Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten (§ 123
BGB). Die vom Arbeitgeber ausdrücklich gestellte Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft muß ein Arbeitnehmer auch dann wahrheitsgemäß beantworten, wenn die Krankheit, die zu seiner Anerkennung als Schwerbehinderter geführt hat, keine Verminderung seiner Arbeitsleistung bewirkt, also tätigkeitsneutral ist.
I. Trotz der Säumnis der Beklagten in der Revisionsverhandlung war durch streitiges Urteil zu entscheiden. Erweist sich bei Säumnis des Revisionsbeklagten die Revision aufgrund des festgestellten Sachverhalts, § 561
ZPO, und etwaigen neuen zulässigen und rechtzeitig mitgeteilten Vorbringens als unbegründet, ist sie durch streitiges Urteil zurückzuweisen (
BAG AP
Nr. 3 zu § 10
BBiG; Zöller/Schneider,
ZPO, 18.Aufl., § 557 Rz. 4).
II. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist beendet. Die Beklagte hat den Arbeitsvertrag nach § 123
BGB wirksam angefochten, denn sie ist von der Klägerin arglistig getäuscht worden.
1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (seit
BAG AP
Nr. 2 zu § 123
BGB; zuletzt
BAG AP
Nr. 38 zu § 123
BGB) kann grundsätzlich der Arbeitsvertrag auch durch Anfechtung gemäß § 123
Abs. 1
BGB beendet werden. Der Tatbestand der arglistigen Täuschung gemäß § 123
BGB setzt in objektiver Hinsicht voraus, daß der Täuschende durch Vorspiegelung oder Entstellung von Tatsachen beim Erklärungsgegner einen Irrtum erregt und ihn zur Abgabe einer Willenserklärung veranlaßt.
Die Täuschung kann auch in einem Verschweigen von Tatsachen bestehen, wenn der Erklärende zur Offenbarung der entsprechenden Tatsache verpflichtet ist. Nicht jede falsche Angabe des Arbeitnehmers bei den Einstellungsverhandlungen stellt danach bereits eine arglistige Täuschung i.
S. des § 123
BGB dar, sondern nur eine falsche Antwort auf eine zulässig gestellte Frage (
BAG AP
Nr. 35 zu § 123
BGB). Ein Fragerecht des Arbeitgebers bei den Einstellungsverhandlungen wird nur insoweit anerkannt, als der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse an der Beantwortung seiner Frage im Hinblick auf das Arbeitsverhältnis hat. Ein solches berechtigtes Interesse ist nur dann gegeben, wenn das Interesse des Arbeitgebers so gewichtig ist, daß dahinter das Interesse des Arbeitnehmers, seine persönlichen Lebensumstände zum Schutz seines Persönlichkeitsrechts und zur Sicherung der Unverletzlichkeit seiner Individualsphäre geheimzuhalten, zurückzutreten hat (
BAG AP
Nr. 26 zu § 123
BGB).
Für den Bereich der Schwerbehinderten besteht sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung Einigkeit darüber, daß der Schwerbehinderte von sich aus nicht über die bestehende Behinderung aufklären muß, soweit ihm die Tätigkeit dadurch nicht unmöglich gemacht wird (
BAG AP
Nr. 19 zu § 123
BGB).
