Urteil
Vertragsanfechtung wegen Verschweigen der Gleichstellung

Gericht:

BAG


Aktenzeichen:

2 AZR 101/83


Urteil vom:

01.08.1985


Grundlage:

Leitsätze:

1. Der Arbeitnehmer ist bei den Verhandlungen über den Abschluss eines Arbeitsvertrages nur dann von sich aus verpflichtet, seine Schwerbehinderteneigenschaft oder eine Gleichstellung zu offenbaren, wenn er erkennen muss, dass er wegen der Behinderung, die der Feststellung oder der Gleichstellung zugrunde liegt, die vorgesehene Arbeit nicht zu leisten vermag oder eine deswegen beschränkte Leistungsfähigkeit für den vorgesehenen Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung ist (Bestätigung des Urteils des Senates vom 25. März 1976 - 2 AZR 136/75 - AP Nr 19 zu § 123 BGB).

2a. Der Arbeitgeber hat uneingeschränkt das Recht, einen Bewerber nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft oder einer Gleichstellung zu fragen (im Anschluss an das Urteil des Senates vom 7. Juni 1984 - 2 AZR 270/83 - AP Nr 26 zu § 123 BGB).

b. Die wahrheitswidrige Beantwortung dieser Frage kann den Arbeitgeber zur Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB berechtigen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Internetportal für Arbeit und Sozialrecht (AuS-Portal)

Aus dem Sachverhalt:

Aufgrund einer "Einstellungsvereinbarung" wurde der Kläger von der Beklagten in den Fabrikationsabteilungen ihrer Garnfabrik als Arbeiter beschäftigt. Er wurde als sog. Spulenfahrer eingesetzt, zu dessen Aufgaben es gehört, volle und leere Garnspulen in Behältnissen mit einem Hubwagen und Chemikaliensäcke mit einer Sackkarre zwischen den einzelnen Abteilungen zu transportieren.

Der Kläger ist wegen eines Bandscheibenschadens laut Gleichstellungsbescheid zu 40% erwerbsgemindert. Die Beklagte, die rund 1.000 Arbeitnehmer beschäftigt, hatte im Jahre 1980 keine Ausgleichsabgabe für nicht besetzte Schwerbehindertenpflichtplätze zu entrichten.

Vor seiner Einstellung wurden dem Kläger in der Personalabteilung die Fragen eines Personalfragebogens vorgelesen und nach seinen Angaben überwiegend von einer Auszubildenden der Beklagten ausgefüllt. Der dabei anwesende stellvertretende Personalleiter ergänzte einzelne Punkte. Die Frage im Fragebogen, ob er Schwerbehinderter oder Gleichgestellter sei, verneinte er nach den Angaben auf dem Formular. Der Kläger wies allerdings darauf hin, daß er 1975 eine Bandscheibenoperation gehabt habe, worauf er von dem Betriebsarzt Dr. W. untersucht wurde. Der Kläger erwähnte auch bei dieser Untersuchung seine Bandscheibenoperation. Streitig ist, ob er auch versicherte, jetzt beschwerdefrei zu sein und jede Arbeit ausführen zu können. Der Arzt war daraufhin der Überzeugung, einer Tätigkeit als Spulenführer stehe nichts entgegen.

Nach Arbeitsaufnahme erklärte der Kläger dem zuständigen Meister, als er Kartons in der Zwirnerei von einem Stapel heben sollte, er könne diese Kartons nicht heben, weil sie ihm nach seiner Bandscheibenoperation zu schwer seien. Am nächsten Tag übergab ihm der Obermeister daraufhin eine Kündigung. Danach fand ein Gespräch im Personalbüro u.a. mit dem Personalleiter, dem Obermeister und dem vorgesetzten Meister des Klägers statt, in dessen Folge der Kläger nochmals vom Betriebsarzt untersucht wurde. Aufgrund der Angaben des Klägers, er habe bei den ihm aufgetragenen Arbeiten keine Beschwerden, hatte der untersuchende Arzt keine Bedenken gegen den Einsatz des Klägers in seiner "bisherigen Tätigkeit". Der Kläger wurde daraufhin von der Beklagten weiterbeschäftigt.

