Urteil
Keine Erstattung bei rückwirkender Feststellung des Nachteilsausgleichs unentgeltliche Personenbeförderung

Gericht:

BSG


Aktenzeichen:

B 9 SB 3/01 R


Urteil vom:

07.11.2001


Grundlage:

Leitsatz:

Die rückwirkende Feststellung der Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "unentgeltliche Personenbeförderung" begründet keinen Anspruch auf Erstattung der im Rückwirkungszeitraum angefallenen Fahrtkosten. Dieses Ergebnis verstößt nicht gegen Artikel 3 Abs. 1 GG.

Kurzbeschreibung:

Der Kläger begehrte im Hinblick auf die rückwirkende Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" die teilweise Erstattung von Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel.

Das beklagte Land hat den entsprechenden Antrag des Klägers mit der Begründung abgelehnt, die begehrte Kostenerstattung sei gesetzlich nicht vorgesehen. Auch der Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen. Auch die Berufung des Klägers wurde zurückgewiesen.
Mit der Revision rügte der Kläger eine Verletzung des § 59 iVm § 4 des Schwerbehindertengesetzes (SchwbG) und macht geltend: Der Gesetzesauslegung der Vorinstanzen sei nicht zu folgen. Sowohl das SG als auch das LSG räumten ein, das der Wortlaut des Gesetzes zu unbefriedigenden Ergebnissen führe. Die Frage, ob ein Schwerbehinderter in den Genuss der Vorteile des Merkzeichens "G" komme, könne nicht von der Dauer der Bearbeitung seines Antrags abhängen. Vielmehr müssten ihm, falls die Zuerkennung des Merkzeichens - wie im vorliegenden Falle - rückwirkend erfolge, auch die inzwischen angefallenen Fahrtkosten erstattet werden.

Die Revision des Klägers hatte keinen Erfolg. Das beklagte Land ist nicht verpflichtet, ihm die durch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstandenen Kosten zu erstatten.

Im Fehlen von Ausgleichsregelungen oder "Ersatzansprüchen" für den Übergangszeitraum zwischen dem nachträglich festgestellten Eintritt der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "Unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr" und der Realisierbarkeit dieses Nachteilsausgleichs liegt entgegen der Ansicht der Revision keine Regelungslücke. Der Gesetzgeber hat vielmehr mit der Ausgestaltung des Nachteilsausgleichs eine zeitliche Diskrepanz zwischen dem Eintritt eines entsprechenden gesundheitlichen Zustands und der Einräumung des Nachteilsausgleichs in Kauf genommen. Der Zuwendung von unentgeltlicher Beförderung im Nahverkehr nach dem Schwerbehindertengesetz (SchwbG) liegt ein völlig anderes System zu Grunde, als etwa der Erbringung von Sachleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Während die Krankenkasse, wenn sie eine ihr obliegende Sachleistung zu Unrecht ablehnt, nach § 13 Abs. 3 des fünften Buchs Sozialgesetzbuch dem Versicherten die Kosten erstatten muss, wenn er sich die Sachleistung selbst beschafft hat, ist das beklagte Land nicht zur unentgeltlichen Personenbeförderung des Schwerbehinderten verpflichtet.

Soweit er das SchwbG durchführt, hat er nur die Aufgabe, Statusbescheide zu erlassen, insbesondere das Vorliegen einer Behinderung, den Grad der Behinderung und das Vorliegen weiterer gesundheitlicher Merkmale als Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen festzustellen.

Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheitert schon daran, dass ein Ausgleich des vom Kläger gesehenen wirtschaftlichen Nachteils durch eine zulässige Amtshandlung nicht denkbar ist. Es verbleiben dem Kläger gegebenenfalls Amtshaftungsansprüche, diese aber nur dann, wenn dem betreffenden Beamten der Versorgungsverwaltung bei der Bearbeitung des Antrags eine zumindest fahrlässige Amtspflichtverletzung iS des § 839 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zur Last fällt.

