Urteil
Entschädigung wegen der Annahme einer Behinderung und darauf beruhender Nichteinstellung

Gericht:

LAG München 8. Kammer


Aktenzeichen:

8 Sa 112/08


Urteil vom:

08.07.2008


Leitsatz:

Entschädigung wegen der Annahme einer Behinderung und darauf beruhender Nichteinstellung - Fragen nach Krankheiten bei Vorstellungsgesprächen.

Rechtsweg:

ArbG Regensburg Urteil vom 05.12.2007 - 3 Ca 1161/07 S -
BAG Urteil vom 17.12.2009 - 8 AZR 670/08

Quelle:

Arbeitsgerichtsbarkeit Bayern

Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das Endurteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 05.12.2007 - Az.: 3 Ca 1161/07 S - aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten über eine Entschädigung wegen Diskriminierung.

Der Kläger ist promovierter Diplom-Biologe. Der Beklagte ist Arzt und betreibt u. a. die Fa. M. C., die in der Forschung und Entwicklung im Bereich Medizin tätig ist.

Der Beklagte hatte über die Bundesagentur für Arbeit eine Stelle für einen Biologen oder Tierarzt mit akademischem Titel zur Mitarbeit an wissenschaftlichen Studien und in der klinischen Forschung ausgeschrieben (vgl. Bl. 6 ff. d. A.). Mit Schreiben vom 30.07.2006 bewarb sich der Kläger auf diese Stellenanzeige. Am 01.08.2006 fand in den Geschäftsräumen des Beklagten ein Vorstellungsgespräch statt. Im Rahmen dieses Vorstellungsgesprächs musste der Kläger zunächst einen Test absolvieren, welcher in einer Internetrecherche und der Erstellung einer Powerpoint-Präsentation bestand. Des Weiteren sollte über einen wissenschaftlichen Aufsatz ein Kurzvortrag in englischer Sprache gehalten werden.

Bei diesem ersten Vorstellungsgespräch erzählte der Kläger, dass er in den letzten Jahren keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen sei, da er seine kranke Mutter habe pflegen müssen. Außerdem berichtete er von einem tödlichen Verkehrsunfall seines Bruders. Auch über Gehaltsvorstellungen wurde gesprochen.

Am 08.08.2006 fand ein weiteres Vorstellungsgespräch statt, an dem neben dem Kläger der Zeuge N. für den Beklagten teilnahm. Anlässlich des Gesprächs fragte dieser den Kläger, ob er in psychiatrischer Behandlung sei. Er wurde von diesem Zeugen aufgefordert zu unterschreiben, dass dies nicht der Fall sei. Bei diesem zweiten Gespräch wurde der Kläger auf eine mögliche Tätigkeit als freier Mitarbeiter angesprochen.

Am 13.09.2006 fand eine weitere Besprechung statt, bei der auch der Beklagte anwesend war. Nachdem der Kläger diesen gefragt hatte, warum der Zeuge N. ihn nach seinem Gesundheitszustand befragt habe, antwortete der Beklagte, dass der steife Gang des Klägers auf "Morbus Bechterev" schließen lasse. "Morbus Bechterev" führe bei Patienten häufig zu Depressionen. Der Beklagte forderte den Kläger auf, sich von ihm hinsichtlich des Wirbelsäulenzustandes untersuchen und röntgen zu lassen. Dieser war aber mit einer Untersuchung nicht einverstanden. Des Weiteren wurde über eine Tätigkeit des Klägers als freier Mitarbeiter im Rahmen eines Buchprojekts gesprochen. Hierzu wurden ihm zwei Bücher zum Einlesen überlassen.

