Urteil
Versetzungen und Abordnungen - Anforderung an ein ärztliches Gutachten - Beurteilung der Dienstunfähigkeit

Gericht:

VG Cottbus 5. Kammer


Aktenzeichen:

5 K 500/09


Urteil vom:

31.01.2013


Grundlage:

  • BG BB § 111 Abs. 1 a.F. |
  • BG BB § 111 Abs. 3 a.F. |
  • BG BB § 113 a.F. |
  • BG BB § 115a Abs. 1 a.F.

Tenor:

Der Bescheid des Beklagten vom 8. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2009 wird aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen seine Versetzung in den Ruhestand.

Der am ... 1946 geborene Kläger war Lehrer und zuletzt im Amt eines Studienrates A 13 h. D. am Oberstufenzentrum tätig, wo er überwiegend im Fach Wirtschaft unterrichtete. Er war - insbesondere durch eine in den Jahren 1947/48 erlittene Kinderlähmung mit Schädigungen im Bereich des rechten Beines - schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 90.

Am 3. April 2003 stürzte der Kläger beim Verlassen des Schulgebäudes die Außentreppe herunter und zog sich dabei u. a. einen mehrfachen Bruch des rechten Oberschenkelknochens zu. Diesen Unfall erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 8. Mai 2003 als Dienstunfall an. Mit Wirkung zum 12. Dezember 2003 ist der Kläger als schwerbehindert mit einem GdB von 100 eingestuft worden.

Nach seinem Dienstunfall am 3. April 2003 war der Kläger zunächst bis zum 31. Mai 2004 dienstunfähig erkrankt. Nachdem am 1. Juni 2004 mit seiner Wiedereingliederung im Hamburger Modell begonnen worden war, war er ab dem 19. Juni 2004 mit kürzeren Unterbrechungen und weiteren Wiedereingliederungen, ab dem 16. August 2006 ununterbrochen dienstunfähig erkrankt.

Daraufhin veranlasste der Beklagte mit Schreiben vom 30. August 2006 beim amtsärztlichen Dienst des Bezirksamtes von Berlin eine gutachterliche Stellungnahme gemäß § 111 Abs. 1 des Landesbeamtengesetzes in der bis zum 3. April 2009 geltenden Fassung (LBG a. F.), ob eine Versetzung des Klägers in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit empfohlen werde. Die Amtsärztliche Stellungnahme vom 29. März 2007 der Frau DM B. empfahl hieraufhin die Versetzung des Klägers in den Ruhestand, da aus dem bisherigen Krankheitsverlauf und dem abgebrochenen Wiedereingliederungsplan hervor gehe, dass das Erreichen der vollen Dienstfähigkeit nicht innerhalb von sechs Monaten gelungen und auch in absehbarer Zeit nicht zu erreichen sei. Der Beklagte hörte den Kläger am 19. April 2007 mündlich und mit Schreiben vom 15. Mai 2007 zu einer beabsichtigten Versetzung in den Ruhestand an.

Mit Schreiben vom 14. Mai 2007 beantragte der Kläger seine stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben ab dem 21. Mai 2007. Diesen Antrag lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 21. Mai 2007 ab; das hiergegen von dem Kläger angestrengte Widerspruchs- und das gerichtliche Eilrechtsschutzverfahren (VG 5 L 407/07, OVG 4 S 14.08) blieben erfolglos, seine Klage (5 K 1224/07) nahm der Kläger zurück.

