Urteil
Aufhebung der Zustimmungserteilung des Integrationsamtes zur außerordentlichen fristlosen Verdachtskündigung wegen Rufschädigung von Mitarbeitern

Gericht:

OVG NRW 12. Senat


Aktenzeichen:

12 A 1635/10 | 12 A 1635.10


Urteil vom:

28.01.2013


Tenor:

Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts Köln wird geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens beider Instanzen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen die Entscheidung des Integrationsamtes des Beklagten, mit der dem Dezernat 3 - Personal und Organisation - des Beklagten die Zustimmung zu seiner außerordentlichen fristlosen (Verdachts-) Kündigung im Juni 2008 wegen Rufschädigung von Mitarbeitern der Beklagten (Anfertigung von Gartenmöbeln für den "Chef") erteilt worden ist.

Der Kläger ist bei dem Beklagten im Bereich des zum Dezernat 9 - Kultur und Umwelt - gehörenden S. B. - und N. - S1. - in der B1. C. als Elektriker beschäftigt. Er ist nach § 34 Abs. 2 TVÖD-V ordentlich unkündbar und war bis Mai 2008 Mitglied des Personalrats des Dezernats 9 sowie seit dem 1. Dezember 2006 Mitglied der Schwerbehindertenvertretung und Stellvertreter der Vertrauensperson der schwerbehinderten Menschen des Dezernats 9.

Der Kläger ist mit einem ab dem 16. August 2007 festgestellten GdB von 60 schwerbehindert. Dem Bescheid des Landrates des S2. -F. Kreises vom 24. Januar 2008 lagen folgende Feststellungen zugrunde:

Seelisches Leiden: Einzel-GdB 50

Funktionsstörungen der Wirbelsäule/ Bandscheibenschaden: Einzel-GdB 20

Allergien, chron. Urtikaria: Einzel-GdB 20

Chronische Sinusitis: Einzel-GdB 10

Magengeschwürsleiden: Einzel-GdB 10

Zuvor war mit Wirkung vom 28. Januar 1998 bereits ein GdB von 40 festgestellt worden. Seinerzeit waren ein degeneratives Wirbelsäulenleiden mit Nervenwurzelreizerscheinungen, ein Bandscheibenschaden, cervikale Migräne, ein Geschwürsleiden des Magens, depressive Verstimmungen, Organfunktionsstörungen und beidseitige Schwerhörigkeit festgestellt worden. Mit Bescheiden vom 30. Juni 2004 und vom 9. März 2007 war der Kläger befristet bis zum 31. Dezember 2006 und seit dem 11. Januar 2007 einem schwerbehinderten Menschen gleichgestellt worden.

Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B2. führte unter dem 25. Januar 2007 aus, der Kläger berichte über eine zunehmende Niedergeschlagenheit und Antriebslosigkeit. Er fühle sich kaum noch belastbar, sei nervös, unruhig und habe Konzentrationsstörungen. Er fühle sich zunehmend von seinen Vorgesetzten ungerecht beurteilt und gemobbt. Schon seit zwei Jahren nehme er das Medikament Insidon in mittlerer Dosierung. Er wirke im Rapport hilfesuchend, niedergeschlagen, ohne Antrieb, im Affekt labil, in der Bestimmtheit deutlich depressiv. Es handele sich um eine Erschöpfungsdepression bei anhaltender Fehlbelastung im beruflichen Umfeld. Da eine Fixierung drohe, erscheine eine Therapie dringend erforderlich.

