Urteil
Zustimmung zur ordentlichen Kündigung - Nachschieben von Kündigungsgründen - Betriebsbedingte Kündigungsgründe - Sachverhaltsaufklärung durch das Integrationsamt

Gericht:

VGH Bayern 12. Senat


Aktenzeichen:

12 B 10.1088 | VGH 12 B 10.1088


Urteil vom:

28.09.2010


Grundlage:

Tenor:

I. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. September 2009 wird insoweit aufgehoben, als es den Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Augsburg - Integrationsamt - vom 20. Januar 2009 und den Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses vom 29. April 2009 aufgehoben hat.

Die Klage wird auch insoweit abgewiesen.

II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen in beiden Rechtszügen zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 v. H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte bzw. der Beigeladene vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Zustimmung des Beklagten zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers durch den Beigeladenen.

Der am 11. April 1960 geborene Kläger ist schwerbehindert. Seine Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 50 v. H.. Er ist seit dem 2. April 2007 beim Beigeladenen, der in ... das Taxi- und Mietwagenunternehmen ... betreibt, als Taxifahrer beschäftigt.

Mit Schreiben vom 19. August 2008 beantragte der Beigeladene beim Zentrum Bayern Familie und Soziales Region Schwaben - Integrationsamt - in Augsburg die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers. Der Kläger sei seit 2. April 2007 als Kraftfahrer mit einem monatlichen Bruttogehalt in Höhe von 1.100,-- Euro beschäftigt. Das Taxiunternehmen beschäftige neben dem Kläger zwei weitere Arbeitnehmer. Die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses sei aus verhaltensbedingten Gründen veranlasst, beispielhaft werde auf die Abmahnung vom 23. Juni 2008 verwiesen. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses stehe in keinem Zusammenhang mit der behaupteten Schwerbehinderung. In der in Bezug genommenen Abmahnung vom 23. Juni 2008 hält der Beigeladene dem Kläger vor, sowohl am Mittwoch, den 26. März 2008, als auch am Freitag, den 2. Mai 2008, mit dem ihn anvertrauten Fahrzeug Verkehrsunfälle verursacht und Schaden an den beteiligten Fremdfahrzeugen verursacht zu haben. Hierdurch sei jeweils eine Selbstbeteiligung bei der Kfz-Haftpflichtversicherung in Höhe von 500,-- Euro entstanden. Der Beigeladene sei nicht mehr gewillt, solch ein Verhalten im Straßenverkehr zu dulden. Für den Fall eines weiteren Verkehrsunfalles nach Abmahnung drohte er dem Kläger die fristlose Kündigung an.

In seiner Stellungnahme an das Integrationsamt führte der Kläger aus, er sei von 2001 bis 2005 krankheitsbedingt nicht berufstätig gewesen. Er sei seit 2. April 2007 als Taxifahrer beschäftigt, wobei er ausschließlich nachts fahre. Über die Arbeitsstelle sei er sehr froh, würde er sie verlieren, bekäme er keine Arbeit mehr. Die Kündigungsgründe seien vorgeschoben, in Wahrheit gehe es um etwas ganz anderes. In ... gebe es eine Taxi-Funk-Genossenschaft, der der Beigeladenen sowie die meisten Taxiunternehmer in ... angehörten. Die Aufgabe der Genossenschaft sei satzungsgemäß eigentlich nur das Betreiben einer Funkzentrale, die die Kundenaufträge an die angeschlossenen Taxiunternehmen weitergebe. Die Taxi-Funk-Genossenschaft in ... mische sich jedoch auch in die Preisgestaltung und die Ausübung der beruflichen Tätigkeit der Unternehmer und Fahrer ein und versuche, Unternehmer oder Fahrer, die ihr nicht passten, vom Funkverkehr auszuschließen. Der Kläger habe sich vor kurzem erfolgreich mit einer einstweiligen Verfügung des Amtsgerichtes Kempten dagegen gewehrt. Nunmehr übe diese Genossenschaft Druck auf den Beigeladenen aus. Die Verkehrsunfälle räume er ein. Allerdings habe die Schwerbehindertenbehörde die Aufgabe, den Arbeitsplatz eines Schwerbehinderten zu schützen, vor allem, wenn der Schwerbehinderte - wie vorliegend - nach einer Kündigung keine Aussicht mehr habe, wieder einen Arbeitsplatz zu finden.

Mit einem weiteren Schreiben vom 2. Oktober 2008 beantragte der Beigeladene beim Integrationsamt zudem die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung, weil der Kläger ihn zwischenzeitlich als "Arschloch" tituliert habe und sich weigere, die seitens der Taxi-Funk-Genossenschaft verhängte Geldbuße zu bezahlen, so dass das gegen ihn verhängte Funkverbot bis auf weiteres bestehen bleibe. Dadurch erleide der Beigeladene erhebliche Umsatzbeinbußen. Mit weiterem Schreiben vom 10. Oktober 2008 nahm der Beigeladene den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung zurück.