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 14. Juni 2007 wies der Kläger darauf hin, dass seine Dienstunfähigkeit allein darauf beruht habe, dass ihm bis zum 28. März 2007 die zwingend erforderliche Beinorthese nicht zur Verfügung gestanden habe. Die amtsärztliche Stellungnahme vom 29. März 2007 könne daher nicht aussagekräftig sein. Mit Schreiben vom 18. Juni 2007 erbat der Beklagte daraufhin beim amtsärztlichen Dienst des Bezirksamtes von Berlin eine erneute amtsärztliche Begutachtung, woraufhin Frau DM B. mit Schreiben vom 28. Juni 2007 auflistete, auf Grundlage welcher ärztlichen Unterlagen im Einzelnen die amtsärztliche Stellungnahme vom 29. März 2007 erstellt worden sei. Aus medizinischer Sicht bestehe kein Anlass für eine derart kurzfristige Neubegutachtung. Der Beklagte veranlasste deshalb mit Schreiben vom 16. Juli 2007 eine nochmalige Begutachtung durch den amtsärztlichen Dienst des Landkreises, wo der Kläger am 16. August 2007 erneut untersucht wurde. Das Amtsärztliche Gesundheitszeugnis vom 28. September 2007 der DM Frau S. stellte auf Grundlage dieser Untersuchung und in Auswertung von im Einzelnen aufgelisteten ärztlichen Unterlagen fest, dass der amtsärztlichen Stellungnahme vom 29. März 2007 gefolgt werden könne. Diese hätte alle wesentlich Epikrisen und Befundberichte von 2003 bis 2006 berücksichtigt. Im Hinblick auf die Krankheitszeiten des Klägers und den abgebrochenen Versuch der beruflichen Wiedereingliederung sei zum Zeitpunkt der Untersuchung nicht zu erwarten gewesen, dass die volle Dienstfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate erreicht werden könne.

Im Hinblick auf die von der Kammer im Verfahren 5 L 407/07 mit Beschluss vom 17. April 2008 getroffene Feststellung, dass die amtsärztlichen Stellungnahmen vom 29. März 2007 und vom 28. September 2007 für die Feststellung der Dienstunfähigkeit des Klägers nicht verwertbar seien, da sie den Mindestanforderungen des § 115 a LBG a. F. nicht genügten, hörte die von dem Beklagten im Rahmen der Fortsetzung des Zwangspensionierungsverfahrens gemäß § 113 LBG a. F. eingesetzte Ermittlungsführerin beide Gutachterinnen nochmals als Zeuginnen an. Frau DM S. äußerte sich in ihrer mündlichen Befragung am 15. Juli 2008 zu den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers, konnte aber zu deren Auswirkungen, zum Bestehen aktueller Funktionseinschränkungen und zu einer voraussichtlichen Wiederherstellung der vollen Leistungsfähigkeit keine Aussagen machen. Frau DM B. nahm mit Schreiben vom 24. Juli 2008 Stellung und benannte basierend auf der am 29. März 2007 erfolgten Untersuchung im Einzelnen die bei dem Kläger festgestellten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die daraus folgenden Funktionseinschränkungen. Die Kriterien für eine dauerhafte Dienstunfähigkeit hätten im Zeitpunkt der amtsärztlichen Untersuchung vorgelegen, zum aktuellen Gesundheitszustand könne aufgrund des Zeitablaufs keine Aussage getroffen werden.

Auf Grundlage dieser Feststellungen empfahl die Ermittlungsführerin in ihrem Ergebnisbericht vom 21. November 2008, den Kläger in den Ruhestand zu versetzen, da dieser den an eine Tätigkeit als Lehrer gestellten Anforderungen - Durchsetzungsvermögen, hohe Belastbarkeit - aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen nicht genügen könne. Zudem sei er jedenfalls seit dem 16. August 2006 ununterbrochen dienstunfähig erkrankt, so dass von einer dauerhaften Leistungseinschränkung auszugehen sei. Eine anderweitige Verwendung sei vorliegend nicht zu prüfen, da diese im Hinblick auf die Feststellungen der amtsärztlichen Gutachten sowie die Krankheitszeiten des Klägers nicht möglich sei.

Nach Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung und des Personalrates sowie nochmaliger Anhörung des Klägers versetzte der Beklagte diesen mit Bescheid vom 8. Januar 2009 mit Ablauf des 31. Januar 2009 in den Ruhestand. Zur Begründung nahm er insbesondere Bezug auf die amtsärztlichen Gutachten vom 29. März 2007 und vom 28. September 2007 und stellte die Dienstunfähigkeit des Klägers fest.