Eine weitere Kontaktaufnahme erfolgte zunächst nicht. Am 02.10.2006 erfolgte ein Schreiben des Zeugen N. an den Kläger, wonach man bedauere, dass dieser sich nicht mehr gemeldet habe und man davon ausgehe, dass er kein Interesse an einer Mitarbeit bei dem Buchprojekt habe. Es wurde um Rücksendung der Bücher gebeten. Eine weitere Antwort erfolgte vonseiten des Klägers nicht. Schließlich wurde er unter dem 14.11.2006 aufgefordert, die Bücher zurückzusenden, was mit anwaltlichem Schreiben vom 30.11.2006 wiederholt wurde. Der Kläger brachte die Bücher daraufhin persönlich am 11.12.2006 zurück.

Mit Schreiben vom 12. 12.2006 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass seine Bewerbung nicht berücksichtigt werden konnte (vgl. Bl. 9 d. A.).

Im vorliegenden Verfahren macht der Kläger eine Entschädigungszahlung geltend, da er unter Verletzung des Benachteiligungsverbotes nicht eingestellt worden sei.

Der Kläger war erstinstanzlich der Auffassung, dass er wegen einer vonseiten des Beklagten angenommenen Behinderung nicht eingestellt worden sei. Insoweit liege eine Diskriminierung vor. Aufgrund der Fragen des Zeugen N. und des Beklagten nach evtl. Erkrankungen des Klägers sei zu schließen, dass er wegen einer vonseiten des Beklagten angenommenen Erkrankung bzw. Behinderung nicht eingestellt worden sei. Denn im Rahmen der Vorstellungsgespräche sei nach Krankheiten gefragt worden, die häufig zu einer Behinderung führen. Aufgrund der üblicherweise für die ausgeschriebene Stelle zu zahlenden monatlichen Vergütung in Höhe von EUR 4.539,57, welche sich aus der Vergütung im öffentlichen Dienst für eine entsprechende Stelle ergebe, habe der Kläger daher Anspruch auf Entschädigung in Höhe von drei Monatsvergütungen, also insgesamt in Höhe von EUR 13.618,71. Er sei für die ausgeschriebene Stelle auch fachlich geeignet gewesen. Auch seine Gehaltsvorstellungen seien nicht für die Absage der Bewerbung maßgeblich gewesen.


Der Kläger beantragte erstinstanzlich:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 13.618,71 nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 22. 01.2007 zu zahlen.


Der Beklagte beantragte:

Klageabweisung.

Er war erstinstanzlich der Auffassung, dass ein Entschädigungsanspruch nicht in Betracht komme, da die Bewerbung des Klägers nicht aus den von ihm angegebenen Gründen, sondern lediglich wegen seiner Gehaltsvorstellungen und der Ergebnisse des Eignungstests nicht erfolgreich gewesen sei. Er habe Teile des Eignungstests nicht bestanden. Aufgrund seiner Gehaltsvorstellungen habe man bereits nach dem ersten Gespräch lediglich noch eine freie Mitarbeit seinerseits in Betracht gezogen. Da der dann eingestellte Bewerber besser abgeschnitten habe, sei dieser zum Zuge gekommen. Lediglich aufgrund der Schilderungen des Klägers im ersten Vorstellungsgespräch habe man ihn nach psychiatrischen Erkrankungen gefragt. Diese Frage sei aber für die Einstellung unmaßgeblich gewesen.

Im Übrigen wird auf die erstinstanzlichen Schriftsätze der Parteien sowie die Sitzungsniederschriften, einschließlich der vorgenommenen Beweisaufnahme, Bezug genommen.

