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Urteil
Zustimmungsfiktion bei außerordentlicher personenbedingter Kündigung eines schwerbehinderten Menschen

Gericht:

VG Stuttgart 11. Kammer


Aktenzeichen:

11 K 2352/10


Urteil vom:

07.02.2011


Grundlage:

Leitsätze:

1. Zur Frage des Eintritts der Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 S. 2 SGB IX bei außerordentlicher personenbedingter Kündigung eines schwerbehinderten Menschen, der tarifrechtlich unkündbar ist.

2. Zum maßgeblichen Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage bei Eintritt der Zustimmungsfiktion.

3. Zur Erforderlichkeit einer mündlichen Verhandlung nach § 88 Abs. 1 SGB IX.

Nichtamtliche Leitsätze:

1. § 91 Abs. 3 und 4 SGB IX findet auch im Zustimmungsverfahren zu einer außerordentlichen personenbedingten Kündigung mit sozialer Auslauffrist Anwendung.

2. Für die Prüfung des Bestehens eines Zusammenhangs zwischen Kündigungsgrund und festgestellter Behinderung gelten keine strengen Kausalitätsgrundsätze. Es genügt vielmehr ein mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Kündigungsgrund und der Behinderung, wenn also ein Zusammenhang nicht völlig ausgeschlossen werden kann. Maßgeblicher Zeitpunkt für die zu ermittelnde Sach- und Rechtslage ist in Fällen des Fiktionseintritts die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids.

3. Für die Zustimmung nach §§ 85 ff. SGB IX ist die vorherige Durchführung eines Präventionsverfahrens oder eines BEM nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung.

Quelle: Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Justizportal des Landes Baden-Württemberg

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten jedoch selbst.

Tatbestand:


Der Kläger wendet sich gegen die Zustimmung des Beklagten zu seiner außerordentlichen Kündigung.

Der 1949 geborene Kläger erlitt 1998 einen Bandscheibenvorfall und Anfang 2007 einen Schlaganfall. Er war seit 2005 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt und ist aufgrund des Bescheids des Versorgungsamts D. vom 28.01.2008 wegen Funktionsstörungen nach Schlaganfall, Wirbelsäulenbeschwerden und Bluthochdruck mit einem GdB von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Aufgrund der koronaren Herzerkrankung kann er schwere körperliche Arbeiten nicht mehr ausführen. Der Kläger ist verheiratet und Vater noch eines unterhaltsberechtigten Kindes.

Der Kläger war seit Anfang 1987 als Automatenbefüller bei der Beigeladenen beschäftigt, und zwar bis Ende 2004 am Standort W. und nach dessen Schließung ab 01.01.2005 am Standort M.. Infolge der tarifvertraglichen Regelungen ist der Kläger vor ordentlicher Kündigung geschützt.

Mit Schreiben vom 12.11.2009 beantragte die Beigeladene die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist aus personenbedingten Gründen. Zur Begründung wurde ausgeführt; der Kläger sei dauerhaft erkrankt. Seit seiner Versetzung nach M. zum 01.01.2005 an den Standort M. der Arbeitgeberin sei es zu folgenden Fehlzeit gekommen:

11.01.05 bis 28.01.05
14 bezahlte Arbeitstage

10.10.05 bis 21.10.05
10 bezahlte Arbeitstage

04.05.07 bis 25.05.07
16 bezahlte Arbeitstage

09.10.07 bis 31.12.08
30 bezahlte Arbeitstage
292 unbezahlte Arbeitstage

23.01.09 bis 06.02.09
11 bezahlte Arbeitstage

16.02.09 bis 27.03.09
30 bezahlte Arbeitstage

31.03.09 bis 08.05.09
29 bezahlte Arbeitstage

12.05.09 bis 19.06.09
29 bezahlte Arbeitstage

24.06.09 bis 13.11.09
2 bezahlte Arbeitstage 99 unbezahlte Arbeitstage.

Mehrere Arbeitsversuche des Klägers zwischen März bis August 2009 seien noch am selben Tage gescheitert. Der Kläger habe mehrfach geäußert, dass ihn schon die Autofahrt zum Arbeitsplatz so anstrenge, das er die Arbeit nicht mehr machen könne. Mit dem Kläger seien - teilweise unter Einbeziehung der Schwerbehindertenvertretung und des Betriebsrates - erstmals am 07.08.2009 - Gespräche über alternative Einsatzmöglichkeiten geführt worden, in welchen er wiederholt geäußert habe, dass er wegen der langen Anfahrt nach M. und seiner Kreislaufbeschwerden nicht mehr arbeiten könne. Dabei habe der Kläger auch erstmals mitgeteilt, dass er eine Teilerwerbsrente bekomme und nur noch 5 Stunden arbeiten müsse, wozu er eine entsprechende ärztliche Bescheinigung vorgelegt habe. Die in weiteren Gesprächen im September und Oktober 2009 vom Kläger zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements zugesagten medizinischen Unterlagen seien nie vorgelegt worden, auf eine ausdrückliche Einladung zur Teilnahme an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement habe sich der Kläger nicht geäußert. Unter Berücksichtigung der körperlichen Möglichkeiten und der attestierten Beeinträchtigungen des Klägers sei im Betrieb kein leidensgerechter Arbeitsplatz vorhanden. Mangels Mitwirkung des Klägers habe eine betriebsärztliche Einschätzung nicht eingeholt werden können. Es bestehe eine negative Zukunftsprognose für die Genesung. Ein wichtiger Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses liege vor.