Dem Arbeitgeber wird jedoch das Recht zugestanden, nach der Schwerbehinderteneigenschaft zu fragen; der Arbeitnehmer hat die Pflicht, darauf wahrheitsgemäß zu antworten (
BAG AP
Nr. 26 zu § 123
BGB; AP
Nr. 30 zu § 123
BGB;
BAG 28.2.1991 - 2 AZR 515/90 - n.v.). Dieses uneingeschränkte Fragerecht hat der Senat begründet mit den besonderen gesetzlichen Verpflichtungen, die für den Arbeitgeber durch die Beschäftigung Schwerbehinderter entstehen; angesichts der rechtlichen und wirtschaftlichen Tragweite und der betrieblichen Auswirkungen der Einstellung schwerbehinderter Arbeitnehmer sei ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers an der wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft
bzw. Gleichstellung anzuerkennen. An dieser in der Literatur teilweise kritisierten (Großmann, NZA 1989, 702; Düwell, Praxishandbuch Arbeitsrecht, Teil 8, Kap. 5.1) Rechtsprechung hat der Senat in seinem Urteil vom 11. 11.1993 ( AP
Nr. 38 zu § 123
BGB) jedenfalls für die Fälle festgehalten, in denen die Schwerbehinderungserkrankung für die auszuübende Tätigkeit von Bedeutung ist und nur offengelassen, ob der Arbeitgeber auch bei tätigkeitsneutralen Behinderungen ein uneingeschränktes Fragerecht nach der Schwerbehinderteneigenschaft
bzw. Gleichstellung hat.
Ein solcher Fall liegt hier vor, denn nach den bindenden Feststellungen des
LAG (§ 561
ZPO) wird die von der Klägerin zu erbringende einfache Reinigungstätigkeit nicht wesentlich dadurch beeinträchtigt, daß die Klägerin auf einem Auge erblindet ist. Nach erneuter Prüfung hält der Senat auch für die Fälle einer tätigkeitsneutralen Schwerbehinderungserkrankung an der bisherigen Rechtsprechung fest.
2. Auch wenn die Behinderung für die auszuübende Tätigkeit ohne Bedeutung ist, darf der Arbeitgeber den Arbeitnehmer vor der Einstellung nach dessen Schwerbehinderteneigenschaft
bzw. Gleichstellung fragen. Die wahrheitswidrige Beantwortung dieser Frage kann eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung begründen.
a) Es muß deutlich unterschieden werden zwischen der Frage des Arbeitgebers nach einer Behinderung des Arbeitnehmers und der Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft (so schon
BAG AP
Nr. 26 zu § 123). Behinderung im Sinne des Schwerbehindertengesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht (§ 3
Abs. 1
SchwbG).
Solche Behinderungen auch mit einem Grad von wenigstens 50 können bei einem Stellenbewerber vorliegen, ohne daß er seine Anerkennung als Schwerbehinderter beantragt hat oder auch nur beantragen will, und ohne daß die Behinderung für die später auszuübende Tätigkeit von Bedeutung wäre. Da das Fragerecht nur berechtigte Interessen des Arbeitgebers schützt, hat der Senat die Frage nach der Behinderung nur zugelassen, wenn die Behinderung erfahrungsgemäß die Eignung des Stellenbewerbers für die vorgesehene Tätigkeit beeinträchtigt (
BAG Nr. 26 zu § 123
BGB).
Davon zu unterscheiden ist die Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft: Ist der Stellenbewerber als Schwerbehinderter anerkannt oder nach § 2
SchwbG einem Schwerbehinderten gleichgestellt, so knüpfen sich daran für den Arbeitgeber während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses zahlreiche gesetzliche Pflichten. Diese begründen ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, den Stellenbewerber bei den Einstellungsverhandlungen nach dem Schwerbehindertenstatus zu fragen.
b) Mit dem Versuch, eine Einschränkung des Fragerechts des Arbeitgebers aus dem
SchwbG herzuleiten, hat sich der Senat bereits in der Entscheidung vom 11.11.1993 (AP
Nr. 38 zu § 123
BGB) auseinandergesetzt.
Zwar ist den Kritikern, insbesondere Düwell (aaO) einzuräumen, daß das
SchwbG dem Arbeitgeber nicht lediglich ein Wahlrecht einräumt, ob er die Pflichtquote erfüllen oder die Ausgleichsabgabe zahlen will. Nach § 11
Abs. 1 Satz 2
SchwbG hebt die Zahlung der Ausgleichsabgabe die Pflicht zur Beschäftigung Schwerbehinderter nicht auf, und der Arbeitgeber, der Schwerbehinderte nicht nach dem festgesetzten Pflichtsatz beschäftigt, handelt nach § 68
Abs. 1
Nr. 1
SchwbG ordnungswidrig. Andererseits gewährt das
SchwbG den Behinderten aber auch keinen Einstellungsanspruch bei einem bestimmten Arbeitgeber, der
z.B. seine Pflichtquote noch nicht erfüllt hat.