Mit dem angegriffenen Endurteil des Arbeitsgerichts Regensburg vom 05.12.2007 hat dieses der Klage in Höhe eines Betrages von EUR 8.000,-- stattgegeben. Es hat dies damit begründet, dass aufgrund der vonseiten des Klägers geschilderten Abläufe der Vorstellungsgespräche Indizien dafür vorgelegen hätten, dass der Beklagte bei ihm eine Behinderung vermutet habe und er deshalb nicht eingestellt worden sei. Er sei in jedem Fall für die ausgeschriebene Stelle geeignet gewesen und habe sich hierauf auch ernsthaft beworben. Aufgrund der Fragen des Zeugen N. nach einer psychiatrischen Behandlung, insbesondere nach einer behandlungsbedürftigen Depression, sei davon auszugehen, dass dieser ein erhebliches Krankheitsbild angenommen habe, das die berufliche Tätigkeit des Klägers maßgeblich beeinträchtigen könnte. Aufgrund der Schwere der anzunehmenden Depression und ihres üblichen Behandlungsverlaufs sei daher von einer Behinderung i. S. d. § 1 AGG auszugehen.
Wegen der vonseiten des Zeugen N. und des Beklagten gestellten Fragen sei daher eine Vermutung dafür gegeben, dass diese angenommene Behinderung für die Auswahlentscheidung mit maßgeblich gewesen sei. Diese Vermutungswirkung habe der Beklagte auch nicht widerlegen können. Zwar habe der Zeuge N. bei seiner Einvernahme bekundet, dass der Kläger aufgrund des Ergebnisses des Tests bereits nach dem ersten Vorstellungsgespräch nicht mehr für eine Einstellung in Betracht gezogen worden sei. Dem stehe aber entgegen, dass der Beklagte im Rahmen des ersten schriftsätzlichen Vortrags sich nur auf Gehaltsvorstellungen des Klägers als maßgeblichen Entscheidungsgrund berufen habe. Gehaltsvorstellungen aber seien nach Aussage des Zeugen N. nicht entsprechend entscheidend gewesen. Da der Zeuge K. die Eignung des Klägers bestätigt habe, sei auch nicht davon auszugehen, dass dieser wegen der Ergebnisse des Tests nicht genommen wurde und da die Frage des Zeugen N. nach eigenem Bekunden sogar für die Tätigkeit als freier Mitarbeiter maßgeblich gewesen sei, sei erst Recht davon auszugehen, dass die gesundheitliche Eignung auch im Rahmen der Festanstellung maßgeblich gewesen sei. Aufgrund einer anzunehmenden erzielbaren Vergütung in Höhe von EUR 4.000,-- sei im Rahmen einer Gesamtabwägung dem Kläger ein Entschädigungsanspruch in Höhe von zwei Monatsvergütungen, also in Höhe von EUR 8.000,-- zuzubilligen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Beklagten mit Schriftsatz vom 08.02.2008, am gleichen Tag am Landesarbeitsgericht München eingegangen. Der Beklagte trägt im Rahmen der fristgerechten Begründung der Berufung vor, dass der Kläger schon die Ansprüche nicht im Rahmen der Ausschlussfrist des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht habe. Bereits im Rahmen des zweiten Vorstellungsgesprächs sei ihm mitgeteilt worden, dass er für die Festanstellung nicht mehr in Betracht komme. Insoweit sei die Frist versäumt. Er habe sich auch nicht ernsthaft beworben. Dies zeige sein Verhalten in Bezug auf die Rückgabe der ihm anvertrauten Bücher. Auch eine Benachteiligung wegen einer Behinderung habe er nicht hinreichend nachgewiesen. Eine Behinderung liege bei ihm gerade nicht vor. Eine mutmaßliche Behinderung in der Vorstellung des Beklagten reiche für eine Entschädigung nicht aus. Allenfalls sei eine Erkrankung angesprochen worden, welche zu einer Behinderung führen könne. Eine derartige Benachteiligung sei aber nicht ausreichend. Der Kläger habe auch keine hinreichenden Indizien für das Vorliegen einer Benachteiligung schildern können. Jedenfalls liege aufgrund der geschilderten Tatsachen keine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür vor, dass er wegen einer vermuteten Behinderung benachteiligt worden sei. Er sei auch deshalb für die Stelle nicht in Betracht gekommen, da er überhöhte Gehaltsvorstellungen gehabt habe, was sich darin dokumentiere, dass die tatsächlich zum Zuge gekommenen Bewerber für die Stelle jeweils nur EUR 2.200,-- monatlich verdient hätten. Der Kläger sei darüber hinaus auch wegen des
Ergebnisses der Tests nicht genommen worden. Für die ausgeschriebene Stelle seien die Internetrecherche und die Powerpointpräsentation im Vordergrund gestanden. Hierbei habe der Kläger schlechtere Ergebnisse erzielt als andere Bewerber. Daher sei zumindest eine Indizwirkung widerlegt.