Im Rahmen der Anhörung traten der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung einer Kündigung des Klägers mit der Begründung, hinsichtlich passender Einsatzmöglichkeiten sei der Sachverhalt noch nicht hinreichend geklärt, entgegen.

Mit Bescheid vom 03.12.2009 stellte der Beklagte den Eintritt der Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 SGB IX am 02.12.2009 fest. Die Kündigung wurde am 10.12.2009 mit Wirkung zum 30.09.2010 ausgesprochen.

Dagegen erhob der Kläger am 15.12.2009 Widerspruch, zu dessen Begründung vorgetragen wurde: Die Kündigung erfolge ausschließlich wegen der Schwerbehinderung des Klägers. Aus dem Schutznormcharakter des SGB IX folge, insbesondere im Umkehrschluss aus § 91 Abs. 4 SGB IX, dass eine Zustimmung zur Kündigung, respektive ein gleichstehendes Nichtstun der Behörde nur erfolgen dürfe, wenn Gründe im Sinne des § 626 BGB vorlägen. Diese setzten regelmäßig einen schweren Pflichtenverstoß sowie ein Verschulden des Arbeitnehmers voraus. Die Behörde hätte die Zustimmung allein auf Grund der vorgetragenen Begründung verweigern müssen. Auch finde das Fiktions-Verfahren des § 91 SGB IX keine Anwendung. Es gehe um die Möglichkeit der sog. außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist gegenüber einem tarifvertraglich nicht ordentlich kündbaren Arbeitnehmer, also um eine verschleierte ordentliche Kündigung. Nur wenn der Arbeitnehmer Pflichten verletzt habe, sei eine Verkürzung seiner allgemeinen Rechte zu rechtfertigen, nicht aber, wenn er sich vertrags- und rechtstreu verhalten habe. Die Feststellung des Fiktionseintritts sei somit nichtig. Im Übrigen sei die Frist nach § 91 Abs. 2 SGB IX bei weitem überschritten, die Beigeladene habe von den maßgebenden Tatsachen seit Anfang 2008 Kenntnis gehabt. Mit Schriftsatz vom 06 04.2010 wies der Kläger darauf hin, dass ihm erneut Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis 30.11.2012 gewährt worden sei und dass im noch anhängigen Sozialgerichtsverfahren ein Gutachter bestimmt worden sei.

Aufgrund der erst am 22.02.2010 erteilten Entbindungserklärung des Klägers holte der Beklagte die Stellungnahme des Internisten Dr. M. vom 15.03.2010 ein.

Mit Bescheid vom 21.05.2010 wies der Widerspruchsausschuss des Beklagten den Widerspruch zurück. Wegen der Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen. - Der Bescheid wurde am 26.05.2010 per Einschreiben zur Post gegeben.

Am 27.06.2010 hat der Kläger Klage zum Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben und zur Begründung ausführen lassen: Der Beklagte habe den Prüfungsmaßstab in Fällen der außerordentlichen Kündigung von tariflich unkündbaren schwerbehinderten Arbeitnehmern verkannt. Unabhängig davon habe der Beklagte auch die Reichweite seines Schutzauftrages gegenüber schwerbehinderten Menschen missachtet, indem er weder gesetzlich angeordnete kollektive noch individuelle Schutzmechanismen zugunsten schwerbehinderter Arbeitnehmer ergriffen habe. Außerdem sei der Sachverhalt nicht hinreichend aufgeklärt worden, vielmehr habe der Beklagte die Angaben der Beigeladenen ungeprüft übernommen, obwohl diese streitig gestellt worden seien. So würden dem Kläger Säumnisse bei der Vorlage von Arztberichten vorgeworfen, ohne zu bedenken, dass der Kläger solche überhaupt nicht in Händen gehabt habe oder hätte bekommen können. Schließlich hätte der Beklagte das Regel-Verfahren für ordentliche Kündigungen durchführen müssen. Weiter hätte der Beklagte ein Präventionsverfahren durchführen müssen, zu welchem er vom Kläger mehrfach in der Zeit vor dem 12.11.2009 aufgefordert worden sei. Schließlich sei die Beigeladene mit Schreiben vom 05.10.2009 aufgefordert worden, dem Kläger eine leidensgerechte Beschäftigung anzubieten und ein Präventions- bzw. Integrationsverfahren durchzuführen. - Der Kläger legte das Gutachten des Ärztlichen Dienstes der Bundesagentur für Arbeit vom 23.10.2009 sowie das internistisch-arbeitsmedizinische Gutachten des Dr. S. vom 13.05.2010, das im Verfahren des Klägers vor dem SG D., - S 6 R 548/09 -, eingeholt worden war, vor.


Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 03.12.2009 und den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 21.05.2010 aufzuheben.


Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er wiederholt (insbesondere zur Frage der Anwendbarkeit von § 91 SGB IX) die Ausführungen im angefochtenen Widerspruchsbescheid und führt ergänzend dazu noch aus: In Fällen wie dem Vorliegenden sei es dem Beklagten wegen der gebotenen Sachverhaltsaufklärung in der Regel nicht möglich, die Entscheidung innerhalb der gesetzlichen Frist zu treffen. Dennoch werde dem schwerbehinderten Menschen der besondere Kündigungsschutz nicht entzogen. Die Fiktion sei durch Widerspruch und Klage anfechtbar. Sie führe ohne Einschränkungen zur Anwendung aller Vorschriften und Grundsätze, die auch im Falle einer ausdrücklichen Zustimmung gälten. Im Übrigen sei der Widerspruchsbescheid rechtmäßig ergangen. Der Widerspruchsausschuss habe insbesondere das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zustimmung zur Kündigung aufgrund der eingeholten ärztlichen Stellungnahme des Dr. M. zum Leistungsbild des Klägers rechtsfehlerfrei bejaht. Der Kläger habe im Rahmen der Anhörung dazu nur auf die damals noch ausstehende Begutachtung durch Dr. S. im Rentenversicherungsstreit verwiesen. Das Gutachten der Bundesagentur für Arbeit vom 23.10.2010 sei im Widerspruchsverfahren nicht vorgelegt worden. Es bestehe auch kein Aufklärungsdefizit. Der Kläger habe den in B II 1 der Klageschrift dargelegten Sachverhalt im Widerspruchsverfahren nicht vorgebracht. Die im Antrag vom 12.11.2009 dargelegten Kündigungsgründe seien vom Kläger im Verwaltungsverfahren niemals bestritten worden, es sei auch niemals vorgebracht worden, dass ein Präventionsverfahren verlangt worden wäre oder dass alternative Beschäftigungsmöglichkeiten benannt worden wären, auch nicht nach Kenntnis des Gutachtens von Dr. M.. Im Widerspruchsverfahren habe der Kläger ausschließlich seine Rechtsauffassung zu § 91 SGB IX dargelegt.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt und sich auch nicht zur Sache geäußert. Auf Ersuchen des Gerichts hat sie mit Schreiben vom 19.10.2010 das Urteil des Arbeitsgerichts M. vom 08.07.2010 - 7 Ca 18/09 - vorgelegt, mit welchem u.a. die Kündigungsschutzklage des Klägers abgewiesen worden ist. Über die vom Kläger hiergegen erhobene Berufung ist noch nicht entschieden.

Dem Gericht lagen die Behördenakten vor. Hierauf, auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf die Gerichtsakten wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:


Mit Zustimmung der Beteiligten konnte der Berichterstatter anstelle der Kammer entscheiden (§ 87a Abs. 2 und 3 VwGO).

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Zustimmung des Beklagten zur außerordentlichen Kündigung des Klägers ist § 91 i. V. m. §§ 85, 87 ff SGB IX. Danach bedarf eine außerordentliche (ebenso wie eine ordentliche) Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Der Kläger ist ein schwerbehinderter Mensch im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB IX, so dass er dem schwerbehindertenrechtlichen Kündigungsschutz unterfällt.

Zunächst begegnet es keinen rechtlichen Bedenken, dass der Beklagte vom Eintritt der Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 S. 2 SGB IX ausgegangen ist. Die Vorschrift ist vorliegend anwendbar. Die Beigeladene hat die Zustimmung für eine außerordentliche Kündigung des Klägers mit sozialer Auslauffrist beantragt. Eine solche fällt unter § 626 Abs. 1 BGB und ist auch und erst recht dann möglich, wenn der Arbeitnehmer, z. B. aus tarifrechtlichen Gründen, ordentlich nicht kündbar ist (vgl. dazu BAG, Urteil vom 12.08.1999, - 2 AZR 748/98 - für betriebsbedingte Kündigungen und Urteil vom 18.01.2001, - 2 AZR 616/99 - für eine krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung, beide veröffentlicht in (Juris)). Nach § 91 Abs. 1 SGB IX gelten die Vorschriften "dieses Kapitels" mit Ausnahme von § 86 auch bei außerordentlichen Kündigungen, soweit sich aus den folgenden Bestimmungen nichts anderes ergibt. "Etwas anderes" folgt insoweit sowohl aus der Regelung über die Entscheidungsfrist und den Eintritt der Zustimmungsfiktion (Abs. 3) als auch aus der ermessenseinschränkenden Regelung in Abs. 4 für den Fall, dass der Kündigungsgrund nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht und kein atypischer Fall vorliegt. Steht der Kündigungsgrund jedoch mit der Behinderung in Zusammenhang, so führt wird das Ermessen nach §§ 85, 87 SGB IX nicht eingeschränkt. Auch dann nämlich handelt es sich um eine außerordentliche Kündigung im Sinne von § 91 SGB IX. Ob aber diese Sonderregelungen eingreifen, bestimmt dem Arbeitgeber mit der Festlegung der Kündigungsart in seinem Zustimmungsantrag. Entscheidet er sich - z.B. auch wegen der tariflich bestimmten arbeitsrechtlichen Ausgangslage - für eine außerordentliche Kündigung, so hat es damit schwerbehindertenrechtlich sein Bewenden, eine Unterscheidung danach, aus welchen Gründen der Arbeitgeber eine ordentliche Kündigung verschlossen ist und er deshalb den Weg der der außerordentlichen Kündigung beschreiten zu müssen glaubt, kennt § 91 SGB IX (früher § 21 Abs. 2 SchwbG) nicht (so Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 05.08.1996, - 7 S 483/95 -, (Juris)).

