Die Klägerin begehrt die Zustimmung des Beklagten zur ordentlichen Kündigung des bei ihr beschäftigten Beigeladenen.
Der am 16.5.1976 geborene Beigeladene ist seit 2.07.2001 bei der Klägerin beschäftigt. Nach dem Bescheid des Versorgungsamtes vom 25.03.2003 ist er Schwerbehinderter mit einem
GdB von 50.
Mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 10.03.2005 beantragte die Klägerin am 16.03.2005 beim Integrationsamt die Zustimmung zur - nur diese ist noch Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens - ordentlichen Kündigung des Beigeladenen mit der Begründung, dieser habe zu hohe Fehlzeiten, sei für Fehlverladungen verantwortlich und verweigere die Arbeit.
Mit Bescheid vom 29.04.2005 verweigerte das Integrationsamt die Zustimmung mit der Begründung, die Fehlverladungen im Jahr 2003 könnten aufgrund der verstrichenen Zeitspanne und der Tatsache, dass in der Zwischenzeit keine ähnlichen Vorkommnisse von der Arbeitgeberin dargelegt worden seien, nicht mehr als Kündigungsgrund herangezogen werden. Entsprechendes gelte für behauptetes unentschuldigtes Fehlen. Dieses sie auch nach erfolgter Abmahnung als unmittelbarer Kündigungsgrund verbraucht. Die Fehlzeiten seien nicht von arbeitsrechtlich erheblicher Dauer und stünden mit der Behinderung des Beigeladenen im Zusammenhang. Sie hätten den Entgeltfortzahlungszeitraum nicht überschritten. Eine dauerhafte Arbeitsverweigerung sei nicht gegeben. Die angeordnete verlängerten Arbeitszeiten könnten vom Beigeladenen aus gesundheitlichen Gründen nicht geleistet werden.
Den dagegen von der Klägerin eingelegten Widerspruch wies der bei dem Beklagten gebildete Widerspruchsausschuss mit Bescheid vom 5.10.2005 mit der im Wesentlichen gleichlautenden Begründung des Integrationsamtes zurück und führt noch aus, die angeordneten verlängerten Arbeitszeiten könnten vom Beigeladenen aus gesundheitlichen Gründen nicht geleistet werden. Dies sei dem Arbeitgeber bereits seit dem Jahr 2003 aufgrund eines fachärztlichen Attests bekannt. Die verlängerten Arbeitszeiten stellten Mehrarbeit im Sinne des
§ 124 SGB IX dar, von der ein schwerbehinderter Arbeitnehmer auf Verlangen, auch ohne Begründung und ohne Vorlage eines ärztlichen Attests, freigestellt werden müsse. Mehrarbeit im Sinne des § 124
SGB IX sei jede über acht Stunden werktäglich hinausgehende Arbeitszeit.
Am 14.10.2005 hat die Klägerin Klage erhoben und beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 29.04.2005 und dessen Widerspruchsbescheid vom 5.10.2005 aufzuheben und ihn zu verpflichten, die beantragte Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Beigeladenen zu erteilen. Zur Begründung hat sie geltend gemacht, die krankheitsbedingten Fehlzeiten hätten erhebliche betriebliche Nachteile mit sich gebracht und es seien solche Fehlzeiten auch in Zukunft zu befürchten. Gerechtfertigt sei die ordentliche Kündigung aber auch durch die dauerhafte Arbeitsverweigerung des Beigeladenen im Hinblick auf die im Betrieb angeordneten Arbeitszeiten
bzw. Überstunden. Zwar sei der Hinweis der Beklagten zutreffend, wonach auch der Umfang und die Schwere der Behinderung und deren Auswirkungen im Arbeitsbereich zu prüfen seien, soweit ein Ursachenzusammenhang zwischen den Kündigungsgründen und der Behinderung gegeben sei. Dies könne hier jedoch nicht angenommen werden. Die angeordneten Arbeitszeiten könnten vom Beigeladenen ohne weiteres geleistet werden. So habe er auch in der Vergangenheit Überstunden gemacht.
