Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 14. November 2019 - 9 K 5111/18.F - wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Beteiligten streiten um die Gewährung einer Arbeitsentlastung aufgrund Schwerbehinderung.
Die Klägerin ist Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Frankfurt am Main und gehört einem Zivilsenat an.
Das beklagte Gerichtspräsidium gewährt, basierend auf einem Beschluss vom 9. März 2009, in ständiger Übung im Rahmen der turnusmäßigen Verteilung der eingehenden Verfahren unabhängig von dem jeweiligen Anlass
(z. B. Vakanz, Krankheit oder Sanatoriumsaufenthalt) ab der dritten Fehlwoche Freikreuze, sofern der Anlass des Arbeitskraftausfalls auch in dieser dritten Woche zumindest noch drei Tage fortbesteht. Die gewährte Anzahl von Freikreuzen ergibt sich dabei aus dem gewöhnlichen Arbeitspensum pro Woche, wobei unterstellt wird, dass ein Richter am Oberlandesgericht Frankfurt a. M. pro Jahr etwa 80 Berufungen erledigt. Hierbei finden Urlaubszeiten keine Berücksichtigung.
Mit Bescheid vom 1. März 2018 stellte das Amt für Versorgung und Soziales Frankfurt bei der Klägerin eine Schwerbehinderung mit einem Grad von 50 fest. Mit Schreiben vom 5. März 2018 teilte die Klägerin dies dem Präsidenten des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. (im Folgenden: Präsident) mit und wies daraufhin, dass sich hieraus nach ihrer Kenntnis ein Anspruch auf zusätzlichen bezahlten Urlaub von fünf Arbeitstagen im Jahr ergebe. Sie bat um Mitteilung, wie dies organisatorisch - etwa durch eine geringere Zahl der zu bearbeitenden Akten - umgesetzt werde.
Unter dem 19. März 2018 teilte der Präsident der Klägerin mit, dass der bisherigen Praxis des Beklagten folgend die erhöhte Anzahl von Urlaubstagen nicht zu einer geringeren Zuteilung von Akten an den Senat führe. Dies stehe in Einklang mit der allgemeinen Regelung, wonach Freikreuze erst gewährt würden, wenn die fehlende Besetzung einer Stelle einen Zeitraum von zehn Tagen überschreite.
Mit Schreiben vom 26. März 2018 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Umsetzung der Regelung des § 208
SGB IX durch Gewährung einer entsprechenden Arbeitsentlastung. Die Praxis des Beklagten, die aufgrund einer Schwerbehinderung erhöhte Anzahl von Urlaubstagen nicht mit einer entsprechend geringeren Zuteilung von Akten zu begleiten, habe zur Folge, dass ein schwerbehinderter Richter in einem kürzeren Zeitraum dasselbe Arbeitspensum erledigen müsse wie ein nicht behinderter Richter. Diese Handhabung widerspreche dem Zweck der Norm, wonach einem erhöhten Erholungsbedürfnis schwerbehinderter Menschen Rechnung zu tragen sei.
Der Beklagte holte in der Folgezeit Stellungnahmen von Richterrat und Schwerbehindertenvertretung zum Begehren der Klägerin ein.
In seiner Sitzung am 18. Juni 2018 entschied der Beklagte, der Klägerin vor einer endgültigen Entscheidung zunächst die Möglichkeit einzuräumen, etwaige besondere Umstände in Bezug auf ihre Person darzutun.
Mit Schreiben vom 26. Juni 2018 bat die Klägerin um eine nähere Begründung der Entscheidung des Beklagten und um einen Hinweis, welche Umstände die persönliche Anhörung zum Gegenstand haben solle. Unter dem 15. August 2018 bat die Klägerin erneut um einen Hinweis, welche Umstände die persönliche Anhörung zu ihrem Entlastungsantrag zum Gegenstand haben solle. Sie gehe davon aus, dass die Mitglieder des Beklagten eine Vorstellung davon hätten, um welche Umstände es sich handeln könnte, so dass eine erneute Beratung hierüber zur Beantwortung ihrer Nachfrage nicht erforderlich sein dürfe. Weiterhin solle in Erwägung gezogen werden, den Richterrat und die Schwerbehindertenvertretung auch um eine Stellungnahme zur Umsetzung von § 1
Abs. 1 HAZVO zu bitten.