Außergerichtliche Vergleichsverhandlungen sind gescheitert, woraufhin der Beigeladene mit Schriftsatz vom 26. November 2008 zur Begründung seines Antrages auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung als verhaltensbedingte Gründe die Verkehrsunfälle vom 26. März 2008 und vom 2. Mai 2008 sowie Verstöße gegen die Funk- und Disziplinarordnung der Taxi-Funk e. G. vorträgt und nunmehr auch betriebsbedingte Gründe anführte. Solche ergäben sich aus einer betriebswirtschaftlichen Unternehmensauswertung der Steuerkanzlei ... GmbH vom 17. November 2008. Hierin werde der Beigeladene ausdrücklich darauf hingewiesen, dass zur Erhaltung der Rentabilität des Taxibetriebes Einsparungen im Personalbereich vorgenommen werden müssten. Der Beigeladene habe sich unter Berücksichtigung der betriebswirtschaftlichen Lage entschlossen, die Nachtfahrten zukünftig einzustellen bzw. erheblich zu reduzieren. Hierdurch entfalle der Arbeitsplatz des Klägers, der ausschließlich für solche Nachtfahrten zuständig gewesen sei, ersatzlos. Die bisherigen außergerichtlichen Verhandlungen seien allein daran gescheitert, dass der Kläger etwaige sozialrechtliche Nachteile vom Beigeladenen ersetzt haben wollte. Zudem habe die Vorstands- und Aufsichtsratssitzung vom 27. November 2008 der "Taxizentrale" beschlossen, dem Kläger "wegen Genossenschaft schädliches Verhalten" keinen neuen Funkausweis auszustellen. Die Kfz-Versicherung hat das Vertragsverhältnis mit dem Beigeladenen aufgrund Schadenshäufigkeit zwischenzeitlich gekündigt. Auch hierzu wurde der Kläger angehört.

Mit Bescheid vom 20. Januar 2009 stimmte das Integrationsamt der ordentlichen Kündigung des Klägers durch den Beigeladenen zu. Ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung seien beim Taxi- und Mietwagenunternehmer ... nicht gewählt und infolgedessen auch nicht zu beteiligen. Die übrigen Verfahrensvoraussetzungen seien eingehalten. Die Entscheidung des Integrationsamtes nach § 85 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) sei eine Ermessensentscheidung. Nach Anhörung des Klägers sei das Integrationsamt unter Interessensabwägung zu dem Entschluss gekommen, dass das Interesse des Beigeladenen an der Kündigung überwiege. Der Beigeladene habe glaubhaft dargelegt, dass dringende betriebliche Gründe ihn zur Kostenreduzierung und damit zur Verbesserung des Betriebsergebnisses zwängen, das vorhandene Personal an den Arbeitsbedarf anzupassen. Es handele sich hierbei um eine vom Integrationsamt hinzunehmende unternehmerische Entscheidung. Anhaltspunkte dafür, dass diese Entscheidung unsachlich und willkürlich wäre, lägen nicht vor. Da die beantragte Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung ausschließlich im betrieblichen Bereich seine Ursache fände, verliere der Sonderkündigungsschutz nach dem Schwerbehindertenrecht an Intensität. Der Sachvortrag zum betriebsbedingten Personalabbau sei schlüssig und nachvollziehbar.

Die Kündigungsschutzklage des Klägers hat das Amtsgericht Kempten unter dem Aktenzeichen 4 Ca 379/09 mit Urteil vom 28. April 2009 abgewiesen; lediglich eine einbehaltene Vergütung für die Monate Januar 2009 und Februar 2009 in Höhe von 421,66 EUR wurde ihm zugesprochen. Der Kläger hat hiergegen, den eigenen Angaben folgend, Berufung eingelegt.

Gegen den Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes erhob der Kläger Widerspruch, den der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. April 2009 zurückgewiesen hat.

Mit seiner Klage vom 26. Mai 2009 verfolgt der Kläger sein Begehren auf Aufhebung des Zustimmungsbescheides des Integrationsamtes vom 20. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. April 2009 weiter und beantragt zudem, die Verpflichtung des Beklagten, den Antrag auf Zustimmung abzulehnen. Das Integrationsamt verkenne insbesondere den Schutz, den schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen. Es sei verpflichtet, den Betroffenen den Arbeitsplatz zu erhalten und hierzu alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Eine finanzielle Beihilfe an den Beigeladenen wäre geeignet gewesen, die Kündigung zu vermeiden. Die Kündigung eines Schwerbehinderten sei das letzte Mittel. Das Integrationsamt hätte auch berücksichtigen müssen, dass der Vortrag des Beigeladenen zu seiner wirtschaftlichen Lage nicht plausibel sei. Die Bescheinigung der Steuerberatungsgesellschaft habe keinerlei Beweiskraft. Das Problem des Klägers, einen anderen Arbeitsplatz zu finden, sei nicht gewürdigt worden.