Soweit in der Literatur (vgl. Düwell in Dau/Düwell/Haines, SGB IX, Lehr- und Praxiskommentar, 2. A., Anm. 11 zu § 91; differenzierender: Griebeling in Hauck/Noftz, SGB IX, Kommentar, LBlS Stand II/08, Anm. 4 zu § 91) die Anwendbarkeit von § 91 Abs. 3 und 4 SGB IX auf solche Fälle bemängelt wird, weil die ordentlich unkündbaren schwerbehinderten Arbeitnehmer ohne sachlichen Grund hierdurch benachteiligt würden, hat sich dem bisher weder die arbeitsgerichtliche noch nicht verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung angeschlossen. Eine erhebliche Schlechterstellung des behinderten Arbeitnehmers vermag das Gericht auch nicht zu erkennen:

Lässt man, wie in der ständigen Rechtsprechung des BAG (vgl. Urteile vom 12.08.1999 vom 18.01.2001, - aaO.-) geschehen und heute allgemein anerkannt, die außerordentliche Kündigung eines ordentlich nicht kündbaren Arbeitnehmers - nämlich unter Anerkennung einer sozialen Auslauffrist - zu, so wird der Schwerbehinderte, bei welchem der wichtige Grund für die außerordentliche Kündigung nicht in Zusammenhang mit der Behinderung steht, durch die Ermessenseinschränkung nicht schlechter behandelt als ein nicht behinderter Arbeitnehmer, und im atypischen Fall sogar besser gestellt als dieser (vgl. § 91 Abs. 4 SGB IX). Besteht dagegen ein Zusammenhang zwischen Behinderung und (außerordentlichem) Kündigungsgrund, so muss das Integrationsamt eine umfängliche Prüfung anstellen und eine Ermessensentscheidung nach Maßgabe von §§ 85, 87 SGB IX treffen, die dem Zweck des Zustimmungserfordernisses (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 02.07.1992, - 5 C 39/90 -, (Juris)) auch Rechnung trägt. Daher kann eine gewisse Benachteiligung nur darin erkannt werden, dass die wohl nicht nur selten eintretende Zustimmungsfiktion den schwerbehinderten Arbeitnehmer, dem aus wichtigem Grunde außerordentlich gekündigt werden soll, dazu zwingt, das Widerspruchsverfahren gegen das Integrationsamt zu betreiben, um eine materiell-rechtliche Ermessensentscheidung über die Zustimmung zu erreichen (vgl Düwell, aaO., Anm. 20 zu § 91). Auf diese Weise erreicht der behinderte Arbeitnehmer - nachträglich - eine volle materiell-rechtliche Prüfung und Ermessensentscheidung des Integrationsamtes nach Maßgabe der nachfolgend noch anzuführenden Grundsätze, die ggfs. auch die fingierte Zustimmung und die darauf beruhende Kündigung zu Fall bringt. Soweit dem ordentlich unkündbaren (behinderten) Arbeitnehmer auch angesonnen wird, zunächst die Kündigungsschutzklage zu erheben, wird dies auch jedem anderen (nicht behinderten) Arbeitnehmer zugemutet, dem aus wichtigem Grunde außerordentlich gekündigt wird, und dies gilt sogar in Fällen, in welchen der außerordentliche Kündigungsgrund nicht einmal in der eigenen, sondern in der Sphäre des Arbeitgebers liegt (so der vom BAG mit Urteil vom 12.08.1999, - aaO. -, entschiedene Fall).

Weiter ist der Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass er nach pflichtgemäßem Ermessen über den Antrag der Beigeladenen zu entscheiden hatte und insbesondere die Beschränkung des Ermessens nach § 91 Abs. 1 SGB IX keine Geltung hatte. Nach dieser Bestimmung soll das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn die außerordentliche Kündigung aus einem Grund erfolgen soll, der nicht im Zusammenhang mit der Behinderung steht. Für die Prüfung des Bestehens eines solchen Zusammenhangs gelten keine strengen Kausalitätsgrundsätze. Es genügt vielmehr ein mittelbarer Zusammenhang zwischen dem Kündigungsgrund und der Behinderung, wenn also ein Zusammenhang nicht völlig ausgeschlossen werden kann (vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 05.07.1989 - 6 S 1739/87 - Juris - und Urteil vom 03.05.1993 - 7 S 2773/92 - Juris; OVG Münster, Urteil vom 23.05.2000 - 22 A 3145/98 - Juris -). Diese Voraussetzungen sind bezüglich der Begründung der außerordentlichen Kündigung wegen der krankheitsbedingten Fehlzeiten ohne Weiteres erfüllt.

Ist die Behörde ermächtigt (und verpflichtet), nach ihrem Ermessen zu handeln, so unterliegt die Verwaltungsentscheidung allerdings nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle gemäß § 114 S. 1 VwGO. Danach prüft das Gericht nur, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist, insbesondere ob die Behörde in ihre Ermessenserwägungen alle wesentlichen, den Streit zwischen den Beteiligten kennzeichnenden Gesichtspunkte eingestellt hat und ob sie dabei von einem richtigen und vollständigen Sachverhalt ausgegangen ist (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 09.05.1994, - 7 S 2294/92 -). Die Ermessensentscheidung ist danach fehlerhaft, wenn die Behörde Umstände außer Betracht lässt, die zu berücksichtigen wären (vgl. hierzu und im weiteren auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.03.1998 - 9 S 1637/97 -).

