Tenor:
Der Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses beim Integrationsamt des Beklagten vom 30. März 2009 wird aufgehoben.
Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens des Klägers tragen der Beklagte und die Beigeladene je zur Hälfte, ihre außergerichtlichen Kosten tragen sie selbst. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in jeweils gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
Der am 00.00.0000 geborene, verheiratete Kläger, der zwei volljährige Kinder hat, wendet sich gegen die Bescheide des Beklagten, mit denen dieser der Beigeladenen die Zustimmung zu seiner Kündigung erteilte.
Der Kläger war seit dem 2. April 1985 bei der Beigeladenen beschäftigt. Zuletzt war er als Erdbaugeräteführer im Tagebau I. tätig. Das Versorgungsamt Köln hatte mit Bescheid vom 4. Februar 1994 einen GdB des Klägers von 60 festgestellt. Zugrunde lagen 1. Krohn'sche Erkrankung, 2. Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und Hüftgelenke. Seit Anfang Mai 2008 war der Kläger von der Arbeit freigestellt.
Mit Schreiben vom 8. Mai 2008 beantragte die Beigeladene bei dem Beklagten die Erteilung der Zustimmung zur fristlosen Kündigung des Klägers. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe in den späten Abendstunden am Sonntag, dem 4. Mai 2008 einen Diebstahl begangen. Es seien ca. 80 l Dieselkraftstoff aus einem Hilfsgerät, einem mobilen Bagger, abgezapft und für den Abtransport im privaten Fahrzeug des Klägers vorbereitet worden. Im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens habe der Kläger das Fehlverhalten eingestanden. Es handele sich um einen ernsthaften Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten, durch den das Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört worden sei. Durch die lange Betriebszugehörigkeit habe dem Kläger auf Grund der Vielzahl von Hinweisen und Informationen bekannt sein müssen, welche Konsequenzen sich aus einem Diebstahlvergehen ergäben. Weder aus dem Krankheitsbild noch aus seinen Begründungsversuchen seien nachvollziehbare Gründe ersichtlich, die das Fehlverhalten entschuldigen könnten. Diebstahl sei ein schwerwiegender Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten, der in der Konsequenz ihrer bisherigen Personalpolitik unweigerlich zur fristlosen Kündigung führe.
Der Betriebsrat erklärte unter dem 9. Mai 2008, aufgrund der vorliegenden Informationen sehe er sich nicht in der Lage, der fristlosen Kündigung zu widersprechen. Der Betriebsrat Herr C. führte ergänzend am 15. Mai 2008 aus, im Personalgespräch mit der Betriebsleitung sei auf die soziale Komponente, resultierend aus der Krankheit und aufgetretenen psychischen Problemen wegen familiärer Probleme, hingewiesen worden. Der Kläger habe keine Erklärung abgeben können, warum es zu der Tat gekommen sei. Das Angebot, vor dem Betriebsrat Stellung zu nehmen, habe der Kläger nicht wahrgenommen. Er sei nach Informationen des Betriebsrats zur Zeit in psychischer Behandlung.
Der Vertrauensmann der Schwerbehinderten Herr Q. erklärte am 15. Mai 2008, der Kläger sei seit 1993 an Morbus Crohn erkrankt. Zeiten des Wohlbefindens wechselten sich mit schweren Erkrankungsphasen. Emotionale Belastungen, psychischer Stress könnten zur Symptomauslösung oder -verstärkung führen. Des Weiteren leide der Kläger unter Verschleiß der Wirbelsäule sowie beider Hüftgelenke. In den 23 Jahren der Beschäftigung habe es keine negativen Auffälligkeiten des Klägers gegeben. Im Disziplinargespräch anlässlich des Vorfalls habe der Kläger berichtet, dass er seit Wochen nicht mehr zur Ruhe komme, kaum schlafen könne, ständig unter Schmerzen und starken Durchfällen leide. Ärztlicherseits werde überlegt, den entzündeten Darm komplett zu entfernen. Er habe auch Suizidgedanken gehabt. Beide Eltern seien schwer an Morbus Bechterew sowie Morbus Alzheimer erkrankt. Bei der angesetzten Sondersitzung des Betriebsrats sei der Kläger nicht anwesend gewesen. Nach seinem Kenntnisstand befinde er sich seit dem 8. Mai 2008 in der Landesklinik Düren in stationärer Behandlung. Die seit Wochen andauernden Belastungen könnten gegebenenfalls in einem kausalen Zusammenhang mit seinem Vergehen stehen.
