Urteil
Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung

Gericht:

BAG 8. Senat


Aktenzeichen:

8 AZR 171/20


Urteil vom:

17.12.2020


Grundlage:

Leitsatz:

Der objektive Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, kann die Vermutung der Benachteiligung eines erfolglosen schwerbehinderten Bewerbers wegen der Schwerbehinderung nach § 22 AGG regelmäßig nur begründen, wenn der Bewerber den Arbeitgeber rechtzeitig über seine Schwerbehinderung in Kenntnis gesetzt hat.

Orientierungssatz:

1. Ein Bewerber, der eine bei ihm bestehende Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen will, muss den (potentiellen) Arbeitgeber hierüber in Kenntnis setzen, soweit dieser nicht ausnahmsweise, so gegebenenfalls bei internen Bewerbern, bereits über diese Information verfügt. (Rn.33)

2. Kommt der schwerbehinderte Bewerber dieser Mitwirkungspflicht nicht nach, geht dies regelmäßig zu seinen Lasten. (Rn.34)

3. Die Information über die Schwerbehinderung muss, um rechtzeitig zu sein, regelmäßig in der Bewerbung, sofern eine Bewerbungsfrist gesetzt ist, jedenfalls bis zum Ablauf dieser Frist gegeben werden. (Rn.36)

4. Abweichend davon kann auch eine spätere Mitteilung der Schwerbehinderung ausreichen. Dies kann jedoch nur dann angenommen werden, wenn es dem Arbeitgeber im Einzelfall unter Berücksichtigung seines Interesses an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahrens und an einer zügigen Entscheidung über die Besetzung der Stelle(n) noch zumutbar ist, den zugunsten schwerbehinderter Menschen bestehenden Verfahrens- und/oder Förderpflichten nachzukommen. (Rn.39)

Rechtsweg:

ArbG Rosenheim, Urteil vom 04.09.2018 - 1 Ca 204/18
LAG München, Urteil vom 14.08.2019 - 10 Sa 725/18
BAG, Beschluss vom 27.02.2020 - 8 AZN 1190/19

Quelle:

Rechtsprechung im Internet

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 14. August 2019 - 10 Sa 725/18 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Revisionsverfahrens zu tragen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger eine Entschädigung wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung zu zahlen.

Der Kläger ist Diplom-Verwaltungswirt (FH). Nach seinem Studium an der Bayerischen Beamtenfachhochschule war er zunächst stellvertretender Sachgebietsleiter, später Sachgebietsleiter eines Ausländeramts. Sodann war er als geschäftsleitender Beamter der Gemeinde E und als Geschäftsleiter der Gemeinde g tätig. In der Zeit von April 1992 bis April 2008 war er erster Bürgermeister der Gemeinde E. Ausweislich des Bescheids des zuständigen Versorgungsamts von Dezember 2013 ist der Kläger mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 schwerbehindert.

Die Beklagte, die in Teilbereichen der Verwaltungstätigkeit einer großen Kreisstadt gleichgestellt ist, schrieb im September 2017 die Stelle eines/einer "Leiter/in des Sachgebietes "Bauen und Wohnen" aus. In der Stellenausschreibung ist unter der Überschrift "Unser Anspruch an Sie" ausgeführt:

"Sie sind

Beamtin/Beamter der 3. Qualifizierungsebene, Fachrichtung Verwaltung und Finanzen, Allgemeine innere Verwaltung bzw. Verwaltungsfachwirt/in (Angestelltenprüfung II)

Sie haben

Verhandlungsgeschick, verfügen über ein hohes Maß an Kommunikationsstärke und können auch mit Konflikten umgehen. Sie sind eine entscheidungsfreudige, verantwortungsbewusst handelnde Person mit sicherem, sowie kundenorientiertem Auftreten.

Darüber hinaus sind Sie belastbar und arbeiten eigenständig und zielorientiert.

