Urteil
Kein Anspruch eines schwerbehinderten Beamten auf Telearbeit

Gericht:

VGH München 6. Senat


Aktenzeichen:

6 CE 19.1386


Urteil vom:

29.10.2019


Grundlage:

Leitsätze:

1. §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 2 BGleiG begründen keinen individuellen Rechtsanspruch auf Telearbeit, sondern lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung im Rahmen der dienstlichen Möglichkeiten.

2. § 164 Abs. 4 SGB IX vermittelt schwerbehinderten Beamten eine Rechtsposition, die über den nach §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 2 BGleiG bestehenden Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hinausgeht und einklagbare Rechtsansprüche auf die Einrichtung von Tele(heim)arbeitsplätzen mit einem höheren Anteil an häuslicher Arbeitszeit begründen kann.

3. Aus dem Umstand, dass die erhebliche Entfernung zwischen Wohnort und Dienststelle zwangsläufig zu zusätzlichen gesundheitlichen Belastungen führt, kann die Erforderlichkeit eines Teleheimarbeitsplatzes jedenfalls dann nicht hergeleitet werden, wenn der Beamte die Belastungen durch einen Wegzug vom Dienstort selbst herbeigeführt hat.

4. Dem schwerbehinderten Beamten wird durch § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX kein Anspruch auf einen bestimmten oder gar unterwertigen Dienstposten eingeräumt, der seinen Interessen entgegen kommt. Der Anspruch erstreckt sich vielmehr nur darauf, einen amtsangemessenen Dienstposten behinderungsgerecht einzurichten oder umzugestalten oder unter Umständen auch freizuräumen und dem Schwerbehinderten zuzuweisen.

Rechtsweg:

VG Bayreuth, Beschluss vom 02.07.2019 - B 5 E 19.409

Quelle:

BAYERN.RECHT

Tenor:

I. Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Bayreuth vom 2. Juli 2019 - B 5 E 19.409 - geändert. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird insgesamt abgelehnt.

II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.

III. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Die Antragstellerin steht als Zolloberinspektorin (Besoldungsgruppe A 10) im Dienst der Antragsgegnerin. Sie ist beim Hauptzollamt R., Dienststelle H., als Sachbearbeiterin in der Vollstreckungsstelle auf einem nach Besoldungsgruppe 9g/A 11 bewerteten Dienstposten tätig. Sie leidet seit 2005 - unter anderem - an psoriatrischer Arthritis, einer Autoimmunerkrankung aus dem rheumatischen Formenkreis, und ist seit 2011 mit einem Grad der Behinderung von 50 als Schwerbehinderte anerkannt.

Die Antragstellerin nimmt seit 2007 an der alternierenden Telearbeit teil. Zuletzt war ihr unter Berücksichtigung der besonderen Arbeitszeitregelungen der Rahmenintegrationsvereinbarung bis zum 31. Dezember 2018 eine Arbeitszeitverteilung bewilligt worden, bei der bezogen auf einen Zweiwochenrhythmus die Regelarbeitszeit an der Dienststelle in H. mindestens 1/3 und die häusliche Arbeitszeit höchstens 2/3 von 80 Stunden beträgt und die jeweiligen Zeiten tageweise festgelegt sind (1. Woche: 3 Tage Arbeitszeit an der Dienststelle, 2 Tage häusliche Arbeitszeiten; 2. Woche: an 5 Tagen häusliche Arbeitszeiten).

Am 25. Juli 2018 beantragte die Antragstellerin, die 2014 aus familiären Gründen umgezogen war und seitdem etwa 300 km entfernt vom Dienstort H. wohnt, unter Vorlage eines ärztlichen Attestes, die alternierende Telearbeit in der bisherigen Form bis zum 31. Dezember 2018 fortzuführen und ab Januar 2019 wegen der stärker werdenden gesundheitlichen Einschränkungen auf der Grundlage der - die Rahmenintegrationsvereinbarung zum 1. September 2018 ersetzende - Rahmeninklusionsvereinbarung zur Eingliederung und Beschäftigung schwerbehinderter Menschen in der Bundesfinanzverwaltung (Rahmeninklusionsvereinbarung - RIV) so zu verändern, dass sie ihren Dienst unter Ausnahme von der maximalen Arbeitszeitverteilung zwischen Dienststelle und Telearbeitsplatz jede vierte Woche von Dienstag bis Donnerstag an der Dienststelle in H. und in der übrigen Zeit am Telearbeitsplatz zu Hause leistet.

