Urteil
Entschädigung wegen Diskriminierung bei der Stellenbesetzung aufgrund einer vermuteten Behinderung

Gericht:

BAG 8. Senat


Aktenzeichen:

8 AZR 670/08


Urteil vom:

17.12.2009


Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG:

1. Die ungerechtfertigte Benachteiligung eines Beschäftigten ist nach dem eindeutigen Wortlaut von § 7 Abs. 1 Halbs. 2 AGG auch dann untersagt, wenn der Benachteiligende ein Diskriminierungsmerkmal nach § 1 AGG nur annimmt.

2. Die in einem Bewerbungsgespräch gestellten Fragen nach näher bezeichneten gesundheitlichen Beeinträchtigungen können je nach den Einzelfallumständen auf die Nachfrage, ob eine Behinderung vorliege, schließen lassen bzw. darauf, dass der Fragesteller eine solche Behinderung mutmaßt.

3. Bedient sich der Arbeitgeber bzw. Dienstherr bei der Anbahnung eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses eigener Mitarbeiter oder Dritter, so ist ihm deren Verhalten in der Regel zuzurechnen.

4. Nach der gesetzlichen Beweislastregelung gem. § 22 AGG genügt es, dass der Antragsteller Indizien vorträgt und im Streitfall beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Dabei ist kein zu strenger Maßstab anzulegen. Es ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Indizienanschluss für eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Benachteiligungsmerkmal zulassen. Vielmehr reicht es aus, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung hierfür eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Sodann trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

5. Nach § 33 Abs. 1 AGG, der sich entgegen seinem Wortlaut nicht nur auf Benachteiligungen wegen des Geschlechts und sexueller Belästigungen bezieht, ist das vor Inkrafttreten des AGG geltende Recht auf Sachverhalte anzuwenden, die am 18.08.2006 bereits abgeschlossen waren. Das AGG ist anzuwenden, wenn nach dem 17.08.2006 Tatsachen entstehen, die für die Benachteiligungsverbote des AGG erheblich sind. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Benachteiligungshandlung, bei einer Stellenbesetzung also regelmäßig der Zeitpunkt der ihr zugrunde liegenden Entscheidung des Arbeitgebers.

Quelle: Der Betrieb 11/2010

Pressemitteilung:

(Nr. 118/09)

Nach § 7 Abs. 1 Halbs. 2 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) ist die Benachteiligung eines Beschäftigten auch dann untersagt, wenn der Benachteiligende ein Diskriminierungsmerkmal nur annimmt. Die in einem Bewerbungsgespräch gestellten Fragen nach näher bezeichneten gesundheitlichen Beeinträchtigungen können auf die Nachfrage, ob eine Behinderung vorliege, schließen lassen.

Der Beklagte ist Arzt und Inhaber einer in der Forschung und Entwicklung im Medizinbereich tätigen Firma. Er hatte über die Bundesagentur für Arbeit eine Stelle für einen Biologen oder Tierarzt mit akademischem Titel zur Mitarbeit an wissenschaftlichen Studien und in der klinischen Forschung ausgeschrieben. Der Kläger - ein promovierter Diplom-Biologe - hat sich erfolglos darauf beworben. Während eines der Bewerbungsgespräche wurde der Kläger gefragt, ob er psychiatrisch oder psychotherapeutisch behandelt werde und aufgefordert zu unterschreiben, dass dies nicht der Fall sei. Außerdem äußerte der Beklagte, dass bestimmte Anzeichen beim Kläger auf Morbus Bechterew (eine chronisch verlaufende entzündlich-rheumatische Erkrankung) schließen ließen.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger eine Entschädigungszahlung nach § 15 Abs. 2 AGG. Das Arbeitsgericht hat der Klage teilweise stattgegeben; das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Beklagten die Klage abgewiesen. Der Argumentation des Landesarbeitsgerichts, der Beklagte habe mit seinen Fragen und Äußerungen nur auf das Vorliegen einer Krankheit und nicht einer Behinderung gezielt, ist der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts nicht gefolgt. Die Sache wurde zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Rechtsweg:

LAG München, Urteil vom 8. Juli 2008 - 8 Sa 112/08
Zurückverweisung an das LAG

Quelle:

Bundesarbeitsgericht

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts München vom 8. Juli 2008 - 8 Sa 112/08 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte dem Kläger eine Entschädigung wegen einer behinderungsbezogenen Benachteiligung bei einem Bewerbungsverfahren zu zahlen hat.

Der Beklagte ist Orthopäde und Inhaber einer in der Forschung und Entwicklung im Medizinbereich tätigen Firma. Über die Bundesagentur für Arbeit schrieb er mit Bewerbungsbeginn ab 20. Juni 2006 eine Stelle für einen Biologen/eine Biologin oder einen Tierarzt/eine Tierärztin mit akademischem Titel zur Mitarbeit an wissenschaftlichen Studien und in der klinischen Forschung aus. In der Stellenbeschreibung waren ua. sehr gute Kenntnisse und Fertigkeiten in den Bereichen Biologie, Dokumentation, fachliterarische Tätigkeit, Forschung und allgemeine PC-Anwendung sowie hervorragende Englischkenntnisse gefordert.

