Urteil
Kündigung eines Schwerbehinderten - zur Kausalität zwischen Kündigungsgrund und Behinderung

Gericht:

VGH München 12. Senat


Aktenzeichen:

12 B 94.2091


Urteil vom:

06.10.1997


Grundlage:

Orientierungssatz:

1. Einzelfall der begründeten fristlosen Kündigung eines Schwerbehinderten (hier: wegen Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe).

Im Einzelfall stand der Kündigungsgrund (Verurteilung wegen Betruges) weder in einem unmittelbaren noch in einem mittelbaren Kausalzusammenhang mit der Behinderung (hier: Schädigung der Hüftgelenke).

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

JURIS-GmbH
Behindertenrecht 06/1998
Behindertenrecht 07/1998

Aus den Gründen:

I. Der Kläger, der infolge einer angeborenen Schädigung der Hüftgelenke schwerbehindert mit einem Grad von 100 ist, war ab 27.12.1967 beim Landkreis S. (Beigeladener) als Verwaltungsangestellter beschäftigt. Mit rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichts S. vom 27.11.1991 wurde er wegen eines Mißbrauchs von Scheck- und Kreditkarten in Tatmehrheit mit sechs zusammentreffenden Fällen des Betrugs zu einer Gesamtstrafe von 12 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe setzte das Amtsgericht zur Bewährung aus. Nachdem der Beigeladene am 4.2.1992 dem Kläger fristlos mit der Begründung, daß der Kläger wegen Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt worden sei. Das Verwaltungsgericht wies die Klage des Klägers gegen die fiktive Zustimmung ab, die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg.

II. Der Grund, aus dem die Kündigung erfolgt, ist immer der vom Arbeitgeber genannte Kündigungsgrund, unabhängig davon, ob er die Kündigung arbeitsrechtlich rechtfertigt; § 21 Abs. 4 SchwbG verweist auf die Begründung der Kündigung, nicht aber auf ihre Begründetheit (vgl. BVerwGE 90, 275/281 = br 1992, 165/166 und BVerwG vom 18.9.1996, Buchholz 436.61 § 21 SchwbG Nr.8). Der Beigeladene hat die außerordentliche Kündigung des Klägers damit begründet, daß der Kläger durch Urteil des Amtsgerichts vom 27. 11.1991 wegen Betruges rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitstrafe von 12 Monaten verurteilt worden sei. Die Verurteilung steht mit der Behinderung des Klägers in keinem Zusammenhang.

Es kann als heute herrschende Meinung bezeichnet werden, daß nur die Behinderung maßgeblich ist, die das Versorgungsamt gemäß § 4 Abs. 1 SchwbG festgestellt hat (vgl. Niedersächsisches OVG vom 27.7.1994, br 1995, 128/130; VGH Baden- Württemberg vom 3.5.1993, VGH-Rechtsprechungsdienst VBlBW 9/1993 Nr. 21.4). Für diese Auslegung spricht, daß das Feststellungsverfahren nach § 4 Abs.1 SchwbG seinen Sinn verlöre, wenn sich Behörden und Gerichte bei der Anwendung des § 21 Abs. 4 SchwbG über das Ergebnis des Feststellungsverfahrens beliebig hinwegsetzen könnten. Im Falle des Klägers lag im maßgeblichen Zeitpunkt der Kündigung (4.2.1992; vgl. BVerwG vom 7.3.1991, Buchholz 436,61 § 12 SchwbG Nr. 3 = br 1991, 113) nur die versorgungsamtliche Feststellung einer körperlichen Behinderung vor. Daß das Versorgungsamt mit Bescheid vom 27.8.1992 auch eine seelische Störung als Behinderung des Klägers anerkannte, ist für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung.

Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Verurteilung des Klägers wegen Betruges und der angeborenen Schädigung seiner Hüftgelenke besteht sicherlich nicht. Nach der heute wohl herrschenden Meinung genügt aber auch ein nur mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Kündigungsgrund und der Behinderung (so ausdrücklich Urteil des Senats vom 13.6.1996 - 12 B 95.3309; Niedersächsisches OVG vom 27.7.1994, br 1995 128/130; Wiegand, SchwbG , Stand: Juni 1996, § 21 RdNr. 21). Nach Auffassung des Senats fehlt es hier auch an einem nur mittelbaren Zusammenhang zwischen der Verurteilung des Klägers wegen Betruges und der angeborenen Schädigung seiner Hüftgelenke. Wenn auch eine körperliche Behinderung als solche als mögliche Ursache für eine strafgerichtliche Verurteilung von vornherein ausscheidet, kann sie doch Ursache für eine seelische Behinderung sein. Die seelische Behinderung kann dann wiederum zur Folge haben, daß der Behinderte Straftaten begeht. Man wird aber nicht sagen können, im Falle des Klägers sei die möglicherweise vorhandene seelische Behinderung die Ursache für die Verurteilung wegen Betruges zu einer Gesamtheitfreiheitsstrafe von 12 Monaten gewesen. Das Strafgericht hat den Kläger nicht wegen, sondern trotz einer möglicherweise vorhandenen seelischen Behinderung zu der vorerwähnten Strafe verurteilt, die der Beigeladene als Kündigungsgrund angegeben hat. Im übrigen lag, wie bereits erwähnt wurde eine vom Versorgungsamt nach § 4 Abs. 1 SchwbG festgestellte seelische Behinderung beim Kläger im maßgeblichen Zeitraum nicht vor. Bei der Anwendung des § 21 Abs. 4 SchwbG ist es den Behörden und Gerichten verwehrt, in die Kausalkette des "mittelbaren Zusammenhanges" eine Behinderung einzubeziehen, die zwar im Zeitpunkt der Kündigung möglicherweise vorhanden war (vgl. das im Strafverfahren erstellte Gutachten zur Schuldfähigkeit des Klägers), aber vom Versorgungsamt nicht nach § 4 Abs. 1 SchwbG festgestellt wurde.

Referenznummer:

MWRE011129800


Informationsstand: 09.08.1999