Die gemäß § 64
Abs. 1 und 2 Buchst. b und c
ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66
Abs. 1, 64
Abs. 6
ArbGG i.V.m. 519, 520
ZPO).
Die Berufung des Klägers hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die Kündigung der Beklagten vom 24. Juli 2016 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zum angegebenen Termin (31. Dezember 2016) beendet. Ein Anspruch des Klägers auf Entfernung der ihm erteilten Abmahnungen aus der Personalakte besteht nicht.
I.
Die Kündigung der Beklagten vom 24. Juli 2016 ist wirksam.
1. Dem Kläger stand im Kündigungszeitpunkt der Sonderkündigungsschutz nach
§§ 85 ff. SGB IX nicht zu.
a) Gemäß § 85
SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Allerdings findet das Zustimmungserfordernis nach
§ 90 Abs. 2a SGB IX dann keine Anwendung, wenn zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch nicht nachgewiesen ist oder das Versorgungsamt nach Ablauf der Frist des
§ 69 Abs. 1 S. 2 SGB IX eine Feststellung wegen fehlender Mitwirkung nicht treffen konnte. Das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes setzt damit grundsätzlich voraus, dass im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung entweder die Schwerbehinderung bereits anerkannt (oder eine Gleichstellung erfolgt) ist oder die Stellung des Antrags auf Anerkennung der Schwerbehinderung (
bzw. auf Gleichstellung) mindestens drei Wochen zurückliegt (
BAG 09. Juni 2011 -
2 AZR 703/09 - Rn. 18, NZA-RR 2011, 516).
b) Diese Voraussetzungen für das Eingreifen des Sonderkündigungsschutzes liegen hier nicht vor.
Der Kläger hat den Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung unstreitig erst nach Zugang der Kündigung gestellt. Ausweislich des vom Kläger vorgelegten Feststellungsbescheids vom 17. Februar 2017 ist sein Antrag erst am 29. August 2016 eingegangen.
Zwar ist die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch auch dann
i.S.v.
§ 90 Abs. 2a SGB IX nachgewiesen, wenn die Behinderung offenkundig ist. An diesem schon zum bisherigen Recht vertretenen Verständnis wollte der Gesetzgeber mit der Einführung des § 90
Abs. 2a
SGB IX nichts ändern (
BAG 13. Februar 2008 -
2 AZR 864/06 - Rn. 17, NZA 2008, 1055). Dabei muss jedoch nicht nur das Vorliegen einer oder mehrerer Beeinträchtigungen offenkundig sein, sondern auch, dass der Grad der Behinderung auf wenigstens 50 in einem Feststellungsverfahren festgesetzt würde (
vgl. BAG 13. Oktober 2011 -
8 AZR 608/10 - Rn. 42, juris;
LAG Rheinland-Pfalz 12. Januar 2017 -
5 Sa 361/16 - Rn. 38, juris).
Danach war die Schwerbehinderung auch unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers im Zeitpunkt der Kündigung nicht offenkundig. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der Beklagten der Verlust eines Fingers, die angeführte Hauterkrankung (Psoriasis) und der Diabetes mellitus bekannt waren, folgt daraus nicht, dass diese Beeinträchtigungen offenkundig auch mit einem
GdB von mindestens 50 zu bewerten waren.