Das Hauptzollamt R. lehnte den Antrag mit Schreiben vom 30. Oktober 2018 unter Hinweis auf die Entscheidung des für die Vergabe von Telearbeitsplätzen eingerichteten Gremiums ab. Die Dienstvereinbarung zur alternierenden Telearbeit regele, dass die Beschäftigten ihren Dienst zu mindestens einem Drittel der wöchentlichen Arbeitszeit an der Dienststelle leisten müssten; dem entspreche die beantragte Aufteilung weder nach Art noch nach Dauer.

Daraufhin wiederholte die Antragstellerin unter dem 31. Oktober 2018 ihren Antrag auf Teleheimarbeit, den sie erneut auf die Rahmeninklusionsvereinbarung stützte und eingehend mit ihrer gesundheitlichen Situation begründete.

Auf Anordnung des Dienstherrn wurde die Antragstellerin wegen der "jüngst nur unterdurchschnittliche(n) Arbeitsergebnisse" hinsichtlich ihrer Dienstfähigkeit amtsärztlich untersucht. Das amtsärztliche Gutachten vom 27. Februar 2019 kam zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin dienstfähig sei. Leichte körperliche Tätigkeiten ohne viel Publikumsverkehr seien vollschichtig möglich. Wegen ihrer Infektionsgefährdung bedingt durch die medikamentöse Therapie solle ein relativ hoher Heimarbeitsanteil gewährt werden. Eine wohnortnahe dienstliche Versetzung sei prinzipiell möglich. Mit Schreiben vom 2. April 2019 teilte das Hauptzollamt R. der Antragstellerin mit, dass sie nach dem Untersuchungsergebnis dienstfähig sei und ihre bisherige Tätigkeit wieder aufnehmen könne; die seit 1. Januar 2019 stillschweigend geduldete Fortsetzung der Telearbeit ende zum 15. April 2019. Hiergegen erhob die Antragstellerin Widerspruch, über den - soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden ist.

Mit Schreiben vom 9. April 2019 ergänzte die Antragstellerin ihren Antrag auf Fortsetzung der Teleheimarbeit und bat um Verbescheidung. Dazu führt ihre Vorgesetzte in einer schriftlichen Stellungnahme aus, dass die beantragte Verteilung der Büro- und Heimarbeitszeit die persönlichen Kontakte an der Amtsstelle in erheblichem Umfang reduziere. Der stete Rückgang ihrer Arbeitsqualität in den letzten sechs Monaten habe nunmehr dazu geführt, dass ihr ein nochmals angepasster Aufgabenbereich habe zugewiesen werden müssen. Die Antragstellerin sei den ihr inzwischen zugewiesenen Aufgaben, welche in der Regel vom Bediensteten des mittleren Dienstes erledigt würden, ohne erhöhten Betreuungsaufwand gewachsen. Sie könne diese grundsätzlich in Heimarbeit leisten. Sofern aus amtsärztlicher Sicht keine medizinischen Gründe für die erheblichen Qualitätsdefizite ursächlich gewesen seien, sei aber eine Fortführung der Anpassung des Aufgabengebiets nicht mehr zu rechtfertigen. Bei der Zuweisung eines anspruchsvolleren Aufgabenkreises sei jedoch wieder mit Qualitätsdefiziten zu rechnen, die dann zu einem erhöhten Betreuungsaufwand mit regelmäßigen täglichen persönlichen Kontakten zur Antragstellerin führen würden. Das sei weder mit dem von der Antragstellerin favorisierten Heimarbeitsmodell noch mit einer Weiterführung einer Telearbeitsregelung leistbar oder vereinbar. Mit Schreiben vom 6. Juni 2019 lehnte das Hauptzollamt R. auch den Antrag auf Teleheimarbeit nach der Rahmeninklusionsvereinbarung ab. Diese sei unter Zugrundelegung der zuletzt gezeigten fachlichen Leistung aus dienstlichen Gründen nicht vertretbar.