Nachdem der Kläger cirka sechs Wochen später auf Veranlassung des Arbeitsamtes einen Bescheid des Arbeitsamtes vorgelegt hatte, demzufolge er bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 40 % einem Schwerbehinderten gleichgestellt worden war, erklärte die Beklagte die Anfechtung des Arbeitsverhältnisses.

Aus den Gründen:

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Rechtssache an das LAG.


1. (...)

Das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis hat die Beklagte dem Kläger gegenüber wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB angefochten, nachdem der Kläger ihr zuvor seinen Gleichstellungsbescheid des Arbeitsamtes vorgelegt hatte. In dem Verschweigen seiner Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten bei den Einstellungsverhandlungen bzw. in der Falschbeantwortung des Punktes im Personalfragebogen sieht die Beklagte eine zur Anfechtung des Arbeitsverhältnisses berechtigende arglistige Täuschung.
Tatsächlich kann eine zur Anfechtung berechtigende arglistige Täuschung i.S. des § 123 Abs. 1 BGB dann vorliegen, wenn der Kläger eine zulässige Frage der Beklagten nach seiner Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten vorsätzlich falsch beantwortet hat und er erkennen mußte, daß die von ihm verschwiegene Frage seiner Gleichstellung für die Entscheidung der Beklagten über die Begründung des Arbeitsverhältnisses wesentlich und auch ursächlich war (BAG 11, 270, 273 f.; BAG AP Nr. 19 zu § 123 BGB; BAG EzA § 123 BGB Nr. 22; BAG AP Nr. 26 zu § 123 BGB; Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, 7. Aufl., Band 1, § 22 IV 2, Seite 194 f.; Gröninger, SchwbG, Stand Juni 1984, § 12 Anm. 4 b aa; Falkenberg, BB 1970, 1013; Haberkorn, RdA 1962, 416 f.; Weber, SchwbG, Stand Januar 1985, § 1 Anm. 8; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 5. Aufl., § 35 II 5, Seite 98).

Ob die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung vorliegen und die gem. § 124 BGB fristgerecht erfolgte Anfechtung das in Vollzug gesetzte Arbeitsverhältnis des Klägers mit der Beklagten aufgelöst hat, läßt sich jedoch noch nicht abschließend beurteilen, da es insoweit noch an tatsächlichen Feststellungen durch das LAG darüber fehlt, ob der Kläger nach einer Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten gefragt worden ist.


2. Ohne entsprechende Frage des Arbeitgebers muß der Arbeitnehmer von sich aus bei der Einstellung nur dann auf eine Schwerbehinderteneigenschaft oder seine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten hinweisen, wenn er erkennen muß, daß er wegen der Behinderung die der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Gleichstellung zugrundeliegt, die vorgesehene Arbeit nicht zu leisten vermag oder die Minderung der Leistung und Fähigkeiten für den in Betracht kommenden Arbeitsplatz von ausschlaggebender Bedeutung ist (BAG AP Nr. 19 zu § 123 BGB; Wilrodt/Neumann, SchwbG, 6. Aufl., § 12 Rz. 45).

Diese Voraussetzungen für eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung nach § 123 BGB sind nach der Hilfsbegründung des LAG vorliegend nicht erfüllt. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger seine Offenbarungspflicht vollständig und richtig erfüllt hat. Es ist zwar zwischen den Parteien streitig, ob der Kläger bei den Einstellungsverhandlungen nicht nur auf seine Schwierigkeiten mit der Bandscheibe hingewiesen, sondern darüber hinaus auch erklärt hat, er habe keine Beschwerden mehr. Nach der von der Revision nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und deswegen für den Senat bindenden tatsächlichen Würdigung des LAG ist aber nicht diese Erklärung des Klägers ursächlich für den Abschluß des Einstellungsvertrages gewesen, sondern insoweit das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung.

Unerheblich ist ferner, ob der Kläger gegenüber dem Betriebsarzt unwahre Angaben gemacht hat, indem er versichert hat, er sei beschwerdefrei und könne jede Arbeit ausführen. Insoweit hat das LAG festgestellt, die Beklagte habe ihre Anfechtung nicht auf die Angaben gegenüber dem Betriebsarzt, sondern auf die falsche Beantwortung der Frage nach der Gleichstellung gestützt.