Dass das Sozialrecht keine Regelung über die Fahrtkostenerstattung bei verzögerter Zuerkennung eines Nachteilsausgleichs kennt, ist nicht verfassungswidrig. Insbesondere liegt gegenüber denjenigen Schwerbehinderten, die an Stelle der kostenlosen Beförderung im Personennahverkehr die Ermäßigung der Kfz-Steuer nach § 3a Abs. 2 Kraftfahrzeugsteuergesetz rückwirkend in Anspruch nehmen können, keine sachlich ungerechtfertigte Ungleichbehandlung vor. Die Ermäßigung der Kfz-Steuer und die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr sind nicht vergleichbar. Beide Vorteile hängen von unterschiedlichen Voraussetzungen ab und wirken sich wirtschaftlich unterschiedlich aus.

Rechtsweg:

SG Lübeck, Urteil vom 14. Dezember 1999 - S 12 SB 296/99
LSG Schleswig, Urteil vom 5. Dezember 2000 - L 2 SB 84/99

Quelle:

Sozialrecht + Praxis 03/2002

Aus den Gründen:

I.

Der Kläger begehrt von dem Beklagten Erstattung ihm durch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstandener Kosten, die er zeitlich nach dem - rückwirkend festgestellten - Eintritt seiner Schwerbehinderung und seiner erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr ( Merkzeichen "G"), aber vor dem Erlass des entsprechenden Feststellungsbescheides aufgewendet hat.

Der 1953 geborene Kläger beantragte im Juli 1997 unter anderem die Zuerkennung des Merkzeichens "G". Nachdem sich das Verwaltungsverfahren wegen seiner Alkoholerkrankung und entsprechender Entziehungskuren zunächst verzögert hatte, stellte der Beklagte mit Bescheid vom 23. März 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. Juni 1999 ab 10. Juli 1997 einen Grad der Behinderung (GdB) von 60 und die gesundheitlichen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "G" fest. Daraufhin beantragte der Kläger am 10. Juni 1999 die Erstattung von Kosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel in der Zeit vom Juli 1997 bis Juni 1999. In dieser Zeit seien ihm 1941 Mark Kosten entstanden. Der auf diese Monate entfallende Eigenanteil betrage 150 Mark, so dass ihm 1791 Mark zu erstatten seien.

Mit Bescheid vom 15. Juni 1999 lehnte der Beklagte die Erstattung mit der Begründung ab, hierfür gebe es keine gesetzliche Grundlage. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 1999 zurückgewiesen, seine Klage und seine Berufung sind erfolglos geblieben.

- Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 14. Dezember 1999 sowie Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts (LSG) vom 5. Dezember 2000 -

Das LSG führte in seinem Urteil sinngemäß aus, ein Anspruch auf teilweise Erstattung der Fahrtkosten für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel finde weder im Schwerbehindertengesetz (SchwbG) noch in der Ausweisverordnung Schwerbehindertengesetz (SchwbAwV) eine Rechtsgrundlage. Dem Beklagten gegenüber komme von vornherein nur ein Anspruch auf Ausstellung eines Beiblattes zum Schwerbehindertenausweis mit den entsprechenden Wertmarken für die unentgeltliche Beförderung in Betracht. Ein solches Beiblatt könne schon deswegen nicht nachträglich ausgestellt werden, weil zunächst ein Schwerbehindertenausweis erteilt werden müsse, der die vorherige Feststellung der Behinderung und des GdB sowie der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" voraussetze.

Dem Kläger sei einzuräumen, dass diese Gesetzeslage im Fall der rückwirkenden Zuerkennung des Nachteilsausgleichs "G" zu unbefriedigenden Ergebnissen führen könne. Das in § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SchwbAwV für den Beginn der Gültigkeitsdauer des Schwerbehindertenausweises vorgesehene Datum lasse nämlich erkennen, dass Feststellungen nach § 4 SchwbG stets auch für einen in der Vergangenheit liegenden Zeitraum erfolgten. Es hätte nahegelegen, dafür Sorge zu tragen, dass die mit den Statusfeststellungen verbundenen Rechtsvorteile dem Betroffen auch rückwirkend zugute kommen.

