Urteil
Zustimmung des Integrationsamtes zu einer außerordentlichen Kündigung - kein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung

Gericht:

VG Aachen 2. Kammer


Aktenzeichen:

2 K 4421/04


Urteil vom:

17.02.2006


Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich mit der vorliegenden Klage gegen die erteilte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung seines Arbeitsverhältnisses mit der Beigeladenen.

Der am 23. Mai 1949 geborene Kläger ist verheiratet. Er ist seit dem 17. Mai 1976 ununterbrochen bei der Beigeladenen bzw. deren Rechtsvorgänger, dem TÜV S. e.V., beschäftigt. Eingestellt wurde er zunächst als Flugzeugmechaniker. Nach einer Umschulung zum Prüfer für Luftfahrtgeräte im Jahre 1992 besitzt er die Lizenz zur Prüfung von Privat- oder Kleinflugzeugen. Etwa seit dem Jahr 1996 wird er von seinem Arbeitgeber als Prüfer von Luftfahrtgeräten der Klasse I eingesetzt. Mit Bescheid des Versorgungsamtes B. vom 26. Oktober 1995 wurde ihm wegen Durchblutungsstörung beider Arme und Funktionseinschränkung der Wirbelsäule ein Grad der Behinderung - GdB - von 30 v.H. zuerkannt. Mit Bescheid des Arbeitsamtes B. vom 27. Mai 2003 wurde er rückwirkend zum 14. Januar 2003 gem. § 2 Abs. 3 SGB IX einem Schwerbehinderten gleichgestellt. Der Kläger wurde zuletzt nach der LBO A 8 bezahlt, was nach seinen Angaben in etwa der Besoldung der Beamten nach der Besoldungsgruppe A 8 des BBesG bzw. der LBesO entsprechen soll. Vor dem Landesarbeitsgericht Köln schwebt noch ein Rechtsstreit, in dem der Kläger u.a. die Bezahlung nach LBO A 10 für die Zeit ab Januar 2002 erstrebt.

Die Beigeladene betreibt ein Unternehmen im Bereich der Flugzeugwartung. Ihr Firmensitz ist am L. /C. Flughafen. Angaben zur Größe des Unternehmens und der Anzahl der dort beschäftigten schwerbehinderten Menschen hat die Beigeladene trotz mehrfacher Aufforderung des Beklagten nicht gemacht.

Der Kläger ist seit dem 30. Januar 2003 arbeitsunfähig erkrankt. Nach seinem Vortrag im jetzigen Verwaltungs- und Klageverfahren versuchte die Beigeladene nach gerichtlicher Geltendmachung seiner Forderung der Eingruppierung in die höhere Gehaltsgruppe im Juni 2003 mehrfach, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Mit Schriftsatz vom 7. Juli 2003 kündigte die Beigeladene das bestehende Arbeitsverhältnis mit ordentlicher Kündigung zum 29. Februar 2004. Diese Kündigung wurde mit Schriftsatz vom 21. August 2003 während eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens zurückgenommen, da der Beigeladenen bis dahin die Gleichstellungsentscheidung des Arbeitsamtes B. nicht bekannt war. Mit Schreiben vom 11. April 2004 sprach die Beigeladene eine weitere ordentliche Kündigung zum 30. Juni 2004 aus. Im anschließenden Kündigungsschutzverfahren vor dem Arbeitsgericht L. wurde auch diese Kündigung mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 19. April 2004 zurückgenommen, da zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung noch keine Zustimmung des Integrationsamtes vorlag. Beide Kündigungsschreiben enthielten keine Begründung.