Bei Ausübung ihres Ermessens hat sich die Behörde am Zweck des ermächtigenden Gesetzes zu orientieren. Nach der programmatischen Neuausrichtung des Schwerbehindertenrechts in § 1 SGB IX ist an die Stelle der Fürsorge die Förderung der selbstbestimmten und gleichberechtigten Teilhabe am Arbeitsleben getreten; deshalb hat das Integrationsamt zu prüfen, ob der Arbeitgeber im Rahmen des ihm Möglichen und Zumutbaren dem Anspruch des schwerbehinderten Menschen auf eine seinen Fähigkeiten gerecht werdenden Beschäftigung Rechnung trägt (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 19.07.2004, - 8 K 3370/03, - unter Bezugnahme auf Düwell, LPK - SGB IX, 1. A., Anm. 7 und 9 zu § 89, nunmehr 2. A., Anm. 14. f.). Schon nach dem bisherigen Recht war anerkannt, dass durch die Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen (nur) die Nachteile des Schwerbehinderten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeglichen werden sollen. Auch der Zweck des § 85 SGB IX geht deshalb dahin, die Schwerbehinderten vor den besonderen Gefahren, denen sie wegen der Behinderung auf dem Arbeitsmarkt ausgesetzt sind, zu bewahren und sicherzustellen, dass sie gegenüber den gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen geraten. Dieser Aspekt hat auch die Leitlinie bei der Ermessensentscheidung zu sein, ob der Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten zuzustimmen ist. Diese Entscheidung erfordert deshalb eine Abwägung des Interesses des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes. Damit werden die Grenzen dessen bestimmt, was zur Verwirklichung des dem Schwerbehinderten gebührenden weitgehenden Teilhabeanspruchs dem Arbeitgeber zugemutet werden darf (BVerwG, Urteil vom 02.07.1992, - 5 C 51.90 -, aaO.).

Haben die zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führenden Gründe in der Behinderung selbst ihre Ursache, stellt der Schwerbehindertenschutz besondere Anforderungen an die bei der Interessenabwägung immer zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze beim Arbeitgeber, um den im Schwerbehindertenrecht zum Ausdruck kommenden Schutzgedanken der Rehabilitation verwirklichen zu können. Dies kann im Einzelfall dazu führen, dass das Interesse des Arbeitgebers an der Vermeidung aller Störungen des betrieblichen Ablaufs in zumutbarer Weise zurücktreten muss (BVerwG, Urteil vom 27.10.1971 - V C 78/70 -, Beschluss vom 18.09.1989, - 5 B 100.89 -, und Beschluss vom 16.06.1990, - 5 B 127.89 -, sämtlich in (Juris)). Die Anforderungen im Rahmen der Abwägung werden zusätzlich gesteigert, wenn es sich um eine außerordentliche Kündigung eines an sich unkündbaren Arbeitnehmers handelt (vgl. BAG, Urteile vom 12.08.1999 vom 18.01.2001, - aaO.-).

Erfolgt die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten dagegen aus einem Grunde, der nicht mit der Behinderung im Zusammenhang steht, so kann dem Schutz- und Teilhabezweck des Schwerbehindertenrechts nur eine geringe bzw. gar keine Bedeutung zukommen. Denn es ist nicht Aufgabe des Integrationsamtes, bei seiner Entschließung die allgemeinen sozialen Interessen des einzelnen Schwerbehinderten als Arbeitnehmer zu wahren. Der besondere Schutz nach § 85 SGB IX ist dem Schwerbehinderten nämlich zusätzlich zum allgemeinen arbeitsrechtlichen Schutz gegeben, dem insbesondere die Prüfung obliegt, ob die Kündigung sozial gerechtfertigt ist. Damit können bei der Entscheidung über die Zustimmung nur solche Erwägungen eine Rolle spielen, die sich speziell aus dem Anspruch auf Fürsorge und Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben herleiten (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.07.1992, BVerwGE 90, 287 ff.; vgl. schon BVerwGE 8, 46 ff.).

In Fällen, in welchen die Zustimmung für die beabsichtigte Kündigung erteilt wird, stellt die Rechtsprechung für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblich auf den Zeitpunkt des Bescheids an, der die Grundlage für die dann von der Beigeladenen erklärte Kündigung war mit der Folge, dass erst nach Ausspruch der Kündigung eingetretene oder vom Schwerbehinderten danach mitgeteilte oder sonstwie bekannt gewordene Umstände die Rechtmäßigkeit der Ermessensbetätigung der Beklagten und damit der erteilten Zustimmung im Grundsatz nicht mehr berühren (vgl. BVerwG, Urteil vom 10.11.2008, - 5 B 79.08 -, (Juris); s. auch Verwaltungsgericht München, Urteil vom 18.11.2010, - M 15 K 09.5850 -, (Juris) mit weiteren Nachweisen). Hiervon muss jedoch in Fällen wie dem vorliegenden abgewichen werden. Denn der Eintritt der Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 S. 2 SGB IX setzt gerade voraus, dass die Behörde noch nicht über den Zustimmungsantrag entscheiden konnte (vgl. z.B. Kreitner, Juris-SGB IX, Anm. 25 und 27 zu § 91 mit weiteren Nachweisen), und führt dazu, dass es - insbesondere in Fällen, in welchen das Integrationsamt Ermessen auszuüben hat - zu einer Verlagerung des eigentlichen Erkenntnisverfahrens in das Widerspruchsverfahren kommt. Hier kann die Ermessensentscheidung des Integrationsamtes, auch wenn sie den Widerspruch gegen die fingierte Zustimmung zurückweist, nur das Ergebnis eines überwiegend erst im Widerspruchsverfahren stattfindenden Erkenntnisprozesses sein. Maßgeblich für die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung bleibt somit alles, was auch noch im Rahmen des Widerspruchsverfahrens an ermessensrelevanten Umständen vom Integrationsamt zu berücksichtigen ist. Daher kann maßgeblicher Zeitpunkt für die Sach- und Rechtslage in den Fällen des Fiktionseintritts nur die Bekanntgabe des Widerspruchsbescheids sein.

Unter Beachtung der genannten Grundsätze ist die angefochtene Ermessensentscheidung des Integrationsamtes nicht zu beanstanden.

Die nach § 85 SGB IX vorzunehmende Entscheidung des Beklagten ist entsprechend den Verfahrens- und Formvorschriften des SGB IX zustande gekommen.