Der am 29. Oktober 1957 geborene Kläger ist promovierter Diplom-Biologe. Mit Schreiben vom 30. Juli 2006 bewarb er sich beim Beklagten, woraufhin es zu drei Bewerbungsgesprächen kam. Bei einem ersten Vorstellungstermin am 1. August 2006 hatte der Kläger - wie alle Stellenbewerber - einen Test zu absolvieren, der eine Internetrecherche, das Erstellen einer Powerpoint-Präsentation sowie ein kurzes Referat in englischer Sprache über einen wissenschaftlichen Aufsatz umfasste. In einem mit ihm geführten Gespräch gab er ua. an, dass er in den letzten Jahren seine kranke Mutter habe pflegen müssen und deshalb keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen sei. Außerdem erwähnte er einen tödlichen Verkehrsunfall seines Bruders. Ein weiteres Vorstellungsgespräch am 8. August 2006 nahm für den Beklagten der Zeuge N wahr, welcher dem Kläger ua. die Frage stellte, ob er psychiatrisch behandelt werde. Außerdem forderte der Zeuge den Kläger auf zu unterschreiben, dass dies nicht der Fall sei. Bei diesem zweiten Gespräch wurde der Kläger zumindest auch auf eine mögliche Tätigkeit als freier Mitarbeiter für den Beklagten angesprochen, wobei streitig ist, ob ihm mitgeteilt wurde, dass er nur noch für eine solche Tätigkeit und nicht mehr für die ausgeschriebene Stelle in Frage komme. Am 13. September 2006 fand ein drittes Vorstellungsgespräch statt, welches der Beklagte führte. Auf die Frage des Klägers, weshalb sich der Zeuge nach seinem Gesundheitszustand erkundigt habe, antwortete der Beklagte, dass der steife Gang des Klägers auf Morbus Bechterew schließen lasse und diese mit einer Wirbelsäulenversteifung einhergehende Erkrankung bei Patienten häufig zu Depressionen führe. In diesem Zusammenhang forderte der Beklagte den Kläger auf, seinen Wirbelsäulenzustand untersuchen und röntgen zu lassen, womit der Kläger nicht einverstanden war. Darüber hinaus wurde über eine mögliche Tätigkeit des Klägers als freier Mitarbeiter im Rahmen eines Buchprojektes gesprochen und dem Kläger wurden zwei Bücher zum Einlesen überlassen.

Mit Schreiben des Zeugen N vom 2. Oktober 2006 wurde der Kläger um Rücksendung der ausgeliehenen Bücher gebeten. In diesem Schreiben ist ua. ausgeführt, man gehe davon aus, dass der Kläger kein Interesse an einer Mitarbeit an dem Buchprojekt habe. Mit Schreiben vom 14. November 2006 sowie Anwaltsschreiben vom 30. November 2006 wurde der Kläger nochmals unter Fristsetzung zur Rückgabe der ihm überlassenen Bücher aufgefordert. Am 11. Dezember 2006 brachte der Kläger die Bücher persönlich zurück.

Mit einem vom Zeugen N "i.A." unterzeichneten und auf "Unser Stellenangebot als Biologe" sowie eine "Bewerbung vom 09. August 2006" Bezug nehmenden Schreiben vom 12. Dezember 2006 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass seine Bewerbung nicht habe berücksichtigt werden können. Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 15. Januar 2007 hat der Kläger vom Beklagten eine "Schadenersatzzahlung" in Höhe von 13.618,71 Euro verlangt und dieser Forderung drei Bruttomonatsgehälter, die im öffentlichen Dienst bei einer der ausgeschriebenen Stelle ähnlichen Tätigkeit als tarifliches Entgelt zu erzielen seien, zugrunde gelegt. Dieses Zahlungsbegehren hat der Kläger mit am 10. April 2007 beim Arbeitsgericht Regensburg eingegangener Klage weiter verfolgt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, wegen einer vom Beklagten angenommenen Behinderung nicht eingestellt worden zu sein. Hierauf ließen die Fragen des Zeugen N und die Äußerungen des Beklagten schließen. Die Erkrankung an Morbus Bechterew, also Wirbelsäulenversteifung, führe bei den Betroffenen regelmäßig zu einer Behinderung. Weder beim zweiten noch beim dritten Vorstellungsgespräch sei ihm mitgeteilt worden, dass er für die ausgeschriebene Stelle nicht in Betracht komme. Die Höhe der zu zahlenden Entschädigung belaufe sich mindestens auf zwei im öffentlichen Dienst bei vergleichbarer Tätigkeit zu erzielende tarifliche Bruttomonatsverdienste, mithin - wie das Arbeitsgericht in seiner der Klage teilweise stattgebenden Entscheidung angenommen habe - auf 8.000,00 Euro.


Der Kläger hat - soweit für die Revision von Bedeutung - beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an den Kläger 8.000,00 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 22. Januar 2007 zu zahlen.