Der Beklagte beantragt:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts Regensburg - Az.: 3 Ca 1161/07 S - wird aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.


Der Kläger beantragt:

Zurückweisung der Berufung.

Er ist der Auffassung, die Frist zur Geltendmachung der Entschädigung sei eingehalten, da ihm ausweislich der Aussage des Zeugen N. die ablehnende Entscheidung noch nicht im zweiten oder dritten Vorstellungsgespräch mitgeteilt worden sei. Dies sei erst mit der schriftlichen Mitteilung vom 12.12.2006 geschehen. Für die Entschädigungszahlung sei es ausreichend, wenn nachgewiesen werde, dass wegen der Annahme des Vorliegens eines Benachteiligungsgrundes i. S. d. § 1 AGG die Bewerbung abgelehnt worden sei. Dies sei im vorliegenden Falle aufgrund der Fragen des Zeugen N. und des Beklagten der Fall gewesen. Nicht maßgeblich sei, ob eine Behinderung tatsächlich vorliege, aufgrund der Fragen des Zeugen N. und des Beklagten habe aber darauf geschlossen werden können, dass diese vom Vorliegen einer Behinderung ausgegangen seien. Denn die Fragen hätten auf Erkrankungen abgezielt, welche regelmäßig eine Behinderung beinhalteten. Der Beklagte habe auch die Vermutungswirkung der Indizien nicht widerlegen können. Insoweit sei die Aussage des Zeugen N. nicht hinreichend gewesen, um wenigstens eine Mitursächlichkeit auszuschließen.

Im Übrigen wird auf den zweitinstanzlichen Sachvortrag in den Schriftsätzen vom 10.02.2008 und 07.05.2008 sowie auf die Sitzungsniederschrift vom 08.07.2008 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist auch begründet.

I.

Die gem. § 64 Abs. 2 b ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und daher zulässig (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

Die Berufung ist auch begründet.

1. Voraussetzung für den vom Kläger geltend gemachten Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ist, dass er unter Verletzung des Benachteiligungsverbots des § 7 Abs. 1 i. V. m. § 1 AGG nicht eingestellt wurde. Eine derartige Benachteiligung liegt vor, wenn er in Form der Nichteinstellung eine ungünstigere Behandlung erfahren hat als andere Personen, d. h. andere Bewerber. Verboten ist diese ungünstigere Behandlung, wenn sie wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes - im vorliegenden Fall kommt nur das Merkmal der Behinderung in Betracht - erfolgt. Die Bewerbung muss dabei ernsthaft erfolgt sei, für die getroffene Einstellungsentscheidung muss das Merkmal der Behinderung zumindest mitursächlich gewesen sein. Der Anspruch muss schließlich rechtzeitig innerhalb der Frist des § 15 Abs. 4 AGG geltend gemacht worden sein.

Entgegen der Auffassung der ersten Instanz ist die Berufungskammer der Meinung, dass der Kläger nicht hinreichend nachweisen konnte, dass eine Benachteiligung wegen des Merkmals der Behinderung im Rahmen der Stellenbesetzung beim Beklagten erfolgt ist.