Der Kläger räumte unter dem 15. Mai 2008 den Vorwurf ein. Er habe die Tat weder am Arbeitsplatz noch während der Arbeitszeit begangen. Den Bagger habe er während einer privaten Radtour am Sonntag, den 4. Mai 2008 zufällig in einem Feldweg entdeckt. Er habe festgestellt, dass der Tank nicht mit einem Schloss versehen war und sich in Anbetracht der viel diskutierten Problematik des Kraftstoffklaus noch darüber gewundert. Er habe nicht ansatzweise daran gedacht, selbst Kraftstoff zu entwenden. Warum er sich dann gegen 21.30 Uhr, nachdem seine Frau bereits zu Bett gegangen sei, spontan entschieden habe, den Kraftstoff zu entwenden, sei ihm nicht erklärlich. Eine Verwendung des Dieselkraftstoffs sei wegen der starken Verschmutzung nicht zu empfehlen, da er Schäden am Motor hinterlassen könne. Er habe nach seiner Erinnerung auch nie beabsichtigt, den Kraftstoff privat zu nutzen. Vernünftige Gründe dafür gebe es nicht. Er habe keinerlei finanzielle Sorgen, seine Ehefrau sei als Krankenschwester tätig und solche oder eine ähnliche Tat habe er noch nie begangen. Die Erinnerungen an die Tat bis zum Eintreffen des Werkschutzes seien wie vernebelt. Ursache dafür seien die erheblichen psychischen Probleme, die bei ihm bereits seit längerem festgestellt würden und in unmittelbarem Zusammenhang mit seiner Schwerbehinderung stünden. Bereits mehrere Teile des Darms seien 1994 entfernt worden. Er leide fast ständig an starkem Durchfall, starken Schmerzen im Bauchbereich, Entzündungen der Mundschleimhaut und des Darmausgangs. In Schüben träten Gelenkschmerzen, Bandscheibenschmerzen, Übelkeit und Appetitlosigkeit hinzu. Psychisch seien in den letzten Jahren Depressionen, Angstzustände, Suizidgedanken und eine ständige Unruhe hinzugetreten. Er leide unter Schlafstörungen und schlafe nur stundenweise. Möglicherweise durch die letztgenannten Probleme leide er unter Konzentrations- und Merkfähigkeitsstörungen. Er habe bereits in der Vergangenheit des Öfteren Handlungen vorgenommen, deren Sinn sich ihm und seiner Ehefrau nicht erschließe. So habe die Ehefrau dem Prozessbevollmächtigten berichtet, dass der Kläger im letzten Jahr im Garten eine Zisterne eingegraben habe, die er aus unerfindlichen Gründen einige Tage später wieder ausgegraben habe, um sie dann später wieder einzugraben. Auch habe er in einer Nacht sein Fahrrad vollständig auseinander- und wieder zusammengebaut. Manchmal habe er völlig unbegründete Wutanfälle, in denen er seine Frau oder seinen Sohn beschimpfe und beleidige. All diese Aussetzer hätten gemeinsam, dass der Kläger sich im Nachhinein an diese Vorfälle nur eingeschränkt und "wie benebelt" erinnern und sich nicht mehr erklären könne, wie es dazu gekommen sei. Nach ein bis zwei Stunden werde ihm klar, was er gemacht habe und sein Scham- und Schuldgefühl setze wieder ein. Auch am Abend des 4. Mai 2008 sei er wieder unruhig und depressiv gewesen und habe Angstzustände gehabt. Als er den Pkw in die Garage habe fahren wollen, habe er den alten Kraftstoffkanister gesehen und sei spontan auf die Idee gekommen, zu dem Bagger zu fahren und Kraftstoff abzupumpen. Er könne sich heute nicht mehr erklären, was er damit habe bezwecken wollen. Als er den Pkw des Werkschutzes gesehen habe, habe er sich vergegenwärtigt, was er da überhaupt mache. Er sei voller Scham vom Tatort nach Hause geflüchtet. Beim Überqueren einer Autobahnbrücke habe er einige Minuten innegehalten und überlegt, ob er seinem Leben ein Ende setzen solle. Kurz nach ihm sei zu Hause bereits die Polizei eingetroffen, weil er am Tatort sein Fahrzeug und (daneben) zwei bereits befüllte Kraftstoffkanister zurückgelassen habe. Er sei während der Tat aufgrund der psychischen Erkrankung in seiner Wahrnehmungs- und Entscheidungsfähigkeit stark eingeschränkt gewesen. Er sei möglicherweise schlichtweg nicht mehr in der Lage gewesen, das Unrecht seiner Tat einzusehen und habe lediglich aus dem Unterbewusstsein gehandelt. Seine Ehefrau und sein erwachsener als Physiotherapeut tätiger Sohn hätten gegenüber dem Prozessbevollmächtigten einvernehmlich erklärt, dass der Kläger ein gesetzestreuer Mensch sei, zu dessen Persönlichkeit eine solche Tat in keiner Weise passe. (Bl 29 ff.)