Der Beklagte hat seinen Klageabweisungsantrag mit der Auffassung begründet, die Nichteinstellung des Klägers beruhe auf keiner behinderungsbezogenen Diskriminierung. Vielmehr habe der Kläger bereits den für die ausgeschriebene Stelle wichtigen Eingangstest teilweise nicht bestanden; andere Bewerber hätten bessere Testergebnisse erzielt. Die Einstellung sei auch an den hohen Gehaltsvorstellungen des Klägers gescheitert. Schon nach dem ersten Gespräch habe man nur noch eine freie Mitarbeit des Klägers in Betracht gezogen und ihm beim zweiten Gespräch am 8. August 2006 eine Absage für die ausgeschriebene Stelle erteilt. Eine freie Mitarbeit sei vom Kläger abgelehnt worden. Zu den Fragen über psychiatrische Erkrankungen des Klägers sei es nur wegen dessen dramatischer Schilderungen im ersten Gespräch gekommen. Im Übrigen habe man allenfalls über eine Krankheit, die zu einer Behinderung führen könne, gesprochen. Schließlich genüge lediglich die Vermutung einer Behinderung durch den Benachteiligenden nicht, um einen Entschädigungsanspruch auszulösen.

Das Arbeitsgericht hat nach Beweiserhebung durch Vernehmung von drei Zeugen den Beklagten zur Zahlung von 8.000,00 Euro Entschädigung nebst Zinsen verurteilt und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die nur vom Beklagten eingelegte Berufung das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage vollumfänglich abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision begehrt der Kläger die Aufhebung des landesarbeitsgerichtlichen Urteils und Zurückweisung der Berufung, während der Beklagte die Zurückweisung der Revision beantragt.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

A. Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet: Es könne dahinstehen, ob der Kläger den mit einer ungerechtfertigten Benachteiligung wegen einer Behinderung begründeten, auf § 15 Abs. 2 AGG gestützten Entschädigungsanspruch rechtzeitig schriftlich geltend gemacht hat. Denn aus den vom Kläger dargestellten Umständen könne nicht darauf geschlossen werden, dass er wegen der beim Beklagten vorhandenen Vorstellung einer Behinderung nicht für die ausgeschriebene Stelle ausgewählt worden sei. Zwar habe der Kläger als objektiv geeigneter Bewerber die aus der Stellenbeschreibung ersichtlichen Anforderungen erfüllt und ließen die Nachfragen und Äußerungen des Zeugen N sowie des Beklagten durchaus den Schluss zu, dass die Auswahlentscheidung von den Erkundigungen mitgeprägt worden sei. Die gesundheitliche Eignung des Arbeitnehmers für die in Aussicht genommene Tätigkeit dürfe der Arbeitgeber aber erfragen oder im Wege einer Einstellungsuntersuchung überprüfen lassen. Insoweit hätten die Fragen nur auf das Vorliegen einer Erkrankung und nicht einer Behinderung abgezielt. Selbst wenn Erkrankungen wie Depressionen oder Morbus Bechterew ab einem bestimmten Stadium den Grad einer Behinderung erreichen könnten, folge aus Fragen danach nicht ohne Weiteres, dass der Fragende eine Behinderung annehme.

B. Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Ob und in welchem Umfang der zuletzt noch in einer Höhe von 8.000,00 Euro streitgegenständliche Entschädigungsanspruch begründet ist, konnte der Senat nicht abschließend entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Sache war daher gem. § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO an das Landesarbeitsgericht zur neuen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

I. Die rechtliche Würdigung der festgestellten Tatsachen trägt die Annahme des Berufungsgerichts nicht, der Beklagte habe den Kläger nicht wegen einer angenommenen Behinderung benachteiligt.

1. Nach § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG kann der oder die Beschäftigte wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen. Der Entschädigungsanspruch setzt einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gemäß § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG voraus. Dies stellt § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG zwar nicht ausdrücklich klar, ergibt sich aber aus dem Gesamtzusammenhang der Bestimmungen in § 15 AGG (BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - mwN, EzA § 15 AGG Nr. 1). Gemäß § 7 Abs. 1 Halbs. 1 AGG dürfen Beschäftigte nicht wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale benachteiligt werden. Entgegen der Auffassung des Beklagten gilt dies nach dem unmissverständlichen Gesetzeswortlaut auch dann, wenn die Person, die die Benachteiligung begeht, das Vorliegen eines Diskriminierungsmerkmals bei der Benachteiligung nur annimmt, § 7 Abs. 1 Halbs. 2 AGG. Auch der "Versuch am untauglichen Objekt" stellt grundsätzlich eine verbotene Benachteiligung dar (Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 7 Rn. 11; Schaub/Linck ArbR-Hdb. 13. Aufl. § 33 Rn. 72a; Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt AGG 2. Aufl. § 7 Rn. 3; Adomeit/Mohr AGG § 7 Rn. 2 [sog. "Putativbenachteiligung"]). Nach der Gesetzesbegründung trägt die Bestimmung nach § 7 Abs. 1 Halbs. 2 AGG dem Umstand Rechnung, dass Menschen oft bestimmte Eigenschaften oder Verhaltensweisen zugeschrieben werden, zB allein aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes (BT-Drucks. 16/1780 S. 34). Macht sich der Benachteiligende Vorstellungen über das Vorliegen eines Benachteiligungsgrundes, kann dies genügen, um den Entschädigungsanspruch auszulösen.