Dem Antrag des Beklagten und des Beigeladenen folgend hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 23.01.2006 die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt es
u. a. aus: Die vom Beklagten zu treffende Ermessensentscheidung sei rechtsfehlerfrei. Die Fehlzeiten des Beigeladenen seien nicht so gravierend gewesen, dass der Klägerin eine weitere Beschäftigung des Beigeladenen nicht mehr zumutbar sei. Auch die Versagung der Zustimmung hinsichtlich der behaupteten Arbeitsverweigerung sei jedenfalls im Ergebnis nicht ermessensfehlerhaft. Auch insoweit bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der festgestellten Behinderung des Beigeladenen und diesem Kündigungsgrund. Allerdings sei nicht hinreichend zwischen der Verweigerung von Mehrarbeit im Sinne des § 124
SGB IX und der Verlängerung der Arbeitszeit unterschieden worden. Dies führe jedoch nicht zur Ermessensfehlerhaftigkeit der Entscheidung des Beklagten, da die maßgeblichen Gesichtspunkte geprüft und erörtert worden seien.
Zur Begründung ihrer vom Senat mit Beschluss vom 9.05.2006 zugelassenen Berufung trägt die Klägerin fristgerecht vor: Die Entscheidung des Beklagten sei ermessensfehlerhaft. Diese habe nicht zwischen der Mehrarbeit im Sinne § 124
SGB IX und der angeordneten Samstagsarbeit, für die
§ 81 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX herangezogen werden müsse, unterschieden. Es sei vielmehr ausschließlich auf der Basis des § 124
SGB IX argumentiert worden, sodass es an hinreichenden Ermessenserwägungen bezüglich der angeordneten Samstagsarbeit fehle. Die beharrliche Arbeitsverweigerung des Beigeladenen rechtfertige ebenso wie die krankheitsbedingten Fehlzeiten seine Kündigung. Durch beides sei der betriebliche Ablauf erheblich gestört worden.
Der Beklagte und der Beigeladene halten das angegriffene Urteil für zutreffend und der Beklagte führt noch aus: Die Regelungen des § 81
Abs. 4
Nr. 4
SGB IX und des § 124
SGB IX verfolgten den gleichen Schutzzweck. Es solle sichergestellt werden, dass die Leistungsfähigkeit des schwerbehinderten Arbeitnehmers nicht durch zu lange Arbeitszeit überspannt werde. Wegen der gleichlaufenden Zweckrichtungen könnten die zu § 124
SGB IX angestellten Ermessenserwägungen auch auf die samstäglich angeordnete Arbeit übertragen werden. Letztlich könne die Einordnung der Samstagsarbeit als Mehrarbeit oder als Verlängerung der Arbeitszeit mangels eventueller Kündigungsrelevanz offen bleiben. Erheblich wäre das Fernbleiben von der Samstagsarbeit offensichtlich nur dann gewesen, wenn der Beigeladene hierdurch seine arbeitsvertragliche Pflicht verletzt hätte. Die wöchentliche Arbeitszeit des Beigeladenen betrage 40 Stunden. Bei der regulären Arbeitszeit von 7 bis 16 Uhr sei dies abzüglich der 30-minütigen Pause täglich an fünf Werktagen in der Woche (Montag bis Freitag) erreicht.
Im Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 101
Abs. 2
VwGO).
Die nach Zulassung durch den Senat statthafte und auch sonst zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat zu Recht und mit zutreffender Begründung die auf Verpflichtung zur Erteilung der Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Beigeladenen gerichtete Klage abgewiesen. Der Zustimmungsversagungsbescheid des Integrationsamtes vom 29.04.2005 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 5.10.2005 ist rechtmäßig.
Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen dargelegt, dass und weshalb die vom Beklagte zu treffende Ermessensentscheidung (
vgl. § 85 SGB IX,
§ 88 SGB IX) nicht deshalb fehlerhaft ist, weil die Fehlzeiten des Beigeladenen falsch gewichtet worden seien. Insoweit wird auf die Ausführung des Verwaltungsgerichts verwiesen, denen nichts hinzuzufügen ist (§ 130 b
VwGO).
Auch hinsichtlich der Beurteilung der von der Klägerin behaupteten Arbeitsverweigerung des Beigeladenen lassen sich keine durchschlagenden Ermessensfehler des Beklagten erkennen. Dies beruht auf folgenden Überlegungen:
Die Klägerin hat unter Inanspruchnahme ihres Direktions-
bzw. Weisungsrechts für alle Mitarbeiter der Produktion ab dem
25.02.2005 die Arbeitszeit bis auf Weiteres von 6 Uhr bis 16 Uhr und samstags von 6 Uhr bis 12 Uhr festgelegt. Soweit damit von Montag bis Freitag eine tägliche Arbeitszeit von mehr als acht Stunden gefordert wird, handelt es sich um Mehrarbeit im Sinne des § 124
SGB IX; im Übrigen um eine an § 81
Abs. 4
Nr. 4
SGB IX zu messende Arbeitszeitregelung.