Es werde dringend angeregt, mit den behandelnden Ärzten zu sprechen und ein fachärztliches psychologisches Gutachten einzuholen, um den Zusammenhang zwischen Schwerbehinderung und Tat sowie möglicherweise eingeschränkter Schuldfähigkeit während des Tathergangs festzustellen. Möglicherweise könne für den Kläger ein leidensgerechter Arbeitsplatz gefunden werden. Die derzeitige Tätigkeit wirke sich nachteilig auf den Krankheitsverlauf aus.
Er legte einen Ärztlichen Befundbericht der Stationsärztin der Rheinischen Kliniken Düren, Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie vom 14. Mai 2008 vor, dem zufolge der Kläger sich seit dem 8. Mai 2008 aufgrund einer schweren depressiven Episode und einer Somatisierungsstörung in Behandlung befand. Er litt unter Schlafstörungen, gedrückter Stimmung, Antriebsstörungen, Herzrasen, Schweißausbrüchen und Konzentrations- sowie Merkfähigkeitsstörungen sowie rezidivierenden Suizidgedanken ohne konkrete Handlungsabsicht. Anamnestisch bestand dem Bericht zufolge die psychiatrische Symptomatik seit 6 bis 9 Monaten. In der Klinik blieb der Kläger bis zum 27. Mai 2008. Ferner legte er einen Ärztlichen Kurzbericht der Hausärzte Dres. G. und Partner vom 15. Mai 2008 vor, wonach der Kläger dort seit vielen Jahren hausärztlich betreut wurde. Er habe im Zuge der organischen Erkrankungen zunehmende psychische Auffälligkeiten entwickelt. Es habe sich neben den schon bekannten Somatisierungsstörungen ein depressives Störungsbild unklarer Genese entwickelt. Schon im Januar und Februar 2008 sei der Eindruck einer höhergradigen psychischen Erkrankung entstanden. Bei der Vorstellung im April 2008 seien ebenfalls depressive Züge deutlich erkennbar gewesen. Bei der Entwicklung solcher Krankheiten sei es möglich, dass es phasenweise zu Einschränkungen der Wahrnehmungsfähigkeit im Bereich seiner Umgebung komme. (Bl. 42 BA)
Mit Bescheid vom 23. Mai 2008 erteilte der Beklagte die Bestätigung über den Eintritt der Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch - Neuntes Buch - (SGB IX). Mit Schreiben vom 25. Mai 2008 kündigte die Beigeladene gemäß § 626 BGB das Arbeitsverhältnis wegen des Vorfalls am 4. Mai 2008 fristlos. Zugleich kündigte sie das Arbeitsverhältnis hilfsweise fristgerecht zum 31. Dezember 2008.