Einen - ersten - Antrag der Beigeladenen vom 9. Juli 2003 auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Klägers mit sozialer Auslauffrist lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 23. Juli 2003 ab, da zu diesem Zeitpunkt noch keine ärztliche Prognose über die zukünftige Entwicklung des Gesundheitszustandes vorlag. In der Folgezeit muss es einen weiteren - dem erkennenden Gericht hinsichtlich des Verwaltungsablaufs nicht näher bekannten - Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung gegeben haben; in den Verwaltungsvorgängen des Beklagten ist allein das in diesem Verfahren erstellte Gutachten des L1. Zentrums für Arbeitsmedizin vom 1. Oktober 2003 dokumentiert, das von der örtlichen Fürsorgestelle der Stadt L. in Auftrag gegeben worden war. Dort wurden die Angaben des Klägers bei der Anamnese in der Zif. 1 wie folgt zusammengefasst:

"Dennoch habe er nach der Übernahme [gemeint ist die des entsprechenden Geschäftsbereichs des TÜV-S. durch die Beigeladene] weiterhin die Privatkunden betreut und Kleinflugzeuge überprüft. Hierzu stand ihm zu Beginn eine entsprechende Anzahl von Flugzeugmechanikern zur Verfügung. Im weiteren Verlauf seien diese jedoch abgezogen worden für andere Arbeiten, so dass Herr E. auch die Aufgaben des Mechanikers in der Folgezeit zunehmend selbst durchführen musste. Nach seinen Angaben fühlte er sich in seiner Arbeit zunehmend behindert, seine Arbeit wurde schlecht geredet, die Arbeitsleistung wurde zum Teil falsch bewertet bzw. ungerecht kritisiert, es fand eine Ausgrenzung bzw. Isolierung gegenüber den anderen Mitarbeitern statt und Herr E. fühlte sich als unfähig dargestellt. Um den Kunden auch weiterhin gerecht bleiben zu können, erbrachte er neben der eigentlichen Prüftätigkeit auch die Mechanikertätigkeiten, was zu erheblichen Überstunden, aber auch zu Terminüberschreitungen führte. Der Druck am Arbeitsplatz nahm dadurch noch mehr zu, so dass Herr E. schließlich dekompensierte und psychisch erkrankte." .........

Über die Ursache der langen krankheitsbedingten Ausfallzeit heißt es in Zif. 4 :

"Die eigentliche Hauptfehlzeit ist durch die psychische Erkrankung bedingt. ... Die Bedingungen am Arbeitsplatz, die Mehrarbeit unter zum Teil erheblichem Termindruck sowie die augenscheinlich vorhandene Kommunikationsstörung zwischen der Betriebsleitung und Herrn E. haben die psychische Erkrankung verursacht. Nach der Beschreibung von Herrn E. kann man von einer typischen Mobbingsituation ausgehen. Insofern ist die Fehlzeit mit großer Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit dem bisherigen beruflichen Einsatz zu sehen."

Zur Frage, ob in Zukunft beim Kläger mit einer wesentlichen Verringerung der Fehlzeiten zu rechnen sei, heißt es in Zif. 6:

"Sollte sich die Situation am Arbeitsplatz nicht verbessern lassen, so ist eine psychische Stabilisierung von Herrn E. und Rückkehr an den Arbeitsplatz nur schwer möglich. Mit weiteren depressiven Episoden und entsprechenden Fehlzeiten ist dann zu rechnen. Generell spricht die hohe Motivation von Herrn E. bezüglich des Berufs als Prüfer für Luftfahrtgeräte sowie seine aktive Mitarbeit bei den laufenden Therapiemaßnahmen für eine positive Rückkehr in das Berufsleben. Dies hängt jedoch, wie schon beschrieben, von den Bedingungen am Arbeitsplatz und einer dortigen Konfliktlösung ab. Sollte es hier zu einer für alle Seiten positiven Lösung kommen, wäre eine ausreichend positive Zukunftsprognose gegeben."

Unter Berücksichtigung dieses Gutachtens blieb auch dieses Zustimmungsverfahren für die Beigeladene ohne Erfolg.