In dem Befundbericht des Herrn K. L., Diplom-Psychologe, Facharzt für Psychiatrie, Psychologischer Psychotherapeut vom 30. Juni 2007 heißt es unter der Überschrift "Dauerdiagnosen": "Anterograde Amnesie (R41.1G), Kontaktanlässe mit Bezug auf das Berufsleben (Z56G), Anpassungsstörungen (F43.2G), Somatoforme autonome Funktionsstörung des oberen Verdauungssystems (F45.31G)". Als psychopathologischer Befund wird angegeben: "Leicht beschleunigt-agitiertes psychisches Tempo bei dysphorischer Stimmungsminderung. Dabei pessimistisch-hoffnungslose Beurteilung der eigenen Lage. Sonst keine psychischen Pathologika." In der Anamnese wird u.a. ausgeführt, der Kläger gebe an, er werde seit fünf Jahren extrem gemobbt. Seit neun Jahren verwehre man ihm einen behindertengerechten Arbeitsplatz, der ihm aufgrund seiner vier Bandscheibenvorfälle zustehe. Wenn er zur Arbeit gehe, bekomme er Händezittern und Brechreiz. Er könne sich nicht wehren. Konzentration und Motivation seien bei ihm dahin. Er sei in die Ecke gedrängt und nicht in der Lage, zum Arbeitsplatz zu gehen. Der Patient berichte weiter, Verleumdungen und Hetze auf der Arbeit würden immer schlimmer. Er stehe auf der Abschussliste; man suche nach einem Fehler bei ihm, um ihn abzuschießen. Nachts sei er schweißgebadet. Er führe einen Kampf gegen Windmühlenflügel. Die bisherige Pharmakotherapie sei von erheblichen Nebenwirkungen belastet gewesen, so dass eine andere Medikation angesetzt worden sei. Der Befundbericht schließt mit der Feststellung, sozialmedizinisch erscheine eine Rückkehr an den Arbeitsplatz gegenwärtig wenig aussichtsreich.

Unter dem 8. Oktober 2007 stellte derselbe Facharzt ein depressiv-hoffnungsloses Bild, Erschöpfung und Resignation fest. Der Kläger sei seit Anfang August wieder am Arbeitsplatz. Er berichte über einen Vernichtungsfeldzug der Vorgesetzten gegen ihn, der es ihm auf Dauer unmöglich mache, die Arbeit durchzuhalten. Er stehe unter Dauermedikation. Ärztlicherseits seien die Berichte über die Vorgänge bei dem Beklagten nicht beurteilbar. Tatsächlich stehe der Kläger unter großer Belastung und leide erheblich. Er gerate immer wieder in Zustände von ängstlicher Überforderung und Erschöpfung bei zugleich großer innerer Empörung und Aufgewühltheit.

Der praktische Arzt W. X. bescheinigte dem Kläger unter dem 3. November 2007 u.a. ein massives Erschöpfungssyndrom mit bereits erheblichen somatoformen Störungen im Rahmen einer massiven Arbeitsplatzproblematik. Der seit Mitte 1993 von ihm hausärztlich betreute Kläger sei in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder wegen massiver Probleme am Arbeitsplatz und massivem Mobbingempfinden mit offenbar bereits gerichtsbekannten Problemen im Arbeitsumfeld vorstellig geworden.

Das Verhältnis zwischen dem Kläger und dem Beklagten als Arbeitgeber ist seit Jahren belastet. So erteilte der Beklagte dem Kläger in Zusammenhang mit der Sicherheitsausstattung der Neutralisationsanlage der B1. C. unter dem 21. Februar 2005 einen Hinweis. In den Jahren 2005 bis 2007 kam es betreffend die leidensgerechte Ausstattung des Arbeitsplatzes des Klägers zu Auseinandersetzungen und Rechtsstreitigkeiten zwischen den Beteiligten.

Mit Schreiben vom 23. Mai 2008 beantragte das Dezernat 3 des Beklagten bei seinem Integrationsamt (Dezernat 7) die Zustimmung zur außerordentlichen Tatkündigung, hilfsweise zur Verdachtskündigung wegen Fehlverhaltens. Es trug vor, anonyme Hinweise auf die Nutzung von Besitz und Arbeitskräften der B1. C. durch leitende Mitarbeiter zu privaten Zwecken hätten zu Ermittlungen geführt. Am 23. April 2008 habe es eine staatsanwaltschaftliche Durchsuchung sowie Beschlagnahme von Unterlagen im S. B. - und N1. in L1. gegeben. Am 24. April 2008 habe der Redakteur I. G. im L2. T. -B3. über die Durchsuchung, über Vorwürfe des Rechtsanwalts D. T1.

- Prozessbevollmächtigter des Klägers - und des Klägers selbst berichtet. Dem Artikel zufolge habe der Kläger gesagt, in der Schreinerei seien Gartenmöbel "für den Chef" gebaut worden.