Sowohl Schwerbehindertenvertretung als auch Richterrat erhielten im Hinblick auf die Anregung der Klägerin Gelegenheit zur ergänzenden Stellungnahme.
Mit Beschluss vom 17. September 2018 wies der Beklagte die Anträge der Klägerin, den zusätzlichen Urlaubsanspruch für Schwerbehinderte von einer Woche jährlich gemäß
§ 208 SGB IX sowie die gemäß § 1 HAZVO auf 40 Stunden für Schwerbehinderte reduzierte Wochenarbeitszeit durch eine entsprechende Arbeitsentlastung, gegebenenfalls durch Gewährung von Freikreuzen, umzusetzen, zurück.
Gegen den Beschluss legte die Klägerin am 27. September 2018 Widerspruch ein, den der Beklagte mit Beschluss vom 21. November 2018, der Klägerin am 28. November 2018 zugestellt, zurückwies.
Am 27. Dezember 2018 hat die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt a. M. erhoben.
Zur Begründung hat die Klägerin im Wesentlichen vorgetragen, allein der Umstand, dass Richter keine feste Arbeitszeit einzuhalten hätten, rechtfertige keine andere Behandlung gegenüber Beamten im Hinblick auf die gebotene Arbeitsentlastung. Die geringere Jahresarbeitszeit eines Schwerbehinderten müsse von Seiten des Präsidiums bei der Geschäftsverteilung ebenso berücksichtigt werden wie etwa die Teilzeitbeschäftigung eines Richters. Darüber hinaus sei zu prüfen, ob ein Richter am Oberlandesgericht Frankfurt a. M. nicht ohnehin permanent Mehrarbeit i.
S. d
§ 207 SGB IX leiste, von welcher ein Schwerbehinderter auf Antrag zu entlasten wäre. Die Klägerin hat ergänzend auf die Situation in ihrem Senat hingewiesen, in dem ein Auffangen der Zusatzbelastung durch den ihr zusätzlich zu gewährenden Urlaub nicht möglich sei.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
festzustellen, dass das Präsidium des Oberlandesgerichts Frankfurt a. M. ihr unter Beachtung der § 208
SGB IX und § 1
Abs.1 Satz 3 Hessische Arbeitszeitverordnung vor dem Hintergrund ihrer Schwerbehinderung im Rahmen der Verteilung der Geschäfte eine entsprechende Arbeitsentlastung zu gewähren hat, beispielsweise durch die Gewährung von Freikreuzen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat vorgetragen, er entscheide im Hinblick auf schwerbehinderte Richterinnen und Richter nach deren individuellen Gegebenheiten. Dabei werde im Grundsatz von der zusätzlichen Entlastung über die Gewährung des zusätzlichen Urlaubs hinaus abgesehen und würden nur in Ausnahmefällen zusätzliche Freikreuze gewährt. Abgewogen werde hierbei einerseits zwischen den individuellen Gegebenheiten des schwerbehinderten Richters und andererseits den Interessen der übrigen Kollegen. Weder aus § 208
SGB IX noch aus § 1
Abs. 1 Satz 3 HAZVO folge eine Ermessenreduktion auf Null. Er habe im Rahmen seines Ermessens bei der Verteilung der Geschäfte und Freikreuze dem konkreten Einzelfall der Klägerin ausreichend Rechnung getragen. Dem Wortlaut des § 208 IX
SGB IX sei hierbei genüge getan. Darüber hinaus entspreche es gesicherter Rechtsprechung, dass § 1
Abs. 1 Satz 3 HAZVO als arbeitszeitrechtliche Vorschrift keine unmittelbare Anwendung auf die Richtertätigkeit finde, da sich ihre individuelle Dienstverrichtung nicht auf eine wöchentlich zu leistende Arbeitszeit beziffern ließe.