Den von dem Kläger hiergegen erhobenen Widerspruch vom 21. Januar 2009 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24. April 2009, dem Kläger zugestellt am 4. Mai 2009, zurück. Zur Begründung verwies er insbesondere ergänzend auf die Stellungnahme der Frau DM B. vom 24. Juli 2008 und vertiefte seine Erwägungen zur Dienstunfähigkeit des Klägers im Hinblick auf die gerade am Oberstufenzentrum des Landkreises mit seiner höchst unterschiedlichen Schülerschaft herrschenden Anforderungen an Durchsetzungsvermögen und eine hohe psychische und körperliche Belastbarkeit. Die von dem Kläger zum Beleg seiner Dienstfähigkeit vorgelegten und nicht substantiiert begründeten privatärztlichen Atteste vom 10. Dezember 2008 und vom 16. Dezember 2008 hätten gegenüber den amtsärztlichen Gutachten keinen höheren Beweiswert, auch ansonsten seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass die amtsärztlichen Feststellungen unrichtig seien. Die in den Gutachten beschriebenen Einschränkungen ließen nur die Schlussfolgerung zu, dass sich die Auswirkungen der körperlichen Gebrechen auch auf die Anforderungen auswirkten, die dem Kläger in seinem konkreten Amt als Dienstpflichten oblägen. Es fehlten zudem jegliche Anhaltspunkte für eine Verbesserung seines gesundheitlichen Zustandes, weshalb die Zurruhesetzung auch aus Fürsorgegründen erfolgt sei. Da der Kläger sich als dienstunfähig für die Tätigkeit eines Studienrates erwiesen habe, scheide auch die Übertragung eines anderen Amtes derselben Laufbahn - zumal diese sämtlich Beförderungsämter mit erhöhten Leistungsanforderungen seien - mangels Geeignetheit aus. Im Verwaltungsbereich entspreche seiner bisherigen Laufbahn die Tätigkeit eines Regierungsrates auf dem Dienstposten z. B. eines Referenten in der obersten Landesbehörde. Diese Dienstposten erforderten eine hohe Leistungsbereitschaft, eine starke Belastbarkeit, ein hohes Maß an Selbständigkeit und Teamfähigkeit. Unabhängig davon, dass eine entsprechende Planstelle derzeit nicht verfügbar sei, genüge der Kläger den Anforderungen an eine Übertragung eines anderen Amtes derselben oder einer anderen Laufbahn aus gesundheitlichen Gründen nicht. Ebenso wenig sei die Übertragung einer geringwertigeren Tätigkeit innerhalb der Laufbahngruppe des Klägers möglich, da selbst das Eingangsamt des Lehrers noch eine Lehrertätigkeit wäre, die mit denselben Belastungen verbunden sei.