Das Verwaltungsgericht hob mit Urteil vom 29. September 2009 den Bescheid des Integrationsamtes vom 20. Januar 2009 und den Widerspruchsbescheid des Widerspruchsausschusses vom 29. April 2009 auf, wies aber im Übrigen die Verpflichtungsklage des Klägers ab. Die als Kombination von Anfechtungs- und Verpflichtungsklage erhobene Klage sei zulässig, aber nur im kassatorischen Teil begründet. Der Bescheid des Integrationsamtes genüge den Anforderungen der Rechtsprechung an die Zustimmung zur Kündigung nicht. Auffällig sei, dass der betriebliche Grund für die Reduzierung des Taxibetriebes erst während des Verwaltungsverfahrens vorgetragen worden sei, nachdem zunächst die Kündigung wegen des Verhaltens des Klägers ausgesprochen werden sollte. Der Kläger habe zudem dem Vortrag des Beigeladenen substantiiert widersprochen, wobei sein Argument, es sei wirtschaftlich unsinnig, ein Taxi nur tagsüber zu betreiben, jedenfalls für Branchenfremde nicht von der Hand zu weisen sei. Das Integrationsamt verkenne, dass es zwar betriebliche Entscheidungen des Beigeladenen zu akzeptieren habe. Jedoch setze die Zustimmung zur Kündigung ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers voraus, das das Schutzinteresse des Arbeitnehmers überwiege. Es sei also stets ein Kündigungsgrund erforderlich, der auch tatsächlich vorliegen müsse. Bei Zweifeln hieran habe das Integrationsamt den Sachverhalt weiter aufzuklären. Vorliegend habe es den Vortrag des Beigeladenen ungeprüft akzeptiert und damit den Rechtsschutz des Klägers faktisch leerlaufen lassen. Die angefochtene Entscheidung leide auch unter dem weiteren Mangel, dass die Interessenlage des Klägers nicht zutreffend gewürdigt worden sei. Es sei zwar im Ansatz zutreffend, dass bei einer betriebsbedingten Kündigung der Schutz des Schwerbehinderten deutlich geringer ausfalle als bei einer krankheitsbedingten Kündigung. Gleichwohl falle der Schwerbehinderte unter den Schutz des § 85 SGB IX. Der Ausgangsbescheid enthalte keinerlei Ausführungen zur Situation des Klägers. Im Widerspruchsbescheid heiße es lediglich, der Kläger sei zur Sicherung eines angemessenen Lebensunterhaltes auf die Einkünfte aus dem Arbeitsverhältnis angewiesen. Verliere er seinen Arbeitsplatz, so habe er auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nur schwer eine Chance, einen neuen und geeigneten Arbeitsplatz zu finden. Das beschreibe aber nicht die individuelle Situation des Klägers, sondern allgemein die Situation schwerbehinderter Arbeitnehmer, wegen der es ja gerade den Kündigungsschutz gebe. Symptomatisch für die mangelnde Sachverhaltsaufklärung durch das Integrationsamt sei, dass erst in der mündlichen Verhandlung durch Befragen des Klägers zu Tage gekommen sei, worauf seine Behinderung zurückzuführen sei. Ohne eine entsprechende Feststellung sei eine Einschätzung der beruflichen Chancen eines Schwerbehinderten aber nicht möglich.

Hiergegen wenden sich sowohl der Beklagte als auch der Beigeladene mit ihren vom Senat am 4. Mai 2010 zugelassenen Berufungen.

Die Landesanwaltschaft Bayern führt zur Berufungsbegründung im Wesentlichen aus, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht die Begründetheit der Anfechtungsklage angenommen. Noch zutreffend sei der Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts, dass das erkennende Gericht nicht zu prüfen habe, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses sozial gerechtfertigt im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes sei. Das sei allein von den Arbeitsgerichten vorzunehmen mit Ausnahme von allein offensichtlich unwirksamen Kündigungen. Zudem sei die Entscheidung des Integrationsamtes als Ermessensentscheidung zwar eingeschränkt gerichtlich überprüfbar. Die Regelungskonzeption der §§ 85 ff. SGB IX beabsichtigte erkennbar keinen umfassenden Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer vor einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses. Insbesondere dürfe und könne das Integrationsamt nicht die arbeitsrechtliche Wirksamkeit der Kündigung und die zivilrechtlichen Vorfragen dazu prüfen. Es sei lediglich der Frage nachzugehen, ob die vorgetragenen Gründe nachvollziehbar und vertretbar seien. Dabei sei auch die unternehmerische Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers in einer freien Wirtschaftsordnung zu gewichten. Auch die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung beschränke ihre Prüfungstätigkeit, wenn etwa das Bundesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 21. September 2006 ausführe, eine unternehmerische Organisationsentscheidung begründe ein dringendes betriebliches Erfordernis im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG, wenn sie sich auf die Einsatzmöglichkeiten des gekündigten Arbeitnehmers auswirke. Die Entscheidung selbst sei nicht auf ihre rechtliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit zu überprüfen, sondern nur darauf, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sei. Zudem handle es sich vorliegend um einen Kleinbetrieb, bei dem nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde. Zudem komme eine umfängliche arbeitsrechtliche Prüfung schon deshalb nicht in Betracht, weil das Integrationsamt den Sachverhalt in der Regel nicht umfassend aufklären könne. Hierbei seien auch vor allem die kurzen Entscheidungsfristen zu beachten, die für das Integrationsamt im Zustimmungsverfahren gesetzlich vorgesehen seien.

Der Beigeladene begründet seine Berufung im Wesentlichen mit entsprechenden Einlassungen. Die dem Integrationsamt auferlegte Aufklärungspflicht sei erfüllt, wenn das Vorbringen des Arbeitgebers auf Schlüssigkeit hin geprüft worden sei. Dementgegen habe das Erstgericht eine Zweckmäßigkeitsprüfung der unternehmerischen Entscheidung vorgenommen, und seine Entscheidung anstelle des Beigeladenen gesetzt. Das sei offenkundig rechtsfehlerhaft. Es stelle auch keine Verkürzung oder unzulässige Beschneidung der Rechte des Schwerbehinderten dar, wenn eine derartige Prüfung hier nicht erfolge (vgl. VGH BW vom 4.3.2002 Az. 7 S 1651/01). Das gelte auch dann, wenn ein Kündigungsschutz aus § 1 KSchG nicht vorliege, weil in solchen Fällen das Schwerbehindertenrecht nicht an die Stelle des vom Gesetzgeber nicht als einschlägig erachteten Kündigungsschutzgesetzes trete.