Das sei hinsichtlich steuerlicher Vergünstigungen auch der Fall. Indessen widerspreche es der gesetzlichen Systematik, wenn im Falle einer nachträglichen Feststellung der Vorraussetzungen für den Nachteilsausgleich "G" die Versorgungsämter eine Geldleistung gegenüber dem Schwerbehinderten zu erbringen hätten. Auch bestehe insoweit weder Folgebeseitigungsanspruch noch ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch.

Mit der zugelassen Revision verfolgte der Kläger seinen Anspruch weiter. Er rügt die Verletzung des § 59 iVm § 4 SchwbG und der §§ 4 bis 6 der SchwbAwV. Es leuchte nicht ein, weshalb dem Schwerbehinderten, der nach § 3a Abs. 3 SchwbAwV anstelle der unentgeltlichen Beförderung die Kraftfahrzeugsteuerermäßigung in Anspruch nehmen wolle, diese rückwirkend zugute komme, dem Schwerbehinderten mit dem Merkzeichen "G", der kein Kraftfahrzeug besitze, der ihm zugedachte Nachteilsausgleich dagegen nicht. Es sei nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber ein solches Ergebnis beabsichtigt habe. Mithin liege eine Gesetzeslücke vor, die insbesondere deswegen erheblich sei, weil erfahrungsgemäß zwischen Antragstellung und Zuerkennung des Merkzeichens häufig mehrere Jahre vergingen.

Der Beklagte hält das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts für richtig. Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.


II.

Die zulässige Revision des Klägers ist nicht begründet.

Da der Kläger Erstattungsansprüche für Zeiträume vor Inkrafttreten des seit 1. Juli 2001 geltenden Neunten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB IX) vom 19. Juni 2001 (BGBl I S. 1046) geltend macht, sind die einschlägigen Bestimmungen des SchwbG idF der Neubekanntmachung vom 26. August 1986 (BGBl I S. 1421) und des Gesetzes vom 11. Januar 1993 (BGBl S. 50) sowie die SchwbAwV vom 25. Juli 1991 (BGBl I S. 1739) idF des Gesetzes vom 27. Dezember 1993 (BGBl I S. 2378) maßgebend.

Gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 SchwbG sind unter anderem Schwerbehinderte, die durch ihre Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind, von Unternehmern des öffentlichen Personennahverkehrs unentgeltlich zu befördern.

Dazu müssen sie lediglich ihren entsprechend gekennzeichneten Ausweis nach § 4 Abs. 5 SchwbG ( Schwerbehindertenausweis) vorlegen. Gemäß den Sätzen 2 und 3 der Vorschrift muss der Ausweis mit einer Wertmarke versehen sein, der in der Regel gegen Entrichtung eines Betrages von 120 Mark für ein Jahr - oder 60 Mark für ein halbes Jahr - ausgegeben wird. Gemäß § 4 Abs. 1 und 4 SchwbG haben die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden (etwa Versorgungsämter) einerseits die Schwerbehinderung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG iVm § 1 SchwbG) und andererseits das Vorliegen der gesundheitlichen Merkmale für die erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (§ 4 Abs. 4 iVm § 59 Abs. 1 und § 60 Abs. 1 SchwbG) festzustellen.