Am 2. Juni 2009 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Er verweist auf seine im Verwaltungsverfahren erhobenen Einwendungen, wonach Frau DM B. im Rahmen ihrer Begutachtung Untersuchungen zu den Funktionseinschränkungen nicht durchgeführt und nicht berücksichtigt habe, dass er seine neue Orthese erst einen Tag vor der Untersuchung erhalten habe. Bis März 2007 sei eine Versorgung mit der notwendigen Orthese nicht gewährleistet gewesen, was zu den Krankheitszeiten geführt habe. Eine Wiedereingliederung im Jahr 2007 habe der Beklagte dagegen abgelehnt. Seinen aktuellen Gesundheitszustand habe er, der Kläger, durch Vorlage der privatärztlichen Atteste belegt. Der Beklagte beziehe sich demgegenüber auf Gutachten, die entweder - wie die Gutachten aus dem Jahr 2005 - zur Frage der Dienstfähigkeit keine Aussage treffen würden oder - wie die Gutachten aus dem Jahr 2007 - vom Verwaltungsgericht Cottbus bereits als nicht ausreichend gewertet worden seien. Unstreitig sei seine, des Klägers, Geh- und Stehfähigkeit herabgesetzt. Jedoch seien seine Arbeitsbedingungen seinen schon vor dem Unfall bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen angepasst gewesen, so dass er uneingeschränkt in der Lage gewesen sei, seinen Lehrverpflichtungen nachzukommen. Jedenfalls für eine überwiegend sitzende Tätigkeit sei er dienstfähig, wie das Gutachten des Landesamtes für Gesundheit und Soziales - Zentrale Medizinische Gutachtenstelle - vom 16. Oktober 2009 belege.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 8. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2009 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, dass er unter Heranziehung der seit Januar 2005 im Zusammenhang mit dem Dienstunfall erstellten amtsärztlichen Gutachten und Stellungnahmen sowie der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens zur Überzeugung gelangt sei, dass der Kläger dienstunfähig sei. Alle Gutachter seien sich darin einig, dass bei dem Kläger infolge seiner Erkrankung an Kinderlähmung eine erhebliche Einschränkung der Mobilität vorliege. So sei es dem Kläger im Zeitpunkt der amtsärztlichen Untersuchung im März 2007 nicht möglich gewesen, längere Wegstrecken über 10 Minuten zurückzulegen, Treppen zu steigen oder länger als acht Minuten zu stehen. Frau DM S. sei im Rahmen ihrer Anhörung im Juni 2008 davon ausgegangen, dass dem Kläger das Erreichen der Räumlichkeiten erhebliche Probleme bereite, soweit dies mit Treppen steigen und Tragen von schweren Gegenständen verbunden sei. Ein solches Mindestmaß an Bewegungsfähigkeit und Belastbarkeit sei jedoch im Rahmen einer Tätigkeit im Schuldienst unabdingbar. Die Gutachten aus dem Jahre 2007 hätten zudem alle festgestellt, dass der Kläger dienstunfähig sei. Habe sich die amtsärztliche Stellungnahme vom 29. März 2007 hierfür noch auf den Krankheitsverlauf seit dem 16. August 2006 und die abgebrochene Wiedereingliederung bezogen, wird in der Stellungnahme vom 28. Juni 2007 auf die poliomyelitische Schädigung als Ursache verwiesen. Auch das amtsärztliche Gesundheitszeugnis vom 28. September 2007 begründe seine Feststellungen überaus ausführlich und überzeugend und gelange zudem zu dem Ergebnis, dass nicht das Vorhandensein oder Fehlen der Oberschenkelorthese ursächlich für die Dienstunfähigkeit des Klägers sei, sondern seine auf seiner Vorerkrankung beruhende allgemeine körperliche Verfassung. Sei die Feststellung der Dienstunfähigkeit erfolgt, sei der Beamte in den Ruhestand zu versetzen, soweit keine Zweifel an den gutachterlichen Feststellungen bestehen, für die er, der Beklagte, hier schon nach dem ersten Gutachten vom 29. März 2007 keinen Anlass gesehen habe. Einen Zeitpunkt der Wiederherstellung seiner vollen Arbeitsfähigkeit habe weder der Kläger noch die ihn behandelnde Ärztin benennen können. Zudem habe der Kläger einen bereits im April 2002 erlittenen privaten Unfall nicht mitgeteilt und ebenso verschwiegen, dass ihm bereits seit dem 1. April 2004 die Pflegestufe I zuerkannt worden sei. In Ansehung dieser Umstände sei der Kläger möglicherweise schon viel früher dienstunfähig gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie des zum hiesigen Verfahren und zu den Verfahren 5 K 633/05 und 5 K 197/09 beigezogenen Verwaltungsvorganges (8 Hefte) ergänzend Bezug genommen.

Hinweis:

Fachbeiträge zum Thema finden Sie im Diskussionsforum Rehabilitations- und Teilhaberecht der Deutschen Vereinigung für Rehabilitation (DVfR) unter:
http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/b/2014/B16...
http://www.reha-recht.de/fileadmin/download/foren/c/2014/C19...

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Berlin

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist begründet. Der angefochtene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).

Maßgebliche Rechtsgrundlage der hier streitgegenständlichen Versetzung in den Ruhestand ist § 111 Abs. 1 Satz 1 und 2 i. V. m. § 113 LBG a. F.