Beklagter und Beigeladener beantragen,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg auch insoweit aufzuheben als es den Zustimmungsbescheid des Integrationsamtes vom 20. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben hat und auch insoweit die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufungen des Beklagten und des Beigeladenen zurückzuweisen.

Die Entscheidung des Integrationsamtes sei auch in der Gestalt des Widerspruchsbescheides ermessensfehlerhaft. Bei dem Schreiben des Steuerberaters handele es sich um ein reines Gefälligkeitsschreiben, dem der Kläger substantiiert entgegengetreten sei. Die dort behaupteten betrieblichen Zahlen seien unzutreffend, das ergebe sich schon daraus, dass diese im Zeitpunkt des Zustimmungsantrages vom 28. August 2008 schon bekannt gewesen seien, dennoch aber erst am 26. November 2008 geltend gemacht worden seien. Der Beklagte umgehe auch den in allen Bereichen des Sozialgesetzbuches geltenden Amtsermittlungsgrundsatz. In dem Formblatt werde unter anderem nach den familiären Verhältnissen, der Berufstätigkeit des Ehegatten, Zahl und Alter der Kinder, dem erlernten Beruf und einem Rentenbezug, ferner nach einer ausführlichen Stellungnahme zur beabsichtigten Kündigung gefragt. Wenn das alles unerheblich wäre, handele es sich dabei gleichsam um ein Kasperltheater.

Im weiteren Schreiben vom 18. Juni 2010 ergänzt der Beigeladene, dass das Taxigewerbe im allgemeinen mit außerordentlichen und sich immer mehr zuspitzenden wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen habe. Hierzu sei sogar ein Artikel in der Allgäuer Zeitung vom 20. Januar 2010 erschienen, in welchem offen über die zurückgehenden Umsätze gesprochen werde. Aus dem Artikel ergebe sich eindeutig, dass Gewinneinbußen von rund 30 v. H. innerhalb der letzten Jahre beklagt worden seien. Weiterhin führt der betreffende Artikel aus, dass teilweise sogar rund 90 v. H. der verfügbaren Taxen nicht ausgelastet seien, was erhebliche Standzeiten zur Folge habe, während die Fixkosten weiter liefen. Auf Nachfrage habe die ...-Kanzlei ihre damalige Einschätzung mit Schreiben vom 16. Dezember 2009 erneut bekräftigt. Hierbei werde dem Beigeladenen ausdrücklich empfohlen, eine zur Fortführung des Betriebes erforderliche Umsatzsteigerung insbesondere dadurch zu forcieren, dass die Nachtfahrten, die vom Kläger durchgeführt worden seien, künftig durch den Beigeladenen selbst durchgeführt würden, was zu einer deutlichen Verringerung der Fixkosten während der Standzeiten führe. Ergänzend sei noch darauf hingewiesen, dass seit dem Jahre 1997 im ... keine weiteren Taxikonzessionen mehr zugelassen worden seien. Speziell die Ausführungen des Klägers, wonach angeblich "jeder vernünftige Unternehmer" seine Maschine oder sein Fahrzeug so viel wie möglich laufen lasse, um die Fixkosten prozentual niedrig zu halten, zeige erneut, dass dem Kläger jegliches Verständnis für die hier gegenständliche Problematik fehle. Es komme nicht darauf an, was ein "vernünftiger Unternehmer" tun werde, es gehe lediglich darum, was der Beigeladene getan habe und zwar in der konkreten Situation. Die Auffassung, der Beigeladene habe den Arbeitsplatz des Klägers unter Hinweis auf § 33 Abs. 3 Nr. 1 SGB IX unter allen Umständen zu erhalten, gehe fehl. Diese Vorschrift beziehe sich nur auf Fälle, in denen es zu einer Kündigung "aufgrund der Behinderung" komme. Das sei hier nicht der Fall.

In seinen weiteren Stellungnahmen vom 12. Juli 2010 und vom 27. August 2010 nimmt der Kläger erneut zur wirtschaftlichen Lage des Taxigewerbes in ... Stellung. Insbesondere meint er weiterhin, es sei unsinnig, die Nachtfahrten zu streichen. Kostengünstigere öffentliche Verkehrsmittel gebe es bekanntlich in ... nachts nicht. Die Gründe des Integrationsamtes seien lediglich vorgeschoben.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in beiden Rechtszügen und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen. Wegen des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen.

Rechtsweg:

VG Augsburg Urteil vom 29.09.2009
BVerwG Beschluss vom 30.06.2011 - 5 B 53.10

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Die Berufungen des Beklagten und des Beigeladenen gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 29. September 2009 sind zulässig und begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht teilweise stattgegeben, denn der angefochtene Bescheid des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Augsburg - Integrationsamt - vom 20. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses beim Zentrum Bayern Familie und Soziales - Integrationsamt - vom 29. April 2009 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist allein noch das im Wege der Anfechtungsklage geltend gemachte Begehren des Klägers, die Zustimmung des Beklagten zu seiner ordentlichen Kündigung durch den Beigeladenen aufzuheben. Soweit der Kläger zudem die Verpflichtung der Beklagten erstreiten wollte, den Beklagten zu verpflichten, den Antrag des Beigeladenen auf Zustimmung zur ordentlichen Kündigung abzulehnen, hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, ohne dass das vom Kläger angefochten worden wäre.

