zeiten der Anstellung als Arbeitnehmer in diversen Berufsfeldern angeschlossen. Der Kläger ist der Behauptung der Beklagten, dass er an seinem Wohnsitz zwei Häuser mit Mietwohnungen besitze, nicht entgegengetreten.
Nach dem vom Kläger auszugsweise vorgelegten Bescheid des Landratsamts Vogtlandkreis aus September 2012 (hier Blatt 20) gehört der Kläger mit einem Grad der Behinderung von 50 seit März 2012 zum Kreis der schwerbehinderten Menschen. In seinem Bewerbungsschreiben hat der darauf hingewiesen, dass er sich "trotz seiner Körperbehinderung (
GdB 50) in der Lage" sehe, "die gestellten Anforderungen zur vollsten Zufriedenheit zu erfüllen". Beigefügt waren der Bewerbung ein Lebenslauf, ein Motivationsschreiben sowie in vollständigem Umfang die üblichen ergänzenden Unterlagen wie beispielsweise der Ausbildungsnachweis, die Bescheinigung über den Grad der Behinderung, die Teilnahmebescheinigung Motorkettensäge und diverse Arbeitszeugnisse.
Der Kläger hat in der Bundesrepublik inzwischen eine gewissen Berühmtheit erlangt, da er sich in den letzten Jahren auf eine Vielzahl von Stellen im öffentlichen Dienst, die mit der hier streitigen Stelle im weitesten Sinne vergleichbar sind, beworben hat, und bereits mehrfach eine Entschädigung erstritten hat, weil er trotz seiner Schwerbehinderung nicht zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde. Die Prozessbevollmächtigten der Beklagten bezeichnen den Kläger deshalb auch gelegentlich als
AGG-Hopper.
Im Berufungsrechtszug ist zwischen den Parteien nach Vorlage der entsprechenden Ablehnungsschreiben der jeweiligen Einstellungskörperschaften durch den Kläger unstreitig geworden, dass sich der Kläger in der Zeit zwischen Oktober 2016 und Oktober 2018 auf mindestens 30 ausgeschriebene Stellen verschiedenster Körperschaften des öffentlichen Rechts in ganz Deutschland beworben hat (Nachweise hier Blatt 184 ff). Der Kläger ist auch der Darstellung der Beklagten nicht entgegen getreten, dass er sich allein im hiesigen Bundesland bereits 15-mal auf vergleichbare Stellen im kommunalen Bereich beworben habe. Die Beklagte geht davon aus, dass diese Zahlen das Bewerbungsverhalten des Klägers nicht vollständig beschreiben.
Die Beklagte hat die hier streitige ausgeschriebene Stelle als Mitarbeiter Bauhof zu einem nicht näher mitgeteilten Zeitpunkt einem anderen Bewerber übertragen, über dessen Qualifikation und Eignung für die übertragene Stelle hier nichts bekannt ist. Der Kläger wurde weder zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, noch wurde ihm offiziell mitgeteilt, dass man sich für einen anderen Bewerber entschieden hat. Von der zwischenzeitlichen Stellenbesetzung hatte der Kläger erst auf seine Nachfrage per Mail Anfang Januar 2018 erfahren. Die Beklagte hat ihm am 2. Januar 2018 per Mail geantwortet (hier Blatt 31, es wird Bezug genommen). Dort heißt es unter anderem wörtlich: "… teile ich Ihnen mit, dass wir die Stelle an einen geeigneten Bewerber vergeben haben."
Unter dem 19. Januar 2018 hat der Kläger von der Beklagten erstmals vorgerichtlich eine Entschädigung in Geld nach
§ 15 AGG in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern gefordert, weil die Beklagte ihn nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen hat (hier Blatt 32 f). Diesem Geltendmachungsschreiben hat er einen Vergleichsvorschlag beigefügt, der im Kern daraus bestand, sich auf eine Entschädigung in Höhe von 2.300 Euro gegen Erteilung einer Generalquittung und einer Stillschweigensklausel zu einigen (hier Blatt 34).
Die Beklagte hat die Forderung zurückgewiesen und ist - insoweit folgerichtig - dem Vergleichsvorschlag nicht nähergetreten. Die Beklagte ist vorgerichtlich davon ausgegangen, dass dem Kläger die Eignung für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich fehle und seine Bewerbung auch nicht von dem Wunsch getragen war, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Im Übrigen sei die Entschädigungsforderung rechtsmissbräuchlich, da der Kläger sich geschäftsmäßig auf Stellenausschreibungen bewerbe und bei Nichteinladung nachträglich Entschädigung fordere.
Mit der Klage vom 5. April 2018 - eingegangen beim Arbeitsgericht am 9. April 2018 - verfolgt der Kläger den behaupteten Anspruch mit einem unbezifferten Entschädigungsantrag weiter.
Das Arbeitsgericht Rostock hat die Beklagte mit Urteil vom 27. September 2018 (zum Aktenzeichen 2 Ca 402/18) verurteilt, an den Kläger eine Entschädigung in Höhe von 7.533 Euro zu zahlen, was ungefähr drei Bruttomonatsentgelten aus der Entgeltgruppe
EG 4, Stufe 3 TVöD VkA (Stand 2017) entspricht. - Auf dieses Urteil wird wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes vor dem Arbeitsgericht Bezug genommen.