Hiernach ist ein Beamter auf Lebenszeit in den Ruhestand zu versetzen, wenn er aus gesundheitlichen Gründen dienstunfähig ist, was auch dann angenommen werden kann, wenn der Beamte infolge Erkrankung innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Monate keinen Dienst getan hat und keine Aussicht besteht, dass er innerhalb weiterer sechs Monate wieder voll dienstfähig wird, § 111 Abs. 1 Satz 1 und 2 LBG a. F. Beantragt der vom Dienstherrn für dienstunfähig gehaltene Beamte seine Versetzung in den Ruhestand nicht selbst, ist gemäß § 113 LBG a. F. ein Zwangspensionierungsverfahren durchzuführen.

Maßgeblicher Anknüpfungspunkt für die Prüfung, ob der Beklagte den Kläger zu Recht in den Ruhestand versetzt hat, ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, hier also der Erlass des Widerspruchsbescheides vom 24. April 2009.

1. Die Versetzung des Klägers in den Ruhestand ist vorliegend zum einen deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte seiner Entscheidung keine hinreichend aussagekräftige ärztliche Einschätzung zu Grunde gelegt hat. Gemäß § 115 a Abs. 1 LBG a. F. muss das ärztliche Gutachten nicht nur das Untersuchungsergebnis mitteilen, sondern auch die das Ergebnis tragenden Feststellungen und Gründe sowie die in Frage kommenden Maßnahmen zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit, soweit deren Kenntnis für die Behörde unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit für die Entscheidung über die Zurruhesetzung erforderlich ist. Danach muss das Gutachten sowohl die notwendigen Feststellungen zum Sachverhalt, d. h. die in Bezug auf den Beamten erhobenen Befunde enthalten als auch die aus medizinischer Sicht daraus abzuleitenden Schlussfolgerungen für die Fähigkeit des Beamten, sein abstrakt-funktionelles Amt weiter auszuüben. Wie detailliert die Ausführungen sein müssen, ist im Hinblick auf die Funktion des Gutachtens zu beantworten. Eine amtsärztliche Stellungnahme im Zwangspensionierungsverfahren soll dem Dienstherrn die Entscheidung darüber ermöglichen, ob der Beamte zur Erfüllung seiner Dienstpflichten dauernd unfähig ist und ggf. welche Folgerungen aus einer bestehenden Dienstunfähigkeit zu ziehen sind. Zugleich muss das Gutachten es dem Beamten ermöglichen, sich mit den Feststellungen und Schlussfolgerungen des Amtsarztes bzw. mit der darauf beruhenden Entscheidung des Dienstherrn auseinanderzusetzen und sie ggf. substantiiert anzugreifen. Deshalb darf sich das Gutachten nicht auf die bloße Mitteilung einer Diagnose und eines Entscheidungsvorschlages beschränken, sondern muss die für die Meinungsbildung des Amtsarztes wesentlichen Entscheidungsgrundlagen erkennen lassen. Dabei sind Verweise auf an anderer Stelle erhobene Befunde bzw. formulierte Bewertungen zulässig, wenn deutlich wird, in welchem Umfang sich der Amtsarzt ihnen anschließt. Wie detailliert eine amtsärztliche Stellungnahme danach jeweils sein muss, richtet sich nach den Umständen des jeweiligen Einzelfalles (vgl. zum Ganzen Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 20. Januar 2011 - 2 B 2/10 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 5).

Diesen Anforderungen genügen die von dem Beklagten seiner Entscheidung zu Grunde gelegten amtsärztlichen Gutachten und Stellungnahmen nicht.

Die knappe Stellungnahme der Frau DM B. vom 29. März 2007 enthält bis auf die Angabe der Untersuchung des Klägers weder Aussagen zu den erhobenen Befunden noch überhaupt eine Diagnose oder Feststellungen zu den Auswirkungen der Gesundheitsbeeinträchtigung. Ebenso wenig werden Maßnahmen zur Wiederherstellung der Dienstfähigkeit oder Folgerungen aus der Dienstunfähigkeit diskutiert. Die Gutachterin hat ihre Stellungnahme zwar nachfolgend ergänzt, wobei das Schreiben vom 28. Juni 2007 zwar eine Auslistung der von ihr zugrunde gelegten anderweitig erhobenen Befunde und erstellten Atteste aus den Jahren 2003 bis 2006 enthält, ohne allerdings erkennen zu lassen, in welchem Umfang sie sich ihnen anschließt. Dementsprechend vermag auch die ergänzende schriftliche Stellungnahme der Frau DM B. vom 24. Juli 2008 den Anforderungen an ein amtsärztliches Gutachten im Rahmen des Zwangspensionierungsverfahrens nicht zu genügen, auch wenn die Gutachterin hier erstmals die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers, die zum Zeitpunkt der Untersuchung bestehenden Funktionsbeschränkungen und eine Prognose bezüglich des (nicht absehbaren) Wiedererreichens der Dienstfähigkeit benennt.

