Urteil
Antrag auf Aufhebung eines erteiltes Negativ-Attests des Integrationsamtes - Fehlendes Rechtsschutzinteresse - Keine erneute Kündigungserklärung des Arbeitgebers - Vierwöchige Kündigungserklärungsfrist nach erteiltem Negativ-Attest

Gericht:

VG Arnsberg 11. Kammer


Aktenzeichen:

11 K 2315/08


Urteil vom:

23.09.2008


Grundlage:

Nichtamtliche Leitsätze:

Auch für das vom Integrationsamt erlassene Negativattest gilt die Regelung des § 88 Abs 3 SGB IX, so dass der Arbeitgeber die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung des Negativattests erklären kann. Tut er dies nicht, so ist die ihn begünstigende Wirkung verbraucht. Eine gegen das Negativattest gerichtete Klage ist mangels rechtlicher Beschwer unzulässig

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtkosten - nicht erhoben werden.

Tatbestand:

Der am 16.10.1955 geborene Kläger ist seit dem 03.05.1976 als Arbeiter bei der Firma beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte dieses Arbeitsverhältnis mit einem am 15.03.2007 beim Kläger eingegangenen Schreiben und verwies zur Begründung auf hohe krankheitsbedingte Fehlzeiten.

Über die daraufhin vom Kläger erhobene Kündigungsschutzklage ist noch nicht rechtskräftig entschieden.

Das Versorgungsamt Dortmund erkannte bei dem Kläger mit Bescheid vom 13.03.2006 einen Grad der Behinderung von 30 an. Einen vom Kläger am 22.02.2007 gestellten Antrag auf Feststellung eines höheren Grades der Behinderung lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 17.04.2007 ab. Gegen diese Ablehnung erhob der Kläger eine Klage vor dem Sozialgericht Dortmund, über die ebenfalls noch nicht rechtskräftig entschieden ist.

Die Arbeitgeberin wandte sich mit Schreiben vom 30.09.2007 an den Beklagten und beantragte die Zustimmung zu einer ordentlichen fristgerechten Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger. Auf diesen Antrag stellte der Beklagte mit Bescheid vom 09.11.2007 fest, dass der besondere Kündigungsschutz nach dem SGB IX im Fall des Klägers gemäß § 90 Abs. 2 a SGB IX nicht greife, weil der Kläger die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachweisen könne, denn das Versorgungsamt habe seinen Verschlimmerungsantrag vom 22.02.2007 abgelehnt.

Weiter enthält dieser Bescheid die Feststellung, dass er als sogenanntes "Negativ-Attest" als Entscheidung im Sinne des § 88 SGB IX anzusehen sei und wie eine Zustimmung zur Kündigung wirke. Außerdem wies der Beklagte in dem Bescheid auf § 88 Abs. 3 SGB IX hin.

Gegen diesen Bescheid des Integrationsamtes erhob der Kläger am 15.11.2007 mit der Begründung Widerspruch, dass er sich gegen die Ablehnung seines Verschlimmerungsantrags mit einer Klage vor dem Sozialgericht gewandt habe und dass eine rechtskräftige Entscheidung noch nicht vorliege. Daher stehe noch nicht fest, ob er nicht doch rückwirkend als schwerbehinderter Mensch anzuerkennen sei und daher dem Sonderkündigungsschutz des SGB IX unterfalle. Mit einem weiteren Schreiben vom 16.02.2008 informierte der Kläger den Beklagten darüber, dass seine Arbeitgeberin im Anschluss an das Negativ-Attest vom 09.11.2007 keine weitere Kündigung ausgesprochen habe.

Diesen Widerspruch des Klägers wies der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt in seiner Sitzung vom 30.05.2008 als unzulässig zurück. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 26.06.2008 zugestellt. Zur Begründung seiner Entscheidung führte der Widerspruchsausschuss im Wesentlichen aus, dass dem Kläger ein schutzwürdiges Interesse an der Bescheidung seines Widerspruchs in der Sache fehle, weil er durch den Bescheid des Integrationsamtes vom 09.11.2007 nicht mehr in seinen Rechten beschwert sei, denn nach den getroffenen Feststellungen sei ihm nach der Erteilung des Negativ-Attests eine weitere Kündigung durch die Arbeitgeberin nicht zugestellt worden. Nach § 88 Abs. 3 SGB IX könne ein Arbeitgeber die Kündigung jedoch nur innerhalb eines Monats nach Zustellung der zustimmenden Entscheidung bzw. des Negativ-Attests des Integrationsamtes erklären.