Sie verfügen

über möglichst mehrjährige Erfahrung in der unteren Bauaufsicht, sowie idealer Weise über praxiserprobte Führungskompetenz."

Unter der Überschrift "Ihr Weg zu uns" heißt es:

"Bewerbung:

Senden Sie Ihre aussagekräftige Bewerbung bis zum 30. September 2017 an die Stadt W, Postfach, W oder an bewerbung@w.de

Fragen & Infos:

Für weiterführende Auskünfte und Fragen steht Ihnen gerne Frau G., Tel. bzw. E-Mail: r.n@w.de zur Verfügung."

Der Kläger bewarb sich mit Schreiben vom 21. September 2017 auf die ausgeschriebene Stelle. Weder im Bewerbungsschreiben noch im beigefügten Lebenslauf informierte er die Beklagte über seine Schwerbehinderung.

Die Beklagte traf in der Folgezeit eine Vorauswahl unter den Bewerbern und lud die von ihr als geeignet erachteten zu Vorstellungsgesprächen ein, die am 19. Oktober 2017, 23. Oktober 2017 und 26. Oktober 2017 vor einem Auswahlgremium durchgeführt wurden. Der Kläger war nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden.

Am 6. November 2017 entschied sich das Auswahlgremium für einen anderen Bewerber. Aufgrund der Notwendigkeit einer Gemeinderatszustimmung (Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayGO) wurde am 15. November 2017 eine Stadtratssondersitzung für den 21. November 2017 anberaumt. Mit der Ladung - ebenfalls vom 15. November 2017 - wurden der Beschlussvortrag und Beschlussvorschlag zur Auswahlentscheidung des Auswahlgremiums an die Mitglieder des Stadtrats übersandt.

Mit E-Mail vom 21. November 2017, die um 13:35 Uhr gesendet wurde, teilte der Kläger der Beklagten "in Ergänzung seiner Bewerbungsunterlagen" mit, dass er "einen Grad von 50% MdE habe".

Der Stadtrat entschied sich am 21. November 2017 einstimmig für den vom Auswahlgremium vorgeschlagenen Bewerber.

Am 2. Dezember 2017 erhielt der Kläger das Ablehnungsschreiben der Beklagten vom 30. November 2017. Auf seine Anfrage, warum er trotz seiner Schwerbehinderung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei, antwortete die Beklagte mit E-Mail vom 4. Dezember 2017 ua. wie folgt:

"Von Ihrer Schwerbehinderteneigenschaft ... erfuhren wir erst aus Ihrer E-Mail vom 21.11.2017. Zu diesem Zeitpunkt war das Auswahlverfahren bereits kurz vor dem Abschluss. Die Vorstellungsgespräche waren mit den Bewerbern, die das Anforderungsprofil in einem noch höheren Maße erfüllten, bereits geführt."

In der Folgezeit machte der Kläger ua. mit Schreiben vom 24. Januar 2018 Ansprüche nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG geltend. Die Beklagte antwortete hierauf unter dem 31. Januar 2018 und führte ua. aus:

"Eine Klage wäre unnötig, in jedem Fall aber unbegründet. Vor dem Hintergrund der vorliegenden, klaren Rechtslage wäre eine Klage offensichtlich mutwillig und missbräuchlich. Die Konsequenzen dürften Ihnen bekannt sein. Herr B wird dann mit Weiterungen rechnen müssen."

Die Stelle "Leiter/in des Sachgebietes "Bauen und Wohnen" bei der Beklagten wurde im April 2018 besetzt.