Nicht verwertbar sind auch das amtsärztliche Gesundheitszeugnis der Frau DM S. vom 28. September 2007 und deren Zeugenaussage vom 15. Juli 2008, die weder zu den Auswirkungen der gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers noch zu aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen oder zur Aussicht auf Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit hinreichende Angaben gemacht hat.

Zudem boten die benannten amtsärztlichen Stellungnahmen dem Beklagten keine hinreichend aktuelle Grundlage für die Entscheidung über die Zurruhesetzung des Klägers. Denn selbst die Stellungnahme der Frau DM B. im Rahmen des Ermittlungsverfahrens erfolgte nicht nur bereits am 24. Juli 2008, also neun Monate vor Erlass des Widerspruchsbescheides am 24. April 2009. Ihre Feststellungen sind vielmehr zudem ausdrücklich auf den Zeitpunkt ihrer Untersuchung des Klägers am 29. März 2007 bezogen; eine Aussage zum aktuellen Gesundheitszustand konnte die Gutachterin dagegen ausdrücklich nicht treffen. Damit stützt sich der Beklagte für seine Entscheidung auf einen gesundheitlichen Zustand des Klägers, der im Zeitpunkt der - hier maßgeblichen - letzten Behördenentscheidung bereits über zwei Jahre zurück lag. Dies unterliegt hier um so mehr durchgreifenden Bedenken, als der Kläger ab dem Jahr 2007, nachdem er nämlich - und zwar einen Tag vor der amtsärztlichen Untersuchung am 29. März 2007 - mit einer passenden und ausreichenden Ganzbeinorthese versorgt war, wiederholt seine Wiedereingliederung beantragt hat, die ihm im Hinblick auf das eingeleitete Zurruhesetzungsverfahren aber verwehrt worden war. Mit dem diesbezüglichen Vortrag des Klägers, wonach seine Dienstausfallzeiten bis März 2007 auf der mangelnden Versorgung mit einer passenden Orthese basierten, setzen sich im Übrigen weder der Beklagte noch die von ihm in Bezug genommenen Gutachten auseinander, insbesondere entgegen der Darstellung des Beklagten auch nicht das amtsärztliche Gesundheitszeugnis vom 28. September 2007 der Frau DM S., das insoweit lediglich auf den Abschluss des behördlichen Dienstunfallverfahrens verweist.

Der Vortrag des Beklagten, dass der Kläger möglicherweise schon längere Zeit vor der Einleitung des Zurruhesetzungsverfahrens dienstunfähig gewesen sei, wofür der Beklagte auf einen weiteren Unfall des Klägers im Jahre 2002 und den Umstand verweist, dass der Kläger bereits seit dem Jahre 2004 die Pflegestufe 1 zuerkannt bekommen hat, was von dem Kläger verschwiegen worden sei, so dass die amtsärztlichen Gutachten diese Umstände nicht in ihre Wertungen konnten, vermag nicht im Ansatz ein anderes Ergebnis zu rechtfertigen. Ungeachtet dessen, dass der Beklagte damit letztlich selbst vorträgt, dass die von ihm in Bezug genommenen Gutachten auf einer unzureichenden Tatsachengrundlage ergangen und deshalb nicht verwertbar seien, ist nicht nachvollziehbar, was der Beklagte aus den von ihm selbst nur hypothetisch formulierten Umständen für sich ableiten will. Der vorliegend angefochtenen Entscheidung lagen sie jedenfalls nicht zugrunde, deren Rechtmäßigkeit sich auch nicht aus - möglicherweise gegebenen - Ersatzursachen begründen lässt.