Der Kläger erhob am 28. Mai 2008 Widerspruch. Zur Begründung trug er vor, die Rechtswidrigkeit des Bescheides folge schon daraus, dass der Beklagte trotz des fristgemäßen umfassenden Vortrags nebst Beweisantritten ein Ermessen bewusst nicht ausgeübt habe. Das vorgeworfene Fehlverhalten stehe in unmittelbarem Zusammenhang mit der Schwerbehinderung. Die langjährige Schwerbehinderung (Morbus Crohn) sei die einzige Ursache seiner psychischen Auffälligkeiten. Im Übrigen wiederholte er seine bisherigen Ausführungen und bezog sich auf die Ausführungen in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren. In diesem Verfahren (Klageerhebung 9. Juni 2008 - 9 Ca 4734/08 -) trug der Kläger u.a. vor, im November 2007 habe er in den späten Abendstunden, als seine Frau nicht zu Hause gewesen sei, ohne erkennbaren Grund im Garten 1 1/2 Stunden lang Kaminholz ("fünf Festmeter") unter Zuhilfenahme einer Schubkarre 20 m an einen Ort umgestapelt, an dem er den Wuchs der Hecke behinderte und im Weg stand. Als seine Frau ihn darauf angesprochen habe, was das denn solle, habe er darauf keine Antwort gehabt. Er habe den Stapel dann wenige Tage später wieder am alten Ort aufgebaut. Vier Wochen danach habe sich der Vorfall erneut ereignet. Als seine Ehefrau in den Abendstunden nicht zu Hause gewesen sei, habe er das Holz zu dem gleichen Ort wie beim ersten Mal umgestapelt. Auch beim zweiten Mal sei der Holzstapel anschließend wieder an den alten Ort zurückgebracht worden. Im Januar 2008 habe er in nächtlicher Stunde begonnen, den nicht renovierungsbedürftigen weiß gestrichenen Keller mit rosa Farbe, die weder er noch seine Ehefrau mögen, zu streichen. Als seine Frau dies bemerkt habe, habe er wieder dafür keine Erklärung gehabt. Im März 2008 seien sie gemeinsam zum Einkaufen in den Real-Markt in Bedburg gefahren. Der Kläger sei während des Einkaufens verschwunden. Seine Ehefrau habe ihn vergeblich gesucht. Bei der Rückfahrt habe sie ihn auf halber Strecke zu Fuß unterwegs am Straßenrand gefunden. Wieder habe der Kläger sich und seiner Frau den Vorfall nicht erklären können. Auch in alltäglichen Stresssituationen verliere der Kläger die Kontrolle über sein Handeln. Neben den bereits genannten Ärzten habe der Kläger 2006 den Facharzt für Neurologie Dr. M. G. in Bergheim wegen seiner ständigen Unruhe, seines Händezitterns, seiner ständigen Stresszustände und Schweißausbrüche aufgesucht. Es seien bei Messen der Hirnströme jedoch keine Besonderheiten festgestellt worden. Seit 1990 habe er sich trotz entsprechender betriebsärztlicher Stellungnahmen vergeblich bei der Beigeladenen um einen leidensgerechten Arbeitsplatz bemüht. Auf Bl. 96 ff. der Beiakte wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen. Der Kläger legte ein Informationsblatt "Arzt-Patienten-Seminar über chronisch entzündliche Darmkrankheiten" der Reha-Klinik Ob der Tauber vom 7. Februar 2005 vor (Bl. 141 f. der Beiakte).
Die Beigeladene legte dem Beklagten ebenfalls eine Stellungnahme aus dem arbeitsgerichtlichen Verfahren und zwar vom 18. August 2008 vor. Darin wurde u.a. der Vorfall vom 4. Mai 2008 näher dargestellt. An dem Fahrzeug und dem Bagger waren demzufolge insgesamt 6 Benzinkanister gefunden worden, in die etwa 80 l Diesel abgefüllt worden war. Ferner bestritt sie mit Nichtwissen das Vorliegen einer Krankheit, die bewirkt habe, dass das Verhalten des Klägers nicht mehr steuerbar gewesen sei und dem Kläger damit möglicherweise nicht vorgeworfen werden könne. Sämtliche Umstände des Vorfalls (Dunkelheit, sorgfältiges "Abzapfen" des Kraftstoffs, Abdeckung des Fahrzeugs, Flucht des Klägers) sprächen gegen eine Bewusstlosigkeit oder fehlendes Steuerungsverhalten. Ein Zusammenhang der Behinderung mit dem Verhalten am 4. Mai 2008 werde mit Nichtwissen bestritten. Unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls sei ihr eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger nicht zumutbar. Das gelte auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass der Kläger bereits seit 23 Jahren und einem Monat bei ihr beschäftigt gewesen sei und sich bisher nichts habe zu Schulden kommen lassen. Es entlaste auch nicht, dass der Kläger die Tat nicht an seinem Arbeitsplatz und außerhalb der Arbeitszeit begangen habe. Sie bestreite auch mit Nichtwissen, dass die Tätigkeiten des Klägers die Erkrankung verursacht oder verschlimmert hätten, ebenso, dass sie sich geweigert habe, einen leidensgerechten Arbeitsplatz zur Verfügung zu stellen. Die werkmedizinische Empfehlung vom 19. Juli 2006 sei durch die verantwortlichen Aufsichten berücksichtigt worden. Es bestehe kein Anhaltspunkt dafür, dass der Kläger das beanstandete Verhalten bei Einsatz auf einem anderen Arbeitsplatz nicht gezeigt hätte. (Bl. 153 - 157).