Mit seiner Klage hat der Kläger seinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung weiterverfolgt. Er hat die Ansicht vertreten, die Beklagte sei ihm nach § 15 Abs. 2 AGG zur Zahlung einer angemessenen Entschädigung verpflichtet, weil sie ihn im Bewerbungsverfahren wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt habe. Dies ergebe sich daraus, dass die Beklagte ihn entgegen § 82 Satz 2 SGB IX (in der bis zum 31. Dezember 2017 geltenden Fassung - im Folgenden SGB IX aF) nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen habe, obwohl er sie mit seiner E-Mail vom 21. November 2017 noch vor Abschluss des Auswahlverfahrens und damit rechtzeitig über seine Schwerbehinderung informiert habe. Er sei auch fachlich für die Stelle geeignet gewesen. Indizien für eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung iSv. § 22 AGG ergäben sich zudem aus dem weiteren Verhalten der Beklagten. So habe diese seinen Bewerbungsverfahrensanspruch verletzt, indem sie ihn weder über den Verlauf des Auswahlverfahrens noch über das Ergebnis oder den ausgewählten Bewerber informiert habe. Damit sei der zeitliche Ablauf des Verfahrens für ihn undurchsichtig gewesen. Hierin liege ein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 2 GG iVm. Art. 19 Abs. 4 GG. Ein weiteres Indiz sei das Schreiben der Beklagten vom 31. Januar 2018, mit dem diese ihn für den Fall der Klageerhebung mit "Weiterungen" bedroht habe. Im Übrigen ergebe sich ein Anspruch auf Schadensersatz aus § 15 Abs. 1 AGG. Jedenfalls habe er einen Anspruch nach § 823 Abs. 1 BGB auf eine angemessene Entschädigung wegen einer Verletzung seines Persönlichkeitsrechts.


Der Kläger hat sinngemäß beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine angemessene Entschädigung, die jedoch einen Betrag von 24.875,46 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.


Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen und die Ansicht vertreten, sie habe den Kläger nicht wegen seiner (Schwer)Behinderung benachteiligt. Ein Verstoß gegen § 82 Satz 2 SGB IX aF liege nicht vor. Aufgrund der verspäteten Information des Klägers über seine Schwerbehinderung habe keine Verpflichtung mehr bestanden, diesen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Die zuständige Sachbearbeiterin, die in Teilzeit arbeite, habe die um 13:35 Uhr gesendete E-Mail des Klägers vom 21. November 2017 erst am nächsten Tag zur Kenntnis nehmen können. Zu diesem Zeitpunkt sei das eigentliche Auswahlverfahren ohnehin abgeschlossen gewesen, weil die interne Auswahlentscheidung bereits getroffen gewesen sei. Die Beteiligung des Stadtrats sei für eine Einstellung nur eine Formsache gewesen. Im Übrigen handele der Kläger treuwidrig iSv. § 242 BGB, wenn er sich nunmehr auf seine Schwerbehinderung berufe, obgleich er diese ohne nachvollziehbaren Grund erst deutlich verspätet mitgeteilt habe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Begehren auf Zahlung einer Entschädigung weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe:

A. Mit dem Einverständnis der Parteien konnte vorliegend im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, § 128 Abs. 2 ZPO.

B. Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung.

I. Die Beklagte ist nicht nach § 15 Abs. 2 AGG verpflichtet, an den Kläger eine Entschädigung zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagte den Kläger nicht wegen seiner Schwerbehinderung benachteiligt hat.

1. Der Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt einen Verstoß gegen das in § 7 Abs. 1 AGG geregelte Benachteiligungsverbot voraus, wobei § 7 Abs. 1 AGG sowohl unmittelbare als auch mittelbare Benachteiligungen (§ 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG) verbietet. Das Benachteiligungsverbot in § 7 Abs. 1 AGG untersagt im Anwendungsbereich dieses Gesetzes eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, ua. wegen einer Behinderung. Zudem dürfen Arbeitgeber nach § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX (in der ab dem 1. Januar 2018 geltenden Fassung; im Folgenden SGB IX nF) schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Im Einzelnen gelten hierzu nach § 81 Abs. 2 Satz 2 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX nF die Regelungen des AGG.