Am 6. Mai 2008 sei der Kläger im Beisein des Vertrauensmanns der Schwerbehinderten des Dezernats 9 befragt worden. Nach Aussage des Klägers sei er zufällig anwesend gewesen, als der Redakteur mit Rechtsanwalt T1. und dessen Mandanten, dem ehemaligen Mitarbeiter des Beklagten Herrn E., zusammengetroffen sei. Der Kläger habe eingeräumt, bei diesem Zusammentreffen das Thema "Gartenmöbel für den Chef" angesprochen zu haben. Damit sei der Verwaltungsleiter des S. B. - und N., Herr X1., gemeint gewesen. Der Leiter der Schreinerei, Herr W., habe ihm erzählt, vor circa drei bis vier Jahren sei zumindest eine Gartenbank aus Holz gefertigt worden. Einen geringen Betrag habe Herr X1. bezahlt. Der Kläger habe auch angegeben, keine anonymen Strafanzeigen gestellt zu haben. Bei dieser Befragung habe er außerdem geäußert, dass nach jedem Gespräch beim Landschaftsverband mehrere Personen in Autos vor seinem Haus säßen, das Gebäude beobachteten und seine Familie bedrohten. Die Bedrohung bestehe in den Worten: "Wenn Du etwas über Korruption sagst, gibt es Prügel." Der Auftrag zur Beobachtung lasse sich auf die B1. C. zurückverfolgen. Er habe schon die Polizei gerufen, die die betreffenden Personen festgenommen habe. Namen wolle er nur gegenüber der Staatsanwaltschaft nennen. Ein entsprechendes Verfahren sei in Gang gesetzt. Dies seien Methoden, die er nicht hinnehmen wolle.

Nachdem beide vom Kläger Beschuldigten die Vorwürfe bestritten hätten, habe der Kläger in einem weiteren Gespräch am 14. Mai 2008 seine eigene Aussage bekräftigt und erklärt, er selbst habe die Bank in der Schreinerei gesehen. Herr W. habe ihm gesagt, die Bank sei "für den Chef", wobei klar gewesen sei, dass damit Herr X1. gemeint gewesen sei. Er werde bei seiner Version - wenn er gefragt werde, auch in der Öffentlichkeit - bleiben.

Am 21. Mai 2008 sei der Kläger abschließend gehört worden. Dabei seien ihm auch Aussagen vorgehalten worden, die er am 4. Dezember 2006 anlässlich seiner Zeugenbefragung im Rahmen von Ermittlungen wegen Privatarbeiten im S. B. - und N1. gemacht habe. Seinerzeit habe er ausgesagt, nicht zu wissen, wem die in der Schreinerei befindlichen Gartenmöbel gehörten. Den Widerspruch zu dieser Aussage habe er nicht plausibel erklären können.

Der Beklagte sei davon überzeugt, dass die klägerische Aussage falsch sei und der Kläger sie wider besseres Wissen aufgestellt habe, zukünftig aufrecht erhalten und auch weiter in der Öffentlichkeit verbreiten werde. Er habe dieses Thema in dem Gespräch mit dem Redakteur des L2. T. -B3. bewusst angesprochen und zumindest billigend in Kauf genommen, dass diese einen Vorgesetzten betreffende Behauptung einer weiten Öffentlichkeit zuteil werde. Durch dieses Verhalten sei das Vertrauen in seine Person unwiederbringlich und restlos zerstört. Das Verhalten sei auch strafrechtlich relevant. In Bezug auf Herrn X1. dürften zumindest Beleidigungstatbestände nach §§ 185, 186 StGB verwirklicht worden sein. Der Kläger habe zudem den Ruf und das Bild des M. S. in der Öffentlichkeit schwer und nachhaltig geschädigt. Dies alles stelle eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung dar. Es sei dem Beklagten unmöglich, den Kläger weiter zu beschäftigen.

Der Dezernatspersonalrat 9 stimmte am 27. Mai 2008 der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung in Form der Tatkündigung, hilfsweise der Verdachtskündigung zu. Der Gesamtpersonalrat erteilte seine Zustimmung am 28. Mai 2008. Der Kläger gab unter dem 3. Juni 2008 an, die Kündigungsgründe entsprächen nicht der Wahrheit. Er habe immer wieder darauf hingewiesen, dass Herr W. ihm gesagt habe, er baue die Gartenmöbel/Gartenbank für Herrn X1.. Er habe keinen Grund gehabt zu glauben, dass Herr W. ihn anlüge. In dem Zeitungsartikel seien keine Namen genannt worden. Er sei seit Jahren einer starken Mobbing-Situation ausgesetzt. Dies sei über Jahre - auch ärztlich - dokumentiert worden. Er habe, wie dem Integrationsamt bekannt sei, sogar die Kosten der behindertengerechten Ausstattung seines Arbeitsplatzes einklagen müssen.