Ferner obliegt es ihnen, einen Ausweis über die Eigenschaft als Schwerbehinderter sowie über das Vorliegen einer erheblichen Behinderung der Bewegungsfähigkeit im öffentlichen Straßenverkehr auszustellen ( § 4 Abs. 5 SchwbG). Einzelheiten bestimmt insoweit die gemäß § 4 Abs. 5 Satz 5 erlassene SchwbAwV. Sie sieht für die betreffenden Schwerbehinderten in § 1 Abs. 2 die Ausstellung eines Ausweises mit einem halbseitig orangefarbenen Flächenaufdruck vor. Gemäß § 3 Abs. 2 Nr. 2 SchwbAwV ist auf der Rückseite dieses Ausweises im ersten Feld das Merkzeichen "G" vorgedruckt.

Den Behörden der Versorgungsverwaltung obliegt es schließlich auch, den Schwerbehinderten, die das Recht auf unentgeltliche Beförderung in Anspruch nehmen wollen, auf Antrag ein Beiblatt auszustellen, das mit einer Wertmarke versehen ist (§ 59 Abs. 1 Satz 7 SchwbG iVm § 3a SchwbAwV). Den Unternehmern, die nach § 59 SchwbG zur unentgeltlichen Beförderung der mit diesen Urkunden versehenen Schwerbehinderten im Nahverkehr verpflichtet sind, werden die Fahrgeldausfälle gemäß § 62 ff SchwbG in pauschalierter Form durch die in § 65 bestimmten Kostenträger erstattet.

Statt der Wahrnehmung des vorbezeichneten Nachteilsausgleichs steht es den Schwerbehinderten mit dem Merkzeichen "G" auch frei, Kraftfahrzeugsteuerermäßigung nach § 3a Abs. 2 Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG) in Anspruch zu nehmen. Nach dieser Vorschrift, die hier in der Fassung vom 24. Mai 1994 (BGBl I S. 1102) - gültig vom 1. April 1994 bis 30. Juni 2001 - anzuwenden ist, ermäßigt sich die Steuer um 50 von Hundert für Kraftfahrzeuge, die für Schwerbehinderte zugelassen sind. Sie müssen in geeigneter Form nachweisen können, dass sie die Voraussetzungen des § 59 Abs. 1 Satz 1 SchwbG erfüllen.

Die Steuerermäßigung wird nicht gewährt, solange der Schwerbehinderte das Recht zur unentgeltlichen Beförderung nach § 59 SchwbG in Anspruch nimmt. Die Inanspruchnahme der Steuerermäßigung ist vom Finanzamt auf dem Schwerbehindertenausweis zu vermerken. Andererseits wird nach § 59 Abs. 1 Satz 6 SchwbG die zur unentgeltlichen Beförderung im Nahverkehr erforderliche Wertmarke nicht ausgegeben, wenn der Ausweis einen gültigen Vermerk über die Inanspruchnahme von Kraftfahrzeugsteuerermäßigung enthält.

Der Status, des Schwerbehinderten und die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen beginnen grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (Vergleiche BSGE 48, 167, 169 = SozR 2200 § 176c Nr.1 ; BsG SozR 2200 § 176c Nr. 9; BSGE 60, 284, 285 = SozR 3870 § 3 Nr. 23; Neumann/Pahlen, SchwG, 9. Auflage, RdNr. 11 ff z § 1, RdNr. 37 zu § 4; Dopatka in GK-SchwbG, 2. Auflage, RdNr. 149 zu § 4).

Dem entspricht es, dass in § 6 Abs. 1 Nr. 1 der SchwbAwV als Beginn der Gültigkeit des Ausweises in der Regel nicht etwa der Tag der behördlichen Feststellung iS des § 4 Abs. 1 und 4 SchwbG oder der Zeitpunkt der Aushändigung des Ausweises, sondern der Tag des Eingangs des Antrages auf Feststellungen iS des § 4 SchwbG einzutragen ist. Ausnahme ist, wenn die jeweiligen Voraussetzungen zu einem späteren Zeitpunkt eingetreten seien.
Nach § 6 Abs. 1 Satz 2 SchwbAwV kann auf Antrag unter bestimmten Voraussetzungen sogar ein früherer Zeitpunkt als der der Antragstellung eingetragen werden. Der Gesetzgeber beabsichtigte somit für den Regelfall eine rückwirkende Geltung des Ausweises. Dessen ungeachtet erhält der Behinderte die Möglichkeit, seinen Status als Schwerbehinderter und das Vorliegen der Voraussetzungen für Nachteilsausgleiche nachzuweisen, erst mit der Aushändigung des - gegebenenfalls entsprechend gekennzeichneten - Schwerbehindertenausweises, welche die vorherigen Statusfeststellungen nach § 54 SchwbG voraussetzt.