2. Zutreffend ist das angefochtene Urteil zunächst davon ausgegangen, dass der Kläger objektiv für eine Beschäftigung beim Beklagten in Betracht gekommen ist und sich subjektiv ernsthaft beworben hat.

a) Anspruchsteller nach § 15 Abs. 2 AGG kann ein Beschäftigter oder eine Beschäftigte sein, wobei als solche nach § 6 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 AGG auch Bewerber und Bewerberinnen für ein Beschäftigungsverhältnis gelten. In Rechtsprechung und Schrifttum wird neben einer Bewerbung verlangt, dass die Person objektiv für die zu besetzende Stelle in Betracht kommt und sich subjektiv ernsthaft bewirbt (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08 - Rn. 25, AGG § 8 Nr. 1; Schleusener in Schleusener/Suckow/Voigt § 2 Rn. 7; Bauer/Göpfert/Krieger § 6 Rn. 10 ff.; Walker NZA 2009, 5 ; ErfK/Schlachter 10. Aufl. § 6 AGG Rn. 3).

b) Nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts erfüllte der Kläger als promovierter Diplom-Biologe das in der Stellenausschreibung beschriebene Anforderungsprofil. Nach dem Vorbringen des Beklagten hatte er jedenfalls eine Aufgabe des Eignungstests - das Kurzreferat in englischer Sprache über einen wissenschaftlichen Aufsatz - sehr gut bewältigt. Dass er darüber hinaus die anderen Testaufgaben (Internetrecherche und Powerpoint-Präsentation) möglicherweise nicht zufriedenstellend bestanden hat, ändert nichts an seiner objektiven Eignung. Denn für diese ist nicht erforderlich, dass er von allen Kandidaten für die in Aussicht genommene Stelle am Besten geeignet wäre. Dies ergibt sich bereits daraus, dass bei einer Auswahlentscheidung wie der Besetzung einer offenen Stelle nicht nur der am Besten geeignete Bewerber benachteiligt sein kann (BAG 5. Februar 2004 - 8 AZR 112/03 - zu II 2 b bb (2) der Gründe, BAGE 109, 265, 275 = AP BGB § 611a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 3).

Entgegen der Beklagtenauffassung bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger sich nicht ernsthaft beim Beklagten beworben habe. Der Kläger hat einen Einstellungstest absolviert und drei Bewerbungsgespräche geführt. Es ging ihm also sehr wohl um die Begründung eines Vertragsverhältnisses mit dem Beklagten. Die erst nach mehrfacher Aufforderung zurückgebrachten Bücher wurden ihm erst im letzten Vorstellungsgespräch überlassen. Die verspätete Rückgabe der Bücher lässt die Annahme, dass es dem Kläger von vornherein etwa nur darum gegangen sei, sich im Sinne einer vorgeschobenen Bewerbung am Beklagten "schadlos" halten zu wollen, nicht zu.

3. Da für einen Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG die Benachteiligung "wegen" eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt sein muss, ist ein Kausalzusammenhang erforderlich. Dieser ist gegeben, wenn die Benachteiligung an einen der in § 1 AGG genannten oder mehrere der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpft oder dadurch motiviert ist (BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Ausreichend ist, dass ein in § 1 AGG genannter Grund Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat (BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - EzA AGG § 15 Nr. 1). Nach der gesetzlichen Beweislastregelung gem. § 22 AGG genügt es, dass der Anspruchsteller Indizien vorträgt und im Streitfalle beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. An diese Vermutungsvoraussetzungen ist kein zu strenger Maßstab anzulegen. Es ist nicht erforderlich, dass die Tatsachen einen zwingenden Indizienschluss für eine Verknüpfung der Benachteiligung mit einem Benachteiligungsmerkmal zulassen. Vielmehr reicht es aus, wenn nach allgemeiner Lebenserfahrung hierfür eine überwiegende Wahrscheinlichkeit besteht. Sodann trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.

a) Die Würdigung, ob der Anspruchsteller Tatsachen vorgetragen hat, die seine Benachteiligung wegen eines Diskriminierungsmerkmals vermuten lassen, obliegt der freien Überzeugung des Tatsachengerichts. Gem. § 286 Abs. 1 ZPO haben die Tatsachengerichte unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach ihrer freien Überzeugung zu entscheiden, ob sie eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr erachten. Diese Grundsätze sind auch auf die Fälle anzuwenden, in denen die Tatsachengerichte nicht zu entscheiden haben, ob eine Behauptung "wahr" ist, sondern darüber, ob vorgetragene und gegebenenfalls bewiesene Tatsachen eine Behauptung des Anspruchstellers - hier die Benachteiligung des Klägers wegen einer vermuteten Behinderung - als "wahr vermuten" lassen (ebenso zu § 611a Abs. 1 Satz 3 BGB in der bis zum 17. August 2006 geltenden Fassung: BAG 24. April 2008 - 8 AZR 257/07 - AP AGG § 33 Nr. 2 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 6). Es ist somit letztlich dem Tatrichter vorbehalten zu entscheiden, ob er die Überzeugung für die Kausalität beispielsweise zwischen einer angenommenen Behinderung des Bewerbers und dessen Benachteiligung gewinnt.