Passivlegitimiert für das Klage- und Berufungsbegehren ist der Freistaat Bayern als Träger der Integrationsämter (nach früherem Recht: Hauptfürsorgestellen) gemäß § 78 Abs. 1 Nr.1 VwGO.

Die Rechtsgrundlagen für die Zustimmung des Beklagten im Bescheid vom 20. Januar 2009 zur ordentlichen Kündigung des schwerbehinderten Klägers durch den Beigeladenen finden sich in den §§ 85 ff. SGB IX.

Für die Entscheidung war das Integrationsamt örtlich und sachlich gemäß § 85 SGB IX zuständig. Für die Widerspruchsentscheidung dessen Widerspruchsausschuss nach § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, Abs. 2 VwGO, § 119 SGB IX.

Verfahrensvorschriften wurden bei der Zustimmung zur Kündigung des schwerbehinderten Klägers nicht verletzt (§ 87 SGB IX). Der Kläger wurde angehört. Ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung sind im Unternehmen des Beigeladenen nicht gewählt (§ 87 Abs. 2 SGB IX); eine gemeinsame Schwerbehindertenvertretung bzw. eine Gesamtschwerbehindertenvertretung (§ 97 Abs. 6 Satz 1 SGB IX) gibt es dort nicht. Eine gütliche Einigung war nicht zu erreichen (§ 87 Abs. 3 SGB IX).

Die Zustimmung des Beklagten zur ordentlichen Kündigung des Klägers verletzt auch nicht materielles Recht. Während § 87 SGB IX das Verfahren bis zur Entscheidung regelt, behandeln die §§ 88 ff. SGB IX die Entscheidung des Integrationsamtes über die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung eines schwerbehinderten Menschen.

Die Auflösung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen wird allein durch die Kündigung des Arbeitgebers bewirkt. Die dazu nach § 85 Abs. 1 SGB IX erforderliche Zustimmung des Integrationsamtes ist eine zwingende Wirksamkeitsvoraussetzung für diese rechtsgeschäftliche Gestaltungserklärung, erschöpft sich aber auch hierin (BVerwG vom 7.3.1991 ZfSH/SGB 1991, 311 = Behindertenrecht 1991, 113; dem folgend BayVGH vom 18.6.2008 Az. 12 BV 05.2467). Die Entscheidung des Integrationsamtes über die Zustimmung zur Kündigung von schwerbehinderten Menschen ist eine Ermessensentscheidung (ausführlich dazu BayVGH vom 12.8.2008 Az. 12 ZB 07.3029 unter Hinweis auf Kuhlmann, Behindertenrecht 2006, 93/97 f., m. w. N.), mit der das Integrationsamt die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe mit den Schutzinteressen des behinderten Arbeitnehmers unter Berücksichtigung der in § 89 SGB IX vorgesehenen Einschränkungen abwägt. Sie ist an Sinn und Zweck des Sonderkündigungsschutzes für schwerbehinderte Menschen auszurichten (BVerwG vom 2.7.1992 BVerwGE 90, 287 = DVBl. 1992, 1490). Danach ist das Interesse der schwerbehinderten Arbeitnehmer, ihren Arbeitsplatz zu behalten, mit dem Interesse des Arbeitgebers, Personalkosten zu sparen, abzuwägen (BVerwG vom 19.10.1995 BVerwGE 99, 336 = Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 10). Es ist dem Fürsorgegedanken des Gesetzes Rechnung zu tragen, das die Nachteile schwerbehinderter Arbeitnehmer auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen will und dafür in Kauf nimmt, dass die Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers eingeengt wird. Besonders hohe Anforderungen an die Zumutbarkeit beim Arbeitgeber sind im Rahmen der Abwägung der gegensätzlichen Interessen dann zu stellen, wenn die Kündigung auf Gründen beruht, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben. Entsprechend ist der Schutz umso geringer, je weniger ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung feststellbar ist. Andererseits ist auch die unternehmerische Gestaltungsfreiheit des Arbeitgebers mit dem ihr zukommenden Gewicht in die Abwägung einzustellen. Sinn und Zweck des Zustimmungserfordernisses ist es nicht, eine zusätzliche, zweite Kontrolle der arbeitsrechtlichen Zulässigkeit der Kündigung zu schaffen. Die §§ 85 ff. SGB IX sollen nach ihrer Regelungskonzeption erkennbar keinen umfassenden Schutz schwerbehinderter Arbeitnehmer vor einer Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bieten (BVerwG vom 11.5.2006 Behindertenrecht 2007, 107 und BVerwG Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 4). Das Integrationsamt hat im Zustimmungsverfahren nach § 85 ff. SGB IX grundsätzlich auch nicht zu prüfen, ob die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Schwerbehinderten etwa sozial gerechtfertigt im Sinn von § 1 Abs. 2 KSchG ist (vgl. BVerwG vom 2.7.1992, a.a.O., Leitsatz 3). Denn diese Prüfung ist allein von den Arbeitsgerichten vorzunehmen. Der Sonderkündigungsschutz soll vor allem die Nachteile der Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgleichen (BVerwG vom 28.2.1968 BVerwGE 29, 140). Dessen Zweck geht dahin, den Schwerbehinderten vor den Gefahren, denen er wegen seiner Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt ist, zu bewahren und sicherzustellen, dass er gegenüber den gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen gerät (BVerwG vom 12.1.1966 BVerwGE 23, 123). Bei der Entscheidung, ob die Zustimmung erteilt oder versagt werden soll, können deshalb nur Erwägungen eine Rolle spielen, die sich speziell aus der Schwerbehindertenfürsorge herleiten. Rechtfertigen solche Erwägungen eine Versagung der Zustimmung nicht, so hat die behördliche Zustimmung dem Kündigenden diejenige Rechtsstellung zurückzugeben, die er hätte, wenn es keinen besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte gäbe (BVerwG vom 2.7.1992 a.a.O.). Allerdings darf die Integrationsbehörde an einer offensichtlich unwirksamen Kündigung in dem Sinne, dass die Unwirksamkeit der Kündigung "ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt und sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt", nicht mitwirken (BVerwG a. a. O.; BayVGH vom 16.11.1993 Az. 12 B 92.84; GK zum KSchG, Luchterhand 5. Aufl. 1998, §§ 15 bis 20 SchwbG RdNr. 83).