2. Zwar wurde der Kläger dadurch, dass er von der Beklagten im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren für die Stelle als "Leiter/in des Sachgebietes "Bauen und Wohnen" nicht berücksichtigt wurde, unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt, denn er hat eine weniger günstige Behandlung erfahren als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Darauf, ob es andere Bewerber/innen gegeben hat, ob deren Bewerbungen Erfolg hatten und ob ein/e von der Beklagten ausgewählte/r Bewerber/in die Stelle angetreten hat, kommt es nicht an (vgl. näher BAG 19. Dezember 2019 - 8 AZR 2/19 - Rn. 28 ff.).

3. Der Kläger hat die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG jedoch - entgegen seiner Rechtsauffassung - nicht wegen seiner (Schwer)Behinderung erfahren.

a) Das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG erfasst nicht jede Ungleichbehandlung, sondern nur eine Ungleichbehandlung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Zwischen der Benachteiligung und einem in § 1 AGG genannten Grund muss demnach ein Kausalzusammenhang bestehen. Dasselbe gilt für das besondere Benachteiligungsverbot in § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX nF. Auch hier muss zwischen der Benachteiligung und dem Grund - hier der Schwerbehinderung - ein Kausalzusammenhang bestehen.

aa) Soweit es - wie in vorliegenden Fall - um eine unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG geht, ist hierfür nicht erforderlich, dass der betreffende Grund iSv. § 1 AGG das ausschließliche oder auch nur ein wesentliches Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist; vielmehr ist der Kausalzusammenhang bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG an einen Grund iSv. § 1 AGG anknüpft oder durch diesen motiviert ist, wobei die bloße Mitursächlichkeit genügt (BAG 23. November 2017 - 8 AZR 372/16 - Rn. 20 mwN).

bb) § 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 25. Oktober 2018 - 8 AZR 501/14 - Rn. 51, BAGE 164, 117).

(1) Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dabei sind alle Umstände des Rechtsstreits in einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts zu berücksichtigen (BAG 25. Oktober 2018 - 8 AZR 501/14 - Rn. 52 mwN, BAGE 164, 117).

(2) Nach ständiger Rechtsprechung des Senats begründet der Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, mithin auch der Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen die in § 82 Satz 2 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 3 SGB IX nF geregelte Pflicht, eine/n schwerbehinderte/n Bewerber/in zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung. Diese Pflichtverletzungen sind nämlich grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein (vgl. etwa BAG 23. Januar 2020 - 8 AZR 484/18 - Rn. 37; 16. Mai 2019 - 8 AZR 315/18 - Rn. 22 mwN, BAGE 167, 1; 11. August 2016 - 8 AZR 375/15 - Rn. 25, BAGE 156, 107; 22. Oktober 2015 - 8 AZR 384/14 - Rn. 35; 26. Juni 2014 - 8 AZR 547/13 - Rn. 45 mwN).

(3) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung, trägt die andere Partei die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist. Hierfür gilt allerdings das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (vgl. etwa BAG 23. Januar 2020 - 8 AZR 484/18 - Rn. 36 mwN; 26. Januar 2017 - 8 AZR 73/16 - Rn. 26 mwN).

cc) Die Würdigung der Tatsachengerichte, ob die von einem/r Bewerber/in vorgetragenen und unstreitigen oder bewiesenen Tatsachen eine Benachteiligung wegen eines Grundes iSv. § 1 AGG bzw. wegen der Schwerbehinderung vermuten lassen, ist nur eigeschränkt revisibel. Die revisionsgerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob die Würdigung der Tatsachengerichte möglich und in sich widerspruchsfrei ist und nicht gegen Rechtssätze, Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. BAG 23. Januar 2020 - 8 AZR 484/18 - Rn. 67; 11. August 2016 - 8 AZR 375/15 - Rn. 48 mwN, BAGE 156, 107).

b) Danach wurde der Kläger nicht wegen seiner (Schwer)Behinderung benachteiligt. Eine Vermutung iSv. § 22 AGG, dass er die Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung erfahren hat, ergibt sich weder aus der Nichteinladung des Klägers zu einem Vorstellungsgespräch noch aus sonstigen Umständen.

aa) Der Umstand, dass die Beklagte den Kläger entgegen der in § 82 Satz 2 SBG IX aF bzw. § 165 Satz 3 SGB IX nF geregelten Verpflichtung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat, begründet im vorliegenden Fall ausnahmsweise nicht die Vermutung, dass die (Schwer)Behinderung des Klägers ursächlich für dessen unmittelbare Benachteiligung war. Der Kläger hat der Beklagten seine Schwerbehinderung nicht rechtzeitig mitgeteilt.