Eine vom Berufungsgericht gem. § 286 Abs. 1 ZPO vorgenommene Würdigung ist nach ständiger Rechtsprechung revisionsrechtlich nur daraufhin überprüfbar, ob sie möglich und in sich widerspruchsfrei ist, gegen Denkgesetze, Erfahrungssätze oder andere Rechtssätze verstößt (BAG 26. April 2007 - 8 AZR 695/05 - AP InsO § 125 Nr. 4) und ob alle vernünftigerweise in Betracht kommenden Umstände in sich widerspruchsfrei beachtet worden sind (BAG 31. Mai 2007 - 2 AZR 276/06 - BAGE 123, 1 = AP KSchG 1969 § 1 Soziale Auswahl Nr. 94 = EzA KSchG § 1 Soziale Auswahl Nr. 77).

b) Diesem eingeschränkten Prüfungsmaßstab hält die Annahme des Landesarbeitsgerichts, der Kläger habe nicht hinreichend nachweisen können, dass seine Benachteiligung bei der Stellenbesetzung wegen des Merkmals einer vermuteten Behinderung erfolgt sei, nicht stand.

aa) Rechtsfehlerfrei hat das Berufungsgericht seiner Wertung allerdings nicht allein die Äußerungen des Beklagten im dritten Vorstellungsgespräch, sondern auch die Fragen des Zeugen N beim zweiten Gespräch zugrunde gelegt. Das Verhalten des Zeugen ist dem Beklagten zuzurechnen. Bedient sich der Arbeitgeber bei der Anbahnung eines Arbeitsverhältnisses eigener Mitarbeiter oder Dritter, so trifft ihn eine Verantwortlichkeit für deren Verhalten (so bereits zur Regelung in § 611a BGB aF: BAG 5. Februar 2004 - 8 AZR 112/03 - zu II 2 b bb (2) der Gründe, BAGE 109, 265 = AP BGB § 611a Nr. 23 = EzA BGB 2002 § 611a Nr. 3). Für den zu entscheidenden Streitfall kann offen bleiben, ob und welche Grenzen der Einstandspflicht des Arbeitgebers ggf. greifen können, insbesondere, ob dem Arbeitgeber jeglicher Handlungsbeitrag eines eingeschalteten Dritten zuzurechnen ist. Denn Anhaltspunkte dafür, dass den Beklagten keine oder eine eingeschränkte Verantwortlichkeit für das Verhalten des Zeugen N trifft, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Im Gegenteil: Angesichts der Äußerungen des Beklagten im dritten Vorstellungsgespräch am 13. September 2006 ist davon auszugehen, dass dieser sich von den Erkundigungen und Aufforderungen des Zeugen N im zweiten Vorstellungsgespräch gerade nicht distanzieren wollte.

bb) Hingegen hat das Landesarbeitsgericht bei seiner Annahme, die Fragen des Zeugen N nach einer psychiatrischen Behandlung des Klägers und die Äußerungen des Beklagten zum vermuteten Leiden des Klägers an der Bechterewschen Erkrankung hätten nicht auf eine Behinderung gezielt, die Besonderheiten des Einzelfalls nicht vollständig und frei von Verstößen gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze abgewogen.

(1) Aus der Frage nach bestimmten Erkrankungen oder Leiden kann je nach den Einzelfallumständen auch auf eine Erkundigung nach einer Behinderung geschlossen werden. Nach der Gesetzesbegründung entspricht der Begriff der Behinderung des AGG den sozialrechtlich entwickelten gesetzlichen Definitionen nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX und § 3 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen - BGG (BT-Drucks. 16/1780 S. 31). Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Spätestens seit dem Inkrafttreten des AGG ist zu berücksichtigen, dass Fragen nach Erkrankungen im Hinblick auf das Vorliegen einer Behinderung diskriminierungsrelevant sein können (Wisskirchen/Bissels NZA 2007, 169, 172; Suckow in Schleusener/ Suckow/Voigt § 11 Rn. 74 f.; Adomeit/Mohr § 7 Anhang 1 Rn. 32 bis 35).

(2) Die dem Beklagten zuzurechnenden Fragen des Zeugen N nach einer psychiatrischen Behandlung des Klägers und die Aufforderung, die verneinende Antwort schriftlich niederzulegen, lassen es als überwiegend wahrscheinlich erscheinen, dass die Einstellungsentscheidung vom Ausschluss bestimmter Einschränkungen, die vom für das Lebensalter des Klägers typischen Zustand abweichen, (mit-)geprägt war. Offensichtlich ging der Zeuge N davon aus, dass eine die psychiatrische Behandlung bedingende Einschränkung ein Hindernis für die Teilhabe des Klägers am Gesellschafts- bzw. Berufsleben bilden und von längerer Dauer sein könnte. Dies folgt insbesondere aus den - vom Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft in seine Würdigung nicht einbezogenen - Beweggründen des Beklagten für die Fragestellungen. So hat der Beklagte vorgetragen, die Fragen seien nur wegen der "dramatischen" Schilderungen des Klägers im ersten Gespräch gestellt worden. Diese Schilderungen bezogen sich unter anderem auf den Anlass, warum der Kläger längere Zeit keiner beruflichen Tätigkeit nachgegangen war. Wenn dies den Zeugen N sogar zu der Aufforderung einer schriftlichen Bestätigung des Klägers veranlasste, kann dies nur bedeuten, dass er eine nachhaltige Teilhabebeeinträchtigung des Klägers zumindest für möglich hielt; anderenfalls leuchtet nicht ein, dass er der "richtigen" Beantwortung der Frage eine dermaßen große Bedeutung beigemessen hat, dass er sogar auf einer schriftlichen Dokumentation bestand.

