Die zulässige Klage war in Höhe von 2.000,00 Euro begründet; Im Übrigen war sie abzuweisen.
I.
Der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen ist nach § 2
Abs. 1
Nr. 3 lit. C
ArbGG eröffnet. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus § 21
ZPO. Eine ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts nach § 61b
Abs. 2
ArbGG besteht nicht.
Der gestellte Antrag ist auch im Sinne § 253
Abs. 2
Nr. 2
ZPO bestimmt. Bei der Höhe nach ins Ermessen des Gerichts gestellten Entschädigungsforderungen genügt die Benennung einer Größenordnung.
II.
Die Klage ist nach §§ 15
Abs. 2, 7
ff., 22
ArbGG in Höhe von 2.000,00 Euro begründet.
1. Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens (
§ 15 Abs. 2 AGG "Nichteinstellung") ist die Nichteinstellung des Klägers in dem durch die Ausschreibung vom 11.12.2018 eingeleiteten Bewerbungsverfahren, auf das sich der Kläger mit E-Mail vom 20.12.2018 beworben hat.
Die am 11.12.2018 ausgeschriebene Position unterscheidet sich in den genannten Anforderungen sowohl von der früher ausgeschriebenen als auch von der später ausgeschriebenen Position. Am 29.10.2018 wurde ein Geselle gesucht, am 11.12.2018 ein ungelernter Arbeiter sowie am 23.01.2019 idealerweise Geselle, aber auch ein ungelernter Arbeiter.
Dabei kommt es nicht darauf an, ob in der Fertigung der Beklagten lediglich eine Stelle frei war. Die verschiedenen Ausschreibungen waren auf Grund der unterschiedlichen Anforderungen für einen unterschiedlichen Bewerberkreis interessant, eine erfolgreiche Bewerbung hätte auch je nach Qualifikation zu einem anderen Entgelt geführt.
Auch die Bewerbungsfristen waren in den unterschiedlichen Ausschreibungen unterschiedlich.
2. Der Kläger ist als Bewerber Beschäftigter im Sinne von
§ 6 Abs. 1 S. 2 AGG. Die Beklagte ist nach § 6
Abs. 2
S.1 Arbeitgeberin.
3. Der Anspruch wurde in den Fristen der §§ 15
AGG und 61b
Abs. 1
ArbGG geltend gemacht.
4. Dadurch, dass nicht er, sondern eine andere Person eingestellt wurde, wurde der Kläger gegenüber dem Mitbewerber benachteiligt,
§ 7 AGG.
5. Diese Benachteiligung geschah entgegen §§ 7,
1 AGG wegen einer Behinderung. Hierfür hat die Beklagte mehrere Indiztatsachen gemäß § 22
AGG gesetzt.
a) § 164
Abs. 1
SGB IX legt dem Arbeitgeber im Zusammenhang mit der Einstellung von Arbeitnehmern zur Förderung der Beschäftigung von Schwerbehinderten verschiedene Prüfungspflichten auf (
vgl. auch im Folgenden: Rolfs, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 20. Auflage 2020, Rz. 1 bis 3 zu § 164
SGB IX): Im Einzelnen:
(1) Der Arbeitgeber muss prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können, wobei zwingend die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebsrat anzuhören sind (
Abs. 1
S. 2, 6).
(2) Kann die Besetzung des Arbeitsplatzes mit einem schwerbehinderten Menschen erfolgen, ist der Arbeitgeber zur Prüfung verpflichtet, ob der Arbeitsplatz mit bei der Arbeitsagentur arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldeten Schwerbehinderten besetzt werden kann. Das setzt denklogisch voraus, dass der Arbeitgeber den freien Arbeitsplatz der Arbeitsagentur überhaupt erst einmal meldet.
(3) Nach
S. 4 hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat über eingehende Bewerbungen von Schwerbehinderten "unmittelbar nach deren Eingang zu unterrichten". Vorauszusetzen ist allerdings, dass der Arbeitnehmer seine Schwerbehinderung im Bewerbungsschreiben offengelegt hat; ein bloß "versteckter" Hinweis genügt nicht.
(4) Der Arbeitgeber muss, wenn die Schwerbehindertenvertretung und/oder der Betriebsrat mit der beabsichtigten Entscheidung nicht einverstanden sind, diese unter Darlegung der Gründe mit den genannten Vertretungen erörtern (
Abs. 1
S.7) und dabei den betroffenen schwerbehinderten Menschen anhören (
Abs. 1
S.8).
(5) Unter den gleichen Voraussetzungen hat der Arbeitgeber alle Beteiligten über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe unverzüglich zu unterrichten.