So verstanden, begegnet die angefochtene Entscheidung des Zentrums Bayern Familie und Soziales Region Augsburg - Integrationsamt - vom 20. Januar 2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses beim Zentrum Bayern Familie und Soziales - Integrationsamt - vom 29. April 2009 keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken. Sie ist ermessensfehlerfrei ergangen. Der Beklagte hat das Interesse des Arbeitgebers gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes (siehe dazu BVerwG vom 2.7.1992 BVerwGE 90, 287/293) rechtsfehlerfrei abgewogen.

Es bestehen insbesondere keine Bedenken dagegen, dass der Beigeladene seine betriebsbedingten Gründe für eine ordentliche Kündigung erst im Schreiben vom 26. November 2008 gegenüber dem Integrationsamt geltend gemacht hat, nachdem er seinen Antrag auf Zustimmung zuerst allein auf verhaltensbedingte Gründe gestützt hatte. Denn maßgeblich für die Entscheidung des Beklagten über den Widerspruch des Klägers gegen diese Zustimmungsentscheidung, und damit maßgebliche Sach- und Rechtslage für die Beurteilung eines bestehenden, gegen das Interesse des Schwerbehinderten abzuwägenden Kündigungsinteresses des Arbeitgebers ist der der Kündigung zugrunde liegende historische Sachverhalt. Grundsätzlich beurteilt sich die Frage, ob ein Kündigungssachverhalt vorliegt, aus dem der Arbeitgeber das seinem Antrag zugrunde liegende Kündigungsinteresse herleitet, jedenfalls im Falle der hier allein streitgegenständlichen Anfechtungsklage nach dem historischen Sachverhalt, der den Kündigungsgrund bildet und bis zum Zugang der Kündigungserklärung vorliegt (vgl. BVerwG vom 10.11.2008 Az. 5 B 79.08 und vom 7.3.1991 Buchholz 436.61 § 12 SchwbG Nr. 3.; BayVGH vom 18.6.2008 Az. 12 BV 05.2467, vom 20.6.2006 Az. 9 ZB 06.930 und vom 31.1.2005 Az. 9 ZB 04.2740; VGH BW vom 15.7.1997 Behindertenrecht 1998, 75; OVG NRW vom 23.1.1992 NZA 1992, 844). Für diesen Zeitpunkt hat die Behörde für ihre Entscheidungsfindung all diejenigen Umstände zu berücksichtigen, die von den Beteiligten an sie herangetragen worden sind oder die sich ihr sonst hätten aufdrängen mussten. Denn nur die vom Arbeitgeber geltend gemachten Kündigungsgründe sind mit dem Schutzinteresse des behinderten Arbeitnehmers abzuwägen. Tatsachen und Umstände, die erst nach diesem Zeitpunkt eingetreten sind, gehören daher nicht zu dem zugrunde zu legenden Sachverhalt. Andernfalls würde die Behörde die Zustimmung zu einer Kündigung bestätigen oder versagen, die sich auf nicht vom Arbeitgeber geltend gemachte Kündigungsgründe stützen würde (vgl. BVerwG a.a.O.).

Der Senat hat auch im sonstigen Verfahrensverlauf vor dem Integrationsamt keine Anhaltspunkte dafür erkennen können, dass der von dem Beigeladenen geltend gemachte betriebsbedingte Kündigungsgrund nur rechtsmissbräuchlich geltend gemacht worden sei.

Die geltend gemachten betriebsbedingten Kündigungsgründe tragen entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch die Zustimmungsentscheidung.

Das Integrationsamt und der Widerspruchsausschuss haben bei ihren Entscheidungen den Untersuchungsgrundsatz nach §§ 20, 21 SGB X beachtet und den Sachverhalt unter Einbeziehung der Einlassungen des Klägers bei seiner Anhörung vollständig ermittelt (siehe dazu Trenk-Hinterberger, HK-SGB IX, 3. Aufl. 2010, § 88 RdNr. 5 unter Hinweis auf BVerwG vom 5.12.2006 Az. 5 B 171/06; BayVGH vom 22.10.2008 Az. 12 BV 07.2256). Der Senat verkennt dabei nicht Inhalt und Umfang der Pflicht zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung (vgl. dazu etwa BVerwG vom 19.10.1995 a.a.O. und vom 6.2.1995 Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1985 Nr. 9).