Das Arbeitsgericht stützt seine Entscheidung auf § 15
AGG. Aus der Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch ergebe sich ein Indiz für die Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung, da die Beklagte als öffentlicher Arbeitgeber nach
§ 82 SGB IX aF (heute:
§ 165 SGB IX) verpflichtet gewesen wäre, den Kläger als schwerbehinderten Bewerber auch dann zum Vorstellungsgespräch einzuladen, wenn Zweifel an seiner Eignung für die ausgeschriebene Stelle bestünden. Von einer offensichtlich fehlenden fachlichen Eignung könne jedenfalls nicht ausgegangen werden. Unter Anwendung der Beweiserleichterung aus
§ 22 AGG hat das Arbeitsgericht dann im Ergebnis angenommen, die Beklagte habe den Anschein der Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung nicht ausräumen können. Die Klage sei unter Berücksichtigung der strengen Vorgaben der Rechtsprechung für diesen Einwand auch nicht rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 242
BGB. Nach den Vorgaben aus der Rechtsprechung rechtfertige dies im vorliegenden Falle die Festsetzung einer Entschädigung in Höhe von rund drei Bruttomonatsgehältern.
Mit der rechtzeitig eingelegten und fristgerecht begründeten Berufung verfolgt die Beklagte ihr Begehren der vollständigen Klageabweisung unverändert fort. Die Beklagte rügt fehlerhafte Rechtsanwendung und in Einzelpunkten fehlerhafte Feststellungen des Arbeitsgerichts.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Kläger für die ausgeschriebene Stelle fachlich offensichtlich nicht geeignet sei, die andere Bewertung durch das Arbeitsgericht sei falsch. Es habe daher keine gesetzliche Pflicht bestanden, ihn als schwerbehindertem Menschen zu einem Bewerbungsgespräch einzuladen. Diese Auffassung wird darauf gestützt, dass der Kläger keine Berufsausbildung besitze, die zu der ausgeschriebenen Stelle passe. In der Stellenausschreibung sei zwar lediglich allgemein von einer Berufsausbildung die Rede, es sei jedoch selbstverständlich, dass es sich insoweit um eine einschlägige Ausbildung handeln müsse. Das sei bei der Berufsausbildung des Klägers zum Fleischer nicht der Fall.
Die Beklagte habe auch nicht davon ausgehen müssen, dass der Kläger die fehlende passende förmliche Berufsausbildung durch geeignete berufliche Erfahrung, die er anderweitig erworben hat, ausgleichen könne. Die Angabe des Klägers in seinem Motivationsschreiben, er sei langjährig im Winterdienst beschäftigt gewesen, sei "ersonnen". Auch die Behauptung, er sei langjährig bei der D. M.
GmbH "als betrieblicher Koordinator (Vorabeiter inklusive ausführender Tätigkeiten) im Hausmeister- und Landschaftsbaubereich" tätig gewesen, sei unwahr. Aus anderen Bewerbungsverfahren des Klägers und den daraus entstandenen Rechtsstreitigkeiten sei bekannt, dass in den dort vorgelegten Lebensläufen zunächst nicht die Rede gewesen sei von "ausführenden Tätigkeiten". Der Kläger habe erst aufgrund der Kritik in diesen anderen Verfahren seinen Lebenslauf so angepasst, dass nunmehr der Eindruck erweckt werde, er sei nicht nur Führungsmitarbeiter gewesen, sondern er habe auch selbst handwerklich mitgearbeitet.
Im Übrigen sei die Bewerbung nicht ernst gemeint gewesen, damit sei die Forderung einer Entschädigungszahlung rechtsmissbräuchlich. Der Kläger habe sein Leben lang im Vogtland gelebt, er sei dort sozial verwurzelt. Die Aufnahme der Erwerbstätigkeit hier im Norden sei für ihn auch wirtschaftlich völlig unattraktiv, da er dann hier einen Wohnsitz begründen müsse und zusätzlich in seiner Heimatstadt weitere Personen kostenpflichtig mit der Betreuung seiner Immobilien betrauen müsse. Ein Umzug sei für ihn daher nie in Betracht gekommen.
Zusammengenommen müsse man davon ausgehen, dass sich der Kläger nur deshalb auf die ausgeschriebene Stelle beworben habe, da er darauf spekuliert habe, dass die Beklagte ihre Pflichten aus § 82
SGB IX aF nicht kenne und ihm damit die Chance eröffnet werde, eine Entschädigung zu fordern. Angesichts der Vielzahl der Bewerbungen des Klägers müsse man davon ausgehen, dass er dieses Geschäft gewerbsmäßig betreibe.
Für die mangelnde Ernsthaftigkeit der klägerischen Bewerbung spreche auch, dass er mit der ersten vorgerichtlichen Geltendmachung gleich einen Vergleichstext übersandt habe, mit der die Beklagte zum Stillschweigen verpflichtet worden wäre.