Das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung hat nach dem vorgelegten Feststellungsbescheid vom 17. Februar 2017 (Bl. 142, 143 d. A.) einen
GdB von 50 festgestellt und dabei folgende Beeinträchtigungen berücksichtigt:
"Leberzirrhose
Refluxkrankheit der Speiseröhre (40)
Diabetes mellitus (20)
Psoriasis (20)
Nervenstörung (Polyneuropathie) beider Beine (20)
Verlust eines Fingers rechts (10)"
Die an erster Stelle genannte "Leberzirrhose Refluxkrankheit der Speiseröhre" mit einem Einzel-
GdB von 40 und die aufgeführte Nervenstörung beider Beine mit einem Einzel-
GdB von 20 waren auch nach dem Vortrag des Klägers nicht offenkundig. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die weiteren berücksichtigten Beeinträchtigungen der Beklagten bekannt waren, von denen der Diabetes mellitus mit einem Einzel-
GdB von 20, die Psoriasis mit einem Einzel-
GdB von 20 und der Verlust eines Fingers mit einem Einzel-
GdB von 10 bewertet worden sind, ist danach nicht offenkundig, dass diese Beeinträchtigungen einen
GdB von mindestens 50 ergeben würden. Gemäß dem Feststellungsbescheid vom 17. Februar 2017 dürfen Einzel-
GdB-Werte nicht addiert werden. Maßgebend sind vielmehr die Auswirkungen der einzelnen Gesundheitsstörungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander. Die nach dem Vortrag des Klägers der Beklagten bekannten Beeinträchtigungen waren jedenfalls nicht so erheblich, dass sie auch ohne sozialmedizinische Vorbildung als offensichtliche Schwerbehinderung einzustufen waren.
Vielmehr hat das Gesundheitsamt B-Stadt nach der vor Kündigungsausspruch am 05. Juli 2016 erfolgten amtsärztlichen Untersuchung des Klägers in seiner amtsärztlichen Stellungnahme vom 08. August 2016 (Bl. 61, 62 d. A.) ausgeführt, dass der Kläger an einem bisher komplikationslos verlaufenden insulinpflichtigen Diabetes mellitus leide und er ungeachtet der in der Vergangenheit nicht aufgetretenen Komplikationen während der Arbeitszeit jederzeit die Möglichkeit zur Nahrungsaufnahme haben sollte. Die Hauterkrankung des Klägers erfordere zu bestimmten Zeiten die Einnahme eines Medikaments, das die Fahrtüchtigkeit und das Bedienen von Maschinen beeinträchtige. Aufgrund seiner Hauterkrankung solle der Kläger nicht ungeschützt mit Fetten/Schmierölen und Farben in Kontakt kommen. Eine Erkrankung im Bereich des Magen-/Darmsystems habe im Arbeitsalltag des Klägers zu keinerlei Einschränkungen führen sollen. Als Ergebnis der Beurteilung wird mitgeteilt, dass der Kläger als Gemeindearbeiter voll einsatzfähig sei und die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung auf Dauer voll erfüllen könne.
Auch in Anbetracht dieser amtsärztlichen Stellungnahme war es im Zeitpunkt der Kündigung nicht offenkundig, dass die der Beklagten nach dem Vortrag des Klägers bekannten Beeinträchtigungen dazu führen, dass der Grad der Behinderung auf wenigstens 50 in einem Feststellungsverfahren festgesetzt würde. Mangels Offenkundigkeit der Schwerbehinderung findet gemäß § 90
Abs. 2a
SGB IX das Zustimmungserfordernis des § 85
SGB IX keine Anwendung, weil der Kläger den Antrag auf Feststellung der Schwerbehinderung erst nach Zugang der Kündigung gestellt hat.
2. Die Kündigung bedurfte zu ihrer Wirksamkeit keines Kündigungsgrundes
i.S.v.
§ 1 Abs. 2 KSchG, weil der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes auf das Arbeitsverhältnis der Parteien nach
§ 23 Abs. 1 KSchG keine Anwendung findet.
Nach § 23
Abs. 1 Satz 3
KSchG gelten in Betrieben und Verwaltungen, in denen in der Regel nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt werden, die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes mit Ausnahme von dessen
§§ 4 bis
7,
§ 13 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 nicht für Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis - wie hier - nach dem 31. Dezember 2003 begonnen hat.
Im Zeitpunkt des Kündigungszugangs waren bei der Beklagten neben dem Kläger die Arbeitnehmer W., X., W. (G.), J., H. und L. beschäftigt, womit der Schwellenwert des § 23
Abs. 1 Satz 3
KSchG nicht überschritten ist.