Bereits am 7. Mai 2019 hat die Antragstellerin Klage beim Verwaltungsgericht auf Aufhebung des Bescheides vom 30. Oktober 2018 und auf erneute Entscheidung über ihren Antrag auf Einrichtung eines Heimarbeitsplatzes erhoben (B 5 K 19.410). Zudem hat sie den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit dem Ziel beantragt,

die Antragsgegnerin zu verpflichten, vorläufig einen Heimarbeitsplatz für Schwerbehinderte einzurichten in einem vom Gericht zu bestimmenden Umfang,

hilfsweise, die Antragsgegnerin zur vorläufigen Duldung der Dienstverrichtung am häuslichen Arbeitsplatz im Rahmen der bereits genehmigten alternierenden Telearbeit zu verpflichten.

Das Verwaltungsgericht hat im Eilverfahren dem Hilfsantrag mit Beschluss vom 2. Juli 2019 stattgegeben. Es hat der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, der Antragstellerin zu gestatten, ihre Arbeitszeit in alternierender Telearbeit, ausgehend von einem Zweiwochenrhythmus zu höchstens zwei Drittel am häuslichen Arbeitsplatz und mindestens ein Drittel an der Dienststelle, einzubringen. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt. Zur Begründung hat das Gericht ausgeführt, die Antragstellerin habe einen Anordnungsanspruch und -grund nur hinsichtlich des Hilfsantrags glaubhaft gemacht. In der Rahmeninklusionsvereinbarung sei verbindlich zum Ausdruck gebracht, dass für schwerbehinderte Menschen ein Anspruch auf einen Telearbeitsplatz bestehe, sofern es ihrer besonderen Situation diene, und dass es in Einzelfällen erforderlich sein könne, Heimarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen einzurichten, um etwa eine vorzeitige Zurruhesetzung zu vermeiden. Für die schwerbehinderte Antragstellerin würde sowohl die von ihr vorgelegten privatärztlichen Atteste als auch das amtsärztliche Gutachten einen relativ hohen Heimarbeitsanteil empfehlen. Aus letzterem ergebe sich aber nicht, ob die von der Antragsgegnerin beanstandete abgefallene Arbeitsleistung krankheitsbedingt sei oder andere Ursachen habe. Das Gutachten lasse auch nicht erkennen, ob bei der Beurteilung der Dienstfähigkeit berücksichtigt worden sei, dass der Antragstellerin zum Zeitpunkt der amtsärztlichen Beurteilung bereits ein eingeschränktes Aufgabenfeld übertragen gewesen sei, das nicht ihrem Statusamt entspreche. Es erscheine bei summarischer Prüfung überwiegend wahrscheinlich, dass die Antragstellerin aufgrund ihrer Erkrankung und Schwerbehinderung zumindest einen Anspruch auf Telearbeit habe. Hierfür liege auch ein Anordnungsgrund vor.

Die Antragsgegnerin hat gegen den stattgebenden Teil des Beschlusses Beschwerde eingelegt. Sie ist der Auffassung, das Verwaltungsgericht habe nicht ausreichend berücksichtigt, dass Telearbeitsplätze vom Dienstherrn auf der Rechtsgrundlage der §§ 15 und 16 BGleiG nur im Rahmen der dienstlichen Möglichkeiten anzubieten seien, soweit dienstliche Belange nicht entgegenstünden. Für Interessierte bestehe lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung, wobei den dienstlichen Interessen vorrangige Bedeutung zukomme. Danach scheide die Bewilligung von Teleheimarbeit für die Antragstellerin aus, weil die Arbeitsleistung gegenwärtig erhebliche quantitative und qualitative Mängel aufweise und Teleheimarbeit deshalb vorhersehbar in einer Vielzahl von Fällen notwendige Maßnahmen zur Korrektur und redundante Arbeiten zur Folge hätte.


Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß),

den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 2. Juli 2019 zu ändern und den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung insgesamt abzulehnen.