Die vom Arbeitsgericht festgesetzte Höhe der Entschädigungszahlung sei nicht nachvollziehbar. Die Entschädigung betrage nach dem Gesetz maximal drei Bruttomonatsgehälter, es sei jedoch nicht ersichtlich, weshalb man hier gleich die höchste denkbare Entschädigung habe festlegen müssen. Außerdem habe das Arbeitsgericht entgegen der Rechtslage in Deutschland bei der Bestimmung der richtigen Höhe der Entschädigung pönale Gesichtspunkte mit einfließen lassen.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Rostock vom 27.09.2018 - 2 Ca 402/18 - die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das angegriffene Urteil mit Rechtsargumenten und vertieft sein bisheriges Vorbringen.
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte ihn zum Vorstellungsgespräch hätte einladen müssen, da er gemessen an der Stellenausschreibung für die Stelle geeignet sei. In der Stellenausschreibung sei lediglich eine Ausbildung in einem handwerklichen Beruf gefordert, daraus könne nicht gefolgert werden, es müsse sich um eine Berufsausbildung zum Landschaftsgärtner oder eine damit vergleichbare ähnliche Ausbildung handeln. Im Übrigen verfüge er über ausreichende Fachkenntnisse für die ausgeschriebene Stelle, da er in seinem Berufsleben in unterschiedlichen Positionen immer wieder Berufserfahrungen im Bereich Hausmeistertätigkeiten und im Bereich Grünpflege habe sammeln können. Das sei durch die abgereichten Zeugnisse belegt.
Die Behauptung der Beklagten, er sei - hätte man ihm die Stelle angetragen - nicht bereit gewesen, aus dem Vogtland an die Küste zu ziehen, sei ins Blaue hinein erfolgt. Die Stelle hätte ihm einen nicht unerheblichen finanziellen Vorteil verschafft, was ein gewichtiges Argument für einen Umzug gewesen wäre.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrages der Parteien im Berufungsrechtszug wird auf die überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet.
I.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung gemäß
§ 15 Absatz 2 AGG in der vom Arbeitsgericht ausgeurteilten Höhe (rund drei Bruttomonatsgehälter).
Nach § 15 Absatz 1
AGG ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus
§ 7 AGG verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Der Schaden kann auch ein immaterieller Schaden (Nichtvermögensschaden) sein. Dazu bestimmt § 15 Absatz 2
AGG, der oder die Beschäftigte könne wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Zur Höhe der zustehenden Entschädigung heißt es dann in § 15 Absatz 2
AGG weiter, die Entschädigung dürfe bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre.
Das Arbeitsgericht hat das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für diesen Entschädigungsanspruch bejaht und im Einzelnen begründet, weshalb dem Kläger eine Entschädigung in Höhe von drei Bruttomonatsgehältern zustehe. Die Erwägungen des Arbeitsgerichts halten den Angriffen der Berufung stand.
1. Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass der Kläger Beschäftigter im Sinne des Gesetzes ist, obwohl er sich lediglich um eine Beschäftigung bei der Beklagten bemüht hat. Der Kläger ist als Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis "Beschäftigter" im Sinne des
§ 6 Absatz 1 Satz 2 AGG (
vgl. nur
BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - AP
Nr. 11 zu
§ 3 AGG = NZA 2016, 1394 = BAGE 155, 149).
Der Kläger hat seinen Entschädigungsanspruch auch form- und fristgerecht geltend gemacht und eingeklagt gemäß § 15 Absatz 4
AGG und § 61 b Absatz 1
ArbGG.
2. Zutreffend ist das Arbeitsgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte durch die Behandlung der klägerischen Bewerbung für die ausgeschriebene Stelle als Mitarbeiter Bauhof gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7
AGG verstoßen hat.
Nach § 7
AGG ist es dem Arbeitgeber verboten, einen Beschäftigten wegen eines in
§ 1 AGG genannten Grundes zu benachteiligen. Nach § 1
AGG gehört es - unter anderem - zu den Zielen des Gesetzes, eine Benachteiligung wegen einer Behinderung zu verhindern oder zu beseitigen.
Die Beklagte hat gegen das gesetzliche Benachteiligungsverbot verstoßen, weil sie den Kläger aufgrund seiner Behinderung im Bewerbungsverfahren benachteiligt hat. Dem Kläger ist zwar nicht der Beweis gelungen, dass die Beklagte ihn gerade wegen seiner Behinderung im Bewerbungsverfahren nicht weiter berücksichtigt hat. Darauf kommt es nach Gesetz allerdings auch nicht an. Denn
§ 22 AGG sieht vor, dass es zunächst ausreicht, wenn die Person, die sich auf Benachteiligung beruft, im Streitfall Indizien vorträgt und im Zweifel beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 genannten Grundes vermuten lassen. Liegen solche Indizien vor, trägt die andere Partei (hier die Beklagte) die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
Zutreffend hat das Arbeitsgericht angenommen, dass es Indizien gibt, die eine Benachteiligung des Klägers durch die Beklagte wegen seiner Behinderung vermuten lassen (nachfolgend unter a). Zutreffend hat das Arbeitsgericht dann festgestellt, dass es der Beklagten nicht gelungen ist, die Vermutung der Benachteiligung zu widerlegen (nachfolgend unter b).
a) Die Beklagte hat nach
§ 82 SGB IX alte Fassung (
aF - heute inhaltsgleich
§ 165 SGB IX) die Pflicht gehabt, den schwerbehinderten Kläger zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese Pflicht hat sie verletzt. Daraus ergibt sich die Vermutung der Benachteiligung im Sinne von § 22
AGG.