Mehrarbeit im Sinne des § 124
SGB IX ist jede über acht Stunden werktäglich hinausgehende Arbeitszeit (so
BAG, Urteil vom
3.12.2002 -
9 AZR 462/01 -, BAGE 104, 73 = br 2003, 150). Dies beruht auf der Erwägung dass nach der herkömmlichen arbeitsrechtlichen Begriffsverwendung Mehrarbeit diejenige Arbeit ist, die über die gesetzliche Arbeitszeit hinausgeht. Diese beträgt nach dem Arbeitszeitgesetz (
ArbZG) vom 6.06.1994 (BGBl. IS. 3002) acht Stunden (§ 3 Satz 1
ArbZG). Sie kann zwar grundsätzlich unter bestimmten Voraussetzungen (§ 3 Satz 2
ArbZG) oder in außergewöhnlichen Fällen (§ 14
ArbZG) verlängert werden, doch gilt dies nicht für die von einem Schwerbehinderten zu leistende Arbeitszeit (
vgl. auch
LAG Hamm, Urteil vom 30.03.2006 - 8 Sa 1992/04 -). § 124
SGB IX soll sicherstellen, dass die Leistungsfähigkeit schwerbehinderter Menschen nicht durch zu lange Arbeitszeiten überbeansprucht wird. Auch soll ihre gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft gefördert werden. Dazu muss eine ausreichend freie Zeit verbleiben, die einem Nichtbehinderten vergleichbare Teilhabechance ermöglicht. Je nach der Art der Behinderung wird der schwerbehinderte Mensch hierzu mehr Zeit als der Nichtbehinderte aufwenden müssen. Der Schutzzweck erfordert es daher, die tägliche Arbeitszeit zu begrenzen. Nur so ist es gewährleistet, dass dem Schwerbehinderten ausreichend Zeit für die Teilhabe an der Gesellschaft, aber auch für die gerade bei ihm notwendige Regeneration verbleibt. Die Flexibilisierung der Arbeitszeit vermag an dieser Zielrichtung des Schutzes der Schwerbehinderten nichts zu ändern.
Zur Leistung von Mehrarbeit ist ein schwerbehinderter Mensch nicht verpflichtet. Er ist auf sein Verlangen von ihr freizustellen. Darauf, ob er in der Vergangenheit Mehrarbeit geleistet hat und ihm diese auch unter Berücksichtigung seiner Behinderung zuzumuten wäre, kommt es nicht an. Die Vorschrift des § 124
SGB IX knüpft nicht an einen Zusammenhang zwischen gesundheitlich bedingten Leistungseinschränkungen und konkreten Arbeitsbedingungen an, sondern räumt ganz allgemein den Schwerbehinderten und den ihnen gleichgestellten Personen das Recht ein, von Mehrarbeit freigestellt zu werden. Verweigert daher der Schwerbehinderte - wie hier - die angeordnete werktägliche Mehrarbeit, so liegt hierin keine Arbeitsverweigerung, sondern die Inanspruchnahme eines ihm gesetzlich zustehenden und nicht in der Dispositionsbefugnis des Arbeitgebers überantworteten Rechts. Wenn Arbeitsabläufe des Arbeitgebers durch die Ablehnung dieser Mehrarbeit beeinträchtigt werden sollten, so ist dies ohne Belang. Das Integrationsamt und demgemäß auch der Widerspruchsausschuss des Beklagten haben insoweit keinerlei Ermessenserwägungen anzustellen. Es ist also nicht das Interesse des Arbeitgebers an der werktäglichen Mehrarbeit abzuwägen mit dem Interesse des behinderten Arbeitnehmers, aufgrund behinderungsbegründeter Einschränkungen hiervon verschont zu bleiben. Eine solche Abwägung hat indes - wie die Klägerin zu Recht vorträgt - der Beklagte zu Unrecht vorgenommen. Dies führt zu einem Ermessensfehler, weil - wie ausgeführt - für eine Ermessensbetätigung im Rahmen des § 124
SGB IX kein Raum verbleibt, die Entscheidung also insoweit zwingend "zugunsten" des behinderten Arbeitnehmers zu erfolgen hat.