(6) Weiterhin steht der Schwerbehindertenvertretung das Recht zu, an den Vorstellungsgesprächen teilzunehmen, wenn sich ein schwerbehinderter Mensch beworben hat (
Abs. 1
S. 6 in Verbindung mit
§ 178 II SGB IX).
b) Eine Verletzung dieser Obliegenheiten - oder auch nur einzelner von ihnen - begründen bei Schwerbehinderten ein ausreichendes Indiz für die Benachteiligung wegen der Behinderung im Sinne von
§ 22 AGG (Rolfs, a.a.O., Rz. 4 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des
BAG).
c) Demnach sind im vorliegenden Fall mehrere Indizien gegeben.
aa. Entgegen § 164
Abs. 1
S. 1 u.
S. 2
SGB IX hat die Beklagte im Kontext mit der Ausschreibung vom 11.12.2018 keinen Kontakt mit der Agentur für Arbeit aufgenommen. Der im Zusammenhang mit der Ausschreibung vom 29.10.2018 aufgenommene Kontakt exkulpiert die Beklagte insofern nicht. In dieser Ausschreibung war eine höhere Anforderung an den Bewerber gegeben (Geselle). Es hätte von daher in besonderer Weise Anlass bestanden, bei einer Absenkung der Anforderung zuvor bei der Arbeitsagentur vorstellig zu werden.
bb. Die Beklagte hat entgegen § 164
Abs. 1
S. 4
SGB IX die Schwerbehindertenvertretung nicht unmittelbar nach Eingang über die Bewerbung des Klägers unterrichtet. Insofern wird die Beklagte nicht durch die urlaubs- und feiertagsbedingte Abwesenheit von Frau
S. entlastet. Eingang im Sinne der Vorschrift bedeutet nicht die Kenntnisnahme durch einen Mitarbeiter in der Personalabteilung. Zudem war Frau
S. auch schon eine volle Woche wieder anwesend, als sie erst durch Nachfrage des Klägers auf die Bewerbung des Klägers aufmerksam wurde. Die Bewerbung des Klägers wurde jedenfalls erst nach der Betriebsratssitzung vom 15.10.2019 an die Schwerbehindertenvertretung übermittelt. Der Betriebsrat hatte offenbar nur deshalb vom Eingang der Bewerbung des Klägers Kenntnis, weil der Kläger seine Bewerbung parallel auch an Herrn F. unmittelbar gesandt hatte. Zur Erfüllung der Indizwirkung genügt Fahrlässigkeit.
cc. Schließlich wurde der Kläger entgegen § 164
Abs. 1
S. 8
SGB IX bei der Erörterung der Besetzungsentscheidung trotz des Widerspruchs der Schwerbehindertenvertretung und Nichteinhaltung der (unternehmens- und nicht standortbezogen zu ermittelnden) Beschäftigungsquote nach
§§ 154,
156 SGB IX nicht angehört.
6. Angemessen erschien der Kammer die festgesetzte Entschädigung von 2.000,00 Euro.
a) Die Höhe der Entschädigung ist grundsätzlich einzellfallbezogen festzusetzen. Maßgeblich ist in erster Linie die Schwere des Verstoßes, von Bedeutung sind weiterhin dessen Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns, der Grad der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, etwa geleistete Wiedergutmachung oder erhaltene Genugtuung. Die Entschädigung muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz darstellen, indem sie eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Wird der Arbeitnehmer zugleich aus mehreren Gründen unzulässig benachteiligt, ist eine höhere Entschädigung geboten, um die erforderliche abschreckende Wirkung zu erzielen (
vgl. Ahrendt, in: Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, 18. Auflage 2019, Rn. 115 zu § 36, mit Nachweisen).
b) Im vorliegenden Fall war gegen die Beklagte zu berücksichtigen, dass mehrere Indiz Tatsachen erfüllt sind und die Beklagte jedenfalls bei dem Verstoß gegen § 164
Abs. 1
S. 8
SGB IX durch einfache Lektüre des Gesetzestextes hätte erkennen können, dass sie den Kläger anhören musste. Demgegenüber spricht für die Beklagte, dass immerhin ein Bewerbungsgespräch von einiger Dauer stattfand, so dass der Kläger entsprechend der Zielsetzung des
SGB IX die Möglichkeit hatte, sich zu präsentieren. Das Vorgehen der Beklagten war nach der Überzeugung der Kammer auch eher von Unbeholfenheit als von bösem Willen geprägt. Ausschlaggebend für die vergleichsweise niedrige Entschädigungssumme war, dass es nach der Auffassung der Kammer für die abschreckende Wirkung in erster Linie auf eine Verurteilung und erst nachrangig auf die Höhe der zugesprochenen Entschädigung ankommt. Dies entspricht auch der in der Kammerverhandlung artikulierten Motivation des Klägers. Es ist davon auszugehen, dass die Beklagte diese Verurteilung zum Anlass nehmen wird, ihre Abläufe auf die Anforderungen des § 164
SGB IX anzupassen. Zu betonen ist auch, dass sich die Beklagte nach der Auffassung der Kammer während des gesamten Vorgangs nicht respektlos gegenüber dem Kläger verhalten hat.
III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 92
ZPO. Der Streitwert war entsprechend der Antragstellung des Klägers nach § 61
ArbGG festzusetzen.
Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Rechtsmittel der Berufung, § 64
Abs. 2 lit. B
ArbGG.