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Urteil
Außerordentliche Kündigung eines schwerbehinderten Menschen - nicht ordnungsgemäße Personalratsanhörung

Gericht:

ArbG Marburg 2. Kammer


Aktenzeichen:

2 Ca 9/07


Urteil vom:

19.10.2007


Grundlage:

Tenor:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigungen des beklagten Landes vom 29.12.2006 und vom 05.01.2007 nicht beendet worden sind.

2. Das beklagte Land hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 12.000,00 Euro festgesetzt.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen zwei außerordentliche, fristlose Kündigungen.

Der Kläger ist bei der P.-Universität in M. seit dem 01.02.1985 als Angestellter beschäftigt. Zwischen den Parteien ist die Geltung der Tarifverträge des öffentlichen Dienstes vereinbart.

Der Kläger war zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigungen 61 Jahre alt. Er erhielt zuletzt Vergütung nach der Vergütungsgruppe IV b des Bundesangestelltentarifvertrages. Die Vergütung belief sich auf ca. 3.000,00 Euro brutto monatlich.

Der Kläger war seit Anbeginn seiner Beschäftigung Mitarbeiter in der Pressestelle der P.-Universität.

Der Kläger hat am 22.12.2006 den Antrag zur Anerkennung als Schwerbehinderter beim Versorgungsamt gestellt. Desgleichen hat er einen Antrag auf Gleichstellung gestellt.

Der Kläger ist mittlerweile rückwirkend als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 durch Bescheid vom 19.06.2007 anerkannt worden.

Diese Anerkennung erfolgte rückwirkend ab dem 01.05.2007. Aufgrund seines Widerspruches entschied das Versorgungsamt G. im Ergänzungsbescheid vom 24.08.2007, dass der Grad der Behinderung von 50 beim Kläger bereits ab dem 22.12.2006 anerkannt wurde.

Das beklagte Land kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Schreiben vom 29.12.2006 am 29.12.2006 außerordentlich fristlos.

Es sprach eine weitere außerordentliche, fristlose Kündigung aus denselben Gründen mit Schreiben vom 04. Januar 2007 aus. Diese Kündigung wurde dem Kläger am 04.01.2007 gegen 23.00 Uhr in den Briefkasten geworfen. Der Kläger nahm von der Kündigung am 05.01.2007 Kenntnis.

Das beklagte Land hat im Zuge der Kündigungen vorsorglich die Zustimmung des Integrationsamtes zu den Kündigungen beantragt. Mit Bescheid vom 16.01.2007 hat das Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung versagt. Aufgrund des Widerspruchs des beklagten Landes hat der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt mit Bescheid vom 18.07.2007 die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung erteilt.

Am Freitag, dem 22.12.2006 hörte das beklagte Land den Personalrat zu der geplanten außerordentlichen Kündigung an.

Aufgrund einer Dienstvereinbarung "Weihnachtszeitregelung" war die Universität vom 27.12.2006 bis zum 29.12.2006 geschlossen.

Mit Schreiben vom 28.12.2006 teilte der Personalratsvorsitzende der Beklagtenseite mit, dass wegen der Dienstvereinbarung Weihnachtszeitregelung eine Sondersitzung des Personalrats nicht möglich gewesen sei. Der Personalrat bat um eine erneute Anhörung zur Kündigung am 02.01.2007.

In den außerordentlichen Kündigungen mit Schreiben vom 29.12.2006 und mit Schreiben vom 04.01.2007 erhob das beklagte Land gegenüber dem Kläger drei Vorwürfe.

Zum Einen stützte das Land die Kündigungen darauf, dass die Vorgesetzte des Klägers am 19.12.2006 erfahren habe, dass der Kläger auf dem Hessentag W. als Pressesprecher der Universität aufgetreten sei und vom Schulleiter der Technikerschule für die Universität den Kauf eines Pavillons für 2.000,00 Euro getätigt habe, ohne aber diesen Pavillon zu bezahlen. Dadurch sei der Universität und ihrem Ansehen erheblicher Schaden zugefügt worden.

Zum Anderen habe der Kläger als Autor in einem Buch des Landkreises M. für einen Bericht ein Honorar von 97,50 Euro erhalten, ohne dass eine Nebentätigkeitsgenehmigung vorlag.