Die Feststellung der nach § 59 Abs. 1 SchwbG erforderlichen Voraussetzungen hat der Beklagte erst im Juni 1999 getroffen. Infolgedessen hat der Kläger frühestens zu diesem Zeitpunkt den entsprechend gekennzeichneten Schwerbehindertenausweis erhalten ( Vergleiche die Worte "auf Grund" in § 4 Abs. 5 SchwbG), mochte dieser auch bereits Juli 1997 gültig sein.

Für den bereits zurückliegenden Zeitraum von Juli 1997 bis Juni 1999 war der Kläger faktisch gehindert, Freifahrten in Anspruch zu nehmen. Zutreffend verweist die Revision darauf, dass der Kläger in dem Fall, dass in den Jahren 1997 bis 1999 ein Kraftfahrzeug auf ihn zugelassen wäre und er sein Wahlrecht entsprechend ausgeübt hätte, für diese Jahre rückwirkend Kraftfahrzeugsteuerermäßigung nach § 3a Abs. 2 KraftStG erhalten hätte. Gleichwohl stehen ihm wegen der Unmöglichkeit, rückwirkend für denselben Zeitraum noch unentgeltliche Personenbeförderung nach § 59 SchwbG in Anspruch zu nehmen, keine Ausgleichsansprüche in Geld zu. Für Geldansprüche, welche den Schwerbehinderten nachträglich wirtschaftlich so stellen, als habe er seinen Schwerbehindertenausweis mit dem Aufdruck "G" bereits zu Beginn des Rückwirkungszeitraums besessen, finden sich in den geltenden gesetzlichen Vorschriften keine Stütze. Das gilt insbesondere für die Erstattung etwaiger - in der Vergangenheit aufgewendeter - Kosten für die Beförderung im Personennahverkehr. Das Fehlen entsprechender gesetzlicher Vorschriften ist auch nicht verfassungswidrig. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Auszugehen ist davon, dass der in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigte Schwerbehinderte gegen den Versorgungsträger keinen Sozialleistungsanspruch hat, insbesondere keinen solchen auf unentgeltliche Personenbeförderung. Der Versorgungsträger ist insoweit nicht zu einer Leistung, auch nicht zu einer Sachleistung verpflichtet. Zwar ist die Versorgungsverwaltung an sich eine Leistungsverwaltung; soweit sie aber das SchwbG durchführt, hat sie nur die Aufgabe, Bescheide über die in § 4 SchwbG genannten Tatbestände, das heißt Feststellungsbescheide über die Zugehörigkeit von Behinderten zu einem bestimmten Personenkreis (Statusbescheide), zu erlassen.

Darüber hinaus ist sie dafür zuständig, das Vorliegen einer Behinderung, den GdB (§ 4 Abs. 1 Satz 1 SchwbG) und das Vorliegen weiterer gesundheitlicher Merkmale als Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen (§ 4 Abs. 4 SchwbG) festzustellen. Die ihr außerdem nach näherer Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen obliegenden Verpflichtungen, entsprechende Ausweise und - für den Fall der Feststellung des Merkzeichens "G" - Beiblätter und Wertmarken auszustellen, dienen nur dieser Aufgabe. Der Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen "G" wird durch die Unterlagen instande gesetzt, seinen Status nachzuweisen und die ihm eingeräumten Rechte (Nachteilsausgleiche) zu verwirklichen.

