Der Kläger war seit Anfang 1989 als Maschinenformer für die Beklagte tätig. Bei seiner Einstellung verneinte er die Frage der Beklagten nach einer Schwerbehinderung, obwohl er bereits seit 1987 als Schwerbehinderter mit einem Behinderungsgrad von 60 % anerkannt ist. Er leidet an dem Verlust der linken Niere, an Nierensteinen und einer Funktionsstörung der rechten Niere sowie an einer degenerative Veränderungen der Wirbelsäule und an Ischialgien Chondropathia patellae. Der von ihm unterschriebene Arbeitsvertrag enthält den Vermerk: "Schwerbehinderter: Nein".
Die vom Kläger zu verrichtende Tätigkeit besteht darin, daß Sand zunächst in den Formkasten gekippt, anschließend gerüttelt und schließlich mit einem Pressluftstampfer bearbeitet wird. Der Formkasten muß dabei teilweise manuell aus der Vorrichtung herausgenommen werden. Die Tätigkeit wird zu 90 % im Stehen ausgeführt und ist eine körperlich schwere Arbeit.
Ende März 1992 teilte der Kläger der Beklagten nach einer arbeitsmedizinischen Voruntersuchung auf Anraten der Betriebsärztin mit, daß er Schwerbehinderter sei. Die Beklagte focht daraufhin den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an.
Der Kläger hat die Unwirksamkeit der von der Beklagten erklärten Anfechtung geltend gemacht und die Ansicht vertreten, die Betriebsärztin habe ihn sowohl bei der Einstellungsuntersuchung als auch bei einer weiteren Untersuchung im März 1992 für die Tätigkeit als Maschinenformer als tauglich angesehen. Im Laufe von drei Jahren habe er gezeigt, daß er trotz seiner Behinderung seine arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllen könne.
Die Beklagte hat sich mit ihrem klageabweisenden Antrag darauf berufen, daß der Kläger die Tätigkeit als Maschinenformer bei seinem Leiden und seiner Behinderung auf Dauer nicht ausüben könne. Das bestätigten seine nicht unerheblichen Krankheitszeiten in der Vergangenheit. Im Hinblick auf die Tätigkeit sei mit einer weiteren Zunahme der Arbeitsunfähigkeitszeiten zu rechnen, wenn das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werde. Der Kläger sei sich bei Einstellung über die Konsequenzen der Verneinung seiner Schwerbehinderteneigenschaft bewußt gewesen, denn er habe im März 1992 sein früheres Verschweigen damit begründet, daß er nicht eingestellt worden wäre, wenn er die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft wahrheitsgemäß beantwortet hätte.
Das
BAG hat die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung
gem. § 123
Abs. 1
BGB als wirksam angesehen.
1) Nach ständiger Rechtsprechung des
BAG (seit
BAG AP
Nr. 2 zu § 123
BGB) kann grundsätzlich der Arbeitsvertrag auch durch Anfechtung gemäß § 123
Abs. 1
BGB beendet werden. Das Anfechtungsrecht wird nicht durch das Recht zur außerordentlichen Kündigung verdrängt. Der Tatbestand der arglistigen Täuschung gemäß § 123
BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, daß der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn zur Abgabe einer Willenserklärung veranlaßt. Die Täuschung muß sich auf objektiv nachprüfbare Umstände beziehen; subjektive Werturteile genügen nicht (Soergel/ Hefermehl,
BGB, 12. Aufl., § 123 Rz. 3; Staudinger/Dilcher,
BGB, 12. Aufl., § 123 Rz. 4).
Die Täuschung kann durch positives Tun, also insbesondere durch Behaupten, Unterdrücken oder Entstellen von Tatsachen erfolgen. Sie kann aber auch in dem Verschweigen von Tatsachen bestehen, sofern der Erklärende zur Offenbarung der fraglichen Tatsache verpflichtet ist. Das gilt auch im Zusammenhang mit der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen. Wird der Arbeitnehmer bei der Einstellung nach dem Vorliegen einer bestimmten Tatsache befragt, so ist er, falls die Frage zulässig ist, zu deren wahrheitsgemäßer Beantwortung verpflichtet (
BAG AP
Nr. 15 und 30 zu § 123
BGB).
Ein Fragerecht wird dem Arbeitgeber im allgemeinen nur insoweit zugestanden, als er ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage für das Arbeitsverhältnis hat (
BAG AP
Nr. 31 zu § 123
BGB). Wie in der Rechtsprechung des
BAG weiter klargestellt worden ist, stellt nicht jede falsche Angabe bei der Einstellung eine arglistige Täuschung i.