a) Das Gericht konnte es letztlich dahingestellt sein lassen, ob der Kläger rechtzeitig die Entschädigung geltend gemacht hat. Hierfür spricht in jedem Fall die Tatsache, dass die schriftliche Ablehnung erst mit dem Schreiben vom 12.12.2006 erfolgt ist. Nach der Aussage des Zeugen N. bezüglich des dritten Vorstellungsgesprächs war bis dahin auch dem Kläger die ablehnende Entscheidung nicht mitgeteilt worden. Jedenfalls war der Aussage dieses Zeugen nicht zu entnehmen, dass bereits im Rahmen des zweiten Vorstellungsgesprächs eine eindeutige Ablehnung gegenüber dem Kläger zum Ausdruck gebracht wurde. Insoweit ist die Frist des § 15 Abs. 4 AGG gewahrt.

b) Das Gericht hat darüber hinaus auch keine Zweifel, dass sich der Kläger ernsthaft auf die ausgeschriebene Stelle beworben hat (vgl. hierzu z. B. LAG Baden-Württemberg Beschluss vom 13.08.2007 - 3 Ta 119/07). Aufgrund seiner beruflichen Qualifikation und seines Verhaltens im Rahmen der Vorstellungsgespräche kann nicht darauf geschlossen werden, dass er nicht ernsthaft an einer Bewerbung interessiert war. Allein die Tatsache, dass er sich im Rahmen der Rückgabe der Bücher möglicherweise ungeschickt verhalten hat, lässt nicht darauf schließen, dass er an einer Festanstellung nicht interessiert war. Ggf. bezog sich sein Verhalten allenfalls auf die zuletzt im Gespräch befindliche Tätigkeit als freier Mitarbeiter.

c) Der Kläger war auch objektiv für die Position geeignet. Selbst wenn er hinsichtlich der zu erfüllenden Qualifikationen nicht die Erwartungen des Beklagten erfüllt hat, kann daraus noch nicht geschlossen werden, dass er für die ausgeschriebene Stelle objektiv völlig ungeeignet gewesen wäre. Dies ergibt sich im Übrigen auch aus der Aussage des Zeugen K., der die Eignung des Klägers generell bestätigt hat. Immerhin hat dieser Zeuge die Eignungstests auch durchgeführt. Demgemäß hat der Beklagte auch nicht hinreichend dargelegt, dass der Kläger dem Anforderungsprofil, das der Arbeitgeber zulässigerweise aufstellen darf, nicht entsprochen habe. Der Kläger erfüllte die Anforderungen, die aus der Stellenausschreibung ersichtlich waren. Er hat lediglich die vonseiten des Beklagten an die Qualität der Erfüllung der Aufgaben gestellten Anforderungen im Test nicht erreicht. Die generelle Eignung für die ausgeschriebene Stelle hat der Zeuge K. hinreichend herausgestellt.

d) Dennoch ist die Berufungskammer der Auffassung, dass aus den vonseiten des Klägers dargestellten Indizien nicht darauf geschlossen werden kann, dass er wegen einer beim Beklagten vorhandenen Vorstellung einer Behinderung nicht für die ausgeschriebene Stelle ausgewählt wurde.

aa) Die Kammer ist zwar der Auffassung, dass die vonseiten des Klägers geschilderten und letzten Endes unstreitigen Fragen des Zeugen N. im Hinblick auf eine psychiatrische Erkrankung des Klägers bzw. auch die Fragen des Beklagten bezüglich seiner Bereitschaft zur Untersuchung auf Vorliegen der Erkrankung "Morbus Bechterev" eindeutig darauf schließen lassen, dass die Auswahlentscheidung zumindest auch von diesen Fragen mit geprägt war. Wie bereits das erstinstanzliche Gericht festgestellt hat, lassen gerade die Nachhaltigkeit der entsprechenden Fragen, z. B. auch die Äußerung des Zeugen N., wonach die Schilderungen des Klägers im Rahmen des ersten Vorstellungsgesprächs ihm auffällig vorgekommen sei, sowie auch das Begehren auf Ausstellen einer schriftlichen Erklärung, der Kläger sei nicht in psychiatrischer Behandlung, deutlich darauf schließen, dass derartige Erkrankungen für die Auswahlentscheidung der Beklagten mit entscheidend waren.