In dem arbeitsgerichtlichen Verfahren trug der Kläger weiter vor, dass die Tat nicht sorgfältig geplant gewesen sei, folge auch aus dem Umstand, dass der Kläger sein Fahrzeug sehr auffällig und zudem so hinter einer Schranke geparkt habe, dass dieses von der Straße bestens habe gesehen werden können und eine schnelle Flucht unmöglich gewesen sei. Auf Bl. 86 der Gerichtsakte 9 Ca 4734/08 wird Bezug genommen. Das Arbeitsgericht Köln beschloss am 7. Januar 2009 die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob der Kläger auf Grund einer krankheitsbedingten Bewusstseinsstörung nicht in der Lage war, sein Vorgehen am 4. Mai 2008 - Abfüllen von Kraftstoff aus einem auf einem Feld befindlichen Bagger der Beklagten in mehrere mit seinem Pkw mitgeführte Benzinkanister - zu steuern (Augenblicksversagen für 1 - 2 Stunden).
Mit Bescheid des Versorgungsamtes des Rhein-Erft-Kreises vom 3. März 2009 wurde ab dem 2. Oktober 2008 ein GdB von 100 festgestellt. Es heißt in dem Bescheid: "Bei Ihnen liegen folgende Beeinträchtigungen vor: 1. Depression 2. Chronisch entzündliche Darmerkrankung (Morbus Crohn) 3. Verschleißerscheinungen der Wirbelsäule und Hüftgelenke."
Mit Widerspruchsbescheid vom 30. März 2009 wies der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt des Beklagten den klägerischen Widerspruch zurück. Zur Begründung führte er aus, nach der Sollvorschrift des § 91 Abs. 4 SGB IX habe er im Regelfall die Zustimmung zu erteilen, wenn die außerordentliche Kündigung eines Behinderten aus einem Grunde erfolgen solle, der nicht mit der Behinderung im Zusammenhang stehe. Zwar trage der Kläger unter Vorlage ärztlicher Stellungnahmen einen solchen Zusammenhang vor. Zu Schwere und Auswirkungen der Symptomatik sei diesen Stellungnahmen aber nichts zu entnehmen. Dr. G. habe nur attestiert, dass es möglich sei, dass es bei der Erkrankung des Klägers phasenweise zu Einschränkungen der Wahrnehmungsfähigkeit im Bereich der Umgebung des Widerspruchsführers komme. Ob und in welcher Ausprägung eine solche Einschränkung am 4. Mai 2008 vorgelegen habe, lasse das Kurzattest offen. Es sei insoweit weder nachgewiesen noch erkennbar, dass die Kündigung im Zusammenhang mit der Behinderung des Widerspruchsführers stehe. Atypische Umstände, die entgegen der Sollvorschrift des § 91 Abs. 4 SGB IX zu einer Entscheidung nach pflichtgemäßem Ermessen führten, seien nicht erkennbar. Das sei nur der Fall, wenn der schwerbehinderte Mensch in einer die Schutzzwecke des SGB IX berührenden Weise besonders hart getroffen werde und ihm ein Sonderopfer abverlangt werde. Auch die 23-jährige Betriebszugehörigkeit des Klägers begründe kein Sonderopfer. Der Hinweis der eingeschränkten Wahrnehmungs- und Steuerungsfähigkeit werde als Versuch einer nachträglichen Rechtfertigung des Fehlverhaltens gewertet. Die weitergehende Frage, ob dieser Rechtfertigungsversuch dazu führen könne, die Kündigung sozialwidrig zu machen, sei Aufgabe der Arbeitsgerichtsbarkeit. Auf Bl. 198 ff. wird wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen.
