Urteil
Prüfungsmaßstab der Hauptfürsorgestelle im Zustimmungsverfahren zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung eines Schwerbehinderten

Gericht:

BVerwG


Aktenzeichen:

5 C 80/88


Urteil vom:

10.09.1992


Grundlage:

  • SchwbG § 12 Fassung 1979-10-08 |
  • SchwbG § 18 Abs 4 Fassung 1979-10-08 |
  • SchwbG § 18 Abs 1 Fassung 1979-10-08 |
  • VwGO § 143 S 2

Leitsatz:

1. Erfolgt die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten aus einem Grunde, der nicht mit der Behinderung im Zusammenhang steht, hatte nach der Soll-Vorschrift des § 18 Abs. 4 SchwbG F. 1979 die Hauptfürsorgestelle im Regelfall die Zustimmung zu erteilen. Nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, durfte die Hauptfürsorgestelle nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden (wie Urteil vom 2. Juli 1992 - BVerwG 5 C 39.90 - zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt).

2. Ob ein atypischer Fall vorliegt, der eine Ermessensentscheidung ermöglicht und gebietet, ist als Rechtsvoraussetzung im Rechtsstreit von den Gerichten zu überprüfen und zu entscheiden. Ein atypischer Fall liegt vor, wenn die außerordentliche Kündigung den Schwerbehinderten in einer die Schutzzwecke des Schwerbehindertengesetz berührenden Weise besonders hart trifft, ihm im Vergleich zu den der Gruppe der Schwerbehinderten im Falle außerordentlicher Kündigung allgemein zugemuteten Belastungen ein Sonderopfer abverlangt (wie Urteil vom 2. Juli 1992 - BVerwG 5 C 39.90 -).

Orientierungssatz:

1. Zur Beschränkung der Revisionszulassung auf einen von mehreren Ansprüchen in der Zulassungsbegründung.

2. (Zu LS 1 und 2) Der Hauptfürsorgestelle obliegt im Rahmen des Sonderkündigungsschutzes die fürsorgerische Inschutznahme des Schwerbehinderten mit dem Ziel, die aus seiner Behinderung resultierenden Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen und dadurch seine Wettbewerbsfähigkeit mit Nichtbehinderten herzustellen. Diese spezifischen Schutzzwecke des Schwerbehindertengesetzes werden nicht durch die Frage berührt, ob die zur fürsorgerechtlichen Prüfung gestellte außerordentliche Kündigung unter Umständen deshalb als unverhältnismäßig erscheint, weil der Arbeitgeber daneben auch im Rahmen eines Sozialplans eine ordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Abfindungszahlungen plant. Derartige Fragen gehören zum allgemeinen sozialen Abwägungsmaterial, dessen Prüfung den Arbeitsgerichten vorbehalten ist.

3. Allgemeine Schwierigkeiten, denen die Schwerbehinderten als Gruppe bei der Arbeitsplatzsuche ausgesetzt sind, reichen für die Annahme einer atypischen Fallgestaltung ebensowenig aus wie fortgeschrittenes Alter und langjährige Beschäftigung bei dem die Kündigung beabsichtigenden Arbeitgeber. Derartige Umstände sind nicht außergewöhnlich. Insbesondere schlechte Vermittlungsaussichten auf dem Arbeitsmarkt können deshalb nur dann eine atypische Fallgestaltung begründen, wenn sie aufgrund einer nach Art oder Schwere besonders gelagerten Behinderung über die typische Benachteiligung von Schwerbehinderten hinausgehen.

Rechtszug:

vorgehend OVG Münster 1988-10-10 10 A 922/86
vorgehend VG Gelsenkirchen 1986-02-03 11 K 634/85

Referenznummer:

WBRE310544603


Informationsstand: 01.03.1993