Der Zeuge N. hat darüber hinaus auch im Rahmen seiner Zeugeneinvernahme die Indizwirkung nicht eindeutig widerlegen können. Eine eindeutige Aussage dahingehend, dass aufgrund der Gehaltsvorstellungen des Klägers dieser nicht zum Zuge gekommen sei, kann der Aussage dieses Zeugen nicht entnommen werden. Dieser hat die Gehaltsvorstellungen des Klägers nahezu nicht zur Kenntnis genommen. Er hat auch nichts dafür dargelegt, dass etwa im Rahmen interner Besprechungen die Gehaltsvorstellungen des Klägers als das maßgebliche Kriterium zur Auswahl herangezogen worden wären. Soweit der Beklagte sich auf die Eignung des Klägers infolge des Nichtbestehens des Tests in bestimmten Teilen berufen hat, so hat dies zwar der Zeuge N. bestätigt, aus der Nachhaltigkeit der Nachfrage des Zeugen oder auch des Beklagten zum Gesundheitszustand des Klägers kann jedoch geschlossen werden, dass selbst neben einer ggf. zweifelhaften Eignung des Klägers bzw. einem besseren Abschneiden des Mitbewerbers auch die gesundheitlichen Fragen für den Beklagten von maßgeblicher Bedeutung waren.

Aufgrund der Nachhaltigkeit der Nachfragen ist daher die Kammer durchaus der Auffassung, dass diese Indizien für die Mitursächlichkeit bei der gefundenen Entscheidung des Beklagten sprechen und dieser tatsächlich im Rahmen seiner Entscheidung angenommen hat, dass bestimmte gesundheitliche Probleme beim Kläger vorhanden sein könnten, was für die letzten Endes getroffene Auswahlentscheidung auch zumindest mit ursächlich war. Dies ist aber auch ausreichend, um vom Grundsatz her den Entschädigungsanspruch auszulösen. Der zu missbilligende Grund muss nur Bestandteil eines Motivbündels sein, das zur Entscheidung geführt hat (vgl. BAG Urteil vom 05.02.2004 - 8 AZR 112/03 zu § 611a BGB).

bb) Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG ist jedoch, dass gem. § 7 Abs. 1, 2. Halbsatz AGG die Benachteiligung darin besteht, dass die Nichteinstellung wegen der Annahme des Vorliegens eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt. Dass dies der Fall war, kann die Kammer jedoch nicht erkennen.

Dem Anspruch steht zwar nicht entgegen, dass der Kläger unstreitig nicht behindert ist. Entscheidend für eine Benachteiligung ist das Vorliegen "innerer Tatsachen", d. h. die Motivation des Benachteiligenden. Dies ergibt sich aus der Formulierung des § 7 Abs. 1, 2. Halbsatz AGG (vgl. Bauer/Göpfert/Krieger AGG § 7 Rn. 10).

Zwar mag beim Beklagten, wie oben dargestellt, die Annahme vorhanden gewesen sein, dass der Kläger in gesundheitlicher Hinsicht Beeinträchtigungen aufzuweisen hat. Die Kammer ist aber nicht der Auffassung, dass der Beklagte diesbezüglich auch vom Vorliegen einer Behinderung i. S. d. § 1 AGG ausgegangen ist.

Das AGG selbst enthält keine Begriffsbestimmung für die Behinderung. Nach § 2 Abs. 1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Da das AGG nur von dem Benachteilungsmerkmal Behinderung und nicht Schwerbehinderung spricht, ist Voraussetzung jedenfalls nicht, dass eine Schwerbehinderung i. S. d. SGB IX vorliegt. Ausreichend ist in jedem Fall eine Behinderung.