Insbesondere hat die Beigeladene die Zustimmung fristgerecht beantragt (§ 91 Abs. 2 SGB IX). Bei dem von der Beigeladenen geltend gemachten Kündigungsgrund (dauerhafte Leistungsstörung infolge von krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers) handelt es sich um einen sog. Dauerzustand. Dieser Dauerzustand wird einerseits von den Überbrückungsmöglichkeiten des Arbeitgebers beeinflusst und hängt andererseits u. a. von Faktoren wie Art und Dauer der Erkrankung und Gesundheitsprognose ab. Deshalb beginnt die Frist des § 91 Abs. 2 S. 1 SGB IX nicht vor Beendigung dieses Zustands zu laufen (vgl. VGH München, Beschluss vom 29.07.2004 - 9 ZB 04.698 - Juris - und Beschluss vom 31.01.2005 - 9 ZB 04.2740 - Juris - ; BAG, Urteil vom 21.03.1996, NJW 1997, 1656). Da der Kläger, soweit aktenkundig, noch bis zum 13.11.2009 arbeitsunfähig war (andere für den Fristbeginn maßgebliche Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen), hätte die Frist frühestens am folgenden Montag, dem 16.11.2009, zu laufen beginnen können, so dass sie im Zeitpunkt des Antragseingangs, am 18.11.2009, jedenfalls noch eingehalten war. Damit war die Frist für den Eintritt der Fiktion nach § 91 Abs. 3 SGB IX am 18.11.2009 in Gang gesetzt worden und diese endete nach § 26 Abs. 1 SGB X in Verbindung mit §§ 187, 188 BGB mit Ablauf des 02.12.2009, weil bis zu diesem Zeitpunkt keine Entscheidung des Beklagten getroffen worden war.

Die Entscheidung vor dem oder bis zum 02.12.2009 war dem Beklagten auch nicht möglich. Zwar lagen die Stellungnahmen der nach § 87 Abs. 2 SGB IX anzuhörenden Gremien (Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung) bereits am 26. bzw. 27.11.2009 vor. Der Kläger hatte jedoch zunächst am 23.11.2009 telefonisch und mit Fax des Prozessbevollmächtigten am 24.11.2009 zunächst nur um Fristverlängerung gebeten, die ihm bis zum 27.11.2009 auch gewährt wurde, es ging innerhalb dieser Stellungnahme-Frist jedoch keine inhaltliche Stellungnahme ein. Da es sich bei der Fiktionsfrist um eine nicht verlängerbare bzw. disponible Frist handelt (vgl. Griebeling, aaO., Anm. 14), brauchte und konnte der Beklagte die Stellungnahme-Frist nicht verlängern. Die von § 91 Abs. 4 SGB IX zuvörderst zu treffende Entscheidung, ob nämlich der geltend gemachte Kündigungsgrund mit der Behinderung des Klägers in Zusammenhang stand (vgl. BVerwG, Urteil vom 02.07.1992, - aaO. -), war dem Beklagten ohne die Stellungnahme des Klägers und vor Einholung einer ärztlichen Stellungnahme nicht möglich.

Schließlich kann das erkennende Gericht im Ergebnis auch keinen Verfahrensfehler darin erkennen, dass der Beklagte auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Rahmen des Widerspruchsverfahrens verzichtet hat. Gemäß § 88 Abs. 1 SGB IX trifft das Integrationsamt die Entscheidung über den Zustimmungsantrag, "falls erforderlich, auf Grund mündlicher Verhandlung". Die mündliche Verhandlung nach Eingang der Stellungnahmen dient der gemeinsamen Erörterung und wird in aller Regel geboten sein (vgl. Düwell, - aaO. -, Anm 5 zu § 88 mit weiteren Nachweisen). Sie ist in der Regel erforderlich, wenn trotz Einholung der schriftlichen Stellungnahmen noch für die Ausübung des Ermessens bedeutsame Umstände unklar sind. Nachdem sowohl der Betriebsrat als auch die Schwerbehindertenvertretung der Beigeladenen in ihren Stellungnahmen vom 24.11.2009 auf die Möglichkeit passender Einsatzmöglichkeiten für den Kläger am Standort M. hingewiesen hatten, bestand zumindest zunächst ein derartiger Klärungsbedarf. Jedoch stand dem die später eingeholte und inhaltlich eindeutige Stellungnahme des behandelnden Arztes des Klägers vom 15.03.2010 entgegen, nach dessen Einschätzung der Kläger nicht mehr in der Lage war, seiner Arbeit in M. nachzukommen und der den Zeitpunkt der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Kläger für nicht absehbar hielt. Zudem war der Kläger zu keinem Zeitpunkt den Ausführungen der Beigeladenen über die wiederholten Arbeitsversuche und über den Versuch eines betrieblichen Eingliederungsmanagements am 06.10.2009 entgegen getreten. Andere Umstände, die nach Lage der Dinge eine Erörterung geboten hätten, waren für den Beklagten ebenfalls nicht erkennbar. Damit musste der Beklagte nicht mehr von der Notwendigkeit einer mündlichen Verhandlung ausgehen.

Die vom Beklagten getroffene Ermessensentscheidung ist auch materiell-rechtlich nicht zu beanstanden. Weder hat der Beklagte die Ermessensgrenzen überschritten, noch von dem Ermessen in einer dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung widersprechenden Weise Gebrauch gemacht.

Die Beigeladene hat die Kündigung mit den im Tatbestand dargestellten und in ihrem Umfang erheblichen, das Übliche bei Weitem überschreitenden, Fehlzeiten des Klägers begründet und der Beklagte hat eine hierauf gestützte Kündigung als gerechtfertigt angesehen. Dies ist behindertenrechtlich nicht ermessensfehlerhaft.

