Urteil
Entlassung aus einem Beamtenverhältnis auf Probe - Begriff der Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG in Abgrenzung von einer Erkrankung

Gericht:

OVG NRW 6. Senat


Aktenzeichen:

6 A 1313/08


Urteil vom:

06.09.2010


Leit- bzw. Orientierungssätze:

Erfolgloser Antrag einer psychisch erkrankten Lehrerin auf Zulassung der Berufung, die sich mit ihrer Klage gegen die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe wendet.

Zum Begriff der Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG des Rates in Abgrenzung von einer "bloßen" Erkrankung.

Hinweis:

Die Richtlinie 2000/78/EG finden Sie im Internet unter:
https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?qid=14062007...

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf die Wertstufe bis 25.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

Der Antrag hat keinen Erfolg.

Aus den im Zulassungsverfahren dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, die auf eine fehlende gesundheitliche Eignung und damit mangelnde Bewährung der Klägerin gestützte Entlassungsverfügung sei in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Bezirksregierung sei zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin während der Probezeit an einer psychiatrischen Erkrankung gelitten habe und die Möglichkeit künftiger Erkrankungen oder des Eintritts dauernder Dienstunfähigkeit vor Erreichen der Altersgrenze deswegen nicht mit einem hohen Grad an Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden könne. Das beklagte Land sei auch nicht gehindert, sich auf diese Gesundheitssituation zu berufen; die Annahme einer systematischen Mobbing-Situation sei nach dem eingeholten Gutachten nicht gerechtfertigt. Die Entlassung verstoße auch nicht gegen die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2007 (ABl. L 303 vom 2. Dezember 2000, S. 16). Es fehle schon an einer Behinderung im Sinne der Richtlinie. Wenn man eine Behinderung bejahe, fehle es jedenfalls an einer Diskriminierung. Eine unmittelbare Diskriminierung liege nicht vor. Da nicht mit hinreichender Sicherheit festzustellen sei, dass Behinderte gegenüber anderen Kranken ungleich behandelt würden, sei auch eine mittelbare Diskriminierung zu verneinen. Jedenfalls wäre diese gerechtfertigt. Die Übernahmevoraussetzung der gesundheitlichen Eignung diene dem offensichtlichen Zweck, ein angemessenes Verhältnis zwischen der tatsächlichen Tätigkeit als Beamter und dem Anspruch auf Besoldung und Versorgung herzustellen.

Diese Würdigung stellt die Klägerin mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem sie lediglich die Auslegung und Anwendung der Richtlinie 2000/78/EG durch das Verwaltungsgericht angreift, nicht durchgreifend in Zweifel.

Der Auffassung der Klägerin, die Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe stelle eine Diskriminierung wegen einer Behinderung im Sinne der Richtlinie 2000/78/EG dar, ist nicht zu folgen. Die Klägerin ist nicht nach deutschem Recht als (Schwer-)Behinderte anerkannt. Es kann von den psychischen Erkrankungen, die bei ihr nach dem - von ihr nicht angegriffenen - Gutachten des Prof. Dr. I. vom 7. November 2007 vorliegen, aber auch nicht auf eine Behinderung im Sinne von Art. 1 der Richtlinie geschlossen werden. Nach der vom Verwaltungsgericht zutreffend herangezogenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 11. Juli 2006 - C-13/05 -, Slg. 2006, I 6467) ist der Begriff "Behinderung" so zu verstehen, dass er eine Einschränkung erfasst, die insbesondere auf physische, geistige oder psychische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet. Mit der Verwendung des Begriffs "Behinderung" habe der Rat bewusst ein Wort gewählt, das sich von dem der Krankheit unterscheide. Daher ließen sich die beiden Begriffe nicht einfach einander gleichsetzen. Der Gesetzgeber habe an Fälle gedacht, in denen die Teilhabe am Berufsleben über einen langen Zeitraum eingeschränkt sei. Damit die Einschränkung unter den Begriff "Behinderung" falle, müsse daher wahrscheinlich sein, dass sie von langer Dauer sei. Der Schutzbereich der Richtlinie sei nicht schon dann eröffnet, sobald sich irgendeine Krankheit manifestiere.