(1) Nach § 82 Satz 1 SBG IX aF bzw. § 165 Satz 1 SGB IX nF melden die Dienststellen der öffentlichen Arbeitgeber den Agenturen für Arbeit frühzeitig frei werdende und neu zu besetzende sowie neue Arbeitsplätze. Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur für Arbeit oder von einem von dieser beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, § 82 Satz 2 SBG IX aF bzw. § 165 Satz 3 SGB IX nF. Nach § 82 Satz 3 SBG IX aF bzw. § 165 Satz 4 SGB IX nF ist eine Einladung entbehrlich, wenn die fachliche Eignung offensichtlich fehlt.

(a) Der objektive Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, so auch der (objektive) Verstoß des öffentlichen Arbeitgebers gegen seine Verpflichtungen aus § 82 Satz 2 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 3 SGB IX nF, schwerbehinderte Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, kann die Vermutung der Benachteiligung wegen der (Schwer)Behinderung iSv. § 22 AGG allerdings nur begründen, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung des Bewerbers/der Bewerberin bekannt war oder er diese kennen musste. Deshalb muss ein Bewerber, der seine Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen will, den (potentiellen) Arbeitgeber hierüber in Kenntnis setzen, soweit dieser nicht ausnahmsweise, so ggf. bei internen Bewerbern, bereits über diese Information verfügt. Andernfalls fehlt es an der (Mit-)Ursächlichkeit der (Schwer)Behinderung für die benachteiligende Maßnahme (vgl. etwa BAG 22. Oktober 2015 - 8 AZR 384/14 - Rn. 30 mwN; 16. September 2008 - 9 AZR 791/07 - Rn. 28, BAGE 127, 367).

Durch den Hinweis auf die Schwerbehinderung sollen die besonderen, zugunsten schwerbehinderter Menschen bestehenden Verfahrens- und/oder Förderpflichten des Arbeitgebers ausgelöst werden. Deshalb muss der Arbeitgeber prüfen und entscheiden können, ob und ggf. welchen besonderen Pflichten er insoweit nachzukommen hat. Diese Prüfung und Entscheidung muss der/die schwerbehinderte Bewerber/in dem Arbeitgeber aufgrund der ihn/sie nach § 241 Abs. 2 BGB iVm. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf das Interesse des Arbeitgebers an der Durchführung eines geordneten, fehlerfreien Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahrens und an einer möglichst zügigen Entscheidung über die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle(n) ermöglichen. Kommt der schwerbehinderte Mensch dieser Mitwirkungspflicht nicht nach, geht dies regelmäßig zu seinen Lasten.

(b) Eine hinreichende Mitteilung einer Schwerbehinderung liegt vor, wenn die Mitteilung in einer Weise in den Empfangsbereich des Arbeitgebers gelangt, die es diesem ermöglicht, die Schwerbehinderung des Bewerbers zur Kenntnis zu nehmen. Dem Arbeitgeber muss die erforderliche Mitteilung entsprechend § 130 BGB zugehen. Dabei ist eine Information im Bewerbungsschreiben oder an gut erkennbarer Stelle im Lebenslauf regelmäßig ausreichend. Unter Umständen kann auch eine gesonderte Mitteilung genügen. Zur Mitteilung der Schwerbehinderung kann auch die "Vorlage" des Schwerbehindertenausweises ausreichend sein; allerdings genügt es nicht, wenn eine Kopie des Schwerbehindertenausweises lediglich den Anlagen beigefügt wird, ohne dass im Bewerbungsschreiben oder Lebenslauf hierauf ausreichend hingewiesen wird (vgl. BAG 22. Oktober 2015 - 8 AZR 384/14 - Rn. 31 f. mwN).