Auch wenn den Belangen des schwerbehinderten Menschen bei einer personenbezogenen Kündigung, bei der die Gründe für die Kündigung regelmäßig in einem sachlichen Zusammenhang mit der anerkannten Behinderung stehen, ein erhöhtes Gewicht zukommt, schließen sie dennoch nicht von vornherein die Kündigung als ermessensfehlerhaft aus, denn der Arbeitgeber ist nicht gehalten, den Schwerbehinderten "durchzuschleppen" (BVerwGE 29, 140, 142; st. Rspr. des VGH Baden-Württemberg, vgl. Urteile vom 22.02.1989 - 6 S 1905/87 - und vom 28.04.1989, - 6 S 1297/88 -). Nach dieser Rechtsprechung, der sich das Verwaltungsgericht Stuttgart seit langem angeschlossen hat, soll das SGB IX (früher: SchwbG) nicht dazu führen, dass schwerbehinderte Arbeitnehmer, deren Leistungen (auch aufgrund ihrer Behinderung) unterhalb des betrieblich oder wirtschaftlich Vertretbaren liegen, weiter beschäftigt werden müssen. In solchen Fällen ist dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Schwerbehinderten regelmäßig nicht mehr zuzumuten. Von einem unzumutbaren "Durchschleppen" muss dann gesprochen werden, wenn die Minderleistungen das Übliche wesentlich überschreiten, wenn aus diesem Grunde beim Arbeitgeber betriebliche oder wirtschaftliche Schwierigkeiten eintreten, wenn aufgrund einer Prognose davon auszugehen ist, dass sich diese Lage nicht ändern wird, und wenn beim Arbeitgeber ein andere Arbeitsplatz nicht vorhanden ist, an dem der Schwerbehinderte ungeachtet seiner Beeinträchtigungen beschäftigt werden kann. In einer solchen Situation kann nicht mehr vom Fortbestehen eines synallagmatischen Austauschverhältnisses gesprochen werden, wie dies das Arbeitsverhältnis voraussetzt, vielmehr folgt aus der Rechtsbeziehung nur noch eine einseitige Belastung des Arbeitgebers. Deshalb kann unter solchen Bedingungen die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung nicht als ermessensfehlerhaft angesehen werden.

Der Beklagte durfte dem Kläger auf der Grundlage der nicht bestrittenen Fehlzeiten und der aufgrund der Entbindungserklärung des Klägers eingeholten ärztlichen Stellungnahme seines Hausarztes dem Kläger auch eine negative Prognose stellen. Wie bereits ausgeführt, hat der Internist Dr. M. in seiner Stellungnahme vom 15.03.2010 den Kläger nicht mehr befähigt gesehen, seiner Arbeit in M. nachzukommen. Dr. M. ging von künftigen Fehlzeiten im bisherigen Umfang aus und sah den Zeitpunkt der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit als nicht absehbar an. Die Stellungnahme ließ sich mit der von der Beigeladenen vorgelegten ärztlichen Bescheinigung von Dr. M. vom 14.08.2009 ohne Weiteres vereinbaren.

Der Beklagte war auch nicht veranlasst, das Gutachten des Dr. S. abzuwarten, auf dessen Beauftragung im Rahmen eines Rentenprozesses vor dem SG D. der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 06.04.2010 hingewiesen hatte. Der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter haben dies nicht beantragt und sich inhaltlich auch nicht zur sachverständigen Stellungnahme des Dr. M. geäußert. Weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter haben dem Beklagten schließlich das Gutachten des Dr. S. vom 13.05.2010 vorgelegt. Daher ist es für die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung des Beklagten weder von Belang, dass das Gutachten im Klageverfahren zur Kenntnis gebracht wurde, noch dass es inhaltlich zum Ergebnis gekommen ist, dass der Kläger für fähig angesehen wurde, leichte und auch mittelschwere körperliche Arbeiten, im Gehen oder im Stehen oder im Sitzen in geschlossenen Räumen, mit entsprechender Bekleidung auch im Freien mindestens 6 Stunden täglich leisten kann. Denn diese Umstände sind dem Beklagten erst nach dem vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt bekannt geworden und konnten somit auch nicht mehr Grundlage seiner Ermessensentscheidung werden.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass bei der Beigeladenen Arbeitsplätze zur Verfügung standen, die die Bedingung reduzierter Belastungen und des negativen Leistungsprofils nach der Stellungnahme von Dr. M. erfüllen konnten. Dabei durfte der Beklagte sich bei seiner Ermessensentscheidung auf den Vortrag der Beigeladenen stützen. Danach wurden mit dem Kläger verschiedene Arbeitsversuche unternommen, die jeweils vom Kläger, wie er in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, abgebrochen wurden. Dies bestätigte auch Dr. M. in seiner ärztlichen Bescheinigung an die Beigeladene vom 14.08.2009, in welcher er ausgeführt hatte, es bestehe beim Kläger Berufsunfähigkeit. Er leide bis heute unter den Folgen eines Schlaganfalles und die Weiterführung der bisherigen Berufstätigkeit gehe mit dem Risikos eines neuerlichen Schlaganfalles einher. Die wiederholten Arbeitsversuche hätten jeweils mit erheblichen körperlichen Symptomen geendet, die ein Weiterarbeiten nicht möglich gemacht hätten.