Die Gesamtschwerbehindertenvertrauensperson gab unter dem 3. Juni 2008 keine abschließende Stellungnahme ab, erklärte aber, ein Zusammenhang zur Schwerbehinderung bestehe nicht. Die Schwerbehindertenvertretung des Dezernats 9 führte unter dem 3. Juni 2008 aus, die Kündigung sei nicht gerechtfertigt. Das Verhältnis des Klägers speziell zur Verwaltungsleitung in der B1. C. sei sehr gestört. Grund hierfür seien die Vorgänge um die behindertengerechte Umgestaltung seines Arbeitsplatzes und damit im Zusammenhang stehende Mobbing-Angriffe. Der Kläger habe an dem Tag, an dem er mit der Presse gesprochen habe, gesundheitliche Probleme gehabt. Ihm sei erst hinterher klar geworden, was er damit ins Rollen gebracht habe. Der Ärger bzw. der Frust über das, was er in C. erlebt habe, habe ihn unüberlegt diese Äußerungen tätigen lassen. Wäre der Arbeitsplatz des Klägers schneller optimal eingerichtet worden und das vom Kläger behauptete Mobbing unterblieben, wäre dieser nie in die Situation gekommen, dem Redakteur gegenüber derartige Angaben zu machen.

Am 5. Juni 2008 erteilte der Beklagte, dem Kläger zugestellt am 7. Juni 2008, die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung in Form einer Tatkündigung, hilfsweise die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung in Form einer Verdachtskündigung. Er führte dabei u. a. aus, gem. § 91 Abs. 4 SGB IX solle das Integrationsamt die Zustimmung erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolge, der nicht im Zusammenhang mit der anerkannten Schwerbehinderung stehe. Aus der Sicht des Integrationsamtes sei weder ein unmittelbarer noch mittelbarer Zusammenhang mit der anerkannten Schwerbehinderung zu erkennen. Mithin sei die Zustimmung nur in atypischen Einzelfällen oder wenn der Kündigungsgrund offensichtlich keinen wichtigen Grund i. S. d. § 626 BGB darstelle, zu verweigern. Dies sei vorliegend beides nicht der Fall. Die Klärung der Frage, ob die angenommene Dienstpflichtverletzung bzw. der Verdacht ihres Vorliegens tatsächlich bestünden, sei den Arbeitsgerichten vorbehalten.

Der Beklagte kündigte unter dem 6. Juni 2008, dem Kläger am gleichen Tag zugestellt, außerordentlich fristlos. Hierbei führte er aus, unter Berücksichtigung aller Aussagen stehe zu seiner Überzeugung fest, dass der Kläger wider besseres Wissen die unwahre Behauptung aufgestellt habe, Herr W. habe für Herrn X1. zumindest eine Gartenbank in der Schreinerei des S. B. - und N1. gebaut. Es stehe für den Beklagten ebenfalls fest, dass der Kläger das Thema "Gartenmöbel" im Rahmen des Gesprächs mit dem Redakteur des T. -B3. bewusst angesprochen und zumindest billigend in Kauf genommen habe, dass diese Behauptung in der Presse einer weiten Öffentlichkeit zugänglich werde. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger seine Behauptung zukünftig aufrechterhalten und ggfs. auch weiterhin in der Öffentlichkeit verbreiten werde. Durch das Verhalten sei das Vertrauen in seine Person unwiederbringlich und restlos zerstört. Das Verhalten stelle unabhängig von der strafrechtlichen Bewertung eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung dar. Sollte die Tatkündigung nicht durchgreifen, bestünden jedenfalls dringende Verdachtsgründe für eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung.