Auch § 14
Abs. 1
SchwbG, auf den teilweise abgestellt wird, enthält nur die Pflicht des Arbeitgebers,
ggf. in Zusammenarbeit mit dem Arbeitsamt zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzt werden können. Wer bei den Einstellungsverhandlungen seinen Schwerbehindertenstatus verschweigt, macht dem Arbeitgeber aber gerade die Prüfung unmöglich, ob der Arbeitsplatz mit ihm als Schwerbehindertem bevorzugt besetzt werden kann; ebenso wird das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung (§ 14
Abs. 1
SchwbG) und das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats unterlaufen, der bei Einstellungen in dem Verfahren nach § 99
BetrVG die Interessen aller schwerbehinderten Stellenbewerber
bzw. der ihm von den zuständigen Stellen noch zu benennenden schwerbehinderten Stellenbewerber mitzuberücksichtigen hat und
ggf. dem Arbeitgeber gegenüber durchsetzen kann (
BAG AP
Nr. 100 zu § 99
BetrVG 1972; AP
Nr. 77 zu § 99
BetrVG).
Hat der Arbeitgeber im Vorfeld der Einstellung mit dem Arbeitsamt Kontakt aufgenommen und ist ihm kein geeigneter schwerbehinderter Arbeitnehmer benannt worden, so hat er seine Prüfungspflicht nach § 14
Abs. 1
SchwbG in vollem Umfang erfüllt. Eine Pflichtverletzung, an die irgendwelche Rechtsfolgen angeknüpft werden könnten, kann ihm dann nicht vorgeworfen werden.
Im vorliegenden Fall hat sich die Klägerin nach dem vom
LAG festgestellten Sachverhalt nicht einmal darauf berufen, die Beklagte habe ihre Prüfungspflicht nach § 14
Abs. 1
SchwbG verletzt. Die Beklagte weist im übrigen zu Recht darauf hin, daß bei der Prüfung, ob der Arbeitgeber nach § 14
Abs. 1
SchwbG einen Arbeitsplatz mit einem Schwerbehinderten besetzen kann, auch die Dauer der wöchentlichen Arbeitszeit eine Rolle spielt, da Schwerbehinderte mit einer Beschäftigungszeit von weniger als 18 Stunden wöchentlich nur im Ausnahmefall auf einen vollen Pflichtplatz anzurechnen sind (§ 9
Abs.2
SchwbG). Durch ihre wahrheitswidrige Antwort auf die Frage nach ihrem Schwerbehindertenstatus hat die Klägerin der Beklagten damit auch die Prüfung unmöglich gemacht, ob sie die Arbeitszeit der Klägerin geringfügig erhöhen und so eine Anrechnung auf einen vollen Pflichtsatz erreichen konnte.
c) Die Frage des Arbeitgebers nach dem Schwerbehindertenstatus des Arbeitnehmers ist mit der Frage nach der Schwangerschaft einer Arbeitnehmerin nicht, wie teilweise argumentiert wird, ohne weiteres vergleichbar. Hat der Arbe itgeber eine schwangere Arbeitnehmerin eingestellt, die ihn bei der Einstellung über ihren Zustand getäuscht hat, so löst allein die Tatsache der Schwangerschaft, ohne Antragstellung der Schwangeren und ohne behördliches Verfahren, für einen vorübergehenden Zeitraum finanzielle Belastungen des Arbeitgebers aus; da der Gesetzgeber geschlechtsbezogene Benachteiligungen bei der Begründung des Arbeitsverhältnisses ausdrücklich verboten hat (§ 611a
Abs. 1 Satz 1
BGB), hat die Rechtsprechung deshalb diese vorübergehenden finanziellen Belastungen des Arbeitgebers durch die Schwangerschaft der Arbeitnehmerin nicht als ausreichend angesehen, das Arbeitsverhältnis aufgrund der Täuschung endgültig zu lösen.