Anders verhält es sich dagegen, soweit der Beigeladene die angeordnete Samstagsarbeitszeit, die acht Stunden nicht überschreitet, verweigert hat. Der Senat folgt nicht der Ansicht des Beklagten, diese Verweigerung sei schon deshalb nicht kündigungskausal, weil der Beigeladene ausweislich des Arbeitsvertrages nur zu einer wöchentlichen Arbeitsleistung von 40 Stunden verpflichtet und diese durch die 8-stündige Arbeitszeit von Montag bis Freitag erfüllt sei. Denn ausweislich des Arbeitsvertrages vom 21.5.2001 (dort
Nr. 11) ist der Beigeladene verpflichtet, auf Anordnung der Klägerin Überstunden zu leisten, soweit dies betrieblich erforderlich ist. Dies kann durchaus auch dahin verstanden werden, dass die wöchentliche Arbeitszeit über 40 Stunden hinaus ausgedehnt werden kann. Da es nicht Aufgabe des Integrationsamtes ist, im Einzelnen tarif- oder arbeitsvertragliche Regelungen und ihre Anwendung zu überprüfen und damit einen etwaigen Kündigungsgrund auf seine Rechtmäßigkeit hin einer Kontrolle zu unterziehen (
vgl. Senatsbeschluss vom 24.11.2005 -
9 S 2178/05 -, VB1BW 2006, 148 = NZA - RR 2006, 183), könnte mit dieser Überlegung ein Ermessensausfall seitens des Beklagten nicht unbeachtlich sein. Es liegt jedoch kein Ermessensausfall vor.
Der schwerbehinderte Mensch hat gegenüber seinem Arbeitgeber einen Anspruch darauf, im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten so beschäftigt zu werden, dass er seine Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln kann (
vgl. Lachwitz/Schellhorn/Welti, HK-SGB IX, 2. Aufl., § 81
Rdnr. 37). Aus
§ 81 Abs. 4 Ziff. 4 SGB IX ergibt sich auch insoweit ein Anspruch des schwerbehinderten Menschen gegenüber seinem Arbeitgeber auf behindertengerechte Gestaltung der Arbeitszeit, dessen Erfüllung allerdings dem Arbeitgeber zumutbar sein muss und nicht unverhältnismäßig sein darf (
vgl. BAG, Urteil vom 3.12.2002,
a. a. O.). Macht daher der Arbeitgeber - wie hier - die Verweigerung von Überstunden (hier Samstagsarbeit) als Kündigungsgrund geltend, so hat das Integrationsamt im Rahmen des von ihm auszuübenden pflichtgemäßen Ermessens die beteiligten Belange miteinander und untereinander abzuwägen. Eine solche ermessensgerechte Abwägung ist hier erfolgt.
Es ist zwar richtig, dass das Integrationsamt nicht zwischen Mehrarbeit im Sinne von § 124
SGB IX und der Arbeitszeitgestaltung im Rahmen des § 81
Abs. 4
Nr. 4
SGB IX unterschieden hat. Dies ist jedoch unbeachtlich. Denn die maßgeblichen Ermessenserwägungen finden sich im Bescheid des Integrationsamtes und im Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses. Dort wird ausgeführt, dass der Beigeladene aufgrund seiner Behinderung Überstunden nicht leisten könne und dies auch durch ärztliche Zeugnisse belegt sei. Diese Ausführungen sind - wie oben aufgezeigt - bei der Prüfung der Verpflichtung zur Mehrarbeit im Sinne des § 124
SGB IX überflüssig; bedeutsam sind sie erst und allein, soweit Überstunden, die keine Mehrarbeit in diesem Sinne sind, vom Arbeitgeber gefordert werden. Anhaltspunkte dafür, dass es der Klägerin unzumutbar ist, sich mit der vom Beigeladenen arbeitsvertraglich zu leistenden wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden zu begnügen, und statt dessen betriebliche Gründe auch unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Einschränkungen des Beigeladenen dessen zusätzliche Arbeitsleistung an Samstagen erfordern, sind nicht dargetan.
Soweit im Berufungsverfahren nochmals auf Qualifikationsdefizite des Beigeladenen, die die Kündigung rechtfertigen sollen, hingewiesen wird, ändert dies an der Fehlerfreiheit der getroffenen Entscheidungen nichts. Insoweit kann auf die angegriffenen Bescheide verwiesen werden, sodass es nicht mehr darauf ankommt, ob die Klägerin diese Gesichtspunkte ganz oder teilweise in der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht hat fallen lassen.
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision durch den VGH hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss vom 5.12.2006 - Az.:
5 B 171.06 - zurückgewiesen. Das Urteil des VGH ist daher rechtskräftig.