Richtig ist, dass das Integrationsamt zunächst untersuchen muss, ob Kündigungsgründe überhaupt vorliegen (BVerwG vom 28.11.1958 BVerwGE 8, 46). Es muss im Rahmen seiner Amtsermittlungspflicht sicherstellen, dass betriebsbedingte Kündigungsgründe tatsächlich bestehen und nicht lediglich vorgeschoben werden (SächsOVG vom 25.8.2003 Behindertenrecht 2004, 81). Da die Organisation und Struktur eines Betriebes aber allein der unternehmerischen Entscheidung unterliegen, können die hierauf bezogenen Entscheidungen des Unternehmers jedenfalls vom Integrationsamt grundsätzlich nicht inhaltlich überprüft werden (vgl. zum Prüfungsumfang betriebsbedingter Kündigungsgründe durch die Arbeitsgerichte etwa BAG vom 23.4.2008 Az. 2 AZR 1110.06 m.w.N.). Solche Entscheidungen, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes führen, darf das Integrationsamt aber daraufhin überprüfen, ob sie unsachlich oder willkürlich sind (siehe dazu Trenk-Hinterberger, a.a.O., § 88 RdNr. 14). Deshalb beschränkt sich - wie oben bereits angesprochen - die Verpflichtung darauf, ob die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt und sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt (zu alledem Knittel, SGB IX, Stand: März 2010, § 85 RdNrn. 73 f. unter Hinweis auf BVerwG vom 2.7.1992 BVerwGE 90, 275). An einer in diesem Sinne offensichtlich rechtsmissbräuchlichen Antragstellung fehlt es immer dann, wenn die vom Arbeitgeber genannten Gründe geeignet sind, eine ordentliche Kündigung zu tragen. Diese Grenzen der Überprüfung betriebsbedingter Kündigungsgründe gehen einher mit der dazu veranlassten Sachverhaltsaufklärung.

Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht die Anforderungen an die Prüfung betriebsbedingter Kündigungsgründe durch Integrationsämter überspannt. Das betrifft insbesondere die vom Verwaltungsgericht getroffene Feststellung, der Kläger habe dem Vortrag des Beigeladenen zur betriebsbedingten Kündigung substantiiert widersprochen, "wobei seine Argumente, es sei wirtschaftlich unsinnig, ein Taxi nur tagsüber zu betreiben, jedenfalls für Branchenfremde nicht von der Hand zu weisen ist"; es sei also stets ein Kündigungsgrund erforderlich, der auch tatsächlich vorliegen müsse, vorliegend habe des Integrationsamt den Vortrag des Beigeladenen ungeprüft akzeptiert und damit den Rechtsschutz für den Kläger faktisch leerlaufen lassen. Der Beklagte hätte etwa durch Anfragen "bei der Kreisverwaltungsbehörde und dem einschlägigen Berufsverband nach der wirtschaftlichen Lage des Taxi-Gewerbes in ... und nach der Sinnhaftigkeit des eingeschränkten Betriebes des Taxis" den Sachverhalt weiter aufklären müssen.

Dieser Einschätzung kann der Senat nicht folgen. Dem vom Beigeladenen vorgelegten Begleitschreiben zur betriebswirtschaftlichen Auswertung des Unternehmens des Beigeladenen der Steuerberatungsgesellschaft ... GmbH vom 17. November 2008 ist zu entnehmen, dass im Kalenderjahr 2008 vom Beigeladenen bei einem Halbjahresumsatz in Höhe von 46.000 EUR mit einem Ganzjahresbetriebsergebnis in Höhe von nur 14.260 EUR zu rechnen ist. Diese betriebswirtschaftliche Auswertung stützt sich auf die vorgelegten Kassenbücher, Kontoauszüge sowie vorgelegte Aufzeichnungen zum Betriebsablauf (vgl. Schreiben der Steuerkanzlei vom 20. Januar 2010). Die Steuerberatungsgesellschaft empfiehlt zusammenfassend "dringendst" über Einsparmöglichkeiten im Personalbereich nachzudenken. Welchen Stellenwert hierbei die vom Verwaltungsgericht als fehlend bewertete Nachfrage bei der Kreisverwaltungsbehörde "nach der wirtschaftlichen Lage des Taxi-Gewerbes" haben soll, bleibt unklar, wenn man bedenkt, dass eben diese Kreisverwaltungsbehörde seit dem 21. Januar 1997 keine weiteren Taxikonzessionen mehr zulässt und es hier nicht um die allgemeine wirtschaftliche Lage des Taxigewerbes in ... geht, sondern allein um die Rentabilität des Unternehmens des Beigeladenen. Ebenso erschließt es sich dem Senat nicht, weshalb es wirtschaftlich unsinnig sein soll, ein Taxi-Gewerbe tagsüber mit reduzierter Fahrerzahl zu betreiben, wenn im Unternehmen rund 25 v.H. der Betriebseinnahmen im Rahmen von Subunternehmertätigkeiten aus Fahrten für Schüler- und Behindertenbeförderung aus festen Touren anfallen und diese Fahrten mit weit geringerem Personalaufwand - da keine Standzeiten anfallen - und einer strafferen Kalkulation durchgeführt werden können, während der Beigeladene selbst die Fahrten mit (personal-)kostenintensiven Standzeiten übernimmt. Jedenfalls kann vor diesem Hintergrund auch ansatzweise keine Rede davon sein, dass die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit der Kündigung ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zu Tage liegt und sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt.

Das gilt umso mehr, als das Arbeitsgericht Kempten eben die hier inmitten stehende betriebsbedingte Kündigung bereits mit Urteil vom 28. April 2009 für wirksam erachtet hatte, während der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 29. April 2009 datiert. Waren somit die vom Beigeladenen vorgetragen betriebsbedingten Gründe im erstinstanzlichen Verfahren vor dem Arbeitsgericht für eine ordentliche Kündigung des Klägers als hinreichend erachtet worden, so kann dem Integrationsamt im seinerzeit noch anhängigen Widerspruchsverfahren keine darüber hinausgehende Pflicht zur weiteren Sachverhaltsaufklärung hinsichtlich eben dieser betriebsbedingten Kündigungsgründe abverlangt werden.