Hiervon ausgehend kann die Klägerin sich nicht auf eine Behinderung berufen. Bei ihr liegt (bisher) lediglich eine Krankheit vor, die die gesundheitliche Eignung für das Beamtenverhältnis ausschließt, nicht aber ihrer Teilhabe am Berufsleben dauerhaft entgegensteht. Dies gilt schon vor dem Hintergrund, dass nach dem erwähnten Gutachten eine - zuvor nicht hinreichend in Anspruch genommene - angemessene und kompetente Behandlung, wenn auch wohl keine Heilung, der Krankheit möglich ist, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit dauerhaft die Tätigkeit als Lehrerin ermöglicht. Zudem ist die Klägerin schon ohne die empfohlenen Therapien als angestellte Lehrerin tätig und damit durch ihre psychischen Erkrankungen ersichtlich nicht an der Teilhabe am Berufsleben gehindert. Dass sie krankheitsbedingt nicht in gleichem Maße belastbar ist wie gesunde Kollegen, begründet ebensowenig eine Behinderung im Sinne der Richtlinie wie der weiter angeführte Umstand, dass in Druck- und Konfliktsituationen die Gefahr akuter Erkrankungen besteht. Schließlich kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, angesichts ihrer eingeschränkten Belastbarkeit und Konfliktfähigkeit bestünden keine beruflichen Aufstiegsmöglichkeiten. Mit der Richtlinie 2000/78/EG wird nach der 17. Begründungserwägung - unbeschadet der Verpflichtung, für Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen zu treffen (Art. 5) - nicht der berufliche Aufstieg einer Person vorgeschrieben, wenn diese Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes oder zur Absolvierung einer bestimmten Ausbildung nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist. Im Übrigen wäre eine etwaige Diskriminierung im Zusammenhang mit der Verwehrung von Aufstiegsmöglichkeiten geltend zu machen; sie beeinflusst nicht schon die Rechtmäßigkeit der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe.

Ist die Richtlinie 2000/78/EG danach im vorliegenden Fall schon nicht anwendbar, ist dem weiteren Vorbringen zum Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht nachzugehen.

Die Rechtssache weist auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf. Das wäre nur dann der Fall, wenn die Angriffe der Klägerin gegen die rechtlichen Würdigungen, auf denen das Urteil beruht, begründeten Anlass zu Zweifeln an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung gäben, die sich nicht ohne weiteres im Zulassungsverfahren klären ließen, sondern die Durchführung eines Berufungsverfahrens erforderten. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Klägerin zeigt - wie oben ausgeführt - keine begründeten Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils auf. Ob, wie die Klägerin meint, die hier aufgeworfenen Rechtsfragen eine Schwierigkeit aufweisen, die über rechtliche Probleme in "normalen" Verfahren hinausgehen, bedarf keiner Entscheidung. Für die Bejahung des Zulassungsgrundes des § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wäre dies aus den oben genannten Gründen nicht ausreichend.

Vgl. dazu auch Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO Kommentar, 3. Auflage 2010, § 124 Rn. 106ff.

Die Berufung ist schließlich nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat. Die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob eine Behinderung im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 2000/78/EG auch dann vorliegt, wenn die gesundheitliche Beeinträchtigung einer Person nicht ständig, sondern überwiegend in Druck- und Konfliktsituationen zu Krankheitssymptomen führt, erfüllt diese Anforderungen nicht. Es ist durch die bereits zitierte Rechtsprechung des EuGH geklärt, dass eine manifeste Erkrankung nicht mit einer Behinderung gleichzusetzen ist, sondern den Begriff nur erfüllt, wenn sie ein dauerhaftes Hindernis für die Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben darstellt. Deshalb ist auch eine Vorlage an das EuGH nicht veranlasst. Die weiter aufgeworfenen Fragen, die sich auf den Gesichtspunkt der Diskriminierung aufgrund der von der Klägerin angenommenen Behinderung beziehen, sind angesichts der obigen Ausführungen jedenfalls nicht entscheidungserheblich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 40, 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 2 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Referenznummer:

R/R4650


Informationsstand: 24.11.2010