Der Kläger erhob am 9. Juni 2008 Widerspruch gegen die Zustimmungsentscheidung. Zur Begründung führte er aus, der Beklagte könne nicht die Zustimmung zu einer eigenen Kündigung erteilen. Der Zweck staatlicher Kontrolle werde vereitelt, wenn sich der Kontrollierende selbst kontrolliere. Auch sei die Frist des § 91 Abs. 2 SGB IX nicht gewahrt. Zudem habe der Beklagte nicht die erforderlichen Ermittlungen angestellt. Mit Herrn L3. gebe es einen weiteren Zeugen, der bestätigen könne, dass die Mitarbeiter der Schreinerei angegeben hätten, die Möbel seien für den Chef. Weiterhin bestehe ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen seiner Behinderung und der Kündigung. Er sei dem Beklagten zu teuer geworden. Schließlich liege kein wichtiger Grund für die Kündigung vor. In dem besagten Artikel sei er mit der Aussage zitiert, dass in der Schreinerei Gartenmöbel für den Chef gebaut worden sein sollen. Dort stehe nicht, wer mit "Chef" gemeint sei und erst recht tauche der Name des Herrn X. nicht auf. Selbst eine wahrheitswidrige Behauptung wäre kein wichtiger Grund für eine Kündigung. Der einzelne Satz trete gegenüber den sonstigen Angaben in dem Artikel völlig in den Hintergrund. Der Beklagte habe gegenüber dem Redakteur selbst durch einen Pressesprecher erklärt, dass geringfügige Dienstvergehen festgestellt und drei Ermahnungen ausgesprochen worden seien.

Mit Bescheid vom 1. September 2008 wies der Widerspruchsausschuss bei dem Integrationsamt aufgrund der Sitzung vom 30. Juli 2008 den klägerischen Widerspruch zurück. Er wiederholte und vertiefte die bisherige Begründung. Darüber hinaus führte er aus, dass der Landschaftsverband einmal als Rechtsträger des Integrationsamtes und einmal als Arbeitgeber beteiligt sei. Jedenfalls die Zusammensetzung des Widerspruchsausschusses stelle sicher, dass es keine Interessenkollision geben könne. Die Mitglieder unterlägen keinen Weisungen und seien insbesondere der sie entsendenden Stelle keine Rechenschaft schuldig.

Mit Schreiben vom 15. Dezember 2008 beantragte das Dezernat 3 des Beklagten bei dem Integrationsamt die Zustimmung zum Nachschieben von Gründen zu der bereits ausgesprochenen Kündigung vom 6. Juni 2008. Hilfsweise beantragte es die Zustimmung zu einer weiteren außerordentlichen Kündigung aus den nachzuschiebenden Gründen. Das Dezernat 3 trug vor, aufgrund von zwei sprachvergleichenden Gutachten durch die Sachverständigen X2. und D1. sei man zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger die anonymen Anzeigen gegen Mitarbeiter der Beklagten (u. a. wegen Untreue und Unterschlagung) erstattet habe. Die insoweit erteilte Zustimmung des Integrationsamts vom 29. Dezember 2008 zu einer hilfsweisen Verdachtskündigung in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. Januar 2010 ist Gegenstand des Berufungsverfahrens 12 A 1633/10.

Die Staatsanwaltschaft L1. stellte das Ermittlungsverfahren gegen Herrn X1. -kamp nach § 170 Abs. 2 StPO ein. Anhaltspunkte für eine Untreue der Beschuldigten hätten sich nicht ergeben. Soweit einzelne arbeitsrechtliche Verstöße festgestellt worden seien, seien diese intern mit Ermahnungen oder Hinweisschreiben geahndet worden.