Liegt demgegenüber beim Arbeitnehmer eine Funktionsstörung vor, die möglicherweise eine Schwerbehinderung begründet, so hat es der Arbeitnehmer in der Hand, ob er seine Anerkennung als Schwerbehinderter betreiben will (
BSG 26.2.1986 BehindR 1986, 43). Hat er dies getan, so ergeben sich für den Arbeitgeber aus dem Schwerbehindertenstatus nachteilige Folgen, die regelmäßig während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses fortwirken.
d) In das System des gesetzlichen Schutzes der Schwerbehinderten paßt es nicht, wenn einzelne Schwerbehinderte gewissermaßen auf einem zweiten Weg die Einstellung bei einem bestimmten Arbeitgeber durch falsche Angaben über ihren Schwerbehindertenstatus erreichen, erst nach Ablauf der Sechs-Monats-Frist des § 20
Abs. 1 Ziff. 1
SchwbG dem Arbeitgeber ihre Schwerbehinderteneigenschaft offenbaren und entsprechende Ansprüche (Zusatzurlaub, besonderen Kündigungsschutz
etc.) geltend machen. Wer den gesetzlichen Schwerbehindertenschutz für sich in Anspruch nimmt, ist nicht darauf angewiesen, ihn auf der Basis einer Notlüge bei den Einstellungsverhandlungen bei einem bestimmten Arbeitgeber zu realisieren.
Der Gesetzgeber hat ein System geschaffen, das Schwerbehinderte auch dann nicht vom Arbeitsmarkt ausschließt, wenn sie ihren Schwerbehindertenstatus bei der Einstellung offenbaren. Würde die Rechtsprechung als flankierende Maßnahme ein Recht zur falschen Beantwortung der Frage nach dem Schwerbehindertenstatus anerkennen, so würde dies nur denen nützen, deren gesundheitliche Defizite nicht äußerlich erkennbar sind (so ausdrücklich Däubler, Das Arbeitsrecht 2,
S.87), was Sinn und Zweck des
SchwbG zuwiderliefe, das
z.B. gerade auf Teilzeitarbeitsplätzen die Beschäftigung der Schwerbehinderten fördert, die wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung auf solche Arbeitsplätze angewiesen sind (
vgl. § 9
Abs. 2 Satz 2
SchwbG).
e) Die Antwort der Bundesregierung vom 23.4.1994 auf die große Anfrage zur Beschäftigungssituation Schwerbehinderter (BT-Drucks. 12/7139) läßt zwar erkennen, daß noch Defizite bei der Umsetzung der Konzeption des
SchwbG bestehen. Andererseits ist aber die Beschäftigungsquote, berücksichtigt man die Tatsache, daß die Vermittelbarkeit der Schwerbehinderten auf dem Arbeitsmarkt geringer sein dürfte als die der Nichtbehinderten, nicht so schlecht, daß es gerechtfertigt oder gar erforderlich wäre, über den Weg der unauffälligen Integration in den Arbeitsprozeß letztlich einen Verdrängungswettbewerb zu fördern zwischen den nicht erkennbar Behinderten, die über falsche Angaben bei der Einstellung einen Arbeitsplatz erzwingen können, und den schwerer Behinderten, die die Einschaltung der Hauptfürsorgestelle nötig haben.
Während der Gesetzgeber ersichtlich angestrebt hat, die Lasten der Eingliederung Schwerbehinderter in den Arbeitsprozeß gesamtwirtschaftlich sinnvoll unter Berücksichtigung insbesondere der Schwerbehinderten gleichmäßig auf alle Arbeitgeber zu verteilen, würde mit der von der Revision angestrebten Rechtsprechungsänderung eine Akzentverschiebung stattfinden: Unabhängig von den konkreten Umständen (ob der Arbeitgeber die Pflichtquote bereits erfüllt hat, ob er bei der konkreten Einstellung seinen Pflichten aus § 14
Abs. 1
SchwbG nachgekommen ist, ob er anstatt eines Teilzeitbeschäftigten lieber einen schwerbehinderten Vollzeitbeschäftigten einstellen möchte) würden die Arbeitgeber ohne hinreichenden Grund stärker als alle anderen belastet, bei denen überdurchschnittlich viele unerkannt schwerbehinderte Arbeitnehmer durch unzutreffende Angaben bei den Einstellungsverhandlungen einen Arbeitsplatz erlangt haben.