S. des § 123
BGB dar, sondern nur eine falsche Antwort auf eine zulässig gestellte Frage (
BAG AP
Nr. 35 zu § 123
BGB).
Für den Bereich der Schwerbehinderten besteht sowohl in der Literatur als auch der Rechtsprechung Einigkeit darüber, daß der Schwerbehinderte von sich aus nicht über die bestehende Behinderung aufklären muß, soweit die Tätigkeit dadurch nicht unmöglich gemacht wird (
BAG AP
Nr. 19 zu § 123
BGB). Dem Arbeitgeber wird jedoch das Recht zugestanden, nach der Schwerbehinderteneigenschaft zu fragen; der Arbeitnehmer hat die Pflicht, darauf wahrheitsgemäß zu antworten (
BAG AP
Nr. 26 zu § 123
BGB; AP
Nr. 30 zu § 123
BGB).
2 a) Durch die wahrheitswidrige Beantwortung der zulässigen Frage hat der Kläger einen Irrtum über den wahren Sachverhalt hervorgerufen.
b) Die Täuschung muß widerrechtlich gewesen sein. Nach § 123
Abs. 1
BGB ist diese Voraussetzung bei der Täuschung nicht ausdrücklich genannt. Der Gesetzgeber ist aber davon ausgegangen, die arglistige Täuschung sei immer rechtswidrig. Dies wäre allerdings zu verneinen, wenn ein Arbeitnehmer vor seiner Anstellung in unzulässiger Weise befragt wird (
BAG AP
Nr. 35 zu § 123
BGB).
Der Senat ist bisher davon ausgegangen, der Arbeitgeber habe bei den Verhandlungen über den Abschluß eines Arbeitsvertrages ein uneingeschränktes Recht, einen Bewerber nach dem Vorliegen einer Schwerbehinderteneigenschaft oder einer Gleichstellung zu fragen (
BAG AP
Nr. 26 zu § 123
BGB).
Das Fragerecht des Arbeitgebers und die entsprechende Pflicht des Arbeitnehmers zur wahrheitsgemäßen Beantwortung folgten aus dem Grundsatz von Treu und Glauben. Im vorvertraglichen Anbahnungsverhältnis seien die zu berücksichtigenden Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber gegensätzlich. Die Interessen des Arbeitnehmers am Schutz seines Persönlichkeitsrechtes und an der Unverletzbarkeit seiner Individualsphäre müßten gegen die Interessen des Arbeitgebers zurücktreten. Die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft erfolge unabhängig davon, welche Auswirkung sie und die zugrundeliegende Behinderung konkret auf die in Aussicht genommene Tätigkeit habe. Das vorrangige Interesse des Arbeitgebers ergebe sich aus den besonderen gesetzlichen Verpflichtungen, die für ihn durch die Beschäftigung Schwerbehinderter entstünden, und zwar aus der rechtlichen und wirtschaftlichen Tragweite und den betrieblichen Auswirkungen, die sich für ihn aus der Einstellung und Beschäftigung eines Schwerbehinderten ergäben (
BAG AP
Nr. 26 § 123
BGB).
c) An dem uneingeschränkten Fragerecht des Arbeitgebers (dazu kritisch Düwell, Praxishandbuch Arbeitsrecht, Teil 8; Kap. 5.1.2, Stand November 1988,
S. 15 f.) ist jedenfalls für die vorliegende Fallkonstellation festzuhalten. Es kann dahingestellt bleiben, ob das Fragerecht ausgehend vom Schutzzweck des Schwerbehindertengesetzes nur unter arbeitsplatzbezogenen Gesichtspunkten zulässig ist.
Der Kläger war aufgrund seiner Behinderungsleiden zumindest auf Dauer für die vertraglich geschuldete Tätigkeit nur beschränkt einsetzbar. Er leidet nicht nur an Nierenerkrankungen, die sich möglicherweise noch nicht unmittelbar auf seine Leistungsfähigkeit als Maschinenformer auswirkten. Aber die degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule und die Chondropathia patellae (
lt. Pschyrembel, Klinisches Wörterbuch, 255. Aufl.: Degenerative Knorpelveränderung der Kniescheibe, die in Arthrose übergehen kann) lassen den Kläger bei seiner körperlich schweren Tätigkeit als Maschinenformer gerade unter arbeitsplatzbezogenen Gesichtspunkten als nur eingeschränkt verwendbar erscheinen.