Die Antragstellerin verteidigt den angegriffenen Beschluss und beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist zulässig (§ 146 Abs. 1, 4 VwGO) und begründet.

Die Beschwerdegründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen zur Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung und zur Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung in vollem Umfang. Die Antragstellerin hat einen zu sichernden Anspruch darauf, die Arbeitszeit wieder - wie ursprünglich genehmigt und dann geduldet - in alternierender Telearbeit, ausgehend von einem Zweiwochenrhythmus, einbringen zu dürfen, nicht glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 1, 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Ein solcher Anordnungsanspruch ergibt sich weder aus den §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 2 BGleiG und der Dienstvereinbarung zur alternierenden Telearbeit (1) noch aus § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX und der Rahmeninklusionsvereinbarung (2).

1. Der Anspruch auf (Wieder-)Einrichtung des alternierenden Telearbeitsplatzes mit der ursprünglichen Arbeitszeitverteilung kann, wovon das Verwaltungsgericht zu Recht ausgegangen ist, nicht aus den §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 2 BGleiG und der zur ihrer Ausfüllung abgeschlossenen Dienstvereinbarung zur alternierenden Telearbeit in der Zollverwaltung und der Bundesmonopolverwaltung für Branntwein vom 30. Juni 2015 (DV-Telearbeit Zoll) hergeleitet werden. Diese Regelungen begründen keinen individuellen Rechtsanspruch auf Telearbeit, sondern lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung im Rahmen der dienstlichen Möglichkeiten (vgl. BVerwG, U.v. 31.1.2008 - 2 C 31.06 - BVerwGE 130, 201 Rn. 24; BayVGH, U.v. 9.2.2012 - 6 B 11.417 - BayVBl 2012, 665 Rn. 22 zu den Vorgängerregelung in § 12, 13 Abs. 1 Satz 2 BGleiG). Die Entscheidung der Dienststelle vom 30. Oktober 2018, die von der Antragstellerin gewünschte Verteilung der Arbeitszeiten widerspreche hinsichtlich Dauer und Art der aktuellen Dienstvereinbarung, lässt einen Ermessensfehler nicht erkennen. § 1 Abs. 3 Satz 3 DV-Telearbeit Zoll geht von einer wöchentlichen Verteilung der Arbeitszeit aus und gibt vor, dass die Beschäftigten ihren Dienst mindestens zu einem Fünftel, höchstens jedoch bis zu zwei Dritteln ihrer wöchentlichen Arbeitszeit am Telearbeitsplatz leisten. Damit ist die von der Antragstellerin mit ihrem Hilfsantrag gewünschte Arbeitszeitverteilung im Zweiwochenrhythmus, wobei in der zweiten Woche nur Telearbeit geleistet wird, nicht vereinbar. Auf die in der weiteren Entscheidung vom 9. Juni 2019 angeführten Ablehnungsgründe kommt es insoweit nicht an.

2. Ein Anspruch auf (Wieder-)Einrichtung eines alternierenden Telearbeitsplatzes mit einer Arbeitszeitverteilung im Zweiwochenrhythmus ergibt sich für die Antragstellerin entgegen der Sichtweise des Verwaltungsgerichts auch nicht unter Berücksichtigung ihrer Schwerbehinderung aus § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX und der Rahmeninklusionsvereinbarung.

a) Allerdings vermittelt § 164 Abs. 4 SGB IX, der im Beamtenverhältnis uneingeschränkt Anwendung findet (vgl. VGH BW, U.v. 24.6.2019 - 4 S 1716/18 - juris Rn. 38), schwerbehinderten Beamten eine Rechtsposition, die über den nach §§ 15, 16 Abs. 1 Satz 2 BGleiG bestehenden Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Gestattung alternierender Telearbeit im Rahmen der dienstlichen Möglichkeiten hinausgeht und einklagbare Rechtsansprüche auf die Einrichtung von Tele(heim) arbeitsplätzen mit einem höheren Anteil an häuslicher Arbeitszeit begründen kann.

Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf behinderungsgerechte Beschäftigung (Nr. 1), auf Teilhabe am beruflichen Aufstieg (Nr. 2, 3) sowie auf behinderungsgerechte Gestaltung und Ausstattung der Arbeitsplätze, Arbeitsbedingungen und Arbeitsstätten. Dazu kann auch die Einrichtung eines Heimarbeitsplatzes und insoweit eine Änderung des Arbeits- oder Dienstortes gehören, wenn und soweit der schwerbehinderte Mensch die Arbeitsleistung wegen seiner Behinderung nicht am Arbeitsort, sondern nur zuhause erbringen kann (vgl. NdsLAG, U.v. 6.12.2010 - 12 Sa 860/10 - juris Rn. 33 ff.). Durch diese Teilhabeansprüche, die der Gesetzgeber als individuelle, gerichtlich einklagbare Ansprüche gegen den Arbeitgeber (Dienstherrn) ausgestaltet hat (vgl. Düwell in Dau/Düwell/Joussen, Sozialgesetzbuch IX 5.Aufl. 2019, § 164 Rn. 178 m.w.N.), sollen schwerbehinderte Beschäftigte ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Die Ansprüche sind nicht schrankenlos. Sie bestehen nach § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX nicht, soweit ihre Erfüllung für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen.

In Übereinstimmung mit diesen gesetzlichen Vorgaben enthält die Rahmeninklusionsvereinbarung, die auf der Grundlage von § 166 SGB IX am 13./28. Juni 2018 zwischen dem Bundesministerium der Finanzen, der Hauptschwerbehindertenvertretung und dem Hauptpersonalrat geschlossen worden ist, in Nr. 1.4.1. ausdrückliche Regelungen zur Tele- und Heimarbeit. Sie verweist auf § 164 Abs. 4 SGB IX als Rechtsgrundlage für einen Anspruch auf Telearbeit, sofern es ihrer besonderen Situation dient, insbesondere sofern die leidensgerechte Beschäftigung nur am heimischen Telearbeitsplatz erreicht werden kann, und bestimmt weiter, dass ungeachtet der Regelungen zur alternierenden Telearbeit es in Einzelfällen erforderlich sein kann, Heimarbeitsplätze für schwerbehinderte Menschen einzurichten, um z.B. eine vorzeitige Zurruhesetzung zu vermeiden.

b) Gemessen an diesen gesetzlichen Voraussetzungen vermag der Senat nicht zu erkennen, dass der Antragstellerin ein Rechtsanspruch darauf zusteht, ihre Arbeitszeit in alternierender Telearbeit in einem Zweiwochenrhythmus zu erbringen.

aa) Es ist bereits nicht ersichtlich, dass die Schwerbehinderung (oder die zugrunde liegende Erkrankung) der Antragstellerin die Einrichtung eines Teleheimarbeitsplatzes erfordert.

So heißt es in dem privatärztlichen Attest vom 24. Juli 2018 "nur": Die Antragstellerin sollte keinen Dauerbelastungen und weiten Anfahrtstrecken zum Arbeitsplatz ausgesetzt werden; zur Vermeidung von einem zusätzlichen Infektionsrisiko "sollte" die Arbeit am Heimarbeitsplatz im Mittelpunkt stehen. Dem lässt sich nur entnehmen, dass Teleheimarbeit in möglichst großem Umfang als förderlich und wünschenswert angesehen wird, nicht aber als zwingend erforderlich. Nichts anderes ergibt sich aus dem amtsärztlichen Gutachten vom 27. Februar 2019. Dieses kommt zu dem Ergebnis, dass die Antragstellerin dienstfähig ist. Leichte körperliche Tätigkeiten ohne viel Publikumsverkehr seien vollschichtig möglich. Weiter heißt es, "wegen der Infektionsgefährdung bedingt durch die medikamentöse Therapie sollte ein relativ hoher Heimarbeitsanteil gewährt werden". Auch das spricht nur für eine aus ärztlicher Sicht bestehende Förderlichkeit von Heimarbeit, nicht aber deren Erforderlichkeit, zumal der Amtsarzt lediglich "viel Publikumsverkehr" ausschließt, Publikumsverkehr unterhalb dieser Schwelle und das daraus resultierende Infektionsrisiko aber für "vollschichtig möglich" erachtet. Einem relevanten Publikumsverkehr wäre die Antragstellerin aber auch dann nicht ausgesetzt, wenn sie die Arbeitszeit an der Dienststelle erbringt. Denn nach der Stellungnahme ihrer Vorgesetzten zum Antrag auf Heimarbeit erfolgen die Kundenkontakte regelmäßig telefonisch, persönlich nur als "absolute Ausnahme"; Mitarbeiter sind der Antragstellerin nicht direkt zugeordnet (Beiakt 2 Bl. 8 und 59).