Am 1. Oktober 2008 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben. Zu ihrer Begründung hat der Kläger seine bisherigen Ausführungen wiederholt und vertieft. Er hat insbesondere vorgetragen, der Widerspruchsausschuss sei nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt bzw. nicht zuständig gewesen. Über den Widerspruch habe die 1. Kammer des Widerspruchsausschusses - zuständig für die Privatwirtschaft -, nicht die für den öffentlichen Dienst zuständige Kammer des Widerspruchsausschusses entschieden. Auch darüber hinaus gebe es Unklarheiten im Zusammenhang mit der Entscheidung des Widerspruchsausschusses. Insgesamt versuche der Beklagte, ihn mit allen Mitteln loszuwerden.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid des Integrationsamtes des Beklagten vom 5. Juni 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Widerspruchsausschusses beim Integrationsamt vom 1. September 2008 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat ausgeführt, ein Kausalzusammenhang zwischen Kündigungsgrund und anerkannten Behinderungen bestehe nicht. Die Handlung des Klägers, einem Journalisten der örtlichen Tagespresse vertrauliche Informationen zu einem leitenden Mitarbeiter des Arbeitgebers zu geben, resultiere nicht zwangsläufig aus den im Anerkennungsbescheid des Versorgungsamtes genannten Behinderungen (seelisches Leiden). Ein unmittelbarer oder auch nur mittelbarer Zusammenhang sei nicht gegeben. Um welches seelische Leiden des Klägers es sich genau handele, sei dem Bescheid des Versorgungsamtes nicht zu entnehmen. Aus dem Begriff heraus sei auch nicht eindeutig zu klären, was darunter zu verstehen sei. In der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) und deren Anlage werde der Begriff nicht verwendet. Es stehe aber fest, dass das "seelische Leiden" nicht mit einer psychischen Behinderung gleichgesetzt werden könne, da unter Nr. 3 der Anlage zu § 2 VersMedV nicht auf diesen Begriff Bezug genommen werde. Ein atypischer Fall, der den Kläger in einer die Schutzzwecke des Schwerbehindertenrechts berührenden Weise besonders hart treffe, liege nicht vor. Insbesondere sei er, der Beklagte, nicht intensiv und beständig bestrebt gewesen, das Arbeitsverhältnis zu beenden. Eine unzulässige Interessenkollision zwischen seiner Stellung als Arbeitgeber und als Integrationsamt bestehe nicht. Hinsichtlich der Entscheidung des Widerspruchsausschusses sei anzumerken, dass dieser aus drei Kammern bestehe: zwei für Fälle aus der Privatwirtschaft und eine für Fälle aus dem Bereich des öffentlichen Dienstes. Diese grundsätzliche Unterteilung folge aus § 119 Abs. 4 SGB IX. Nur für die Behandlung von Kündigungsangelegenheiten schwerbehinderter Menschen einer Dienststelle oder eines Betrieb, der zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung gehöre, ändere sich die Zusammensetzung zwingend. In den anderen, den öffentlichen Dienst betreffenden Fällen gelte dies nicht. Der Beklagte hat ein Protokoll des Widerspruchsausschusses - 1. Kammer - vorgelegt.

Das Verwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Gutachtens des Sachverständigen K. L., der den Kläger bereits zuvor als Patient behandelt hatte. Der Sachverständige hat unter dem 27. Februar 2010 zusammenfassend ausgeführt, die im Bescheid des Versorgungsamtes vom 24. Januar 2008 festgestellte Behinderung basiere u.a. auf einem nicht näher ausgeführten seelischen Leiden mit einem isolierten GdB von 50. Auf der Grundlage der Erlebnisschilderungen des Klägers ergebe sich im Behandlungsverlauf die eindeutige Diagnose einer wahnhaften Störung (ICD 10 F22.0). Nebendiagnosen seien eine Depression (F32.3G), eine Schlafstörung (F51.0G) sowie psychosomatische Beschwerden des Verdauungssystems (F45.31G). Die wahnhafte Störung sei das "seelische Leiden" des Klägers. Sie gehe einher mit den genannten Nebendiagnosen, die schon in der Vergangenheit diagnostiziert worden seien und die zu einer anerkannten Behinderung geführt hätten. Erst während dieser Behandlung sei die wahnhafte Störung explizit diagnostiziert worden. Sie habe mit ihren Auswirkungen aber auch in den zurückliegenden Jahren schon vorgelegen und somit die Behinderung begründet. Das Verhalten, das zu der außerordentlichen Kündigung geführt habe, stehe im unmittelbaren Zusammenhang mit der vorgenannten psychischen Erkrankung.

Nach der Vorlage des Gutachtens des Sachverständigen hat der Beklagte erklärt, aufgrund der Diagnose und der Einzelheiten des Krankheitsbildes sei es ausgeschlossen, dass der Kläger jemals wieder in der Lage sein werde, einer Beschäftigung bei dem Beklagten nachzugehen. Ein großer Teil der Ängste des Klägers beziehe sich auf seinen Arbeitgeber. Vor diesem Hintergrund liege eine Ermessensreduzierung auf Null vor, so dass unabhängig von der Frage eines Zusammenhangs zwischen dem Kündigungsgrund und der anerkannten Schwerbehinderung die Entscheidung im Ergebnis rechtmäßig sei.

Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 24. Juni 2010 der Klage stattgegeben und den Bescheid des Integrationsamtes des Beklagten vom 5. Juni 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. September 2008 aufgehoben. Ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung sei bei Anwendung des § 91 Abs. 4 SGB IX anzunehmen, wenn die Behinderung bei dem den Kündigungsgrund bildenden Verhalten des schwerbehinderten Menschen eine wesentliche Rolle gespielt habe, das Verhalten sich bei natürlicher Betrachtung zwanglos aus der Behinderung ergebe und nicht nur ein entfernter Zusammenhang bestehe. Das Verhalten müsse also gerade auf die behinderungsbedingte, mangelhafte Verhaltenssteuerung zurückzuführen sein. Vorliegend ergebe sich dieser Zusammenhang zwischen dem der Schwerbehinderung zugrunde liegenden "seelischen Leiden" aus der Äußerung des Vertrauensmannes der Schwerbehinderten im Dezernat 9, Herr L3., den Angaben des Klägers in seinen Anhörungen sowie aus den ärztlichen Berichten. Nach dem eingeholten Gutachten stehe fest, dass die Handlungen des Klägers auf der Erkrankung beruhten. In der Folge habe der Beklagte sein ihm eröffnetes Ermessen nicht ausgeübt und sei im Übrigen auch von unzutreffenden maßgeblichen Umständen ausgegangen. Schließlich liege einer Ermessensreduktion auf Null zugunsten des Beklagten nicht vor. Angesichts der Zahl der bei dem Beklagten vorhandenen Arbeitsplätze könne nicht davon ausgegangen werden, dass für den Kläger kein anderer Arbeitsplatz gefunden werden könne. Im Übrigen sei die verhaltensbedingte Kündigung auch offensichtlich rechtsunwirksam. Wie aus dem eingeholten Gutachten zu entnehmen sei, sei der Kläger von seinen Angaben gegenüber dem Journalisten überzeugt gewesen. Seine Behinderung verhindere eine sein Verhalten ändernde Steuerung. Insofern seien die vorgeworfenen Verstöße eindeutig nicht vorsätzlich oder fahrlässig erfolgt.

Zur Begründung der zugelassenen Berufung trägt der Beklagte vor, bei der Frage nach dem Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung im Rahmen des § 91 Abs. 4 SGB IX komme es ausschließlich auf die im Versorgungsbescheid festgestellten Behinderungen an. Tatsächlich vorhandene, aber dort nicht berücksichtigte Behinderungen dürften keine Berücksichtigung finden. Anderenfalls verlöre das Feststellungsverfahren seinen primären Sinn. Auch stehe es im Belieben des jeweiligen Antragstellers, bestimmte Behinderungen von der behördlichen Feststellung auszunehmen. Die in dem Bescheid aus dem Jahr 2008 aufgeführte Behinderung "seelisches Leiden" sei erstmals zu diesem Zeitpunkt festgestellt worden. Eine langjährige psychische Störung läge bei dem Kläger nicht vor. Allenfalls sei bereits vorher eine Depression festgestellt worden. Der Zusammenhang des klägerischen Handelns mit einer psychischen Erkrankung folge ausschließlich und erstmals aus dem im Verfahren eingeholten Gutachten. Die nunmehr benannte wahnhafte Störung sei vorher nicht festgestellt worden. Woher der Gutachter die Vermutung nehme, die psychische Störung müsse schon in der Vergangenheit vorgelegen haben, erschlie-ße sich nicht. Das Gutachten habe im relevanten Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung noch nicht vorgelegen, so dass die hierin enthaltenen Diagnosen nicht zu berücksichtigen seien. Weiterhin sei das in dem Versorgungsamtsbescheid erwähnte seelische Leid keine Behinderung. Was als Behinderung anzuerkennen sei, sei nach der Anlage zu § 2 VersMedV zu bestimmen. Seelisches Leid sei keiner der dort genannten medizinischen Befunde. Vor diesem Hintergrund habe auch keine Verpflichtung zu einer weitergehenden Amtsermittlung durch den Beklagten bestanden. Schließlich sei die von dem Beklagten ausgesprochene Kündigung auch nicht offensichtlich unwirksam.