Der Sachverständige Dr. N. von der Fachklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Marienborn gGmbH in Zülpich führte in seinem für das Arbeitsgericht erstellten Gutachten unter dem 22. Juli 2009 u.a. aus, während der Untersuchung sei der Proband kooperativ gewesen und habe die Fragen sachlich, zurückhaltend beantwortet. Er habe nie den Eindruck hinterlassen, seine Problematik zu aggravieren. Die Angaben hätten immer einen kongruenten emotionalen Hintergrund gehabt. Zur strafrechtlich relevanten Beeinträchtigung der Verhaltensgestaltung und Steuerung, der emotionalen Wahrnehmung und der Informationsstörung habe im Fall des Klägers nur eine dissoziative Störung führen können. Hauptmerkmal sei eine Unterbrechung der normalerweise integrativen Funktionen des Bewusstseins, des Gedächtnisses, der Identität oder Wahrnehmung der Umwelt. Die Störung könne plötzlich oder allmählich auftreten und sowohl vorübergehend wie auch chronisch verlaufen. Diagnostische Kriterien nach ICD 10: F 44 seien: 1. Die klinischen Merkmale der einzelnen Störung seien erfüllt, 2. es gebe keine körperlichen Erkrankungen, welche die Symptome erklären könnten und 3. es gebe einen Beleg für eine psychische Verursachung, d.h. einen zeitlichen Zusammenhang mit Belastungen, Problemen oder gestörten Beziehungen. Der Sachverständige bezieht sich auf die dissoziative Amnesie und die dissoziative Fuge. Erstere zentriere sich gewöhnlich auf traumatische Ereignisse. Letztere sei eine zielgerichtete Ortsveränderung von zu Hause oder vom Arbeitsplatz fort, wobei die Person sich äußerlich geordnet verhalte. Verbunden sei dies mit der Unfähigkeit, sich an seine gesamte oder Teile der Vergangenheit zu erinnern und damit, verwirrt über die eigene Identität zu sein oder eine neue Identität anzunehmen. In beiden Codierungsmanualen werde darauf hingewiesen, dass bei den dissoziativen Symptomen die Unterscheidung zwischen krankhaften - nicht willentlich beeinflussbaren - dissoziativen Phänomenen und Simulation sehr schwer sei. Eine psychiatrisch relevante Traumatisierung habe bei dem Kläger nicht eruiert werden können, so dass ein wichtiges Argument für die Diagnostik einer dissoziativen Störung fehle. In Anbetracht der glaubwürdigen Angaben des Klägers über Handlungen im letzten Jahr scheine bei ihm eine gewisse Bereitschaft vorzuliegen, für die Umgebung nicht nachvollziehbare Handlungen durchzuführen. Berücksichtige man alle Aspekte, scheine es möglich zu sein, dass die Entscheidung zur Tat und die Durchführung der Tat unter einem gewissen Einfluss von dissoziativen/spaltenden intrapsychischen Mechanismen vollzogen worden sei. Diese Mechanismen könnten möglicherweise mitgewirkt haben, dass der Proband diese wenig gewinnbringende Entscheidung getroffen habe unter Nichtbeachtung der erheblichen strafrechtlichen Folgen seiner Tat. In diesem Sinne hätten seine Kontroll-Mechanismen nicht ausreichend gegriffen. Zusammenfassend führt der Sachverständige aus: "Nach Auswertung der Gerichtsunterlagen sowie der ambulanten stationären Explorationen und der apparativen Untersuchungen bin ich der Auffassung, dass dissoziative intrapsychische Mechanismen für die Ingangsetzung und Durchführung der für die Entwendung von Kraftstoff aus dem Bagger der Beklagten möglicherweise bis wahrscheinlich insoweit eine Rolle gespielt haben, dass dadurch das Bewusstsein eine Straftat zu begehen soweit gemindert hat (war?, Anm. d. BE), dass die Kontrollmechanismen nicht ausgereicht haben, die Tat zu verhindern. Dass das Bewusstsein des Unrechts seiner Tat doch vorhanden war, ist aus der Reaktion des Probanden (panikartige Flucht) zu entnehmen. Nach Auswertung der mir bekannten Fakten komme ich zu dem Ergebnis, dass Herr I1. den Diebstahl in einem Zustand der geminderten Schuldfähigkeit begangen hat." Auf Bl. 69 bis 91 der Gerichtsakte wird wegen der Einzelheiten des Gutachtens Bezug genommen.