Mit Schreiben vom 5. April 2004, beim Beklagten eingegangen am 6. April 2004, beantragte die Beigeladene erneut die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit sozialer Auslauffrist. Die Kündigung solle aus krankheitsbedingten Gründen erfolgen. Der Kläger sei im Jahr 2001 an insgesamt 40 Tagen, im Jahr 2002 an insgesamt 60 Tagen und seit dem 30. Januar 2003 durchgängig erkrankt. Dieser Zustand werde auf nicht absehbare Zeit fortdauern. Wegen der Dauer der Erkrankung müsse auch von einer negativen Gesundheitsprognose gesprochen werden. Bei dieser Sachlage sei eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der wirtschaftlichen und unternehmerischen Interessen gegeben, die keine andere Möglichkeit lasse, als die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist zu beantragen.

Nachdem der Kläger seinen behandelnden Arzt Dr. Q. von der Schweigepflicht entbunden hatte, teilte dieser dem Integrationsamt auf fernmündliche Rückfrage ausweislich eines zu den Akten genommenen Vermerkes mit, dass es nicht absehbar sei, wann die Gesundheit des Klägers wieder hergestellt sei. Eine Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz würde den Kläger psychisch zu sehr belasten. Die psychische Erkrankung des Klägers sei aus seiner Sicht überwiegend auf die Arbeitssituation zurückzuführen.

In der Kündigungsverhandlung vom 19. April 2004 überreichte der Kläger eine Kopie des Bescheides der LVA S1. vom 16. Januar 2004, mit dem ihm längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bewilligt wurde. Nach Erörterung erteilte der Beklagte in der Kündigungsverhandlung vom 19. April 2004 die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Mit Bescheid vom 22. April 2004 begründete er diese Entscheidung wie folgt: Eine Krankheit stelle zwar grundsätzlich keinen wichtigen Grund dar, der für eine außerordentliche Kündigung gegeben sein müsse; sie könne aber eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, wenn eine ordentliche Kündigung unter Berücksichtigung der Beschäftigungszeiten des Klägers bei der Beigeladenen und deren Rechtsvorgänger nicht mehr möglich sei. Die Erkrankung des Klägers sei im vorliegenden Fall von einem solchen Gewicht, dass sie einer dauernden Arbeitsunfähigkeit gleichstehe. Auch der behandelnde Arzt habe bestätigt, dass eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht prognostiziert werden könne. Im Übrigen habe die Beigeladene überzeugend dargelegt, dass selbst bei teilweiser Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit kein anderer leidensgerechter Arbeitsplatz für den Kläger zur Verfügung stehe.

Mit Schreiben vom 21. April 2004 kündigte die Beigeladene das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger zum 30. November 2004. Die Kündigungsschutzklage ist zurzeit noch beim Landesarbeitsgericht L. anhängig.

Der Kläger erhob Widerspruch gegen die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung. Er ist der Auffassung, dass die Zustimmungsentscheidung sich zu sehr mit Aspekten befasst habe, die allein der arbeitsgerichtlichen Überprüfung unterlägen. Es sei nicht hinreichend gewürdigt worden, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten Folge eines Konfliktes am Arbeitsplatz seien. Dies habe insbesondere das Gutachten des L1. Zentrums für Arbeitsmedizin vom 1. Oktober 2003 bestätigt. Dieses Gutachten betone ausdrücklich, dass die Zukunftsprognose hinsichtlich der Wiederherstellung der Gesundheit von der Lösung des Arbeitsplatzkonfliktes abhänge. Bezüglich der Frage der Verwendung des Klägers auf einem anderen Arbeitsplatz habe die Beigeladene überwiegend spekulativ argumentiert.