Allein die Tatsache, daß bundesweit die gesetzliche Pflichtquote nicht erfüllt wird, vermag eine solche Rechtsprechungsänderung nicht zu rechtfertigen.
3. Auch wenn man den durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27.10.1994 eingefügten
Nr. 3
Abs. 3 Satz 2
GG mitberücksichtigt, ist die von der Revison begehrte Einschränkung des Fragerechts des Arbeitgebers nicht geboten. Nach
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG darf zwar niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Eine § 611 a
BGB vergleichbare einzelgesetzliche Regelung zur Durchsetzung dieses Benachteiligungsverbots fehlt aber.
a)
Art. 3
Abs. 3
GG will verhindern, daß das Individuum durch die Einordnung in eine durch Diskriminierung gefährdete Gruppe stigmatisiert und benachteiligt wird (Pfarr, NZA 1995, 809, 810). Von daher war durchaus zu prüfen, ob die Grundgesetzänderung durch ausdrückliche Aufnahme des Verbots der Diskriminierung Behinderter in
Art. 3
Abs. 3
GG es nicht erforderlich macht, den Behindertenschutz beim Zugang zu einem Arbeitsverhältnis vorzuverlegen und das Fragerecht einzuschränken.
b) Die Gesetzesmaterialien zum Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes weisen aber nicht darauf hin, daß durch die Einführung des
Art. 3
Abs. 3 Satz 2
GG hinsichtlich des Fragerechts des Arbeitgebers eine Änderung der Rechtslage eingetreten ist (anders wohl Käppler, ZfA 1995, 274, 276). Der Gesetzgeber stellt auf eine Diskriminierung der Behinderten im Alltagsleben in Form von Vorurteilen, Stigmatisierung und Kontaktvermeidung ab. Das durch die Verfassungsergänzung eingeführte spezielle Diskriminierungsverbot soll ein deutliches Signal in der Öffentlichkeit setzen und damit einen gewichtigen Anstoß für einen Bewußtseinswandel in der Bevölkerung geben (BT-Drucks. 12/6323,
S.11, 12).
Damit zielt die Grundgesetzänderung in erster Linie auf den Schutz der Behinderten, die, unabhängig von der Frage ihrer Anerkennung, in der Gefahr stehen, derart in der Form von Vorurteilen, Stigmatisierung und Kontaktvermeidung diskriminiert zu werden. Dies bedeutet nicht, daß neben dem durch das
SchwbG geförderten offiziellen Weg des Zugangs Schwerbehinderter zum Arbeitsmarkt ein weiterer Weg der unauffälligen Integration in den Arbeitsprozeß gerade der Behinderter gefördert werden muß, deren Behinderung nicht ohne weiteres erkennbar und auch für die auszuübende Tätigkeit nicht von Bedeutung ist.
Hat sich ein Behinderter entschlossen, was stets seiner freien Entscheidung überlassen bleibt, den Schutz des
SchwbG in Anspruch zu nehmen und seine Anerkennung als Schwerbehinderter zu beantragen, so ist es ihm zumutbar, den Zugang zu einem Beschäftigungsverhältnis über das gesetzlich geregelte System des
SchwbG zu suchen.