Aus dem Umstand, dass die erhebliche Entfernung zwischen Wohnort und Dienststelle von mehr als 300 km zwangsläufig zu zusätzlichen gesundheitlichen Belastungen führt, kann die Erforderlichkeit eines Teleheimarbeitsplatzes nicht hergeleitet werden. Denn die - seit 2011 als schwerbehindert anerkannte - Antragstellerin hat diese Erschwernisse sehenden Auges auf sich genommen, als sie 2014 von ihrem Dienstort weggezogen ist. Sie hat zum einen als Beamtin ihre Wohnung so zu nehmen, dass sie in der ordnungsgemäßen Wahrnehmung ihrer Dienstgeschäfte nicht beeinträchtigt wird (vgl. BVerwG, U.v. 17.12.1980 - 6 C 46.79 - BVerwGE 61, 241 ff.). Zum anderen ist sie auf das Angebot des Dienstherrn, sie wohnortnah zu versetzen, nicht eingegangen.

bb) Selbst wenn Telearbeit in dem vom Verwaltungsgericht vorläufig angeordneten Umfang wegen der Schwerbehinderung erforderlich sein sollte, scheitert der Anspruch nach dem derzeitigen Sachstand aus den von der Beschwerde dargelegten Gründen an den Grenzen des § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX; denn die alternierende Telearbeit ist gegenwärtig entweder für den Dienstherrn nicht zumutbar oder steht in Widerspruch zu den beamtenrechtlichen Vorschriften.

Die Vorgesetzte der Antragstellerin hat in ihren Stellungnahmen von Juli 2018 (Beiakt 2 Bl. 8 f.) und April 2019 (Beiakt 2 Bl. 59 f.) sowie in der detaillierten Leistungseinschätzung vom 4. Dezember 2018 (Beiakt 4 Bl. 193 f.) ausgeführt, dass bei dieser über einen längeren Zeitraum ein stetiger Rückgang im Hinblick auf die Qualität der erledigten Arbeit festzustellen sei, was nach "diversen Gesprächen" zu einer wiederholten Anpassung der zugewiesenen Aufgaben geführt habe. Zurzeit (Stand April 2019) seien ihr Arbeiten zugewiesen, welche einfache, gleichgelagerte Sachverhalte ohne komplexe Zusammenhänge beträfen und in der Regel von Mitarbeitern des mittleren Dienstes erledigt würden. Diesen - unterwertigen - Aufgaben sei die Antragstellerin ohne erhöhten Betreuungsaufwand gewachsen, sie könnten grundsätzlich in Heimarbeit geleistet werden. Würde ihr aber wieder eine - dem Statusamt entsprechende - anspruchsvollere Sachbearbeitung zugewiesen, seien die ursprünglichen Qualitätsdefizite zu erwarten und ein erhöhte Betreuungsaufwand mit regelmäßigen täglichen persönlichen Kontakten zur Antragstellerin angezeigt, was bei alternierender Telearbeit nicht leistbar sei.

Dem hält die Antragstellerin in der Sache nichts Stichhaltiges entgegen. Die Leistungsminderung mag, wie die Vorgesetzte unter Hinweis auf den früheren Leistungsstand der Antragstellerin vermutet, auf die zunehmenden gesundheitlichen Probleme zurückzuführen sein. Der Grund für die verminderte Leistungsfähigkeit ist im Rahmen des § 164 Abs. 4 SGB IX allerdings entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts unerheblich und deshalb auch nicht im Hauptsacheverfahren weiter klärungsbedürftig. Denn auch wenn die Leistungsminderung krankheitsbedingt sein sollte, ändert das nichts daran, dass die Antragstellerin nach den Grundsätzen des Art. 33 Abs. 5 GG amtsangemessen beschäftigt werden muss.