Das Verwaltungsgericht Frankfurt a. M. hat die Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 14. November 2019 abgewiesen.
Die Klage sei zulässig, aber unbegründet. Die streitgegenständlichen Beschlüsse des Beklagten vom 17. September und 21. November 2018 seien formell und materiell rechtmäßig.
Die Entscheidung des Beklagten, der Klägerin keine generelle Entlastung aufgrund ihrer Schwerbehinderung zu gewähren, stelle keine Ermessensüberschreitung dar, da sie sachlich begründet und frei von Willkür oder sachfremden Erwägungen sei. Der zusätzliche Urlaubsanspruch gemäß § 208
SGB IX werde der Klägerin gewährt. In der Rechtsprechung sei es anerkannt, dass die Regelungen über die Arbeitszeit auf Richterinnen und Richter nicht anwendbar seien. Dennoch habe der Beklagte die von der Klägerin angeführten Vorschriften im Rahmen der Ausübung seines Ermessens zu berücksichtigen und sei dem auch nachgekommen.
Auf den form- und fristgerecht gestellten Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung hat der Senat mit Beschluss vom 26. Januar 2021 - 1 A 207/20.Z - die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zugelassen. Der Beschluss ist der Klägerin am 27. Januar 2021 zugestellt worden. Am 16. Februar 2021 hat die Klägerin ihre Berufung begründet.
Zur Begründung trägt die Klägerin vor, gemäß § 1
Abs. 1 Satz 3 HAZVO betrage die regelmäßige Arbeitszeit von Beamten bei Vorliegen eines Grades der Behinderung von 50 (Schwerbehinderung) im Durchschnitt 40 anstelle von 41 Stunden. Gemäß § 2 HRiG fänden auf die Rechtsverhältnisse der Richter die Vorschriften für Beamte des Landes entsprechend Anwendung, soweit das Deutsche Richtergesetz und das Hessische Richtergesetz nicht etwas anderes bestimmten. Eine abweichende Regelung sähen diese beiden Gesetze jedoch nicht vor. Allein der Umstand, dass Richter aufgrund ihrer richterlichen Unabhängigkeit einer Arbeitszeitregelung nicht unterlägen, reiche für die Annahme einer etwaigen abweichenden Regelung nicht aus.
Die durch § 208
SGB IX vorgesehene zusätzliche Arbeitsentlastung durch Gewährung von weiteren fünf Urlaubstagen zu Gunsten Schwerbehinderter könne nur dann gesetzeskonform erfolgen, wenn zusätzlich zur Gewährung der Urlaubstage auch sichergestellt sei, dass eine entsprechende Arbeitsentlastung durch die Reduzierung des Arbeitsumfanges erfolge.
Aus beiden Regelungen folge, dass der Verordnungsgeber ebenso wie der Gesetzgeber aus dem Vorliegen einer Schwerbehinderung bereits unmittelbar eine verringerte Leistungsfähigkeit mit dem Erfordernis einer Arbeitsreduzierung im Vergleich zu nichtschwerbehinderten Menschen hergeleitet habe. Dieses Erfordernis bestehe unabhängig von etwaigen krankheitsbedingten Fehlzeiten. Aus dem Vorliegen einer Schwerbehinderung könne allerdings nicht hergeleitet werden, dass auch stets die Folge von höheren Fehlzeiten aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit bestehe. Der Gesetz- und Verordnungsgeber hätten in den genannten Vorschriften des Sozialgesetzbuchs IX und der Hessischen Arbeitszeitverordnung zum Ausdruck gebracht, dass sie eine Entlastung Schwerbehinderter durch eine gewisse Reduzierung ihres Arbeitsumfangs für geboten hielten und zwar unabhängig vom Vorliegen krankheitsbedingter Fehlzeiten. Die von dem Beklagten aufgestellte Erheblichkeitsschwelle, wonach eine Reduzierung durch sogenannte Freikreuze nur ab einer Vakanz von zwei aufeinanderfolgenden Wochen (und drei Tagen) erfolge, gehe an dem Regelungsbedürfnis des Schwerbehindertenschutzes und der gebotenen Arbeitsentlastung vorbei. Der Beklagte übe sein Ermessen bei der Geschäftsverteilung fehlerhaft aus, wenn er hierbei die Regelungen des Schutzes Schwerbehinderter außer Betracht lasse.