Die Relevanz des Fragerechts kann vorliegend schon deshalb nicht verneint werden, weil dem Arbeitgeber u.a. in § 618
BGB aufgegeben wird, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, daß niemand ohne Not gesundheitlich gefährdet wird (
BAG AP
Nr. 15 zu § 618
BGB). Hätte sich der Kläger bei seiner Tätigkeit einen Gesundheitsschaden oder auch nur eine Verschlechterung seiner gesundheitlichen Konstitution zugezogen, wäre u.a. eine Schadenersatzpflicht der Beklagten nach § 618
Abs. 3
BGB in Betracht gekommen (u.a. Palandt/Putzo,
BGB, 52. Aufl., § 618 Rz. 8; Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 7. Aufl., § 108 III 2 c,
S. 821 und 178 V 5 d,
S. 1344). Das bedeutet, daß die Beklagte den Kläger wegen der Gesundheitsgefährdung nicht einmal beschäftigen darf. Schon deshalb kann ihr Interesse an der Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht verneint werden.
d) Das gilt unabhängig davon, daß das Schwerbehindertengesetz überhaupt nur im beschränkten Umfang das Interesse des Schwerbehinderten regelt, als Arbeitnehmer eingestellt zu werden. Der individuelle Schutz zugunsten des Schwerbehinderten im Verhältnis zum Arbeitgeber beschränkt sich darauf, ihm den bereits erworbenen Arbeitsplatz, nicht aber auch die Eingehung des Arbeitsvertrages selbst, d.h. den Erwerb des Arbeitsplatzes unter allen Umständen zu sichern (
BAG AP
Nr. 30 zu § 123
BGB).
Insofern belegt die Neuregelung des § 20
SchwbG, wonach das Erfordernis der Zustimmung der Hauptfürsorgestelle in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses entfallen ist, eher, daß hiermit eine abschließende Regelung des Gesetzgebers über die erleichterte Einstellung Schwerbehinderter beabsichtigt war (anders Düwell, aaO,
S. 17 f.). Ansonsten hätte nichts näher gelegen, als eine dem § 611 a
BGB entsprechende Bestimmung in das Schwerbehindertengesetz aufzunehmen.
e) Zwischen der Täuschungshandlung und der Willenserklärung besteht vorliegend auch Kausalität. Die Täuschungshandlung muß zu einem Irrtum des Getäuschten führen, und der Irrtum muß für eine Willenserklärung ursächlich sein, die der Getäuschte ohne die Täuschung nicht, mit anderem Inhalt oder jedenfalls nicht zu diesem Zeitpunkt abgegeben hätte (
BGH NJW 1958, 177; NJW 1964, 811).
Es genügt für die Kausalität, daß die Täuschung für den Willensentschluß mitbestimmend war, wobei es ausreicht, wenn der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluß von Bedeutung sein können, und wenn die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei dem Abschluß eines Vertrages einen Einfluß auf die Entscheidung haben kann (
BGH NJW 1958, 177).
Im Streitfall hat die Beklagte durch ihre Frage nach der Schwerbehinderung zu erkennen gegeben, daß diese Tatsache für sie - nicht zuletzt im Hinblick auf die vom Kläger auszuübende Tätigkeit - von erheblicher Bedeutung war. Die Täuschung des Klägers, daß keine Schwerbehinderung vorliege, bildete unter diesen Umständen nach der Lebenserfahrung einen Umstand, der die Beklagte zum Abschluß des Arbeitsvertrages bewogen hat.
f) Der Täuschende muß schließlich arglistig gehandelt haben. Arglistig ist die Täuschung dann, wenn sie vorsätzlich zu dem Zweck vorgenommen wird, den Willen des Getäuschten zu beeinflussen. Es genügt aber auch bedingter Vorsatz, also das Bewußtsein, daß die Täuschung den anderen zu der Erklärung bestimmen könnte. Demnach reicht es aus, wenn der Täuschende weiß, daß seine Angaben unrichtig sind, er aber mit der Möglichkeit rechnet, der Erklärungsgegner könnte in seiner Entscheidung durch die Täuschung beeinflußt werden, und dies billigend in Kauf nimmt (BGHZ 7, 301, 302; 49, 155, 156; MünchKomm/Kraemer,
BGB, 2. Aufl., § 123 Rz. 7), wobei die bewußt unwahre Aussage den Vorsatz erkennen läßt, auf den Erklärungswillen des Arbeitgebers einzuwirken (MünchArbR/Richardi, § 44 Rz. 38).