Die Versorgungsbehörden würden bei der Anwendung des Schwerbehindertengesetzes nur dann über Sozialleistungen entscheiden, wenn die vorgenannten Feststellungen ihrerseits als Sozialleistungen anzusehen wären. Das hat der Senat aber - unbeschadet der Anwendbarkeit bestimmter Vorschriften des Leistungsrechts auf die Statusbescheide der Versorgungsbehörden nach dem SchwbG (Vergleiche BSGE 60, 287, 291 = SozR 1300 § 48 Nr. 29) - in mehreren Entscheidungen verneint (BSGE 66, 120 ff = SozR 3870 § 4 Nr. 4). Mithin kann die späte Realisierbarkeit des dem Kläger zugedachten Nachteilsausgleichs schon deswegen keine irgendwie gearteten "Ersatzansprüche" gegen den Beklagten begründen, weil dieser gar nicht die unentgeltliche Beförderung, sondern lediglich die Feststellung eines vergünstigenden Status schuldet.

Auch gegen die Unternehmer des Nahverkehrs bestehen keinerlei Erstattungsansprüche. Es kann hier dahinstehen, welcher Natur der diesen gegenüber in § 59 Abs. 1 SchwbG eingeräumte Anspruch auf unentgeltliche Beförderung ist, insbesondere ob er privatrechtlicher oder öffentlich-rechtlicher Natur ist und ob er etwa eine Sozialleistung in Gestalt einer Sachleistung iS des § 11 SBG I zum Gegenstand hat (so möglicherweise das LSG; anders offenbar Spiolek in GK-SchwbG, 2. Auflage, RdNr. 96 zu § 59). Selbst ein solcher Sachleistungsanspruch wäre jedenfalls immer nur im Rahmen des § 59 SchwbG, also erst ab Innehabung von Ausweis und Wertmarken, eingeräumt.

Infolgedessen fehlt es für den Zeitraum, für den der Kläger Erstattung seiner Fahrtkosten geltend macht, auch in dieser an einem Leistungsanspruch, an dessen Stelle ein solcher Erstattungsanspruch treten könnte. Die Unternehmer sind nicht etwa dadurch ungerechtfertigt bereichert, dass sie nach § 62 ff SchwbG ihrerseits Erstattungsansprüche (gemäß § 65 SchwbG Bund und Länder) für solche Zeiträume erwerben, in welchen der Schwerbehinderte noch keinen Beförderungsanspruch gegen sie hat. Denn die Höhe der Kostenerstattung richtet sich nach der Zahl der ausgegebenen Wertmarken (Vergleiche dazu im einzelnen § 62 SchwbG) und setzt somit wiederum die vorherige Ausstellung von Ausweisen voraus. Selbst wenn man also den Erstattungsanspruch des einzelnen Unternehmers anteilig dem Beförderungsanspruch eines einzelnen Schwerbehinderten zuordnen könnte, so würde er jedenfalls nicht auf Zeiträume vor Ausstellung des Schwerbehindertenausweises und der entsprechenden Wertmarken entfallen.
In dem Fehlen von Ausgleichsregelungen oder "Ersatzansprüchen" für den Übergangszeitraum zwischen ( nachträglich festgestelltem) Eintritt der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich "unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr" und der Realisierbarkeit dieses Nachteilsausgleichs liegt entgegen der Ansicht der Revision keine Regelungslücke, vielmehr hat der Gesetzgeber mit der Ausgestaltung des Nachteilsausgleichs in der dargestellten Weise planmäßig eine zeitliche Diskrepanz zwischen dem Eintritt eines entsprechenden gesundheitlichen Zustandes und der Einräumung des fraglichen Nachteilsausgleiches in Kauf genommen.