Die Klägerin beantragt,
1. die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 14. November 2019 wird abgeändert,
2. es wird festgestellt, dass das Präsidium des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main der Klägerin unter Beachtung des § 208 SGB lX und § 1
Abs. 1 Satz 3 Hessische Arbeitszeitverordnung vor dem Hintergrund ihrer Schwerbehinderung im Rahmen der Verteilung der Geschäfte eine entsprechende Arbeitsentlastung zu gewähren hat, beispielsweise durch die Gewährung von Freikreuzen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 14. November 2019 zurückzuweisen.
Der Beklagte verteidigt die angefochtene Entscheidung und weist darauf hin, dass er in seiner Sitzung vom 30. August 2021 dem Senat der Klägerin zur Vermeidung von Mehrarbeit im Sinne des § 207
SGB IX einmal zusätzliche 25 Freikreuze gewährt habe.
Zwei Bände Personalakten der Klägerin sowie zwei Bände Präsidium-Sammelakten sind beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Die Berufung ist nach Zulassung durch den Senat gemäß §§ 124
Abs. 1, 124a
Abs. 5
VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das angegriffene Urteil des Verwaltungsgerichts ist nicht zu beanstanden, denn das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Das Klagebegehren zielt auf die Feststellung eines Anspruchs der Klägerin auf Entlastung von ihren richterlichen Geschäften im Rahmen der Geschäftsverteilung des Oberlandesgerichts allein aufgrund ihrer Schwerbehinderung, ohne dass es hierfür auf konkret bei ihr bestehende Beeinträchtigungen ankommt.
Der Antrag ist als Feststellungsklage gemäß § 43
Abs. 1
VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig. Bei Beschlüssen des Gerichtspräsidiums handelt es sich nicht um Verwaltungsakte, sondern um gerichtsinterne Organisationsakte (
vgl. Senatsbeschluss vom 16. November 2016 - 1 B 1840/16 -, n. v.).
Die Klägerin ist analog § 42
Abs. 2
VwGO klagebefugt, denn es besteht die Möglichkeit, dass sie in ihren Rechten verletzt wird, soweit ihr die begehrte Entlastung verweigert wird.
Das erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben, denn es ist wahrscheinlich, dass der Klägerin vom Beklagten weiterhin die begehrte Entlastung im Rahmen der Geschäftsverteilung verwehrt wird. Daran ändert auch die zuletzt mit Beschluss vom 30. August 2021 vorgenommene Gewährung von 25 Freikreuzen für den von der Klägerin geleiteten Senat nichts. Diese Entlastung ist vor allem der besonderen personellen Situation im Senat geschuldet und nicht der Einsicht des Beklagten, dass der Klägerin losgelöst von jedweder tatsächlichen Beeinträchtigung allein aufgrund der bei ihr bestehenden Schwerbehinderung eine Entlastung zu gewähren ist.
Die Klage ist jedoch unbegründet, denn die Klägerin hat keinen Anspruch auf Entlastung von ihren richterlichen Geschäften allein aufgrund der bei ihr festgestellten Schwerbehinderung.