4. Unter Beachtung dieser Grundsätze hat das Berufungsgericht eine arglistige Täuschung der Klägerin gegenüber der Beklagten rechtsfehlerfrei angenommen.
a) Die Klägerin hat bei dem Einstellungsgespräch die Frage nach ihrer Schwerbehinderteneigenschaft falsch beantwortet. Unstreitig ist sie von dem Personalsachbearbeiter nach unvollständiger Ausfüllung des Personalfragebogens ausdrücklich nach ihrer Schwerbehinderteneigenschaft gefragt worden und hat auf diese Frage mit nein geantwortet, woraufhin der Fragebogen entsprechend ergänzt worden ist. Durch die wahrheitswidrige Beantwortung der zulässigen Frage hat die Klägerin einen Irrtum über den wahren Sachverhalt hervorgerufen.
b) Die Täuschung war auch widerrechtlich. Die Frage des Beklagten nach der Schwerbehinderteneigenschaft war uneingeschränkt zulässig, unabhängig davon, ob die Beklagte überhaupt der Beschäftigungspflicht unterlag (§ 5
Abs. 1
SchwbG), ob
ggf. in ihrem Betrieb die Pflichtplätze besetzt waren und ob die Beklagte bei der Bewerberauswahl ihre Pflichten aus § 14
Abs. 1
SchwbG hinreichend erfüllt hat.
c) Nach den Feststellungen des
LAG, an die der Senat gebunden ist (§ 561
ZPO), war die Täuschungshandlung auch kausal für die Willenserklärung der Beklagten. Es genügt für die Kausalität, daß die Täuschung für den Willensentschluß mitbestimmend war, wobei es ausreicht, wenn der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluß von Bedeutung sein könnten, und wenn die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei dem Abschluß eines Vertrages einen Einfluß auf die Entscheidung haben kann (
BAG AP
Nr. 38 zu § 123
BGB). Im Streitfall hat die Beklagte durch ihre Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft zu erkennen gegeben, daß diese Tatsache für sie von erheblicher Bedeutung war. Die Täuschung der Klägerin, es liege keine Schwerbehinderung vor, bildete unter diesen Umständen nach der Lebenserfahrung einen Umstand, der die Beklagte zum Abschluß des Arbeitsvertrages bewogen hat.
d) Die Klägerin hat auch arglistig gehandelt. Arglistig ist die Täuschung dann, wenn sie vorsätzlich zu dem Zweck vorgenommen wird, den Willen des Getäuschten zu beeinflussen. Es genügt insoweit bedingter Vorsatz, also das Bewußtsein, daß die Täuschung den anderen zu der Erklärung bestimmen könnte. Deshalb reicht es aus, wenn der Täuschende weiß, daß seine Angaben unrichtig sind, er aber mit der Möglichkeit rechnet, der Erklärungsgegner könnte in seiner Entscheidung durch die Täuschung beeinflußt werden, und dies billigend in Kauf nimmt, wobei die bewußt unwahre Aussage den Vorsatz erkennen läßt, auf den Erklärungswillen des Arbeitgebers einzuwirken. Nach den Feststellungen des
LAG, die von der Revision nicht angegriffen werden, lagen diese Voraussetzungen vor. Die Klägerin mußte nach dem Verlauf der Einstellungsverhandlungen erkennen, daß in der Schwerbehinderteneigenschaft ein entscheidender Umstand lag, von dem ihre Einstellung abhing. Trotzdem hat sie die Frage des Personalsachbearbeiters falsch beantwortet.
5. Die Revision rügt erfolglos, die Beklagte habe den Personalfragebogen ohne Zustimmung des in ihrem Betrieb bestehenden Betriebsrats verwendet. Diese erstmals im Revisionsverfahren erhobene Einwendung kann der Senat schon deshalb nicht berücksichtigen, weil hierfür tatsächliche Feststellungen des Berufungsgerichts fehlen (§ 561
ZPO).
6. Auch wegen fehlender Betriebsratsanhörung ist die Anfechtung nicht unwirksam. Bei der Anfechtung des Arbeitsvertrages nach § 123
BGB steht dem Betriebsrat kein Anhörungsrecht zu (
BAG AP
Nr. 38 zu § 123
BGB).
7. Die Ausübung des Anfechtungsrechts durch die Beklagte ist schließlich auch nicht als treuwidrig nach § 242
BGB anzusehen.