3. Nach der herrschenden Meinung, der sich der Senat anschließt, darf der Arbeitgeber jedoch bei den Einstellungsverhandlungen den Bewerber uneingeschränkt nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft oder der Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten befragen. Der Arbeitnehmer ist dann zur wahrheitsgemäßen Beantwortung dieser Frage verpflichtet (vgl. Bleistein, BlStSozArbR 1969, 172; Braasch, Handbuch des Arbeitsrechts, Teil VII B, § 12 SchwbG Anm. 7 S. 156; Brill, AuR 1968, 136, 140, und BIStSozArbR 1985, 113 f.; Degener, Das Fragerecht des Arbeitgebers gegenüber Bewerbern, 1975, S. 127 ff.; Dietz/Richardi, BetrVG, 6. Aufl., § 94 Rz. 12; Falkenberg, BB 1970, 1015; Gröninger, aaO, § 12 Anm. 4 b aa; Haberkorn, RdA 1962, S. 418; Hümmerich, BB 1979, 428, 430; KR-Etzel, 2. Aufl., §§ 12-17 SchwbG Rz. 28; Neumann, DB 1961, 1291 f.; Rewolle/ Dörner, SchwbG, Stand Juli 1984, § 12 Anm. III 5 e; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 6. Aufl., S. 98; Sommer, AR-Blattei, Anfechtung I, unter B II 2; Weber, aaO, § 1 Anm. 8; Wilrodt/Neumann, aaO, § 12 Rz. 45). Auch der Senat ist bereits in den Urteilen vom 25.3.1976 (AP Nr. 19 zu § 123 BGB) und vom 7.7.1984 (AP Nr. 26 zu § 123 BGB) ohne nähere Begründung davon ausgegangen, der Arbeitgeber dürfe uneingeschränkt nach der Schwerbehinderteneigenschaft fragen.

a) Das Fragerecht des Arbeitgebers und die entsprechende Pflicht des Arbeitnehmers zur wahrheitsgemäßen Beantwortung folgt insoweit aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), der auch das vorvertragliche Anbahnungsverhältnis der Parteien beherrscht (Hofmann, ZfA 1975, 7, 27; Haberkorn, aaO; Neumann, aaO). Es ist allerdings davon auszugehen, daß insoweit gegensätzliche Interessen bestehen. Der künftige Arbeitgeber ist daran interessiert, von dem Bewerber alle für das konkret beabsichtigte Arbeitsverhältnis erforderlichen Tatsachen zu erfahren, um den Arbeitsplatz mit einem geeigneten Bewerber besetzen zu können. Der Bewerber hingegen ist daran interessiert, möglichst wenig aus seinem persönlichen Bereich offenbaren zu müssen, um nicht Gefahr zu laufen, den Arbeitsplatz nicht zu erhalten.

Bei Abwägung dieser gegensätzlichen Interessen des Arbeitsplatzbewerbers und des Arbeitgebers überwiegt nach Auffassung des Senats das des zukünftigen Arbeitgebers daran zu erfahren, ob der Bewerber Schwerbehinderter ( § 1 SchwbG) oder Gleichgestellter (§ 2 SchwbG) ist, und zwar grundsätzlich unabhängig davon, welche Auswirkung die Schwerbehinderteneigenschaft oder die Gleichstellung sowie die zugrundeliegende Behinderung konkret für die in Aussicht genommene Tätigkeit hat.
Bei der Frage nach Schwerbehinderteneigenschaft oder der Gleichstellung, die für die Durchführung und die Abwicklung des beabsichtigten Arbeitsverhältnisses von erheblicher Bedeutung ist, muß gegenüber dem objektiv schutzwürdigeren Interesse des Arbeitgebers das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes und an der Unverletzbarkeit seiner Individualsphäre zurücktreten.