Vor allem aber die vom Beklagten im dritten Vorstellungsgespräch getätigte Äußerung, der steife Gang des Klägers lasse auf Morbus Bechterew schließen (was bei Patienten häufig zu Depressionen führe), sowie seine Aufforderung an den Kläger, sich diesbezüglich untersuchen zu lassen, rechtfertigen die Annahme, dass er eine Behinderung des Klägers mutmaßte und die Nichteinstellungsentscheidung an diese Mutmaßung anknüpft. In diesem Zusammenhang hat das Landesarbeitsgericht rechtsfehlerhaft außer Acht gelassen, dass der Beklagte als Orthopäde die gezielte Vermutung einer ganz bestimmten Beeinträchtigung ("Morbus Bechterew") kaum ohne medizinisches Vorverständnis um die Tragweite des Leidens geäußert haben kann. Bei dem nach dem russischen Neurologen W. M. Bechterew benannten Krankheitsbild handelt es sich um eine stetig fortschreitende Versteifung und Krümmung der Wirbelsäule infolge chronischer Entzündung ua. der Wirbelgelenke (vgl. Pschyrembel Klinisches Wörterbuch 261. Aufl. [unter "Spondylitis ankylosans"]) . Das Berufungsgericht geht selbst davon aus, dass die Bechterewsche Erkrankung und damit verbundene Depressionen ab einem bestimmten Stadium den Grad einer Behinderung erreichen können. Warum dann aber aus Fragen danach und aus Aufforderungen einer ärztlichen Untersuchung allenfalls darauf geschlossen werden könne, dass der - vorliegend auch noch "kundige" - potenzielle Arbeitgeber "nur" Auskünfte nach "bloßen" Erkrankungen einhole, erschließt sich nicht. Unterstellt man den Ausgangspunkt des Landesarbeitsgerichts als zutreffend, dass Morbus Bechterew jedenfalls ab einem bestimmten Stadium auch eine Behinderung sein kann (wofür die Klassifizierung dieses Krankheitsbildes als "chronisch" spricht), so wird dieses Stadium doch gerade erst mittels einer genaueren Diagnose bestimmt. Wenn dies aber für die Einstellungsentscheidung des Beklagten keine Rolle gespielt haben soll, leuchtet nicht ein, warum dem Kläger im Zusammenhang mit einem Bewerbungsgespräch eine Diagnose mittels Untersuchung und Röntgen überhaupt angetragen worden ist. Darüber hinaus berücksichtigt die tatsachengerichtliche Argumentation nicht, dass der Beklagte keinerlei Bezug seiner Äußerungen und des Untersuchungsangebots zum ggf. mit dem Kläger zu begründenden Beschäftigungsverhältnis aufgezeigt hat. Es ist widersprüchlich, wenn das Landesarbeitsgericht einerseits annimmt, der Arbeitgeber dürfe die gesundheitliche Eignung eines Bewerbers für die in Aussicht genommene Tätigkeit näher erfragen, andererseits aber jegliche Aussagen zur Arbeitsplatzrelevanz der Erkundigungen vermissen lässt.

Auch das Argument des Landesarbeitsgerichts, gegen eine behinderungsbezogene Benachteiligungsvermutung spreche der Umstand, dass der Beklagte mit dem Kläger auch dann noch über eine mögliche freie Mitarbeit verhandelt habe, nachdem dieser das Ansinnen einer schriftlichen Bestätigung, er befinde sich nicht in psychiatrischer Behandlung, zurückgewiesen habe, ist im Zusammenhang mit den Gesamtumständen der Ablehnungsentscheidung nicht folgerichtig. Dieser Begründungsansatz blendet aus, dass das vom Beklagten unterbreitete ärztliche Untersuchungsangebot auf Morbus Bechterew und dessen Zurückweisung durch den Kläger erst beim letzten Vorstellungsgespräch am 13. September 2006 erfolgten.

II. Ob der streitige Entschädigungsanspruch aus sonstigen Gründen unbegründet ist, so dass eine Zurückverweisung der Sache entbehrlich wäre, vermag der Senat nicht abschließend zu beurteilen.