Ferner wurde nach dem Vortrag der Beigeladenen im Rahmen der Antragstellung auch und entgegen der Behauptung des Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung ein betriebliches Eingliederungsmanagement versucht. Für dessen Durchführung wurde nach dem ebenfalls nicht bestrittenen Vortrag der Beigeladenen am 06.10.2009 unter Beteiligung des Klägers und seines Prozessbevollmächtigten ein Gespräch geführt, in welchem der Kläger die Vorlage verschiedener ärztlicher Unterlagen zur Prüfung seiner Einsatzmöglichkeiten zugesagt hatte, allerdings derartige Unterlagen nie vorlegte und auf entsprechende schriftliche Aufforderungen an seinen Prozessbevollmächtigten nicht mehr reagierte, sondern erneut eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegte. Wie das Arbeitsgericht M. in seinem Urteil vom 08.07.2010 hält auch das erkennende Gericht diese Bemühungen der Beigeladenen für ausreichend.

Daher brauchte die Beigeladene auch keine weiteren Anstrengungen im Rahmen von § 84 SGB IX unternehmen und nachweisen. Dem Beklagten waren diese Umstände aufgrund der Antragsbegründung bekannt und sie wurden in die Ermessensentscheidung auch eingestellt. Der Kläger hat sich im Zustimmungsverfahren zu keinem Zeitpunkt hierzu geäußert und insbesondere die von der Beigeladenen dargelegten Bemühungen auch nicht in Frage gestellt. Andererseits konnte der Beklagte aufgrund der ihm zugänglich gemachten ärztlichen Befunde davon ausgehen, dass beim Kläger kein hinreichendes Restleistungsvermögen mehr vorlag, welches betrieblich noch hätte verwertet werden können. Deshalb brauchte der Beklagte auch bei der Frage, ob dem Kläger im Betrieb der Beigeladenen noch ein anderer Arbeitsplatz zur Verfügung gestellt werden könnte, keine weiteren Nachforschungen mehr anstellen (zur Frage, welche Bedeutung § 84 SGB IX im Rahmen der arbeitsrechtlichen Kündigungsabwägung zukommt: vgl. BAG, Urteil vom 23.04.2008, - 2 AZR 1012/06 -, (Juris); vgl. auch Powietzka, Aktuelle Rechtsprechung zum Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer, BB 2007, 2118 ff). Für die Zustimmung nach §§ 85 ff. SGB IX ist die vorherige Durchführung eines Präventionsverfahrens oder eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ohnehin nicht Rechtmäßigkeitsvoraussetzung (vgl. BVerwG, Urteil vom 29.08.2007, - 5 B 77/07 -, (Juris)).

Schließlich haben die Minderleistungen des Klägers bei der Beigeladenen zu erheblichen wirtschaftlichen Einbußen geführt. Dies folgt schon aus der Ausschöpfung der Lohnfortzahlungsansprüche und dem noch nicht befriedigten Anspruch des Klägers, nicht genommene Urlaubszeiten vergütet zu bekommen (vgl. dazu EG-Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit der EG-Richtlinie 1898/391; Urteil des Gerichtshofs der Europ. Gemeinschaften vom 20.01.2009, Rechtssache C-350/06).

Dem gegenüber nicht verkannt hat der Beklagte, wie dargelegt, die erhöhte Gewichtung der Belange des Klägers, auch und gerade als ordentlich nicht kündbarer Arbeitnehmer, insbesondere nicht die Belastungen, denen der Kläger aufgrund des Alters, der anerkannten Behinderung sowie dem Verlust des Arbeitsplatzes sowie in seiner familiären Situation ausgesetzt sein wird.

Dass der Beklagte dem Kläger die Nichtvorlage des im Rahmen des SG-Verfahrens eingeholten Gutachten angelastet hat, obwohl dieses dem Kläger womöglich bis zum Ergehen des Widerspruchsbescheids noch nicht vorgelegen hat, macht die Entscheidung nicht ermessensfehlerhaft. Insgesamt ist es auch dem Gericht aufgefallen, dass weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter in dem zugrundeliegenden Verfahren, solange Anlass und Gelegenheit dafür bestand, das Mögliche und das Nötige getan haben, um im Rahmen der dem Schwerbehinderten obliegende Mitwirkungspflicht im Verwaltungsverfahren (vgl. dazu ausführlich BVerwG, Urteil vom 22.11.1999, - 5 B 16/94 -, (Juris)) zu genügen. Der Kläger hat außer der Entbindungserklärung und dem Hinweis auf die im Verfahren vor dem SG D. veranlasste Begutachtung keinen materiellen Beitrag im Verfahren nach §§ 85 ff. SGB IX geleistet und nicht einmal die zur Antragsbegründung dargelegten Umstände in Abrede gestellt. Er hat somit dem Integrationsamt auch keine Handhabe gegeben, weiterergehende Ermittlungen anzustellen. Soweit nunmehr im Klageverfahren Umstände zutage getreten sind, die - wie das Gutachten von Dr. S. - womöglich eine abweichende Ermessensentscheidung hätten rechtfertigen können, konnten sie die Rechtmäßigkeit der Ermessensentscheidung nicht mehr in Frage stellen.

Insgesamt bleibt somit festzustellen, dass das Gericht keine Ermessens- oder sonstigen Rechtsfehler in den angefochtenen Bescheiden festzustellen vermag. Die Klage war daher abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 und § 154 Abs. 3 VwGO. Da die Beigeladene keinen Klage(-abweisungs)antrag gestellt und somit kein Kostenrisiko auf sich genommen hat, trägt sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO). - Gemäß § 188 S. 2 ist das Verfahren gerichtskostenfrei.

Referenznummer:

R/R3551


Informationsstand: 05.08.2011