b) Das vorrangige Interesse des Arbeitgebers folgt aus den besonderen gesetzlichen Verpflichtungen, die für ihn durch die Beschäftigung Schwerbehinderter entstehen, d.h. aus der rechtlichen und wirtschaftlichen Tragweite und der betrieblichen Auswirkungen, die sich für den Arbeitgeber aus der Einstellung und Beschäftigung eines Schwerbehinderten (§ 1 SchwbG) oder eines Gleichgestellten (§ 2 SchwbG) ergeben (BAG AP Nr. 26 zu § 123 BGB; Hümmerich, aaO, S. 430; Wilrodt/Neumann, aaO, § 12 Rz. 45). So trifft den Arbeitgeber neben der Melde- und Mitwirkungspflicht gegenüber dem Arbeitsamt und der Hauptfürsorgestelle nach § 12 SchwbG die Pflicht zur beruflichen Förderung des Schwerbehinderten nach § 11 SchwbG.
Von besonderer Bedeutung ist im vorliegenden Zusammenhang der besondere Kündigungsschutz nach den Bestimmungen der §§ 12 bis 19 SchwbG, der durch das Erfordernis der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle nicht nur den Bestandsschutz nach § 1 KSchG oder § 626 BGB verstärkt, sondern in den Fällen, in denen das KSchG nicht oder noch nicht eingreift, gegenüber ordentlichen Kündigungen überhaupt erst begründet und für Arbeiter gegenüber § 622 BGB die regelmäßige Kündigungsfrist nach § 13 SchwbG auf vier Wochen verlängert.

Ein Schwerbehinderter und ein diesem gleichgestellter Arbeitnehmer ist zudem nicht uneingeschränkt einsetzbar, sondern er kann z.B. nach § 43 SchwbG verlangen, von Mehrarbeit freigestellt zu werden. Diese mit der Einstellung eines Schwerbehinderten verbundenen erhöhten Vertragsrisiken des Arbeitgebers rechtfertigen einerseits das uneingeschränkte Fragerecht des Arbeitgebers und andererseits die Pflicht des Arbeitnehmers, die Frage nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderung wahrheitsgemäß zu beantworten. Anders als bei der Frage nach der Körperbehinderung (BAG AP Nr. 26 zu § 123 BGB) kommt eine Beschränkung auf Schwerbehinderungen, die erfahrungsgemäß die Eignung des Arbeitnehmers für die vorgesehene Tätigkeit beeinträchtigen, insbesondere deswegen nicht in Betracht, weil der Schwerbehindertenschutz auf Dauer den Inhalt der Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis prägt (Dietz/Richardi, aaO, § 94 Rz. 12).

Für einen Arbeitnehmer, der nach § 2 Abs. 1 SchwbG einem Schwerbehinderten gleichgestellt ist, kann hinsichtlich des Fragerechts des Arbeitgebers und der Auskunftspflicht des Bewerbers nichts anderes gelten. Auch für diesen Personenkreis finden die Vorschriften des Schwerbehindertengesetzes gemäß § 2 Abs. 2 SchwbG bis auf den Zusatzurlaub nach § 44 SchwbG Anwendung und allein diese Ausnahme rechtfertigt wegen der Vielzahl der genannten sonstigen Pflichten keine andere Beurteilung.


c) (...)

Neben den bereits behandelten Verpflichtungen des Arbeitgebers, die sich aus dem SchwbG ergeben, hat die Beklagte entgegen der Würdigung des LAG auch wegen der Beschäftigungspflicht nach den §§ 4 ff. SchwbG ein schutzwürdiges Interesse daran gehabt, den Kläger nach der Schwerbehinderteneigenschaft oder seiner Gleichstellung zu fragen. Die Beklagte hatte zwar bei der Einstellung des Klägers ihre Beschäftigungspflicht nach § 4 SchwbG erfüllt und brauchte deswegen damals keine Ausgleichsabgabe nach § 8 SchwbG zu bezahlen. Das hätte sich jedoch im Laufe der Beschäftigung des Klägers infolge Ausscheidens anderer Schwerbehinderter ändern können und die Beklagte wäre dann wegen der wahrheitswidrigen Angaben des Klägers nicht in der Lage gewesen, auch ihn auf die gesetzliche Pflichtquote anzurechnen.

Dem LAG kann auch nicht in der Begründung gefolgt werden, die Einschränkung der Fragepflicht sei deswegen erforderlich, weil das SchwbG anders als das MuSchG nicht nur den Sinn habe, dem Schwerbehinderten den bereits erworbenen Arbeitsplatz zu sichern, sondern auch bezwecke, dem Behinderten oder Gleichgestellten die Eingliederung in das Arbeitsleben zu erleichtern. Dieser Schutzzweck würde in sein Gegenteil verkehrt, wenn dem Arbeitgeber allein wegen des besonderen Schutzes des Schwerbehinderten ein Interesse zugebilligt würde, von der Schwerbehinderteneigenschaft oder der Gleichstellung zu erfahren. Mit dieser Würdigung hat das LAG aus dem Zweck des SchwbG zu weitgehende Rechtsfolgen hergeleitet.