Auf den vorliegenden Fall findet das Sozialgesetzbuch IX in der Fassung Anwendung, die es vor Inkrafttreten des Bundesteilhabegesetzes vom 23. Dezember 2016 (BGBl I,
S. 3234) hatte, da danach die hier fraglichen Vorschriften erst zum 1. Januar 2018 in Kraft getreten sind, und das Stellenbesetzungsverfahren, in dessen Zuge es zur Benachteiligung des Klägers gekommen ist, im Jahre 2017 begonnen hatte. Es kann offen bleiben, ob einzelne Aspekte der Diskriminierung des Klägers sich erst 2018 verwirklicht haben und deshalb möglicherweise nach der neuen Gesetzeslage zu beurteilen wären, denn insoweit hat sich durch das Bundesteilhabegesetz - soweit hier von Interesse - lediglich die Nummerierung der Gesetzesnormen verändert, sie sind in ihrem sachlichen Gehalt unverändert geblieben. In Übereinstimmung mit dem Arbeitsgericht soll hier jedoch an der Bezeichnung der Gesetzesnormen, die sie bis zum Jahresende 2017 hatten, festgehalten werden.
aa) Die Beklagte hat im Bewerbungsverfahren wegen der Stelle auf ihrem Bauhof gegen § 82
SGB IX aF verstoßen, weil sie den Kläger trotz Kenntnis von dessen Schwerbehinderung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat.
Nach § 82
SGB IX aF muss der öffentliche Arbeitgeber schwerbehinderte Menschen, die sich um einen ausgeschriebenen Arbeitsplatz beworben haben, zu einem Vorstellungsgespräch einladen. Eine Einladung ist (nur) entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.
Die Voraussetzungen dieser Norm sind erfüllt. Die Beklagte ist als kommunale Körperschaft ein "öffentlicher Arbeitgeber" im Sinne des Gesetzes. Der Kläger hat sich auf eine ausgeschriebene Stelle beworben und dabei auf seine Schwerbehinderung hingewiesen. Trotzdem ist der Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden.
Zu Unrecht beruft sich die Beklagte auf die Entbehrlichkeit der Einladung, denn es kann nicht festgestellt werden, dass dem Kläger die Eignung für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich fehlt.
Mit der nach dem Gesetz auf öffentliche Arbeitgeber beschränkten Pflicht, behinderte Menschen, die sich um eine ausgeschriebene Stelle bemühen, zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, will der Gesetzgeber erreichen, dass behinderten Menschen eine privilegierte Chance eingeräumt wird, den zukünftigen Arbeitgeber davon zu überzeugen, dass eine produktive gemeinsame Zusammenarbeit möglich ist (
BAG 22. Oktober 2015 -
8 AZR 384/14 - AP
Nr. 11 zu § 22
AGG = NZA 2016, 625;
LAG Mecklenburg-Vorpommern 28. September 2017 -
4 Sa 93/17 - juris.de). Dieser Pflicht liegt die Erfahrung zu Grunde, dass Arbeitgeber vor der Einstellung von behinderten Menschen zurückschrecken, weil sie befürchten, dass die behinderten Menschen nicht die geforderte Leistung erbringen und möglicherweise auch weil sie die umfangreichen rechtlichen Rahmenbedingungen für die Beschäftigung behinderter Menschen fürchten. Mit der gesetzlichen Pflicht zur Einladung behinderter Bewerber zum Vorstellungsgespräch verbindet der Gesetzgeber die Hoffnung, dass der Arbeitgeber im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs die Erkenntnis gewinnen kann, dass die Einstellung des behinderten Bewerbers für ihn in Abwägung aller Umstände von Vorteil wäre. Schwerbehinderte Bewerber müssen daher auch dann zwingend zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, wenn die Sichtung der Bewerbungsunterlagen ergibt, dass andere Bewerber deutlich besser geeignet sind (
LAG Mecklenburg-Vorpommern 30. Juli 2019 - 30.07.2019 - juris.de).
Daher muss der öffentliche Arbeitgeber einem sich bewerbenden schwerbehinderten Menschen die Chance eines Vorstellungsgesprächs auch dann gewähren, wenn dessen fachliche Eignung zwar zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist (
BAG 12. September 2006 -
9 AZR 807/05 - Rn. 24, BAGE 119, 262;
LAG Mecklenburg-Vorpommern 30. Juli 2019 aaO).
Da der mit der Erfüllung dieser gesetzlichen Pflicht verbundene Aufwand überschaubar ist, muss die Ausnahme von der gesetzlichen Pflicht, ein Vorstellungsgespräch durchzuführen, eng ausgelegt werden. Von einer offensichtlich fehlenden Eignung des behinderten Bewerbers kann daher nur gesprochen werden, wenn sich die Eignungshindernisse ohne Notwendigkeit weiterer Recherchen und Bewertungen ohne Zweifel schon aus den eingereichten Bewerbungsunterlagen ergeben. Das wird beispielsweise dann der Fall sein, wenn es dem Bewerber schon an berechtigt vorausgesetzten formalen Bildungsvoraussetzungen fehlt und diese auch nicht in zumutbaren Zeiträumen nachgeholt werden können.