Es liegt der Zuwendung von unentgeltlicher Beförderung im Nahverkehr nach dem SchwbG ein völlig anderes System zugrunde, als etwa der Erbringung von Sachleistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung. Deshalb lassen sich auch die Grundsätze des § 13 Abs. 3 des Fünften Buchs Sozialgesetzbuch (SBG V) nicht auf dieses System übertragen. Nach der letztgenannten Vorschrift hat die Krankenkasse dem Versicherten, dem sie eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte, oder demgegenüber sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat, die diesem entstandenen Kosten für die selbstbeschaffte Leistung in der entstandenen Höhe zu erstatten. Diese Vorschrift setzt aber voraus, dass die Krankenkasse eine Leistungspflicht (Vergleiche dazu § 11 SGB V) getroffen hatte, deren Erfüllung sie - auch durch Dritte, etwa die Kassenärztliche Vereinigung oder sonstige im Vierten Kapitel des SGB V (§§ 69 ff SGB V) genannte Leistungserbringer - sicherzustellen hatte.
Demgegenüber trifft, wie oben dargelegt, den Beklagten gerade keine Pflicht, dem in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr beeinträchtigten Schwerbehinderten eine Leistung - auch nicht die unentgeltliche Beförderung im Nahverkehr - zuzuwenden, sondern nur die Pflicht zur Vornahme von Feststellungen und zur Ausgabe von Ausweisen, welche dem Behinderten die Wahrnehmung entsprechender Rechte Dritten gegenüber ermöglichen.

Ein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch scheitert schon daran, dass ein Ausgleich des vom Kläger gesehenen wirtschaftlichen Nachteils durch eine zulässige Amtshandlung nicht denkbar ist (Vergleiche dazu auch OLG Nürnberg in NJW 1988, 1597 ff.). Es verbleiben dem Kläger gegebenenfalls Amtshaftungsansprüche, diese aber nur dann, wenn dem betreffenden Beamten der Versorgungsverwaltung bei der Bearbeitung des Antrages eine zumindest fahrlässige Amtspflichtverletzung iS des § 839 BGB zur Last fällt. Abgesehen davon, dass dafür keinerlei Anhaltspunkte bestehen, würde der Prüfung eines derartigen Anspruchs durch den anerkennenden Senat die zwingende verfassungsrechtliche Rechtswegzuweisung in Artikel 34 Satz 3 des Grundgesetzes (GG) entgegenstehen.

Der Senat kann auch keinen Verstoß der Regelung der unentgeltlichen Personenbeförderung im Nahverkehr gegen das GG erkennen, insbesondere nicht darin, dass Vorschriften fehlen, die eine irgendwie geartete Zuwendung von Ansprüchen für die Übergangszeit zwischen Eintritt der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" und der faktischen Möglichkeit vorhersehen, den Nachteilsausgleich "unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr" in Anspruch zu nehmen.

Insbesondere liegt darin kein erkennbarer Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Artikel 3 Abs. 1 GG. Dies gilt zunächst denjenigen in ihrer Bewegungsfähigkeit beeinträchtigten Schwerbehinderten gegenüber, die anstelle der kostenlosen Beförderung im Personennahverkehr die Ermäßigung der Kfz-Steuer nach § 3a Abs. 2 KraftStG in Anspruch nehmen (können). Zwar trifft das Vorbringen des Klägers zu, dass dieser Personenkreis den ihm zugedachten Nachteilsausgleich rückwirkend in Anspruch nehmen kann.

Es ist aber nicht erkennbar, dass dadurch eine strukturelle Ungleichbehandlung zum Nachteil derjenigen Betroffenen eintritt, welche die unentgeltliche Personenbeförderung wählen, und sei dies auch deswegen, weil sie kein Kraftfahrzeug besitzen. Das ergibt sich schon daraus, dass die Ermäßigung der Kraftfahrzeugsteuer und die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr miteinander nicht vergleichbar sind, da jeder der beiden Nachteilsausgleiche von anderen Voraussetzungen abhängt und andere Wirkungen hat. Die Ermäßigung der Kfz-Steuer besteht in einer Minderung der den Kraftfahrzeughalter regelmäßig treffenden öffentlich-rechtlichen Belastungen (Steuern).