Der Kläger hat bereits am 29. April 2009 Klage erhoben. Zur Begründung wiederholt und vertieft er die Ausführungen des Verwaltungsverfahrens. Insbesondere führt er aus, der Beklagte habe seine Ermessensentscheidung entgegen § 20 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) auf eine unzureichend ermittelte Tatsachengrundlage gestützt. Er sei trotz umfassenden Vortrags weder den angebotenen Beweisen nachgegangen noch habe er selbständige Nachforschungen betrieben. Er gehe sogar - entgegen der Rechtsprechung - von einer Beweislast des Klägers aus. In einem Telefonat mit seinem Prozessbevollmächtigten habe Herr Dr. G. erneut betont, dass die psychischen Auffälligkeiten nach seiner Einschätzung in unmittelbarem Zusammenhang mit der Erkrankung Morbus Crohn ständen. Der Beklagte übersehe des Weiteren, dass bereits eine mittelbare Kausalität nicht ausgeschlossen werden könne. Es liege ein Ermessensfehlgebrauch vor. Allein die Tatsache, dass die Entscheidung auf einem unvollständigen Sachverhalt beruhe, genüge für ihre Aufhebung. Der Beklagte habe den Schutzgedanken des SGB IX vernachlässigt und die Abwägung der widerstreitenden Interessen unterlassen.
Das vorliegende Gutachten bestätige, dass er bei der offensichtlich unsinnigen und für ihn keinen Vorteil bringenden Tat in einem Zustand der geminderten Schuldfähigkeit gewesen sei. Die Vermutung liege nahe, dass dies eine unmittelbare oder mittelbare Folge seiner Schwerbehinderung gewesen sei. Die Tat sei unstreitig in eine depressive Episode verbunden mit Angstzuständen, ständiger Unruhe und Schlaf- bzw. Konzentrationsstörungen gefallen, die offensichtlich mit seiner schweren Erkrankung zusammenhing. Die Zustimmungsentscheidung des Beklagten sei daher rechtsfehlerhaft. Der Beklagte habe der Frage des Zusammenhangs von Behinderung und Kündigungsgrund durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nachgehen müssen und habe sein Ermessen nicht ausgeübt.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 23. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses beim Integrationsamt des Beklagten vom 30. März 2009 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er trägt vor, der Widerspruchsausschuss habe keinen Zusammenhang zwischen der Behinderung und dem Kündigungsgrund gesehen. Für einen Zusammenhang reiche nicht jedweder Einfluss der Behinderung auf das Verhalten des Behinderten. Dieser sei vielmehr erst dann gegeben, wenn die jeweilige Behinderung unmittelbar oder mittelbar zu Defiziten in der Einsichtsfähigkeit und/oder Verhaltenssteuerung des schwerbehinderten Arbeitnehmers geführt habe, denen behinderungsbedingt nicht habe entgegengewirkt werden können, und wenn das der Kündigung aus wichtigem Grund zugrundeliegende Verhalten gerade auf diese behinderungsbedingte, mangelhafte Verhaltenssteuerung zurückzuführen sei. Aus der anerkannten psychischen Erkrankung des Klägers sei keine immerwährende Bewusstseinsstörung und Steuerungsunfähigkeit abzuleiten. Auch die vom Kläger vorgetragenen Verhaltensauffälligkeiten in seinem privaten Umfeld könnten keinen Zusammenhang begründen. Dies seien Tätigkeiten in seinem unmittelbaren Umfeld gewesen, die durch logischen Menschenverstand nicht nachvollziehbar gewesen seien und hätten auf einer eher spontanen Handlungsweise beruht. Bei dem Verhalten des Klägers am 4. Mai 2008 müsse aber von einer gewissen Planung ausgegangen werden. Schon die Tatsache, dass er sein Auto mit mehreren Bezinkanistern und Zubehör beladen habe, zeuge von einer Planung der Tat und somit von Bewusstsein, ebenso, dass er am Tatort den Kofferraumdeckel mit einer Decke verdeckt habe, so dass aus der Ferne das Nummernschild nicht habe gesehen werden können. Er bezieht sich zudem vollumfänglich auf die Ausführungen der Beigeladenen.