Offensichtlich fachlich nicht geeignet ist demnach nur, wer "unzweifelhaft" nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht (
BAG 20. Januar 2016 -
8 AZR 194/14;
BAG 22. Oktober 2015 - 8 AZR 384/14). Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es nicht, von einer Einladung abzusehen, weil sich Zweifel im Vorstellungsgespräch ausräumen lassen. Der schwerbehinderte Mensch soll nach § 82 Satz 2
SGB IX die Chance haben, sich in einem Vorstellungsgespräch zu präsentieren und den öffentlichen Arbeitgeber von seiner Eignung zu überzeugen (
vgl. nur
BAG 22. Oktober 2015 aaO;
BAG 21. Juli 2009 - 9 AZR 431/08 - BAGE 131, 232;
LAG Mecklenburg-Vorpommern 30. Juli 2019 aaO).
Macht der Arbeitgeber geltend, dem nicht eingeladenen Bewerber fehle die fachliche Eignung offensichtlich, ist auf einen Vergleich zwischen den fachlichen Anforderungen nach der veröffentlichten Stellenausschreibung und den vom Bewerber eingereichten Bewerbungsunterlagen abzustellen. Denn mit der Bestimmung eines Anforderungsprofils für die zu vergebende Stelle legt der Arbeitgeber die Kriterien für die Auswahl fest (
vgl. BVerfG 8. Oktober 2007 - 2 BvR 1846/07;
LAG Mecklenburg-Vorpommern 30. Juli 2019 aaO). Bei der Erstellung des Anforderungsprofils ist der öffentliche Arbeitgeber an die gesetzlichen und tarifvertraglichen Vorgaben gebunden (
BVerwG 3. März 2011 -
5 C 16.10).
bb) Die Auffassung der Beklagten, dem Kläger fehle die fachliche Eignung für die ausgeschriebene Stelle eines Mitarbeiters im städtischen Bauhof offensichtlich, wird vom Berufungsgericht nicht geteilt.
(1) Zutreffend hat das Arbeitsgericht insoweit darauf abgestellt, dass in der Stellenausschreibung nicht von einer "einschlägigen" oder passenden Berufsausbildung die Rede ist, sondern lediglich von einer "Ausbildung in einem handwerklichen Beruf". Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger, denn er hat in der DDR eine Berufsausbildung zum Facharbeiter für Fleischerzeugnisse erworben.
Das Gericht kann auch nicht erkennen, dass es sinnlos wäre, für die zu besetzende Stelle auf dem Bauhof nur irgendeine erfolgreich abgelegte Berufsausbildung zu fordern. Denn durch eine Berufsausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf lernt der Auszubildende unabhängig von der Art der Berufsausbildung insbesondere selbständiges Arbeiten unter Anwendung des erworbenen Fachwissens, strukturiertes Herangehen an die Lösung gestellter Aufgaben und ganz allgemein das Arbeiten in einem hierarchisch strukturierten Team. Da sich die Tätigkeiten auf einem Bauhof in einer kleinen Stadt ohnehin nicht einem abgrenzbaren Berufsfeld zuordnen lassen, würde es durchaus Sinn machen, für die Stelle nur irgendeine Berufsausbildung vorauszusetzen, damit man die Chance hat, eine Arbeitnehmerin oder einen Arbeitnehmer einstellen zu können, der im oben aufgezeigten Sinne selbständig zu arbeiten versteht.
(2) Selbst wenn man hilfsweise zu Gunsten der Beklagten annehmen wollte, dass man die Stellenausschreibung einschränkend dahin auslegen könnte, dass dort eine Ausbildung gemeint ist, die zu dem zukünftigen Tätigkeitsfeld auf dem Bauhof passt, sieht sich das Gericht nicht in der Lage, die Feststellung zu treffen, dass die fachliche Eignung des Klägers offensichtlich nicht gegeben sei, denn es liegt nahe und hätte im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs weiter abgeklärt werden können, dass der Kläger aufgrund seiner vielfältigen beruflichen Erfahrungen Kenntnisse und Fertigkeiten besitzt, die der geforderten einschlägigen Berufsausbildung entsprechen oder sie gar übertreffen.
Dazu ist zunächst hervorzuheben, dass die Beklagte wegen der mitgeteilten Bewertung der Stelle mit der Entgeltgruppe
EG 4 TVöD VkA lediglich eine Ausbildung verlangen kann, die weniger als drei Jahre Ausbildungszeit erfordert (
vgl. Anlage 1 zum TVöD VkA - Entgeltordnung - Teil A.I.2. - handwerkliche Tätigkeiten - Entgeltgruppe 4 Fallgruppe 1: "... abgeschlossenen Ausbildung in einem anerkannten Ausbildungsberuf mit einer Ausbildungsdauer von weniger als drei Jahren ..."). Dementsprechend dürfen die Anforderungen, die man an einen nicht formal richtig qualifizierten behinderten Bewerber anlegt, auch nur den Anforderungen aus einer solchen verkürzten Ausbildung entsprechen.