Nur am Rande sei darauf verwiesen, dass der Kläger den privaten Unfall aus dem Jahr 2002 entgegen der Behauptung des Beklagten offenkundig nicht verschwiegen hat. Der Kläger erlitt hierbei rechtsseitig eine Tibiakopffraktur, wegen der er nicht nur dienstunfähig krank geschrieben war, sondern die in den dem Gericht vorliegenden Unterlagen wiederholt Erwähnung gefunden hat, so etwa in der fachärztlichen Stellungnahme der Frau Dr. W. vom 31. Januar 2005 und deren Gutachten vom 23. Februar 2006 sowie in der ärztlichen Bescheinigung der Frau DM K. vom 18. August 2006. Auch der Beklagte selbst erwähnt die Fraktur wiederholt, so etwa im Widerspruchsbescheid vom 25. Mai 2005 und in seiner Klageerwiderung vom 17. August 2005 im Verfahren 5 K 179/09 sowie im Ermittlungsbericht zum Zwangspensionierungsverfahren vom 21. November 2008. Soweit hieraus weder in den amtsärztlichen Gutachten noch von dem Beklagten selbst Schlussfolgerungen gezogen wurden, mag dies daran liegen, dass diese Fraktur, worauf der Kläger plausibel verwiesen hat, folgenlos verheilt ist, weshalb er seinerzeit eine Ganzbeinorthese lediglich zur Entlastung des Kniegelenks und Unterstützung des Heilungsprozesses über einen Zeitraum von ca. vier Wochen getragen hat.

Auch der Verweis auf die dem Kläger zuerkannte Pflegestufe bleibt fruchtlos, da sich allein hieraus - ebenso wie etwa aus dem dem Kläger zuerkannten Grad der Behinderung - keinerlei Aussagen zur Dienstunfähigkeit ableiten lassen, die sich nach gänzlich anderen Kriterien bestimmt.

Schließlich vermögen auch die weiteren Ausführungen des Beklagten nicht erkennen lassen, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Zurruhesetzung tatsächlich dienstunfähig gewesen ist. Soweit der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid darauf verweist, dass die Tätigkeit an einem Oberstufenzentrum Durchsetzungsvermögen und ein hohes Maß an psychischer und körperlicher Belastbarkeit erfordert, da gerade an dieser Schule mit einer höchst unterschiedlichem Schülerschaft gearbeitet werden müsse, verkennt er, dass es für die Annahme der Dienstunfähigkeit nicht ausreicht, dass der Beamte die Aufgaben des von ihm wahrgenommenen Amtes im konkret-funktionellen Sinn, also des konkreten Dienstpostens, nicht mehr erfüllen kann. Maßstab für die Beurteilung der Dienstunfähigkeit ist vielmehr das dem Beamten zuletzt übertragene Amt im abstrakt-funktionellen Sinn. Es umfasst alle bei der Beschäftigungsbehörde dauerhaft eingerichteten Dienstposten, auf denen der Beamte amtsangemessen beschäftigt werden kann. Dienstunfähigkeit setzt daher voraus, dass bei der Beschäftigungsbehörde kein Dienstposten zur Verfügung steht, der dem statusrechtlichen Amt des Beamten zugeordnet und gesundheitlich für ihn geeignet ist (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73/08 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 14 sowie Beschluss vom 6. März 2012 - 2 A 5/10 -, zitiert nach juris, dort Rdn. 2). Dabei ist ein Beamter weiterhin dienstfähig, wenn ein geeigneter Dienstposten entweder für ihn frei gemacht oder durch organisatorische Änderungen eingerichtet werden kann (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73/08 -, a. a. O., dort Rdn. 15). Dass der Beklagte dies beachtet und entsprechende Überlegungen bzw. Prüfungen vorgenommen hat, etwa einen Einsatz des Klägers als Studienrat an einer behindertengerecht ausgestatteten Schule, ist vorliegend nicht ersichtlich. Aus den amtsärztlichen Gutachten geht zudem nicht hervor, dass der Kläger, der bereits vor seinem Dienstunfall körperlich beeinträchtigt und schwerbehindert mit einem GdB von 90 und dennoch langjährig als Lehrer am Oberstufenzentrum tätig war, neben seiner Mobilitätseinschränkung nicht über das für diese Tätigkeit erforderliche Durchsetzungsvermögen und eine hohe Belastbarkeit im Übrigen verfügte.