Entgegen der Ansicht des Klägers sind die von ihm angeführten Aushilfskräfte, die als Gästeführer im Kupferbergwerk eingesetzt werden, nicht als Arbeitnehmer
i.S.v. § 23
Abs. 1
KSchG zu berücksichtigen.
Die Darlegungs- und Beweislast für das Überschreiten des Schwellenwertes gemäß § 23
Abs. 1
KSchG trägt der Arbeitnehmer. Etwaigen Schwierigkeiten, die sich mangels eigener Kenntnismöglichkeiten ergeben, ist durch die Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast Rechnung zu tragen (
BAG 02. März 2017 - 2 AZR 427/16 - Rn. 12, NZA 2017, 859;
BAG 19. Juli 2016 - 2 AZR 468/15 - Rn. 13, NZA 2016, 1196). Danach ist der betriebliche Geltungsbereich gemäß § 23
Abs. 1 Satz 3
KSchG im Streitfall nicht eröffnet. Es ist weder aus dem Vorbringen des Klägers noch objektiv ersichtlich, dass die von der Beklagten im Kupferbergwerk als Gästeführer eingesetzten Personen als Arbeitnehmer anzusehen sind.
a) Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeigt sich insbesondere daran, dass der Beschäftigte einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Das Weisungsrecht kann Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Ein Arbeitsverhältnis liegt danach insbesondere dann vor, wenn der Dienstberechtigte innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens über die Arbeitsleistung verfügen kann. Das ist etwa dann der Fall, wenn ständige Dienstbereitschaft erwartet wird oder wenn der Mitarbeiter in nicht unerheblichem Umfang auch ohne entsprechende Vereinbarung herangezogen wird, ihm also die Arbeiten letztlich "zugewiesen" werden. Die ständige Dienstbereitschaft kann sich sowohl aus den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen der Partei als auch aus der praktischen Durchführung der Vertragsbeziehungen ergeben. Für die Abgrenzung von Bedeutung sind demnach in erster Linie die Umstände, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist, und nicht die Modalitäten der Bezahlung oder die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung (
vgl. BAG 29. November 1995 - 5 AZR 422/94 - Rn. 36 - 38, juris).
b) Die Tätigkeit eines Gästeführers im Kupferbergwerk kann sowohl im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als auch im Rahmen eines freien Mitarbeiterverhältnisses ausgeübt werden. Im Streitfall ist weder vorgetragen noch ersichtlich, ob und
ggf. inwieweit die Gästeführer einem Weisungsrecht unterliegen sollen. Die Beklagte hat unwidersprochen vorgetragen, dass sie über einen Pool von Gästeführern verfüge, die frei entscheiden könnten, ob und
ggf. welche Führung sie zu welchen Zeiten übernehmen wollten. Entgegen der Ansicht des Klägers begründet der Umstand, dass die Gästeführer ein Entgelt erhalten und dieses zu versteuern ist, nicht deren Arbeitnehmereigenschaft. Vielmehr ist die sozial- und steuerrechtliche Behandlung des Mitarbeiters arbeitsrechtlich ohne Belang, weil für die Abgrenzung eines freien Mitarbeiterverhältnisses zu einem Arbeitsverhältnis primär auf die Umstände abzustellen ist, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist, und nicht auf die Modalitäten der Bezahlung (
BAG 14. März 2007 - 5 AZR 499/06 - Rn. 34, NZA-RR 2007, 424). Auch wenn für die eingesetzten Gästeführer Lohnsteueranmeldungen beim Finanzamt vorliegen, lässt sich daraus deren Arbeitnehmereigenschaft nicht ableiten.
Mithin sind die im Kupferbergwerk eingesetzten Gästeführer bei der Anzahl der in der Regel beschäftigten Arbeitnehmer nicht zu berücksichtigen. Danach ist der Anwendungsbereich des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes nach § 23
Abs. 1 Satz 3
KSchG nicht eröffnet.
II.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Entfernung der ihm jeweils unter dem 01. November 2016 erteilten drei Abmahnungen aus seiner Personalakte.