Schließlich habe der Kläger am 15.12.2006 an einer Veranstaltung anlässlich der Verleihung der Ehrenbürgerwürde durch die Stadt M. an den Mäzen Dr. P. ab 11.00 Uhr teilgenommen, ohne diese Zeit als Freizeit in der Zeiterfassung zu stempeln. Der Kläger habe in dieser Veranstaltung als Privatmann teilgenommen ohne auszustempeln, obwohl ihm von seiner Vorgesetzten Frau Dr. D. mehrfach aufgetragen war, diese Teilnahme während der Dienstzeit als Freizeit in der Zeiterfassung zu kennzeichnen.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Kündigungen rechtsunwirksam seien. Zum Einen habe die Zustimmung des Integrationsamtes zum Zeitpunkt der Kündigungen gefehlt.

Zum Anderen sei die Personalratsanhörung nicht ordnungsgemäß erfolgt, da die Anhörungsfrist von 3 Arbeitstagen nicht gewahrt sei.

Schließlich seien die Kündigungsgründe nicht ausreichend, um eine außerordentliche Kündigung nach so langer Beschäftigungszeit zu rechtfertigen. Bei der 2. Kündigung sei auch die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt.

Der Kläger beantragt,

festzustellen, dass weder die Kündigung der Beklagten vom 29.12.2006 noch die Kündigung vom 04.01.2007 das Arbeitsverhältnis beendet hat.

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land ist der Ansicht, dass die Kündigung gerechtfertigt sei. Die Kündigungsgründe seien absolut ausreichend, um eine außerordentliche Kündigung auch nach entsprechend langer Beschäftigungszeit zu rechtfertigen.

Das Land ist weiter der Ansicht, dass die Personalratsanhörung ordnungsgemäß erfolgt sei, da der Personalrat bereits am 22.12.2006 informiert worden sei.

Im Übrigen sei auch die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 3 BGB bei der zweiten außerordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 04.01.2007 gewahrt. Die Beklagtenseite habe ihre Ermittlungen wegen der Kündigungsgründe am 21.12.2006 abgeschlossen. Der Einwurf des Kündigungsschreibens am 04.01.2007 in den Briefkasten des Klägers sei noch innerhalb der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB erfolgt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 23. Februar 2007 (Bl. 101 d.A.), vom 11. Mai 2007 (Bl. 105 d.A.) und vom 19. Oktober 2007 (Bl. 115 d.A.) Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Rechtsprechungsdatenbank Hessen

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und begründet. Das Arbeitsverhältnis ist weder durch die außerordentliche Kündigung vom 29.12.2006 noch durch die außerordentliche Kündigung mit Schreiben vom 04.01.2007 beendet worden.

I. Die Klage ist zulässig. Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse an der alsbaldigen Feststellung darüber, ob die beiden außerordentlichen Kündigungen sein Arbeitsverhältnis zum beklagten Land beendeten oder ob das Arbeitsverhältnis fortbesteht.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fand aufgrund der Beschäftigungsdauer des Klägers sowie der Beschäftigtenzahl der Beklagtenseite das Kündigungsschutzgesetz Anwendung. Der Kläger hat die Kündigungsschutzklage rechtzeitig innerhalb der Klagefrist des § 4 KSchG erhoben.

II. Die Klage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis wurde durch die beiden außerordentlichen Kündigungen vom 29. Dezember 2006 bzw. vom 05. Januar 2007 nicht beendet.

Beide Kündigungen sind bereits aus formellen Gründen rechtsunwirksam.

1. Beide Kündigungen sind bereits nach § 85 SGB IX in Verbindung mit § 91 Abs. 1 SGB IX rechtsunwirksam. Danach bedarf sowohl die ordentliche sowie die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Durch den Ergänzungsbescheid des Versorgungsamtes G. vom 24.08.2007 ist der Kläger als schwerbehinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 50 ab dem 22.12.2006 anerkannt worden. Unstreitig lag bei Ausspruch der Kündigungen nicht die Zustimmung des Integrationsamtes vor. Damit ist das in § 85 SGB IX vom Gesetzgeber aufgestellte Erfordernis der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung nicht gegeben. Die nachträgliche Zustimmung des Integrationsamtes mit Bescheid vom 18.07.2007 konnte die Unwirksamkeit der Kündigung nicht heilen. Der Klage war schon aus diesem Grunde stattzugeben.

2. Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass die Kündigung vom 29.12.2006 auch wegen einer fehlerhaften Anhörung des Personalrats rechtsunwirksam ist. Der Personalrat wurde von der Beklagtenseite zwar am 22.12.2007 zur geplanten Kündigung angehört. Dabei handelte es sich allerdings um den letzten Arbeitstag des Jahres an der P.-Universität. Wegen der Dienstvereinbarung Weihnachtszeitregelung war die Universität vom 27.12. bis zum 29.12.2006 geschlossen. Der 30. und 31.12.2006 betraf das Wochenende. Nach § 78 Abs. 2 Satz 3 HPVG beträgt die Anhörungsfrist des Personalrats drei Arbeitstage. Dieser hat unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Arbeitstagen seine Stellungnahme zur geplanten Kündigung mitzuteilen. Der erste Arbeitstag nach der Anhörung vom 22.12.2006 wäre der 02.01.2007 gewesen. Die Anhörungsfrist wäre somit bis zum 03.01.2007 gelaufen. Zu diesem Zeitpunkt war die erste außerordentliche Kündigung bereits ausgesprochen. Die Formulierung "unverzüglich" beinhaltet zwar, dass der Personalrat die Anhörungsfrist von drei Tagen nicht stets in vollem Umfange ausschöpfen darf, wenn eine unverzügliche Stellungnahme schon früher möglich ist. Das Gesetz der vertrauensvollen Zusammenarbeit gebietet es jedoch, dass der Arbeitgeber dem Personalrat vorher mitteilt, falls er vorzeitig kündigen will. Dieser Grundsatz gebietet es außerdem, dass die Anhörungsfrist nach den Umständen trotz der Abkürzung immer noch angemessen ist. Dies setzt voraus, dass der Personalrat noch die Möglichkeit zur Beratung hat. Alle nicht verhinderten Mitglieder müssen die Möglichkeit besitzen, an der Sitzung und der entsprechenden Beratung mit den notwendigen Erkundigungen teilnehmen zu können (KR-Etzel, 8. Auflage, § 102 Rdz. 91).Diese Voraussetzungen waren vorliegend aufgrund der knappen Anhörung am letzten Arbeitstag nicht gegeben. Die erste außerordentliche Kündigung ist deshalb auch wegen Verstoßes gegen § 78 Abs. 2 HPVG rechtsunwirksam.

3. Für die 2. Kündigung ist offenbar keine neue Personalratsanhörung erfolgt. Da nach der Rechtsprechung des BAG die erste Anhörung mit der ersten Kündigung bereits verbraucht war, hätte zur Wirksamkeit der Kündigung der Personalrat erneut angehört werden müssen. Da dies nicht erfolgte, ist auch deshalb die 2. Kündigung unwirksam.

4. Ein weiterer Unwirksamkeitsgrund der Kündigung mit Schreiben vom 04.01.2007 ergibt sich daraus, dass die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt wurde. Die P.-Universität hat ihre Ermittlungen zu den Kündigungen am 21.12.2007 abgeschlossen. Die weitere außerordentliche Kündigung hätte deshalb spätestens bis zum 04.01.2007 erfolgen müssen. Die Beklagte hat zwar die zweite außerordentliche Kündigung mit Schreiben vom 04.01.2007 am selben Tag gegen 23.00 Uhr in den Briefkasten des Klägers geworfen. Gleichwohl kann das Gericht nicht von einem Zugang am 04.01.2007 ausgehen. Der Einwurf des Kündigungsschreibens um 23.00 Uhr in den Briefkasten des Klägers stellt einen Zugang der Kündigungserklärung zur "Unzeit" dar. Der Kläger brauchte am Abend des 04.01.2007 nicht mehr davon ausgehen, dass zu dieser Zeit noch eine Kündigungserklärung in seinen Briefkasten eingeworfen wird. Er hatte keine Pflicht mehr um 23.00 Uhr oder später seinen Briefkasten zu kontrollieren. Das Gericht geht deshalb mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts davon aus, dass diese zweite außerordentliche Kündigung dem Kläger erst am 05.01.2007 zugegangen ist. Mit dem Zugang am 05.01.2007 ist aber die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt. Die Kündigung ist auch aus diesem Grunde rechtsunwirksam. Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung vom 29.12.2006, noch durch die Kündigung vom 05.01.2007 beendet worden ist. Der Klage war deshalb insgesamt stattzugeben.

III. Die Beklagtenseite hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie unterlegen ist, § 91 ZPO.

Die gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil vorzunehmende Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 42 Abs. 4 und Abs. 5 GKG und ist an der Höhe von drei Monatsgehältern orientiert.

Referenznummer:

R/R5196


Informationsstand: 19.10.2012