1. Das Berufungsgericht ist ohne Weiteres davon ausgegangen, dass der zeitliche Anwendungsbereich der Entschädigungsregelung nach § 15 Abs. 2 AGG im Streitfall eröffnet ist. Dies ist wegen der unzureichenden Feststellungen zum Zeitpunkt der Benachteiligungshandlung fraglich.

a) Mit dem Gesetz zur Umsetzung europäischer Richtlinien zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung (Umsetzungsgesetz) vom 14. August 2006 (BGBl. I S. 1897) ist das AGG am 18. August 2006 in Kraft getreten. Für Benachteiligungen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, die zeitlich nach Inkrafttreten des AGG begangen wurden, gelten die §§ 1 bis 18 AGG ohne Einschränkung, § 33 AGG (BAG 28. Mai 2009 - 8 AZR 536/08 - Rn. 21, AP AGG § 8 Nr. 1). Dagegen ist nach der Übergangsvorschrift des § 33 Abs. 1 AGG, die sich entgegen ihres Wortlauts nicht nur auf Benachteiligungen wegen des Geschlechts und sexuelle Belästigung, sondern auf alle unerlaubten Benachteiligungen einschließlich solcher wegen Behinderungen bezieht (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 53, BAG 14. Januar 2009 - 3 AZR 20/07 - Rn. 55, AP GG Art. 3 Nr. 315 = EzA AGG § 2 Nr. 3; 16. Dezember 2008 - 9 AZR 985/07 - Rn. 33, AP TVG § 1 Vorruhestand Nr. 33 = EzA SGB IX § 81 Nr. 18), das AGG nicht auf Sachverhalte anwendbar, die vor Inkrafttreten des Gesetzes bereits abgeschlossen waren. Vielmehr gilt für solche Sachverhalte die alte Rechtslage (BT-Drucks. 16/1780 S. 53; idS auch BAG 24. September 2009 - 8 AZR 636/08 -; 14. Januar 2009 - 3 AZR 20/07 - aaO; 16. Dezember 2008 - 9 AZR 985/07 - aaO). Bei behinderungsbezogenen Benachteiligungen vor dem 18. August 2006 stellt sich ggf. noch die Frage einer gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung des § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX in der bis zum 17. August 2006 geltenden Fassung (hierzu [bei einem öffentlichen Arbeitgeber] BAG 18. November 2008 - 9 AZR 643/07 - AP SGB § 81 IX Nr. 16 = EzA SGB IX § 81 Nr. 19; 3. April 2007 - 9 AZR 823/06 - BAGE 122, 54 = AP SGB IX § 81 Nr. 14 = EzA SGB IX § 81 Nr. 15).

Entsprechend kommt es für die Anwendbarkeit des AGG entscheidend auf den Zeitpunkt der Benachteiligungshandlung an (KR/Treber 9. Aufl. § 33 AGG Rn. 2; Bauer/Göpfert/Krieger § 33 Rn. 8; Adomeit/Mohr § 33 Rn. 9 f.). In der Regel ist dies der Zeitpunkt der Maßnahme, die eine Benachteiligung darstellen soll, also etwa der Entschluss des Arbeitgebers, einen Bewerber nicht einzustellen (vgl. BAG 14. Januar 2009 - 3 AZR 20/07 - Rn. 55, AP GG Art. 3 Nr. 315 = EzA AGG § 2 Nr. 3).

b) Hiervon ausgehend ist nach dem klägerischen Vorbringen der zeitliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet, weil nach diesem die ablehnende Entscheidung des Beklagten für die ausgeschriebene Stelle nicht vor dem dritten Gespräch am 13. September 2006 und damit nach Inkrafttreten des AGG getroffen wurde. Hingegen hat der Beklagte behauptet, schon nach dem ersten Gespräch nur noch eine freie Mitarbeit des Klägers in Betracht gezogen und ihm demzufolge beim zweiten Gespräch, welches nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts am 8. August 2006 stattgefunden hat, eine Absage für die ausgeschriebene Stelle erteilt zu haben. Ausgehend vom Beklagtenvortrag wäre das AGG damit - bezogen auf die Bewerbung des Klägers für die ausgeschriebene Stelle - nicht anwendbar. Jedoch hat der Beklagte nach seiner eigenen Darstellung ab dem zweiten Vorstellungsgespräch eine Tätigkeit des Klägers als freier Mitarbeiter erwogen. Unstreitig haben die Parteien beim dritten Gespräch am 13. September 2006 noch über eine Tätigkeit des Klägers als freier Mitarbeiter im Zusammenhang mit einem Buchprojekt gesprochen. Eine solche Mitarbeit kann der Beklagte also erst nach Inkrafttreten des AGG abgelehnt haben. Dass es um keine Einstellung als Arbeitnehmer mehr gegangen sein soll, steht dem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG nicht entgegen. Denn nach § 6 Abs. 3 AGG gelten §§ 7 bis 18 AGG - beschränkt auf die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg - ua. für Selbständige, mithin auch für freie Mitarbeiter (Adomeit/Mohr § 6 Rn. 29).