Nachdem den zuständigen Agenturen für Arbeit in B. und L. Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden war, wies der Widerspruchsausschuss des Integrationsamtes des Landschaftsverbandes S. den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 18. November 2004, zugestellt am 22. November 2004, als unbegründet zurück. Verfahrensmängel seien nicht ersichtlich. In der Sache kam das Integrationsamt zur Auffassung, dass ein zumindest mittelbarer Zusammenhang zwischen den Fehlzeiten aufgrund der Arbeitsunfähigkeit und den festgestellten Behinderungen nicht ausgeschlossen werden könne. Deshalb stehe die Zustimmungsentscheidung hier im Ermessen des Integrationsamtes. Die zu treffende Ermessensentscheidung müsse einerseits die gesteigerte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber dem behinderten Menschen in Betracht ziehen. Dabei obliege es dem Integrationsamt insbesondere, die Nachteile des behinderten Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszugleichen und seine Rehabilitation anzustreben. Andererseits müsse das Integrationsamt bei seiner Entscheidung bestrebt sein, möglichst viel von der Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers in Bezug auf seine im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden berechtigten Interessen, nämlich seine wirtschaftlichen und unternehmerischen Gestaltungsmöglichkeiten, zu erhalten. Unter Berücksichtigung der langen Fehlzeiten des Klägers, der ungünstigen Zukunftsprognose, die auch durch die Bewilligung der Teilerwerbsrente längstens bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres durch die LVA S1. vom 16. Januar 2004 bestätigt worden sei, gehe die Ermessensentscheidung zu Lasten des Klägers aus. Daran ändere im Ergebnis auch die beharrliche Weigerung der Beigeladenen nichts, Angaben zur Gesamtzahl der Mitarbeiter, der Schwerbehinderten und der ihnen gleichgestellten Arbeitnehmer zu machen. Diese Verhalten lasse nur den Schluss zu, dass sie ihre Beschäftigungspflicht gemäß § 71 SGB IX nicht erfülle.

Der Kläger hat am 22. Dezember 2004 Klage erhoben. Er wiederholt und vertieft sein bisheriges Vorbringen. Zusätzlich macht er geltend: In den angefochtenen Entscheidungen sei nicht hinreichend gewürdigt worden sei, dass nach dem arbeitsmedizinischen Gutachten vom 1. Oktober 2003 die Erkrankung auf die Situation am Arbeitsplatz zurückzuführen sei. Der Arbeitgeber habe sich trotz dieses Gutachtens seit Januar 2003 nicht bemüht, mit ihm eine Lösung für den Konflikt am Arbeitsplatz zu suchen. Auch die durch seinen krankheitsbedingten Ausfall vorgetragenen arbeitsorganisatorischen Probleme der Beigeladenen ziehe er in Zweifel. Es sei nicht davon auszugehen, dass sein Ausfall über zwei Jahre nur durch Überstunden der anderen Mitarbeiter aufgefangen worden sei. Es sei davon auszugehen, dass längst ein anderer Mitarbeiter für die bislang von ihm wahrgenommenen Tätigkeiten eingestellt worden sei.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),

die Zustimmungsentscheidung vom 19. April 2004/22. April 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 18. November 2004 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig.

Die Beigeladene beantragt,

die Klage abzuweisen.

Hinsichtlich des Sach- und Streitstandes tritt sie den Erwägungen des Beklagten in den angefochteneren Entscheidungen bei. Sie zieht die Richtigkeit des Gutachtens des L1. Zentrums für Arbeitsmedizin vom 1. Oktober 2003 in Zweifel, da der dort als für die Erkrankung maßgeblich dargelegte Sachverhalt niemals Gegenstand der Gespräche zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gewesen sei.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und die im Verfahren gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Der Bescheid vom 14./19. Februar 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 21. August 2002 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger, bei dem ein Grad der Behinderung von 30 v.H. festgestellt ist und mit Bescheid des Arbeitsamtes B. vom 27. Mai 2003 rückwirkend zum 14. Januar 2003 gemäß § 2 Abs. 3 SGB IX eine Gleichstellung mit einem Schwerbehinderten ausgesprochen wurde, steht unter dem Schutz der §§ 68 ff. SGB IX und §§ 85 ff. SGB IX. Danach bedarf die Beigeladene für die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers der vorhergehenden Zustimmung des Integrationsamtes. Nach § 91 Abs. 1 SGB IX gelten mit Ausnahme von § 86 SGB IX die §§ 85 ff. SGB IX, soweit sich aus den nachfolgenden Absätzen des § 91 SGB IX nichts Abweichendes ergibt. Nach § 91 Abs. 2 SGB IX kann die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung innerhalb von zwei Wochen beantragt werden. Die Frist gilt ab dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt hat. Nach § 91 Abs. 4 soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Im Übrigen stehe die Entscheidung über die Zustimmung bzw. den Widerspruch gegen die Erteilung oder Versagung der Zustimmung im pflichtgemäßen Ermessen des Integrationsamtes bzw. des Widerspruchsausschusses.