2. Die hier angefochtene Versetzungsverfügung ist darüber hinaus auch deshalb rechtswidrig, weil der Beklagte die nach § 111 Abs. 3 LBG a. F. gebotene Suche nach einer anderweitigen Verwendung des Klägers nicht bzw. nicht den Anforderungen entsprechend durchgeführt hat.

Gemäß § 111 Abs. 3 LBG a. F. soll von der Versetzung eines Beamten in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit abgesehen werden, wenn ihm ein anderes Amt derselben oder einer anderen Laufbahn übertragen werden kann. Die Norm ist Ausdruck des Grundsatzes "Weiterverwendung vor Versorgung". Ein dienstunfähiger Beamter soll nur dann aus dem aktiven Dienst ausscheiden, wenn er dort nicht mehr eingesetzt werden kann. Ziel der Vorschrift ist es, dienstunfähige Beamte nach Möglichkeit im aktiven Dienst zu halten, wobei sich die Suche nach einer anderweitigen Verwendung regelmäßig auf den gesamten Bereich des Dienstherrn und auch auf Dienstposten zu erstrecken hat, die erst in absehbarer Zeit voraussichtlich neu zu besetzen sind. (vgl. zum Ganzen Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. März 2009 - 2 C 73/08 -, a. a. O., dort Rdn. 19 ff. sowie Beschluss vom 6. März 2012 - 2 A 5/10 -, a. a. O., dort Rdn. 4). Es ist Sache des Dienstherrn, schlüssig darzulegen, dass er bei der Suche nach einer anderweitigen Verwendung für den dienstunfähigen Beamten die Vorgaben des § 111 Abs. 3 LBG a. F. beachtet hat.

Hier hat der Beklagte von vorn herein gar nicht nach einer anderen Verwendungsmöglichkeit für den Kläger gesucht. Dies ergibt sich - abgesehen davon, dass keinerlei entsprechende Aktivitäten in den Akten dokumentiert sind - insbesondere aus dem Ergebnisbericht der Ermittlungsführerin des Zwangspensionierungsverfahrens vom 21. November 2008, wonach eine entsprechende Prüfung hier im Hinblick auf die festgestellte Dienstunfähigkeit mangels deshalb möglicher Weiterverwendung entfalle. Zur Begründung beruft sich die Ermittlungsführerin ebenfalls auf die schon benannten amtsärztlichen Gutachten und Zeugenaussagen der Frau DM B. und der Frau DM S. Diese haben sich jedoch mit keinem Wort zu einer anderweitigen Verwendungsmöglichkeit geäußert.

Auch die entsprechenden Ausführungen im Widerspruchsbescheid vermögen nicht zu überzeugen. So ist besonders der pauschale Hinweis, dass der Kläger auch den Anforderungen einer amtsangemessene Verwendung im Verwaltungsbereich des Beklagten aus gesundheitlichen Gründen nicht genüge, durch nichts, insbesondere nicht durch eine entsprechende amtsärztliche Feststellung, begründet. Soweit er darauf verweist, dass etwa die Tätigkeit als Referent in der obersten Landesbehörde eine hohe Leistungsbereitschaft, eine starke Belastbarkeit, ein hohes Maß an Selbständigkeit und Teamfähigkeit erfordern, sind keinerlei tatsächliche Feststellungen erkennbar, aus denen zu schließen wäre, dass der Kläger hierüber nicht verfügt. Fehlerhaft ist insoweit auch der Verweis darauf, dass eine entsprechende Planstelle derzeit nicht verfügbar sei, was nach oben Gesagtem einer anderweitigen Verwendung nicht zwingend entgegensteht.

Da die Versetzung des Klägers in den Ruhestand schon hiernach rechtswidrig war, konnte die Kammer vorliegend darauf verzichten, zur Frage der Dienstunfähigkeit ein weiteres Gutachten einzuholen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Referenznummer:

R/R5943


Informationsstand: 19.09.2013