Gemäß § 21e
Abs. 1 Satz 1 GVG bestimmt das Präsidium die Besetzung der Spruchkörper, bestellt die Ermittlungsrichter, regelt die Vertretung und verteilt die Geschäfte. Diese Anordnungen trifft es gemäß § 21e
Abs. 1 Satz 2 GVG vor dem Beginn des Geschäftsjahres für dessen Dauer. Nach § 21e
Abs. 3 Satz 1 GVG dürfen die Anordnungen nach § 21e
Abs. 1 GVG im Laufe des Geschäftsjahres nur geändert werden, wenn dies wegen Überlastung oder ungenügender Auslastung eines Richters oder Spruchkörpers oder infolge Wechsels oder dauernder Verhinderung einzelner Richter nötig wird.
Maßnahmen des Präsidiums, die die Geschäftsverteilung betreffen, unterliegen den Anforderungen an die Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens und dürfen sich nicht als willkürlich darstellen. Das Präsidium hat für die ordnungsgemäße Erledigung der anfallenden Rechtsprechungsaufgaben durch Einsatz der dem Gericht zugeteilten Richter zu sorgen. Dabei gibt es kein Recht eines Richters auf die Erledigung bestimmter Rechtsangelegenheiten, so wie es auch nicht zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums gemäß
Art. 33
Abs. 5
GG gehört, dass ein Beamter ein Recht auf unveränderte und ungeschmälerte Ausübung des ihm übertragenen konkreten Amtes im funktionellen Sinne hat (zum Ganzen
BVerfG (K), Beschluss vom 25. August 2016 - 2 BvR 877/16 -, NVwZ 2017, 51, 52 m. w. N.). Bei Ausübung des dem Präsidium danach zustehenden Ermessens ist unter anderem Rücksicht zu nehmen auf die Einsatzfähigkeit, Stärken wie Schwächen, jedes einzelnen Richters sowie auf seine für die Aufgabenerledigung als relevant erscheinende persönliche Situation. Dazu gehört die verminderte Arbeitskraft eines Schwerbehinderten ebenso wie die Belastung durch eine Tätigkeit in Richterrat und Präsidialrat oder durch Verwaltungsgeschäfte (zum Ganzen Mayer in: Kissel/Mayer, GVG, 10. Aufl. 2021, § 21e Rn. 85 m. w. N.).
Diesen Maßstab zugrunde gelegt, ist die Entscheidung des Beklagten nicht zu beanstanden, den Senat der Klägerin - und damit mittelbar die Klägerin - nicht allein aufgrund der bei der Klägerin bestehenden Schwerbehinderung zu entlasten. Das gilt auch vor dem Hintergrund der Regelungen des § 208
SGB IX und des § 1
Abs. 1 HAZVO, die auch im Hinblick auf ihre Schutzzwecke keine automatische Entlastung Schwerbehinderter bei der Verteilung richterlicher Geschäfte gebieten.