Die Vorschriften über das Verfahren bei der Zustimmung zur Kündigung (§ 87 SGB IX) sind eingehalten. Dem Kläger wurde nach Eingang des Antrags auf Zustimmung zur Kündigung am 6. April 2004 schriftsätzlich und in der Kündigungsverhandlung vom 19. April 2004 auch mündlich Gelegenheit gegeben, umfassend zum Sach- und Streitstand Stellung zu nehmen. Das Recht des Klägers auf umfassende Anhörung wurde auch im Widerspruchsverfahren gewahrt. § 87 Abs. 2 SGB IX, der in der bis zum Ablauf des 30. April 2004 geltenden Gesetzesfassung auch noch die Anhörung des zuständigen Arbeitsamtes vorsah, ist Rechnung getragen. Dabei kann hier offen bleiben, welche Konsequenz die Gesetzesänderung ab dem 1. Mai 2004 - also während des laufenden Widerspruchsverfahrens - hat. Denn der Widerspruchsauschuss beim Integrationsamt des Landschaftsverbandes S. hat hier der Agentur für Arbeit in L., als dem für den Sitz der Beigeladenen zuständigen Arbeitsamt, und der Agentur für Arbeit in B., als dem für den Wohnort des Klägers zuständigen Arbeitsamt, mit Schreiben jeweils vom 14. Mai 2005 Gelegenheit gegeben, aus ihrer Sicht zu dem Kündigungsbegehren der Beigeladenen Stellung zu nehmen. Dass die Arbeitsagenturen erst im Widerspruchsverfahren angeschrieben wurden, macht die Entscheidung nicht rechtswidrig,

vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11. November 1999, - 5 C 23.99 -, BVerwGE 110, 67 ff. = NZA 2000, 146 ff. = Behindertenrecht 200, 85 ff.,

da dieser Mangel im Widerspruchsverfahren (vgl. § 41 Abs. 2 SGB X i.V.m. § 41 Abs. 1 Nr. 5 SGB X) geheilt werden kann. Nach dieser höchstrichterlichen Entscheidung ist rechtlich auch nicht zu beanstanden, dass der Widerspruchsausschuss ohne Eingang der Stellungnahme der angeschriebenen Arbeitsagenturen über den Widerspruch entschieden hat. Personalrat und Schwerbehindertenvertretung sind bei der Beigeladenen nicht vorhanden.

Der angefochtene Bescheid in der Fassung des Widerspruchsbescheides ist im Ergebnis auch in der Sache nicht zu beanstanden. Abweichend von der Entscheidung des Widerspruchsausschusses geht das erkennende Gericht davon aus, dass hier die Voraussetzungen des § 91 Abs. 4 SGB IX gegeben sind, also eine Konstellation, in der in der Regel die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung zu erteilen ist.