Das Gericht konnte es letztlich dahingestellt sein lassen, ob die Definition des § 2 Abs. 1 SGB IX auch dem Begriff der Behinderung i. S. d. AGG zugrunde zu legen ist. Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 11.07.2006 (NZA 2006, 839) dargelegt, was unter der Behinderung i. S. d. Richtlinie 2000/78/EG, zu deren Umsetzung das AGG auch erlassen wurde, zu verstehen ist. Danach muss es sich um eine Einschränkung handeln, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet. Des Weiteren muss wahrscheinlich sein, dass die Einschränkung von langer Dauer ist. Der Europäische Gerichtshof ist in dieser Entscheidung insoweit auch zu dem Ergebnis gekommen, dass Krankheit als solche nicht ohne weiteres ein verbotenes Diskriminierungsmerkmal darstellt. Erst wenn die Krankheit den Grad der Behinderung erreicht, wird sie vom Diskriminierungsverbot erfasst (vgl. hierzu auch BAG Urteil vom 03.04.2007 - 9 AZR 823/06). Krankheit alleine ist jeder regelwidrige körperliche und geistige Zustand (vgl. z. B. BAG Urteil vom 07.08.1991 - 5 AZR 410/ 90). Nicht jede Krankheit ist daher mit einer Behinderung gleichzusetzen. Maßgebliches Unterscheidungsmerkmal ist insoweit die Dauerhaftigkeit (vgl. EuGH a. a. O.).

Entscheidend erscheint insoweit, ob die vonseiten des Klägers im Rahmen der Vorstellungsgespräche geschilderten Fragen unzulässig waren und insoweit auf eine Benachteiligung wegen einer angenommenen Behinderung schließen lassen.

Grundsätzlich ist der Arbeitgeber berechtigt, die gesundheitliche Eignung des Arbeitnehmers für die in Aussicht genommene Tätigkeit zu erkunden oder sie im Wege einer Einstellungsuntersuchung überprüfen zu lassen. Er darf nur nicht wegen einer Behinderung diskriminieren (vgl. Däubler/Bertzbach AGG § 7 Rn. 35).

Bereits unter diesem Blickwinkel erscheint es der Kammer nicht als unzulässige Diskriminierung, wenn der Arbeitgeber nach psychischen Erkrankungen fragt, die die Eignung für die auszuübende Tätigkeit durchaus beeinträchtigen könnten, zumal wenn man der Ansicht des Erstgerichts folgen würde und erhebliche Beeinträchtigungen in der Leistungsfähigkeit infolge von Depressionen oder "Morbus Bechterev" annehmen würde.

Selbst wenn man aber die generelle Eignung des Klägers für die Tätigkeit nicht in Zweifel ziehen und insoweit als Anlass für die Fragen nur das Interesse des Arbeitgebers sehen würde, die Anzahl der Arbeitsunfähigkeitstage möglichst gering zu halten (vgl. BAG Urteil vom 03.04.2007 - 9 AZR 823/06 a. E.), so läge dennoch nur eine Frage nach einer Krankheit und nicht nach einer Behinderung bzw. nach einem Grundleiden, das unter Umständen zu Einschränkungen führen kann, vor. Eine Benachteiligung deswegen ist aber nicht unzulässig (vgl. Bauer/ Göpfert/Krieger AGG § 1 Rn. 41 a).