Nach den vom Kläger vorgelegten Bewerbungsunterlagen muss das Gericht davon ausgehen, dass der Kläger aufgrund seiner außerhalb einer förmlichen Berufsausbildung im Berufsleben erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten ohne weiteres für die ausgeschriebene Stelle fachlich geeignet ist. Das ergibt sich aus seiner Berufserfahrung im Bereich der Hausmeisterdienste sowie der Garten- und Landschaftspflege (1999), wie auch aus seiner Berufserfahrung als Vorarbeiter bei Firma M. (2000 bis 2005), als Mitarbeiter der Recycling-Firma (2005 bis 2010) sowie letztlich auch aus seiner mitarbeitenden Vorarbeitertätigkeit im Bereich Hausmeister- und Landschaftsbau (2012 bis 2016). Ergänzend stellt das Gericht darauf ab, dass der Kläger durch seinen Immobilienbesitz weitere Erfahrungen im handwerklichen Bereich gewonnen hat. Abermals ergänzend dazu muss beachtet werden, dass der Kläger in der DDR aufgewachsen ist und bis 1990 dort gelebt hat, wodurch es nahe liegt, dass er durch die Mangelerscheinungen der seinerzeitigen Wirtschaft ohnehin viele handwerkliche Fertigkeiten erworben hat, um im Alltag zurecht zu kommen.
Für die Entscheidung des Rechtsstreits kann dahinstehen, ob die eine oder andere Angabe im klägerischen Lebenslauf - wie das die Beklagte behauptet - mit dem Ziel eine dem Anforderungsprofil entsprechende vita zu konstruieren, nicht den Tatsachen entspricht. Denn diese Zweifel - die das Gericht anhand der ihm vorliegenden Unterlagen im Übrigen nicht teilt - hätte man im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs versuchen können zu klären.
cc) Die Verletzung der in § 82 Satz 2
SGB IX aF geregelten Verpflichtung eines öffentlichen Arbeitgebers, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung im Sinne von § 22
AGG. Diese Pflichtverletzung ist nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (
vgl. BAG 11. August 2016 aaO;
LAG Mecklenburg-Vorpommern 30. Juli 2019 aaO). Der Kläger hat eine Benachteiligung im Hinblick auf seine Behinderung erfahren.
Ergänzend muss dazu noch hervorgehoben werden, dass auch die Pflicht des Arbeitgebers, offene Stellen der Bundesagentur zu melden (
§ 81 SGB IX aF, heute
§ 164 SGB IX) dem Ziel dient, behinderte Menschen besser in das Erwerbsleben zu integrieren. Da die Beklagte die zu besetzende Stelle der Bundesagentur nicht gemeldet hat, ergibt sich daraus ein weiteres Indiz im Sinne von § 22
AGG dafür, dass die Beklagte Vorbehalte gegen die Beschäftigung behinderter Menschen hegt.
b) Der Beklagten ist es nicht im Sinne von § 22
AGG gelungen darzulegen, dass ihre Auswahlentscheidung zu Gunsten eines anderen Bewerbers in keinem Zusammenhang zu der Schwerbehinderung des Klägers steht und damit kein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7
AGG vorliegt.
Das Benachteiligungsverbot des § 7 Absatz 1
AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1
AGG genannten Grundes. Zwischen der benachteiligenden Behandlung und einem in § 1
AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Dafür ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund im Sinne von § 1
AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln der Benachteiligenden ist; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an einen Grund im Sinne von § 1
AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei bloße Mitursächlichkeit genügt. Bei der Prüfung des Kausalzusammenhangs sind alle Umstände des Rechtsstreits im Sinne einer Gesamtbetrachtung und -würdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (
vgl. nur
BAG 11. August 2016 -
8 AZR 375/15).
Der durch die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch entstandene Diskriminierungsverdacht kann in erster Linie dadurch widerlegt werden, dass der Arbeitgeber mitteilt, welche Person er aus welchen Gründen auf der ausgeschriebenen Stelle eingestellt hat. Denn wenn es dafür tragfähige Gründe gibt, kann der Diskriminierungsverdacht widerlegt werden. Von dieser Möglichkeit hat die Beklagte keinen Gebrauch gemacht.
3. Der gerichtlichen Festsetzung einer Entschädigung steht auch nicht der Einwand des Rechtsmissbrauchs entgegen. Auch insoweit schließt sich das Berufungsgericht den Ausführungen des Arbeitsgerichts an.
a) Nach § 242
BGB sind durch unredliches Verhalten begründete oder erworbene Rechte oder Rechtsstellungen grundsätzlich nicht schutzwürdig. Der Ausnutzung einer rechtsmissbräuchlich erworbenen Rechtsposition kann demnach der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegenstehen (
BAG 19. Mai 2016 - 8 AZR 470/14 - BAGE 155, 149). Allerdings führt nicht jedes rechts- oder pflichtwidrige Verhalten stets oder auch nur regelmäßig zur Unzulässigkeit der Ausübung der hierdurch erlangten Rechtsstellung. Hat der Anspruchsteller sich die günstige Rechtsposition aber gerade durch ein treuwidriges Verhalten verschafft, liegt eine unzulässige Rechtsausübung im Sinne von § 242
BGB vor (
vgl. etwa
BGH 28. Oktober 2009 -
IV ZR 140/08).
Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen, die den - rechtshindernden - Einwand des Rechtsmissbrauchs begründen, trägt nach den allgemeinen Regeln der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast derjenige, der diesen Einwand geltend macht, hier also die Beklagte.
b) Die von der Beklagten vorgetragenen Umstände, die den Rechtsmissbrauch begründen sollen, lassen den gewünschten Schluss nicht mit der für gerichtliche Feststellungen notwendigen Sicherheit zu.
Allein die Anzahl der Bewerbungen, die der Kläger in den letzten Jahren bei Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes angebracht hat, lässt nicht auf eine unzulässige Rechtsausübung schließen. Es steht jedem Arbeitnehmer frei, sich wiederholt und häufig auf verschiedenste Stellen zu bewerben. Dieses Recht setzt auch nicht eine momentane Arbeitslosigkeit des Bewerbers oder eine in sonstigen Umständen begründete wirtschaftliche Not voraus.
Für sich genommen ist es auch kein Indiz für einen Rechtsmissbrauch des Klägers, dass er sich offensichtlich häufig bei Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes beworben hat, die in Unkenntnis ihrer Pflichten aus § 82
SGB IX aF den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen haben.
Ein Rechtsmissbrauch könnte nur dann bejaht werden, wenn man feststellen könnte, dass der Kläger mit seiner Beteiligung an den verschiedensten Bewerbungsverfahren gar nicht die Absicht verfolgt, eine (bessere) Beschäftigung zu erlangen, sondern damit allein das Ziel verfolgt, bei Missachtung der gesetzlichen Pflichten aus § 82
SGB IX aF durch die Arbeitgeber Entschädigungsansprüche nach § 15
AGG geltend machen zu können.
Zu einer dahingehenden Feststellung sieht sich das Gericht nicht in der Lage. An die Feststellung des Rechtsmissbrauchs sind hohe Anforderungen zu stellen. Es müssen im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die ausnahmsweise den Schluss auf ein rechtsmissbräuchliches Verhalten zulassen. Das kann nur angenommen werden, wenn sich ein systematisches und zielgerichtetes Vorgehen der Person feststellen lässt, das auf der Erwägung beruht, bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise werde letztlich ein auskömmlicher "Gewinn" verbleiben.
Zum einen fehlt es an ausreichenden Indizien dafür, dass sich der Kläger gezielt bei Kommunen oder sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts bewirbt, bei denen die Chance der Nichtkenntnis der Pflichten aus § 82
SGB IX aF vermutlich hoch ist. So lässt sich weder feststellen, dass sich der Kläger nur bei kleinen Kommunen beworben hat oder nur bei Kommunen in den neuen Bundesländern, die in den letzten Jahrzehnten nur den Personalabbau gekannt haben und daher vielleicht Defizite bei der fehlerfreien rechtlichen Durchführung von Einstellungsverfahren haben. Denn ausweislich der Berufungserwiderung hat sich der Kläger beispielsweise auch bei der Stadt R., der Stadt F., der Stadt N. oder dem Landkreis G. beworben.
Zum anderen kann sich das Gericht nicht die Überzeugung bilden, dass der Kläger bei all seinen Bewerbungen nicht das Ziel verfolgt, eine aus seiner Sicht gut dotierte Stelle im öffentlichen Dienst zu erhalten. Es ist eine gerichtsbekannte Tatsache, dass das Einkommensniveau im öffentlichen Dienst im Vergleich zu dem Einkommensniveau in der Privatwirtschaft in den neuen Bundesländern - vielleicht mit Ausnahme einiger weniger Ballungszentren wie L. oder B. - ausgesprochen hoch ist. Gerade bei der auffällig holperigen Erwerbsbiografie des Klägers, die im Übrigen typisch für viele Erwerbsbiographien für DDR-Bürger in den Nachwendezeit ist, und bei einem Lebensmittelpunkt mitten in der Provinz im Vogtland muss das Gericht davon ausgehen, dass ein regelmäßiges monatliches Einkommen in Höhe von rund 2.500 Euro brutto, das der Kläger auf der ausgeschriebenen Stelle hätte erhalten können, ausgesprochen attraktiv erscheint. Es steht daher für das Gericht nicht fest, dass der Kläger, wenn man ihm die Stelle tatsächlich angeboten hätte, sie auf jeden Fall abgelehnt hätte.
Auch die wirtschaftlichen Folgekosten der Aufnahme der Erwerbstätigkeit hier im Norden hält das Gericht in der Darstellung der Beklagten für zu hoch bewertet. Die Mietkosten einer Wohnung im Stadtgebiet der Beklagten oder in der näheren Umgebung dazu dürften auch heute noch bei rund fünf Euro pro Quadratmeter liegen, jedenfalls hat die Beklagte keine Hinweise darauf gegeben, dass sie wesentlich darüber liegen. Ob zusätzlich Folgekosten am Wohnsitz des Klägers entstanden wären, weil er sich dann nicht mehr selbst um die von ihm vermieteten Wohnungen hätte kümmern können, steht nicht mit Sicherheit fest. Gerade wenn der Kläger - wie die Beklagte behauptet - in seiner Heimatstadt sozial verwurzelt ist, sind viele Möglichkeiten denkbar, wie sich der Kläger ohne zusätzliche Kosten hätte helfen können.