(c) Ein Bewerber, der seine Schwerbehinderung bei der Behandlung seiner Bewerbung berücksichtigt wissen will, muss aufgrund der ihn nach § 241 Abs. 2 BGB iVm. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf das Interesse des Arbeitgebers an einem ordnungsgemäßen Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren und an einer möglichst zügigen Entscheidung über die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle(n) den (potentiellen) Arbeitgeber zudem "rechtzeitig" in Kenntnis setzen. Um rechtzeitig zu sein, muss die Information über die Schwerbehinderung regelmäßig in der Bewerbung, sofern eine Bewerbungsfrist gesetzt ist, jedenfalls bis zum Ablauf dieser Frist gegeben werden.

Der Arbeitgeber muss nämlich frühzeitig in der Lage sein zu prüfen und zu entscheiden, ob und ggf. welche zugunsten schwerbehinderter Menschen getroffenen besonderen Verfahrens- und/oder Förderpflichten von ihm im Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahren zu beachten sind, um sodann die dort vorgesehenen Maßnahmen ergreifen zu können. Hat der Arbeitgeber eine Bewerbungsfrist gesetzt, hat er zudem für die potentiellen Bewerber/innen erkennbar zum Ausdruck gebracht, dass diese damit rechnen müssen, dass er mit Fristablauf auf der Grundlage der bis dahin eingegangenen Bewerbungsunterlagen und ihm ggf. darüber hinaus mitgeteilten relevanten Informationen in das eigentliche Auswahlverfahren eintreten wird.

Davon, dass die Information über die Schwerbehinderung regelmäßig bereits in der Bewerbung gegeben wird, geht im Übrigen das SGB IX selbst aus, wie sich beispielsweise an der in § 81 Abs. 1 Satz 4 SGB IX aF bzw. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nF getroffenen Bestimmung zeigt: Danach haben die Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und die in § 93 SGB IX aF bzw. § 176 SGB IX nF genannten Vertretungen über die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit oder eines Integrationsfachdienstes und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen unmittelbar nach Eingang zu unterrichten. Auch die in § 82 Satz 2 SGB IX aF bzw. § 165 Satz 3 SGB IX nF getroffene Bestimmung, wonach die öffentlichen Arbeitgeber schwerbehinderte, fachlich nicht offensichtlich ungeeignete Bewerber/innen zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen haben, bestätigt, dass die Mitteilung über das Vorliegen einer Schwerbehinderung regelmäßig bereits zu Beginn des eigentlichen Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahrens vorliegen muss.

In Abweichung von der Regel, dass die Information über die Schwerbehinderung in der Bewerbung, sofern eine Bewerbungsfrist gesetzt ist, jedenfalls bis zum Ablauf dieser Frist gegeben werden muss, kann im Einzelfall ausnahmsweise auch eine spätere Mitteilung ausreichend sein. Dies kann allerdings nur dann angenommen werden, wenn es dem Arbeitgeber im Einzelfall unter Berücksichtigung seines Interesses an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahrens und an einer zügigen Entscheidung über die Besetzung der Stelle(n) noch zumutbar ist, den zugunsten schwerbehinderter Menschen bestehenden Verfahrens- und/oder Förderpflichten nachzukommen.

(2) Danach begründet der Umstand, dass die Beklagte den Kläger entgegen der in § 82 Satz 2 SBG IX aF bzw. § 165 Satz 3 SGB IX nF geregelten Verpflichtung nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen hat, im vorliegenden Fall ausnahmsweise nicht die Vermutung iSv. § 22 AGG, dass der Kläger die unmittelbare Benachteiligung iSv. § 3 Abs. 1 AGG wegen seiner (Schwer)Behinderung erfahren hat. Der Kläger hat der Beklagten seine Schwerbehinderung nämlich nicht rechtzeitig mitgeteilt.