Die Kammer ist insoweit der Auffassung, dass den Fragen des Zeugen N. und des Beklagten insoweit nicht zu entnehmen ist, dass diese Personen bereits vom Grad einer Behinderung ausgegangen sind. Zunächst zielen die Fragen auf das Vorliegen einer Erkrankung ab. Dies umfasst sowohl eine psychische Erkrankung als auch ggf. "Morbus Bechterev", wobei die Darstellung der Aussagen des Beklagten durch den Kläger im dritten Vorstellungsgespräch vor allem auf eine psychische Erkrankung abzielen, da der Beklagte aus der Erkrankung "Morbus Bechterev" die häufige Folge einer Depression ableitet. Aus den Fragen nach dem Vorliegen derartiger Erkrankungen kann aber nicht geschlossen werden, dass die Entscheidungsträger bei der Besetzung der Stelle davon ausgegangen sind, dass der Kläger bereits derart schwerwiegende Beeinträchtigungen aufzuweisen hat, dass von einer lang andauernden Behinderung der Teilhabe am Berufsleben auszugehen ist. Dies schließt die Kammer insbesondere daraus, dass der Beklagte mit dem Kläger durchaus weitere Gespräche zumindest im Rahmen auch einer Tätigkeit als freier Mitarbeiter geführt hat.
Aber auch gerade für eine Tätigkeit als freier Mitarbeiter wäre es von maßgeblichem Interesse, ob dieser ggf. an derartigen lang andauernden Beeinträchtigungen leidet. Obwohl der Kläger es also abgelehnt hat, eine schriftliche Erklärung über fehlende psychiatrische Behandlung vorzulegen bzw. sich auf "Morbus Bechterev" untersuchen zu lassen, hat der Beklagte eine freie Mitarbeit durchaus in Betracht gezogen. Dies zeigt die Tatsache, dass mit dem Kläger bezüglich der Mitarbeit beim Buchprojekt zwei Vorstellungsgespräche geführt und ihm diesbezüglich auch bereits Bücher zur Vorbereitung ausgehändigt wurden. Wäre dem Beklagten die Untersuchung auf "Morbus Bechterev" so maßgeblich gewesen, dass er hier bereits das Vorliegen einer Behinderung, also einer physischen, geistigen oder psychischen Beeinträchtigung von langer Dauer, angenommen hätte, hätte dieser kaum die Beschäftigung des Klägers im Rahmen einer freien Mitarbeit in Betracht gezogen. Jedenfalls spricht dies dagegen, dass der Beklagte, selbst wenn er vom Vorliegen bzw. der Gefahr einer Erkrankung des Klägers ausgegangen ist, jedenfalls eine Schwere der Erkrankung i. S. einer Behinderung in Betracht gezogen hat.
Selbst wenn der Beklagte also durch seine und diejenigen Fragen des Zeugen N., die er sich zurechnen lassen muss, ein Indiz dafür gesetzt hat, dass er das Vorhandensein ggf. von Erkrankungen beim Kläger angenommen hat, so heißt dies nicht gleichzeitig, dass er auch vom Vorliegen derart schwerwiegender dauerhafter Beeinträchtigungen ausgegangen ist, dass diese bereits als Behinderung anzusehen wären. Selbst wenn Erkrankungen wie Depressionen oder "Morbus Bechterev" ab einem bestimmten Stadium den Grad der Behinderung erreichen können, kann aus Fragen danach nicht ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass der Fragende das Vorliegen einer Behinderung annimmt. Der Schutz des AGG geht insoweit auch nicht so weit, dass der nicht genommene Bewerber davor geschützt werden soll, dass die ablehnende Entscheidung darauf basiert, dass der Stellenbesetzer annimmt, der Bewerber könne in Zukunft das Stadium der Behinderung erreichen. Der Schutz tritt erst ein, wenn die Benachteiligung deswegen erfolgt, weil der potenzielle Arbeitgeber vom Vorliegen einer Behinderung ausgeht und deswegen die Stelle nicht vergibt.

Da die Berufungskammer daher der Auffassung ist, dass eine Benachteiligung allenfalls insoweit angenommen werden konnte, als von der Annahme beim Beklagten auszugehen ist, dass dieser das Vorliegen von Krankheiten, aber nicht das Vorliegen einer Behinderung beim Kläger vermutete, war auf die Berufung des Beklagten hin das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

III.

Gem. § 72 Abs. 2 ArbGG wurde die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen, da dem Rechtsstreit eine grundsätzliche Bedeutung im Hinblick auf den Schutz des AGG bei vermuteter Behinderung bzw. künftig möglichem Eintreten der Behinderung zukommt.

Referenznummer:

R/R3138


Informationsstand: 27.04.2009