Dem schwerbehinderten Beamten wird durch § 164 Abs. 4 Satz 1 SGB IX kein Anspruch auf einen bestimmten oder gar unterwertigen Dienstposten eingeräumt, der seinen Interessen entgegen kommt. Der Anspruch erstreckt sich vielmehr nur darauf, einen amtsangemessenen Dienstposten behinderungsgerecht einzurichten oder umzugestalten oder unter Umständen auch freizuräumen und dem Schwerbehinderten zuzuweisen (vgl. Düwell in Dau/Düwell/Joussen, SGB IX, 5. Aufl. 2019, § 164 Rn. 181 m.w.N). So ist auch für schwerbehinderte Beamte der Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit im Sinn von § 44 Abs. 1 Satz 1 BBG nicht das zuletzt wahrgenommene Amt im konkret-funktionellen Sinn (Dienstposten), sondern das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn, das alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten umfasst, auf denen der Beamte amtsangemessen beschäftigt werden kann. Daher setzt Dienstunfähigkeit voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist (vgl. BVerwG, U.v. 16.11.2017 - 2 A 5.16 - juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 27.11.2018 - 6 ZB 18.2115 - juris - Rn. 4; B.v. 5.9.2019 - 6 ZB 19.1076 - juris Rn. 5 m.w.N.). Nur unter den Voraussetzungen des § 44 Abs. 3 BBG kann einem - bezogen auf amtsangemessene Tätigkeiten - dienstunfähigen Beamten zur Vermeidung der Versetzung in den Ruhestand unter Beibehaltung des übertragenen Amtes auch eine geringerwertige Tätigkeit übertragen werden. Dafür ist mit Blick auf die Antragstellerin nichts Stichhaltiges ersichtlich; vielmehr gehen die Beteiligten selbst auf der Grundlage der amtsärztlichen Begutachtung, die nach Aktenlage entsprechend den gesetzlichen Anforderungen auf das Amt im abstrakt-funktionellen Sinn bezogen ist, übereinstimmend von der Dienstfähigkeit aus. Solange aber auf der Grundlage des § 44 Abs. 3 BBG keine geringerwertige Tätigkeit übertragen wird, kann eine unterwertige Beschäftigung nicht auf der Grundlage von § 164 Abs. 4 SGB IX beansprucht werden.

Dem Gebot der amtsangemessenen Beschäftigung liefe es zuwider, der Antragstellerin als Postoberinspektorin (Besoldungsgruppe A 10) in der Laufbahn des gehobenen Dienstes lediglich Aufgaben des mittleren Dienstes zu übertragen, wie das zuletzt auf dem Telearbeitsplatz wegen der Minderleistung über geraumer Zeit praktiziert worden ist. Würden ihr hingegen amtsangemessene Aufgaben übertragen, entstünden Überwachungs-, Kontroll- und Nachbearbeitungsaufgaben, die vom Dienstherrn nach der plausiblen Erläuterung der Vorgesetzten in alternierender Telearbeit schon deshalb nicht zumutbar geleistet werden könnten, weil täglicher persönlicher Kontakt geboten wäre. Auch in diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin durch die Wahl eines vom Dienstort etwa 300 km entfernten Wohnorts selbst eine Ursache für zusätzliche und erhebliche gesundheitsbeeinträchtigende Belastungen gesetzt hat und zugleich auf das Angebot einer - vom Amtsarzt für prinzipiell möglich erachteten - wohnortnahen Versetzung nicht eingeht. Vor diesem Hintergrund kann dem Dienstherrn nicht zugemutet werden, die - dienstfähige - Antragstellerin in alternierender Telearbeit entweder unterwertig zu beschäftigen oder bei einer amtsangemessenen Beschäftigung defizitäre Arbeitsergebnisse hinnehmen zu müssen, die der Nach- oder Neubearbeitung durch andere Beschäftigte bedürfen.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und 2 GKG.

Referenznummer:

R/R9013


Informationsstand: 30.01.2020