Der Kläger hat die Beklagte weder in der Bewerbung selbst, noch in einem gesonderten Schreiben bis zum Ablauf der Bewerbungsfrist am 30. September 2017, sondern erst mit E-Mail vom 21. November 2017 über seine Schwerbehinderung informiert. Zu diesem Zeitpunkt war es der Beklagten unter Berücksichtigung ihres Interesses an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahrens und an einer zügigen Entscheidung über die Besetzung der Stelle(n) nicht mehr zumutbar, die Schwerbehinderung des Klägers gleichwohl zu berücksichtigen. Die Beklagte hatte zum Zeitpunkt des Eingangs der Mitteilung des Klägers nicht nur eine Vorauswahl vorgenommen, sondern auch die Vorstellungsgespräche bereits durchgeführt. Zudem hatte sich das Auswahlgremium bereits am 6. November 2017 für einen anderen Bewerber entschieden. Am 21. November 2017, als der Kläger die Beklagte erstmals über seine Schwerbehinderung in Kenntnis setzte, stand nur noch die nach Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayGO notwendige Entscheidung des Stadtrats aus, die in einer Stadtratssondersitzung am selben Tag getroffen werden sollte und auch getroffen wurde.

bb) Der Kläger hat auch keine weiteren Indizien iSv. § 22 AGG dargelegt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass er wegen seiner Schwerbehinderung bzw. wegen eines Grundes iSv. § 1 AGG unmittelbar iSv. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt wurde.

(1) Soweit er geltend macht, die Beklagte habe gegen Art. 33 Abs. 2 GG iVm. Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen, indem sie ihn weder über den Verlauf des Auswahlverfahrens noch über das Ergebnis oder den ausgewählten Bewerber informiert habe, wodurch der zeitliche Ablauf des Verfahrens für ihn undurchsichtig gewesen sei, fehlt es an einem Bezug zu seiner Schwerbehinderung. Ein Anspruch auf Beachtung der Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG im Auswahlverfahren steht sämtlichen Bewerbern und Bewerberinnen zu. Deshalb ist mit der Darlegung eines (etwaigen) Verstoßes gegen diese Vorgaben kein Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Behandlung und der Schwerbehinderung bzw. einem in § 1 AGG genannten Grund - hier der Behinderung - dargetan (vgl. BAG 28. September 2017 - 8 AZR 492/16 - Rn. 39).

(2) Der Kläger kann sich zur Darlegung der erforderlichen Kausalität auch nicht mit Erfolg auf das Schreiben der Beklagten vom 31. Januar 2018 berufen. Selbst wenn man dieses Schreiben dahin verstehen wollte, dass die Beklagte ihn bedrohte, um ihn von der Erhebung einer Klage auf Zahlung von Schadensersatz und/oder Entschädigung nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG abzuhalten, ließe dieses Schreiben nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen, dass die Bewerbung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung oder eines Grundes iSv. § 1 AGG erfolglos geblieben ist.

II. Einen etwaigen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 823 Abs. 1 BGB iVm. Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG wegen einer Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts verfolgt der Kläger im Revisionsverfahren nicht mehr. Unabhängig davon liegen die Voraussetzungen eines solchen Anspruchs nicht vor, da der Kläger nicht in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt wurde.

III. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 1 AGG scheidet schon deshalb aus, weil nach dieser Bestimmung nicht der immaterielle Schaden, sondern der materielle Schaden auszugleichen ist. Zudem fehlt es - wie unter Rn. 30 ff. ausgeführt - an einer unzulässigen Benachteiligung des Klägers wegen seiner Schwerbehinderung bzw. eines in § 1 AGG genannten Grundes.

Referenznummer:

R/R8678


Informationsstand: 01.06.2021