Der von der Beigeladenen geltend gemachte Kündigungsgrund - krankheitsbedingter Ausfall des Klägers mit ungünstiger Prognose für die Zukunft - steht nach dem derzeitigen Erkenntnisstand des Gerichts weder in unmittelbarem noch in mittelbarem Zusammenhang mit der anerkannten Behinderung des Klägers. Nach dem Bescheid des Versorgungsamtes Aachen vom 26. Oktober 1995 wurde ihm wegen Durchblutungsstörung beider Arme und Funktionseinschränkung der Wirbelsäule ein Grad der Behinderung von 30 v. H. zuerkannt. Auch wenn der Vortrag des Klägers zum Hintergrund des Kündigungsbegehrens der Beigeladenen unklar ist, spricht aus Sicht des Gerichts nichts dafür, dass seine krankheitsbedingten Ausfallzeiten mit diesen anerkannten Behinderungen unmittelbar oder mittelbar in Verbindung stehen.

Zum einen hat er im vorliegenden Klageverfahren vorgetragen, dass die Beigeladene das Arbeitsverhältnis beenden wolle, seit er eine Eingruppierung in eine höhere Gehaltsgruppe und die daraus folgenden Gehaltsansprüche gerichtlich einklage. Eine etwaige unzutreffende Eingruppierung durch den Arbeitgeber mag rechtswidrig sein, ist aber insoweit allein von den Arbeitsgerichten zu prüfen. Denn es fehlt an jeglichem Bezug zur anerkannten Behinderung. Zum anderen hat der Kläger zum Hintergrund der Kündigung auf das Gutachten des L1. Zentrums für Arbeitsmedizin vom 1. Oktober 2003 verwiesen. In diesem - im Tatbestand ausführlich referierten Gutachten - hat der Kläger dem Gutachter eine psychische Konfliktsituation dargestellt, die beim ihm eine depressive Episode ausgelöst hat. Der Gutachter hielt diesen Vortrag für glaubwürdig und hat deshalb die Hauptfehlzeit auf diese psychische Erkrankung zurückgeführt. Soweit er diese Einschätzung substantiiert hat, hat er dies mit dem Verweis auf die Arbeitsbedingungen, den erheblichen Termindruck, die Kommunikationsstörung zwischen dem Kläger und der Betriebsleitung der Beigeladenen getan, nicht aber damit, dass dem Kläger körperliche Arbeiten abverlangt wurden, die er wegen seiner Behinderung nicht oder nur eingeschränkt erbringen konnte. Letztlich hat nach Auffassung des Gutachters die Nichtbearbeitung des Konflikts mit dem Arbeitgeber die psychische Erkrankung und damit die Arbeitsunfähigkeit des Klägers verursacht. Ein psychisches Leiden ist aber bislang vom Versorgungsamt nicht als ein eine Behinderung auslösendes Leiden anerkannt. Für die hier vertretene Auffassung spricht auch die fernmündliche Stellungnahme des behandelnden Arztes Dr. Q. gegenüber dem Integrationsamt vom 19. April 2004. Auch dort wird die Rückkehr an den bisherigen Arbeitsplatz wegen der psychischen Belastung - und nicht wegen eines der Orthopädie bzw. der Inneren Medizin zuzuordnenden Leidens, das der Erbringung der Arbeitsleistung entgegensteht - auf absehbare Zeit ausgeschlossen.

Steht aber die außerordentliche Kündigung nicht mit der anerkannten Behinderung in Verbindung, hat nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG -,

Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -, BVerwGE 90, 275 ff. und Urteil vom 10. September 1992 - 5 C 39.88 -, BVerwGE 91, 7 ff.

das Integrationsamt im Regelfall die Zustimmung zu erteilen. Es ist insbesondere nicht seine Aufgabe zu überprüfen, ob ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Diesen zu überprüfen ist - wie der vom Arbeitgeber angegebene arbeitsrechtliche Kündigungsgrund - allein Aufgabe der Arbeitsgerichte. Denn der Sonderkündigungsschutz für Schwerbehinderte bringt im Vorfeld der Kündigung lediglich die spezifischen Interessen schwerbehinderter Arbeitnehmer zur Geltung. Er zielt nicht darauf ab, den von den Arbeitsgerichten nach erfolgter Kündigung zu gewährenden arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz zu ersetzen, einzuschränken oder gar überflüssig zu machen.