Gemäß § 208
Abs. 1 Satz 1
SGB IX haben schwerbehinderte Menschen Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von fünf Arbeitstagen im Urlaubsjahr. Dieser zusätzliche Urlaubsanspruch wird der Klägerin gewährt. Aus der Norm ergibt sich kein darüberhinausgehender Anspruch auf Entlastung von den richterlichen Geschäften. Der sich aus § 208
Abs. 1
SGB IX ergebende Anspruch ist erfüllt, wenn der Arbeitgeber (Dienstherr) den Arbeitnehmer (Beamten/Richter) von den im Freistellungszeitraum anfallenden Arbeiten freistellt. Auf Art und Umfang der Arbeitsverpflichtung kommt es nicht an. Die Vorschrift gewährt dem Schwerbehinderten lediglich hinsichtlich des Umfangs des Erholungsurlaubs eine Vergünstigung, nicht hinsichtlich der Wirkung der Freistellung (
vgl. BAG, Urteil vom 13. Februar 1996 - 9 AZR 79/95 -, MDR 1996, 823, 824 zur Vorgängervorschrift § 47
SchwbG).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Zusatzurlaub - wie die Klägerin geltend macht - ohne die begehrte Entlastung eine zusätzliche Belastung bewirken würde, weil von ihr dieselbe Arbeitsmenge in einer kürzeren Zeitspanne erledigt werden müsse. Diese Annahme der Klägerin trifft nicht zu. Für den Fall des urlaubs- und krankheitsbedingten Ausfalls existieren in den Geschäftsverteilungsplänen der Gerichte und auch der jeweiligen Spruchkörper Vertretungsregelungen, die rechtlich gewährleisten, dass der daraus resultierende Ausfall der Arbeitskraft aufgefangen wird. Wenn hierdurch faktisch keine vollständige Kompensation zu erreichen ist und sich deshalb die zu erledigende Arbeitsmenge durch die Ausfallzeiten tatsächlich erhöht, rechtfertigt dies keine andere Betrachtungsweise. Sofern sich hierdurch im Laufe der Zeit ein für die Klägerin nicht mehr zu bewältigendes Arbeitspensum ergeben sollte, wäre es Sache des von der Klägerin hierüber informierten Beklagten, diese Situation zu prüfen und ihr im Rahmen der Geschäftsverteilung - gegebenenfalls auch durch unterjährige Änderung gemäß § 21e
Abs. 3 GVG - zu begegnen.
Auch aus § 1
Abs. 1 Satz 3 HAZVO folgt nichts anderes. Danach beträgt die regelmäßige Arbeitszeit der hauptamtlich tätigen schwerbehinderten Beamtinnen und Beamten im Sinne des § 2
Abs. 2
SGB IX im Durchschnitt 40 Stunden pro Woche, während die regelmäßige Arbeitszeit der übrigen Beamtinnen und Beamten bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres 41 Stunden pro Woche beträgt.
Die beamtenrechtlichen Regelungen der Arbeitszeit finden auf hessische Richterinnen und Richter keine entsprechende Anwendung. Aus dem Deutschen Richtergesetz und dem Hessischen Richtergesetz ergibt sich einfachgesetzlich, dass sich Richterinnen und Richter zwar ebenso wie Beamtinnen und Beamte mit vollem persönlichen Einsatz ihrem Beruf zu widmen haben, anders als bei Beamtinnen und Beamten sich der von Richterinnen und Richtern geschuldete Einsatz aber quantitativ nicht nach einer normativ vorgegebenen Arbeitszeit bestimmt (
vgl. Senatsurteil vom 28. Oktober 2021 - 1 A 2254/17 -).
Dementsprechend ist die für schwerbehinderte Beamte geltende Arbeitszeit nicht erheblich für die Frage, ob der Klägerin eine Entlastung von ihren richterlichen Geschäften zu gewähren ist. Die Entscheidung über den Umfang der von der Klägerin zu erledigenden Arbeit hängt vielmehr von ihrer individuellen Leistungsfähigkeit ab. Diese kann infolge der bestehenden Schwerbehinderung gemindert sein, muss es aber nicht.
Für den Beklagten ist mangels konkreter Angaben der Klägerin eine entsprechende Minderung ihrer Leistungsfähigkeit jedenfalls nicht feststellbar gewesen. Diese Annahme bedarf keiner besonderen Sachkunde, denn es sind auch ohne medizinischen Sachverstand ohne weiteres zu einer Anerkennung eines Grades der Behinderung führende Leiden denkbar, die bei einem Richter nicht zu einer geminderten Leistungsfähigkeit führen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens gemäß § 154
Abs. 2
VwGO zu tragen, weil ihr Rechtsmittel ohne Erfolg geblieben ist.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167
Abs. 2 und
Abs. 1
VwGO i. V. m. §§ 708
Nr. 11, 711
ZPO.
Gründe i.
S. d. § 132
Abs. 2
VwGO für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.