Ergänzend trägt er vor, das im arbeitsgerichtlichen Verfahren eingeholte Gutachten lasse ebenfalls nicht erkennen, dass der Kläger aufgrund einer krankheitsbedingten Bewusstseinsstörung nicht in der Lage war, sein Vorgehen am 4. Mai 2008 zu steuern. Zwar sei der Gutachter zu dem Ergebnis gekommen, der Kläger habe den Diebstahl im Zustand geminderter Schuldfähigkeit begangen. Er habe aber auch ausgeführt, das Bewusstsein des Unrechts der Tat sei vorhanden gewesen. Zu der Fragestellung des Gerichts habe der Gutachter keine sichere Aussage treffen können, vielmehr nur von Möglichkeiten gesprochen. Dies stelle kein aussagekräftiges Beweismittel für einen Zusammenhang zwischen der anerkannten Behinderung und dem Kündigungsgrund dar.
Die Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Klage abzuweisen.
Sie trägt u.a. vor, der Beklagte habe bei lückenloser Würdigung des ihm vorliegenden Sachverhalts zu Recht festgestellt, dass die Kündigung aus einem Grund erfolgt sei, der nicht in Zusammenhang mit der Behinderung stehe. Wichtiger Grund im Sinne von § 626 BGB sei das Fehlverhalten des Klägers am Abend des 4. Mai 2008, eine vorsätzliche rechtswidrige Tat nach §§ 242 Abs. 1 und 2, 22 Strafgesetzbuch (StGB). Sie habe Strafanzeige gestellt. Den klägerischen Vortrag werte sie als bloßes Schutzargument. Das der Kündigung zugrunde liegende Verhalten des Klägers lasse einen Zusammenhang mit den Krankheiten des Klägers, die zu dessen Behinderung führen, nicht erkennen. Es gebe ebensowenig Anhaltspunkte dafür, dass die Schwerbehinderung des Klägers zu Wahrnehmungsstörungen und Steuerungsunfähigkeiten geführt habe und so die Begehung von Diebstählen gefördert werde. Die mitgeteilten Diagnosen "schwere depressive Episode, Crohn-Krankheit und Somatisierungsstörung" ließen nicht auf Beeinträchtigungen von Wahrnehmungs- und Steuerungsfähigkeit schließen. Der behauptete Zusammenhang sei konstruiert. Er folge nicht aus den vorgelegten ärztlichen Berichten. Der Beklagte sei nicht nach § 21 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X verpflichtet gewesen, ein Sachverständigengutachten einzuholen. Er habe auch nicht den Schutzzweck des SGB IX verkannt. Es sei ausgeschlossen, dass der Kläger aufgrund seiner Schwerbehinderung benachteiligt werde, weil ihm nach einem vorsätzlichen und rechtswidrigen Diebstahlsversuch gekündigt worden sei. Selbst wenn der Kläger die Tat - möglicherweise - in einem Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen haben sollte, würde eine Abwägung der widerstreitenden Interessen zu einer Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung führen. Es sei ihr nicht zuzumuten, einen Arbeitnehmer weiter zu beschäftigen, der zu ihren Lasten eine vorsätzliche und rechtswidrige Tat begangen habe. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 47 bis 51 der Gerichtsakte Bezug genommen. Die Beigeladene legt u.a. das nicht vom Kläger unterschriebene Protokoll des Disziplinargesprächs vom 7. Mai 2008 vor. Auf Bl. 57 f. der Gerichtsakte wird insoweit Bezug genommen.
Ergänzend führt sie aus, zwischen den medizinischen Feststellungen des Gutachters im arbeitsgerichtlichen Verfahren und der Gerichtsfrage bestehe kein nachvollziehbarer Zusammenhang. Der Gutachter schließe (allein) aus der Unsinnigkeit des Verhaltens des Klägers darauf, dass die Tat möglicherweise unter einem gewissen Einfluss von dissoziativen/spaltenden intrapsychischen Mechanismen vollzogen worden sein könne. Die Beantwortung der Gerichtsfrage auf Seite 22 und 23 des Gutachtens liege für sie außerhalb des Nachvollziehbaren. Die Schlussfolgerungen des Gutachters seien nach ihrer - zugegeben laienhaften - Einschätzung keinesfalls zwingend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und des arbeitsgerichtlichen Verfahrens 9 Ca 4734/08, ferner des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Beklagten ergänzend Bezug genommen.