Aus der Sollregelung des § 91 Abs. 4 SGB IX, der wortgleich mit dem früheren § 21 Abs. 4 SchwbG ist, schließt die ständige verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung, dass nur bei Vorliegen von Umständen, die den Fall als atypisch erscheinen lassen, die Hauptfürsorgestelle nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden darf. Ein atypischer Fall liegt vor, wenn die außerordentliche Kündigung den Schwerbehinderten in einer dem Schutzzwecke des SGB IX berührenden Weise besonders hart trifft, ihm im Vergleich zu den der Gruppe der Schwerbehinderten im Falle der außerordentlichen Kündigung allgemein zugemuteten Belastungen ein Sonderopfer abverlangt. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht es in den genannten Entscheidungen offen gelassen, ob das Integrationsamt die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung ausnahmsweise dann zu prüfen hat, wenn bei den im Zustimmungsverfahren vorzunehmenden Ermittlungen offenbar wird, dass die vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermögen. Solche Umstände können aber hier nicht festgestellt werden. Mittlerweile ist in der Rechtsprechung geklärt, dass eine offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung in diesem Sinne nur dann angenommen werden kann, wenn sie ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt, sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. September 1996 - 5 B 109/96 -, Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts 436.61, § 21 SchwbG Nr. 8; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. Mai 2000 - 22 A 3145/98 - = NVWBl 2000, 390 f. und Urteil vom 8. März 1996 - 24 A 3340/93 -, Behindertenrecht 1997, 47 ff..

Solch ein atypischer Fall wird nur in seltenen Ausnahmekonstellationen in Betracht kommen.

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist solch ein atypischer Fall hier nicht ersichtlich. Zwar rechtfertigt Krankheit nur ausnahmsweise den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung. Nach der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung kann eine solche Ausnahme aber in den Fällen in Betracht kommen, in denen ein Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Beschäftigungszeiten nicht mehr ordentlich gekündigt werden kann, nach längeren krankheitsbedingten Fehlzeiten aber keine Prognose möglich ist, dass der Arbeitnehmer in absehbarer Zeit oder nach einer konkreten Rehabilitationsmaßnahme auf seinen Arbeitsplatz zurückkehrt. Genau ein solcher Fall könnte hier vorliegen, was aber letztlich nicht hier, sondern von den Arbeitsgerichten zu klären ist. Andere Gründe, die für einen atypischen Fall sprechen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Es fehlt zur Überzeugung des erkennenden Gerichts auch ein "mittelbarer Zusammenhang" der Kündigung mit der anerkannten Schwerbehinderung.

Soweit man dieser Auffassung des Gerichts nicht folgen wollte und mit dem Widerspruchsausschuss beim Integrationssamt des Landschaftsverbandes S. zwischen den erheblichen Fehlzeiten und den festgestellten Behinderungen einen zumindest "mittelbaren Zusammenhang" nicht ausschließen wollte, würde dies zwar zu einer freien Ermessensentscheidung des Integrationssamtes entsprechend dem ordentlichen Kündigungsschutzverfahren nach § 85 SGB IX, nicht aber zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis führen. Auf die zutreffenden Erwägungen des Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses beim Integrationsamt vom 18. November 2004 wird insoweit Bezug genommen und von einer weiteren Darstellung der Gründe, denen das Gericht folgt unter Bezugnahme auf § 117 Abs. 5 VwGO abgesehen.

Nach alledem haben das Integrationsamt und der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt im Ergebnis zu Recht die beantragte Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin erteilt.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3, 188 Satz 2 VwGO. Da die Beigeladene einen eigenen Antrag gestellt und sich somit dem Kostenrisiko ausgesetzt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), entspricht es der Billigkeit, ihre außergerichtlichen Kosten für erstattungsfähig zu erklären. Die Entscheidung bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Referenznummer:

R/R3316


Informationsstand: 18.05.2010