Der Kläger hat am 11.07.2008 Klage erhoben. Er trägt vor, dass für ihn die Gefahr bestehe, dass seine Arbeitgeberin auf Grund des Negativ-Attestes eine neuerliche Kündigung ausspreche. In einem solchen Fall könne ihm nicht zugemutet werden, erst im Wege eines weiteren Klageverfahrens die Unwirksamkeit einer möglichen weiteren Kündigung feststellen zu lassen.


Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 09.11.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 30.05.2008 aufzuheben.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung seines Antrages nimmt der Beklagte Bezug auf den Inhalt des Widerspruchsbescheides.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im übrigen wird auf den Inhalt der Verfahrensakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung.

Die Klage ist unzulässig.

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Klage ist es, dass der Kläger ein schutzwürdiges Interesse an der begehrten Entscheidung hat. Das Rechtsschutzinteresse fehlt insbesondere, wenn die mit dem Verwaltungsakt verbundene rechtliche Beschwer weggefallen ist und sich eine Entscheidung über den Klageanspruch erübrigt.

So liegt es hier. Die dem angefochtenen Negativ-Attest vom 09.11.2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides innewohnende Belastung für den Kläger ist dadurch entfallen, dass der Arbeitgeber des Klägers auf Grund dieses Negativ-Attestes keine Kündigung ausgesprochen hat.

Dabei wird nicht verkannt, dass ein sogenanntes Negativ-Attest für den betroffenen Arbeitnehmer in der Sache die gleiche belastende Wirkung entfaltet, wie eine vom Integrationsamt erteilte Kündigungszustimmung. Denn mit dem Negativ-Attest wird festgestellt, dass der Arbeitnehmer dem besonderen Kündigungsschutz des SGB IX nicht unterliegt und die Regelungen der §§ 85 ff. SGB IX daher der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht entgegen stehen.

Vgl. Bundesarbeitsgericht (BArbG), Urteil vom 27.05.1983 - 7 AZR 482/81 -, in: Behindertenrecht (br) 1984, S. 92; Griebeling, in: HaucklNoftz, SGB IX, Loseblattkommentar, Stand: Juli 2008, § 88, Rdnr. 7.

Andererseits ist aber die begrenzte zeitliche Reichweite dieser Feststellung zu beachten. Ebenso wie für eine erteilte Kündigungszustimmung gilt auch für das sogenannte Negativ-Attest die Regelung des § 88 Abs. 3 SGB IX. Danach kann der Arbeitgeber die Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zustimmungsbescheides bzw. des Negativ-Attestes erklären. Nutzt der Arbeitgeber diese Ausschlussfrist nicht für den Ausspruch einer Kündigung, so ist die den Arbeitgeber begünstigende Wirkung des Negativ-Attestes verbraucht.

Vgl. BArbG, Urteil vom 27.05.1993, aaO.

Mit Rücksicht auf diese in § 88 Abs. 3 SGB IX festgelegte Zeitbegrenzung ergibt sich hier, dass von dem mit der Klage angefochtenen Negativ-Attest für den Kläger keinerlei belastende Wirkungen mehr ausgehen, denn der Arbeitgeber des Klägers hat die Frist des § 88 Abs. 3 SGB IX ungenutzt verstreichen lassen. Würde sich der Arbeitgeber nunmehr trotz des Ablaufs der Frist des § 88 Abs. 3 SGB IX entschließen, gegenüber dem Kläger eine Kündigung auszusprechen, so wäre das Negativ-Attest vom 09.11.2007 bezüglich dieser jetzt ausgesprochenen Kündigung vollkommen ohne Belang. Insbesondere könnte aus diesem Negativ-Attest nicht der Schluss gezogen werden, dass der Kläger möglicherweise nicht dem Sonderkündigungsschutz des § 85 ff. SGB IX unterfällt. Dies dürfte mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 92 Abs. 2 a SGB IX ohnehin vom Ausgang des vor dem Sozialgericht geführten Rechtsstreits abhängen.

Vgl. BArbG, Urteil vom 06.12.2007 - 2 AZR 324/06 -, in: br 2008, S. 109.

Die Klage ist daher wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als unzulässig abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

Referenznummer:

R/RBIH6768


Informationsstand: 02.11.2015