Ob der behaupteten sozialen Verwurzelung im Heimatort überhaupt eine eigenständige Bedeutung zukommen kann, braucht hier nicht grundsätzlich entschieden zu werden. Es bleibt jedenfalls spekulativ, ob der Kläger die hier streitige Stelle abgelehnt hätte, nur weil er in seiner Heimat im Schützenverein aktiv ist. Soweit mit der sozialen Verwurzelung auch die familiären Verpflichtungen gemeint sein sollten, ist jedenfalls festzustellen, dass der Kläger nach seinem Lebenslauf keinen familiären Verpflichtungen im Sinne von Erziehungs- oder Unterhaltspflichten mehr unterworfen ist.
Auch die Beifügung eines Vergleichsvorschlags mit Generalquittung und Stillschweigensklausel an das zügig übersandte Geltendmachungsschreiben lässt den von der Beklagten gewünschten Schluss auf das fehlende Erwerbsinteresse im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses nicht zu. Es kann und soll hier nicht in Abrede gestellt werden, dass der Kläger bei der Einforderung von Entschädigungen im Falle der gesetzeswidrigen Behandlung seiner Bewerbungen durch die Einstellungskörperschaften inzwischen eine beachtliche Professionalität entwickelt hat. Das reicht aber noch nicht aus, um daraus den weitergehenden Schluss zu ziehen, dass beim Kläger gar nicht die Bereitschaft besteht, im Zweifel eine ihm angetragene Stelle auch tatsächlich anzutreten. Denn der materielle Vorteil einer gut dotierten Stelle überwiegt schon nach kürzester Zeit bei weitem die Vorteile, die der Kläger derzeit aus den Fehlern zieht, die viele der Arbeitgeber machen, bei denen er sich bewirbt.
4. Die Angriffe der Berufung gegen die vom Arbeitsgericht festgesetzte Höhe der Entschädigung greifen nicht durch.
Die Höhe der Entschädigung ist in § 15
AGG nur ganz allgemein mit angemessen umschreiben. Bei der Bemessung der Höhe der Entschädigung sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Zu diesen zählen etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung und das Vorliegen eines Wiederholungsfalls. Ferner ist der Sanktionszweck der Norm zu berücksichtigen, so dass die Höhe auch danach zu bemessen ist, was zur Erzielung einer abschreckenden Wirkung erforderlich ist. Die Entschädigung muss geeignet sein, eine abschreckende Wirkung gegenüber der Arbeitgeberin zu entfalten und in jedem Fall in einem angemessenen Verhältnis zu zum erlittenen Schaden stehen (so zutreffend
LAG Hamm 13. Juni 2017 -
14 Sa 1427/16).
Das Arbeitsgericht hat die auffällig hohe Entschädigung in Höhe von rund drei Bruttomonatsgehältern zugesprochen, weil - so versteht jedenfalls das Berufungsgericht das Arbeitsgericht - offensichtlich auf Seiten der beklagten Kommune keinerlei Problembewusstsein hinsichtlich ihrer Pflichten aus § 81 ff
SGB IX aF vorhanden war und sie im Rechtsstreit ihren Fehler durch wenig überzeugende Rechtfertigungsversuche klein zu reden versucht hat.
Dem ist die Beklagte im Berufungsrechtszug in erster Linie mit dem Argument entgegengetreten, dass § 15
AGG eine Höchstentschädigung von drei Bruttomonatsgehältern vorsehe und hier nicht erkennbar sei, weshalb man angesichts der Gesamtumstände sofort die denkbar höchste Entschädigung festsetzen musste. Damit kann die Entscheidung des Arbeitsgerichts nicht wirksam angegriffen werden.
Die von der Beklagten gemeinte Höchstgrenze der Entschädigung ist in § 15 Absatz 2 Satz 2
AGG vorgesehen. Die Vorschrift lautet: Die Entschädigung darf bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der oder die Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. - Da die Beklagte es unterlassen hat darzustellen, wen sie aufgrund welcher Kriterien statt des Klägers eingestellt hat, kann das Gericht nicht die Feststellung treffen, dass der Kläger auch bei diskriminierungsfreier Behandlung nicht eingestellt worden wäre. Damit kann sich die Beklagte hier nicht auf die Begrenzung der Höhe der Entschädigungszahlung berufen.
Soweit das Arbeitsgericht bei der Höhe der festgesetzten Entschädigung auch berücksichtigt hat, dass die Entschädigung auch dazu beitragen soll, dass die Beklagte ähnliche Fehler zukünftig vermeidet, bewegt es sich noch im Rahmen des durch § 15
AGG eröffneten Ermessens
bzw. Bewertungsspielraums. Die Kritik der Beklagten, das Gericht habe dem Entschädigungsrecht fremde pönale Gesichtspunkte berücksichtigt, greift jedenfalls nicht durch.
II.
Die Nebenentscheidungen im Berufungsurteil sind wie folgt begründet.
Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte, da das von ihr eingelegte Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist (§ 97
ZPO).
Die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zulassung der Revision aus § 72
ArbGG sind nicht erfüllt.