Das SchwbG begründet in den §§ 4 ff., 41 nur eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung des Arbeitgebers gegenüber dem Staat mit dem Inhalt, im Rahmen der festgelegten Pflichtzahl Schwerbehinderte auf einem entsprechenden Arbeitsplatz einzustellen und zu beschäftigen. Diese Einstellungspflicht besteht jedoch nicht den einzelnen Schwerbehinderten gegenüber (vgl. Braasch, aaO, § 4 Anm. 5 S. 63; Gröninger/Thomas, aaO, § 4 Anm. 2 a; Wilrodt/Neumann, aaO, § 4 Rz. 10). Der Arbeitgeber hat danach grundsätzlich die Wahl, welchen oder welche Schwerbehinderten er einstellen will. Er ist nach der Erfüllung der Pflichtquote nicht gezwungen, einem Schwerbehinderten den Vorzug vor einem anderen Bewerber zu geben.
Auch aus § 11 SchwbG, der die Pflichten des Arbeitgebers gegenüber Schwerbehinderten regelt und den Arbeitgeber verpflichtet, bei der Besetzung freier Arbeitsplätze zu prüfen, ob Schwerbehinderte beschäftigt werden können, läßt sich kein Einstellungsanspruch des Schwerbehinderten herleiten (Gröninger/Thomas, aaO, § 11 Anm. 3 a; Braasch, aaO, § 11 Anm. 20 S. 143).
Der Verpflichtung, Schwerbehinderte bei Einstellungen bevorzugt zu behandeln, kann der Arbeitgeber im übrigen auch nur dann gerecht werden, wenn er weiß oder auf Befragen vom Bewerber erfährt, daß es sich bei dem Bewerber um einen Schwerbehinderten oder einen Gleichgestellten handelt.

Da das SchwbG das Interesse des Schwerbehinderten, als Arbeitnehmer eingestellt zu werden, damit nur in diesem beschränkten Umfang anerkannt und geregelt hat, widerspricht es nicht dem Zweck und dem Schutzgedanken dieses Gesetzes, die Frage des Arbeitgebers nach der Anerkennung als Schwerbehinderter oder nach der Gleichstellung bei den Einstellungsverhandlungen uneingeschränkt zuzulassen. Insoweit durchaus mit dem MuSchG vergleichbar (BAG AP Nr. 15 zu § 123 BGB und BAGE 3, 309, 312), beschränkt sich der individuelle Schutz des SchwbG des Schwerbehinderten oder des Gleichgestellten im Verhältnis zum Arbeitgeber darauf, ihm den bereits erworbenen Arbeitsplatz, nicht aber auch die Eingehung des Arbeitsvertrages selbst, d.h. den Erwerb des Arbeitsplatzes unter allen Umständen zu sichern.


3. Die unrichtige Einschränkung der Fragepflicht hat das LAG veranlaßt, keine Feststellungen darüber zu treffen, ob der Kläger bei den Einstellungsverhandlungen nach der Gleichstellung gefragt worden ist, ob er diese Frage verstanden hat, und ob die Beklagte deswegen i. S. des § 123 Abs. 1 BGB durch arglistige Täuschung seitens des Klägers dazu bestimmt worden ist, dem Kläger den Abschluß eines Arbeitsvertrages anzubieten, bzw. das Angebot des Klägers anzunehmen.
Diese Feststellungen hat das LAG ebenso nachzuholen, wie die tatrichterliche Würdigung, ob für den Abschluß des Einstellungsvertrages die vom Kläger verneinte Gleichstellung als Schwerbehinderter oder nur das Ergebnis der ärztlichen Untersuchung ursächlich gewesen ist. Nach den zutreffenden Ausführungen der Revision hat das LAG die Frage der Kausalität nur im Zusammenhang mit der von der Beklagten behaupteten Angabe des Klägers geprüft, er habe aufgrund seiner Schwierigkeiten mit der Bandscheibe keine Beschwerden. Auf die unrichtige Beantwortung der Frage nach der Gleichstellung bezieht sich diese Würdigung des LAG hingegen nicht.

Rechtszug:

vorhergehend Urteil des LArbG München vom 22.12.1982 - 9 Sa 452/82

Referenznummer:

KARE296490803


Informationsstand: 01.01.1990