Ebenso verhält es sich im Ergebnis mit dem vom Verwaltungsgericht gerügten Mangel, die Interessenslage des Klägers sei nicht ausreichend gewürdigt worden. Das Verwaltungsgericht meint, der Ausgangsbescheid enthalte keinerlei Ausführungen zur Situation des Klägers. Auch der Widerspruchsbescheid beschreibe nicht die Situation des Klägers, sondern allgemein die Situation schwerbehinderter Arbeitnehmer. Symptomatisch für die mangelnde Sachverhaltsaufklärung durch das Integrationsamt sei, dass erst in der mündlichen Verhandlung durch Befragen des Klägers zu Tage gekommen sei, worauf seine Behinderung zurückzuführen sei.

Dem entgegen sind der vorgelegten Behördenakte des Integrationsamtes die Angaben des Klägers zu seiner Behinderung und deren Ursachen - zurückreichend bis 1976 - zu entnehmen, einschließlich zusammengefasster Gutachtenergebnisse durch die AOK Bayern aus dem Jahre 2003. Hingegen finden sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Integrationsamt diese durch die Schwerbehinderung bedingten Einschränkungen des Klägers auf dem Arbeitsmarkt bei seiner Entscheidung nicht berücksichtigt hätte, wenn es im Widerspruchsbescheid ausführt, der Kläger werde nur schwer eine Chance haben, einen neuen und geeigneten Arbeitsplatz zu finden. Die vom Kläger im Verfahren vor dem Integrationsamt vorgetragenen Bedenken gegen seine auf der Schwerbehinderung beruhenden mangelnden Erfolgsaussichten auf dem Arbeitsmarkt, wie etwa den Einwand, er könne seine laufenden Zahlungen mit dem Arbeitslosengeld kaum und mit dem Arbeitslosengeld II nicht mehr erfüllen, hat der Beklagte in seine Entscheidung eingestellt und abgewogen. Er hat auch im Übrigen die Probleme schwerbehinderter Menschen auf dem aktuellen Arbeitsmarkt berücksichtigt. Darüber hinausreichende Gründe, die nach den oben dargelegten Gesetzeszweck in der Schwerbehinderung des Klägers angelegt sind, sind auch in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat vom Kläger nicht näher angesprochen worden. Vielmehr kam auch dort wieder zur Sprache, dass der Kläger einen Ausgleich durch den Beigeladenen für eine etwaige Sperrzeit bei einem Aufhebungsvertrag erreichen wollte, und allein hieran die einvernehmliche Aufhebung des Arbeitsvertrages gescheitert sei.

Zu einer weiterreichenden Prüfung, ob die Kündigung auch im Übrigen im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt ist, war der Beklagte, jedenfalls ohne besonderen Anlass, nicht verpflichtet (BVerwG vom 19.10.1995 BVerwGE 99, 336 und vom 2.7.1992 BVerwGE 90, 287). Dass eine Prüfung der Frage der sozialen Rechtfertigung der Kündigung gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG im arbeitsgerichtlichen Verfahren nicht zum Tragen kommt, schließt es zwar nicht aus, dass auch in solchen Fällen der Kündigungsschutz des schwerbehinderten Menschen nach den §§ 85 ff. SGB IX greift. Es hat aber nicht zur Folge, dass im Rahmen dieser Prüfung gleichsam anstelle der Arbeitsgerichtsbarkeit die sozialen Rechtfertigung im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG allgemein einzubeziehen ist. Jedenfalls kann der Kläger nicht verlangen, dass ihm ein an sich im Unternehmen nicht vorhandener Arbeitsplatz "freigekündigt" wird (so auch Trenk-Hinterberger, a.a.O., § 88 RdNr. 14).

Vor diesem Hintergrund hat der Beigeladene hinreichend dargelegt, dass der Arbeitsplatz des Klägers allein aus betriebsbedingten Gründen entfallen ist und wegen weiter fallender Umsatzzahlen bzw. wegen Fehlens eines weiteren Fahrzeuges auch nicht anderweitig ersetzt werden kann.

Das Integrationsamt hat hierauf gestützt eine umfangreich und nachvollziehbar begründete Ermessensentscheidung getroffen, mit der es der Kündigung antragsgemäß zugestimmt hat. Im folgenden Widerspruchsbescheid hat sich der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt abschließend mit allen im Widerspruchsverfahren geltend gemachten Gesichtspunkten, die im Zusammenhang mit der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers stehen, auseinandergesetzt, den Sachverhalt nach hinreichender Aufklärung unter allen sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkten einschließlich der vom Kläger erhobenen Rügen (vgl. dazu Masuch in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand: Februar 2008, § 118 RdNr. 11) geprüft und den Widerspruch der Klägers, ohne dass es rechtlich zu beanstanden wäre, zurückgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen dem Kläger aufzuerlegen, denn der Beigeladene hat in beiden Rechtszügen das Kostenrisiko übernommen.

Nach § 188 Satz 2 VwGO ist das Verfahren gerichtskostenfrei.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 VwGO, §§ 708 ff. ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gibt es nicht (§ 132 Abs. 2 VwGO).

Referenznummer:

R/R5413


Informationsstand: 21.01.2013