Das angefochtene Urteil verhält sich nicht zu der Frage, von welchem Zeitpunkt welcher Benachteiligungshandlung überhaupt auszugehen ist. Es argumentiert zwar im Zusammenhang mit der Prüfung der Entschädigungsregelung mit einer Eignung des Klägers "für die ausgeschriebene Stelle". Auch wird bei der rechtzeitigen Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs ausgeführt, dass die schriftliche Ablehnung erst mit Schreiben vom 12. Dezember 2006 erfolgt sei, dies aber letztlich dahingestellt bleiben könne. Beim zeitlichen Anwendungsbereich des AGG kommt es hingegen nicht auf den Zeitpunkt der Kenntniserlangung, sondern den der Benachteiligungshandlung an. Allerdings lassen die äußeren Umstände wie etwa die Bekanntgabe der Nichteinstellung durchaus gewichtige Rückschlüsse darauf zu, wann der potenzielle Arbeitgeber die Ablehnungsentscheidung definitiv getroffen hat. Es spricht vorliegend Einiges dafür, dass der Beklagte zumindest auch die ausgeschriebene Stelle betreffend endgültig erst nach Inkrafttreten des AGG den Entschluss fasste, den Kläger nicht einzustellen. Anders ist kaum zu erklären, dass in dem Schreiben vom 12. Dezember 2006 das "Stellenangebot als Biologe" erwähnt wird. Andererseits nimmt dieses Schreiben auch Bezug auf eine Bewerbung vom "09. August 2006", während sich der Kläger mit Schreiben vom 30. Juli 2006 beworben hatte. Zu berücksichtigen wäre auch folgender Gesichtspunkt: Unterstellt man den Vortrag des Beklagten als richtig, dass bereits zum Zeitpunkt des zweiten Vorstellungsgesprächs entschieden und dem Kläger mitgeteilt worden war, ihn jedenfalls nicht auf der ausgeschriebenen Stelle einzustellen, und trifft die weitere Behauptung zu, das Angebot einer freien Mitarbeit sei vom Kläger abgelehnt worden, leuchtet der Anlass des Ablehnungsschreibens vom 12. Dezember 2006 nicht ein. Wie das Ablehnungsschreiben und die weiteren äußeren Umstände nach § 286 ZPO zu werten sind, bleibt letztlich der tatrichterlichen Würdigung durch das Landesarbeitsgericht vorbehalten.

c) Sofern von einer Nichteinstellungsentscheidung für die ausgeschriebene Stelle vor Inkrafttreten des AGG auszugehen sein sollte, käme ein allein damit begründeter Entschädigungsanspruch nach alter Rechtslage wohl nicht in Betracht. Ungeachtet des gemeinschaftsrechtskonformen Verständnisses von § 81 Abs. 2 Satz 1 SGB IX dürfte es dann nämlich an einer Kausalität zwischen der Benachteiligung und der mutmaßlichen Behinderung des Klägers fehlen. Die Fragen und Äußerungen zu bestimmten Beeinträchtigungen des Klägers spielten erst im zweiten und dritten Vorstellungsgespräch eine Rolle; sie können also nicht ursächlich für eine vorher getroffene abschlägige Stellenbesetzungsentscheidung sein.

Allerdings wäre bei solch einer Annahme zu prüfen, ob der Klageantrag dahingehend verstanden werden kann, dass er (auch) einen Entschädigungsanspruch wegen der Nichteinstellung des Klägers als freier Mitarbeiter umfasst. Die mit der avisierten freien Mitarbeit ggf. verbundene Problematik der Zulässigkeit des beschrittenen Rechtsweges zu den Gerichten für Arbeitssachen stellt sich für das Berufungsgericht wegen der Beschränkung seines Nachprüfungsrechts gemäß § 65 ArbGG nicht.

2. Ob der Beklagte nach § 22 AGG den Nachweis erbracht hat, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligungen vorgelegen hat, obliegt gleichfalls der Würdigung durch das Tatsachengericht. Die rechtzeitige Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs nach § 15 Abs. 4 AGG hängt davon ab, wann der Kläger von der Ablehnung seiner Bewerbung und den auf eine Diskriminierung schließenden Tatsachen Kenntnis erlangte. Auch hierzu sind bisher keine abschließenden Feststellungen getroffen, wobei diese mit den Feststellungen zum Zeitpunkt der Benachteiligungshandlung im Kontext stehen.

3. Sollte das Berufungsgericht nach Nachholung der gebotenen Feststellungen und erneuter Sachverhaltswürdigung (§ 286 ZPO) zu einer vom Beklagten nicht widerlegten vermuteten Benachteiligung des Klägers wegen einer angenommenen Behinderung kommen, so wird es auch über die Höhe der Entschädigung (anhängig ist noch ein Klageanspruch von 8.000,00 Euro) zu befinden haben. Sie muss nach § 15 Abs. 2 AGG angemessen sein. Hierbei sind alle Umstände des Einzelfalls - wie etwa die Art und Schwere der Benachteiligung, ihre Dauer und Folgen, der Anlass und der Beweggrund des Handelns - und der Sanktionszweck der Entschädigungsnorm zu berücksichtigen (BAG 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 82, EzA AGG § 15 Nr. 1). Die Entschädigung darf drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der Kläger auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre, § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG. Sollte die Benachteiligung des Klägers allein in der Nichteinstellung als freier Mitarbeiter liegen und sollte sein Zahlungsbegehren als auch diesen Lebenssachverhalt umfassend interpretiert werden können, müssten Feststellungen zum Entgelt bei einer freien Mitarbeitertätigkeit getroffen werden. Von weiteren Hinweisen sieht der Senat insoweit ab.

Referenznummer:

R/R3229


Informationsstand: 07.01.2010