Das arglistige Verhalten ist beim Kläger zu bejahen, weil er bewußt eine falsche Aussage abgegeben hat. Bereits dieser Umstand läßt den Vorsatz erkennen, auf den Erklärungswillen der Beklagten einzuwirken. Der Einwand des Klägers, er habe sich subjektiv in der Lage gefühlt, die vorgesehene Tätigkeit ohne Gefährdung für seine Gesundheit auszuüben und daher der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft keine Bedeutung beigemessen, ist kein Grund, den bedingten Vorsatz zu verneinen, weil es nicht auf den Irrtum über die Bedeutung der Frage, sondern auf die falsche Auskunft ankommt.
3) Die Anfechtung ist schließlich nicht wegen fehlender Betriebsratsanhörung unwirksam. Die Beklagte war nämlich bei der Anfechtung des Arbeitsvertrages des Klägers nicht zur Anhörung des Betriebsrates verpflichtet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats ist nach § 102
Abs. 1 Satz 3
BetrVG eine ohne Anhörung des Betriebsrates ausgesprochene Kündigung unwirksam. Dem Betriebsrat steht das Anhörungsrecht nur bei Kündigungen, nicht aber bei einer Anfechtung zu. Auch in der Literatur wird überwiegend die Beteiligung des Betriebsrates bei einer Anfechtung des Arbeitgebers verneint (Dietz/Richardi,
BetrVG, 6. Aufl., § 102 Rz. 25; Fitting/ Auffarth/Kaiser/Heither,
BetrVG, 17. Aufl., § 102 Rz. 10; Kraft,
GK-
BetrVG, 4. Aufl., § 102 Rz. 22; ausführlich: Picker, Anfechtung von Arbeitsverträgen, ZfA 1981, 1, 43
ff.).
Die Anfechtung ist gegenüber der Kündigung ein anderes Gestaltungsrecht. Bei ihr geht es ausschließlich um die dem Anfechtungsberechtigten eingeräumte Entscheidung über die Geltung oder Nicht-Geltung des Rechtsgeschäftes. Da der Betriebsrat nach § 99
BetrVG nicht die Einstellung eines Bewerbers erzwingen kann, muß der Arbeitgeber frei in seiner Entscheidung darüber sein, ob er den Arbeitsvertrag gelten läßt, nachdem der Anfechtungsgrund aufgedeckt ist ( Münch-ArbR-Richardi, § 44 Rz. 54,
m.w.N.).
4) Die Ausübung des Anfechtungsrecht war auch nicht treuwidrig nach § 242
BGB.
Nach ständiger Rechtsprechung steht die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung unter dem Vorbehalt von Treu und Glauben; die Anfechtung ist daher ausgeschlossen, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Ausübung des Anfechtungsrechts durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist (
BAG AP
Nr. 17 und 32 zu § 123
BGB). Bei der Ausübung des Anfechtungsrechts ist die Entwicklung des Arbeitsvertrages in der Vergangenheit zu beachten. Dabei kann sich ergeben, daß der Anfechtungsgrund soviel an Bedeutung verloren hat, daß er eine Auflösung des Arbeitsvertrages nicht mehr rechtfertigen kann (
BAG AP
Nr. 17 zu § 123
BGB). Der Anfechungsberechtigte wird zum Zeitpunkt der Anfechtung in die Lage versetzt, neu und unbeeinflußt vom Willensmangel über das Ob und Wie des Vertrages zu entscheiden.
Nach den Feststellungen des
LAG hat die Beklagte im März 1992 sichere Kenntnis vom objektiven und subjektiven Tatbestand der arglistigen Täuschung erlangt. Zu diesem Zeitpunkt bestand das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bereits fast drei Jahre. Dieser Zeitraum ist für sich allein nicht geeignet, den Umstand der arglistigen Täuschung zurücktreten zu lassen. Das gilt vorliegend schon deshalb, weil der Kläger wegen seiner Schwerbehinderungserkrankungen an 25 Arbeitstagen arbeitsunfähig war, was schon allein aufgrund der Lohnfortzahlungspflicht, die auch in Zukunft erneut eintreten kann, indiziert, daß der Anfechtungsgrund für die Beklagte nicht an Bedeutung verloren hat. Im übrigen sind auch hier die Überlegungen zu § 618
BGB von Bedeutung.