Eine derartige, von der Zurücklegung von Wegen unabhängige Belastungen trifft den Nichtbesitzer von Kraftfahrzeugen nicht. Andererseits beschränken sich die bei der Inanspruchnahme unentgeltlicher Personenbeförderung für den Erwerb der Wertmarke aufzuwendenden Kosten - wenn solche überhaupt anfallen - auf jährlich 120 Mark (oder halbjährlich 60 Mark).
Insgesamt sind also die diesen Nachteilsausgleich wählenden Behinderten gegenüber den Inhabern von Kraftfahrzeugen, welche die Steuerermäßigung wählen, selbst im Falle eines länger dauernden Feststellungsverfahrens nicht notwendig wirtschaftlich benachteiligt. Im übrigen führt die geschilderte Regelung zu Sachzwängen für die Verschiedenbehandlung beider Personenkreise, so dass selbst eine unterstellte Benachteiligung der Nichtkraftfahrzeughalter als durch die Eigenart des Nachteilsausgleichs nach dem SchwbG sachlich gerechtfertigt hinzunehmen wäre.

Erst recht kann kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz darin gesehen werden, dass es innerhalb derjenigen Betroffenen, welche die unentgeltliche Personenbeförderung in Anspruch nehmen, hinsichtlich des Beginns des Nachteilsausgleichs zu Zufallsergebnissen kommen könnte, je nachdem, wie lange das Verwaltungsverfahren bis zur Feststellung der Schwerbehinderung und der gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" andauert (Vergleiche BSGE 60,7 = SozR 4100 § 141d Nr. 2).

Denn da infolge der dargestellten Eigenart des fraglichen Nachteilsausgleichs Beförderungsansprüche des Betroffenen - wenn überhaupt - erst nach Abschluss des Statusverfahrens entstehen, liegen gewisse Schwankungen des Beginnzeitpunktes für den Nachteilsausgleich bei den verschiedenen rückwirkend anerkannten Merkzeicheninhabern in der Natur der Sache und sind als unvermeidlich hinzunehmen. Die Zweckmäßigkeit der getroffenen Regelung, an welcher der Senat übrigens keinen Zweifel hat, unterliegt nicht der verfassungsrechtlichen Nachprüfung durch die Gerichte. Ob der Gesetzgeber dem betroffenen Personenkreis in der Lage des Klägers gegen einen - gegebenenfalls noch zu benennenden - Leistungsträger einen Anspruch auf Pauschalzahlung einräumen will, steht in seinem Regelungsermessen, eine entsprechende Regelung ist aber verfassungsrechtlich nicht geboten.

Nach der derzeitigen Rechtslage hat der Schwerbehinderte, der die Zuerkennung des Merkzeichens "G" beantragt hat, zu Vermeidung oder doch Begrenzung der wirtschaftlichen Nachteile, die ihm durch die Dauer des Feststellungsverfahrens nach § 4 SchwbG (heute § 69 SGB IX) drohen, nur die Möglichkeit, die Beschleunigung des Verwaltungsverfahrens - notfalls mit dem in § 88 Sozialgerichtsgesetz (SGG) vorgesehenen Rechtsbehelf ( Untätigkeitsklage) - zu betreiben oder einen Antrag auf einstweilige Anordnung (dazu vgl BVerfGE 46, 166 = SozR 1500 § 198 Nr. 1 und Meyer-Ladewig SGG 6. Aufl RdNr 2 ff, 22 zu § 97) zu stellen.

weitere Fundorte:
ZB 4/2002, S. 9

Referenznummer:

R/R1611


Informationsstand: 14.06.2002