Der Beklagte beantragt - sinngemäß -,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung. Ein fehlender Zusammenhang zwischen der Schwerbehinderung und dem Kündigungsgrund sei nicht festzustellen. Vielmehr bestehe, wie schon von dem Verwaltungsgericht angenommen, ein positiv festgestellter Zusammenhang zwischen Schwerbehinderung und Kündigungsgrund. Die Feststellung der Behinderung "seelisches Leid" sei dem Integrationsamt im Zeitpunkt seiner Entscheidung bekannt gewesen, weshalb es jedenfalls hinreichenden Anlass zu eigenen Ermittlungen gegeben habe. Somit habe der Beklagte sein Ermessen ausüben müssen. Jenseits dessen bestehe bei dem Beklagten aufgrund seiner Doppelfunktion als Integrationsamt und Arbeitgeber eine Interessenkollision, die diesen nicht unvoreingenommen entscheiden lasse. Dies stelle einen atypischen Fall dar, der selbst bei fehlendem Zusammenhang das Ermessen eröffne. Vorliegend habe sogar eine Ermessensreduktion auf Null vorgelegen. Dass arbeitsrechtliche Verfehlungen in der B1. C. vorgekommen seien, bestreitet der Beklagte nicht. Insofern könnten dahingehende Behauptungen nicht zu einer Kündigung führen, zumal die aufgezählten Verfehlungen nur mit Hinweisen oder Ermahnungen geahndet worden seien. Die Kündigung sei auch offensichtlich rechtsunwirksam, da eine solche nur bei schuldhaften und vorwerfbarem Verhalten zulässig sei. Im Übrigen sei auch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Bedeutung der Meinungsfreiheit in diesem Zusammenhang zu beachten. Schließlich habe auch der unzuständige Widerspruchsausschuss entschieden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der Gerichtsakte im Verfahren 12 A 1633/10 und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten im vorliegenden und im Verfahren 12 A 1633/10 Bezug genommen.

Rechtsweg:

VG Köln Urteil vom 24.06.2010 - 26 K 6433/08

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Entscheidungsgründe:

Über die Berufung des Beklagten kann gem. § 130a VwGO durch Beschluss entschieden werden, weil der Senat die Berufung einstimmig für begründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich erachtet (§ 130a Satz 1 VwGO). Die Beteiligten sind hierzu nach § 130a Satz 2 VwGO i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 VwGO mit gerichtlicher Verfügung vom 28. November 2012 angehört worden.

Die Berufung des Beklagten ist begründet. Der Bescheid des Integrationsamtes bei dem Beklagten vom 5. Juni 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Widerspruchsausschusses des Integrationsamtes bei dem Beklagten vom 1. September 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Rechtsgrundlage für die erteilte Zustimmung ist § 85 SGB IX i.V.m. § 91 SGB IX.

Der Kläger kann die Aufhebung weder des angefochtenen Bescheides noch isoliert des Widerspruchsbescheides allein deshalb verlangen, weil wie er meint der Widerspruchsausschuss bei dem Integrationsamt fehlerhaft besetzt war. Die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der wie hier nicht nichtig ist, kann nämlich (auch im gerichtlichen Verfahren) nach § 42 Satz 1 SGB X unter anderem nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustand gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die gesetzeskonforme Besetzung des Widerspruchsausschusses nach § 119 SGB IX stellt eine solche verfahrensrechtliche Voraussetzung für die formelle Rechtmäßigkeit der Widerspruchsentscheidung dar. Es kommt dem Gesetzgeber in § 119 Abs. 4 SGB IX nämlich erkennbar darauf an, im Fall von Schwerbehinderten, die bei einer Dienststelle i.S.d. § 87 Abs. 1 Satz 2 SGB IX beschäftigt sind, bei der Widerspruchsentscheidung den besonderen Sachverstand der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu nutzen.

Vgl. Kuhlmann, in: Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, Stand März 2012, § 119 Rn 12 ff.

Zuständig für die Entscheidung ist dabei gemäß § 118 Abs. 1 Satz 1 SGB IX allein der Widerspruchsausschuss als solcher. Dass bei dem Integrationsamt des Beklagten mehrere Kammern zur Differenzierung der Besetzung gemäß § 119 Abs. 4 SGB IX geschaffen worden sind, ändert an dieser gesetzlichen Zuständigkeit des Widerspruchsausschusses als solchem nichts.

Es ist auch offensichtlich, dass die - unterstellte - Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 119 Abs. 4 SGB IX die Entscheidung in der Sache nicht beeinträchtigt hat. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn in der Sache eine andere als die getroffene Entscheidung rechtlich nicht zulässig gewesen wäre (sogenannte "rechtliche Alternativlosigkeit"), also wenn aus rechtlichen Gründen die Entscheidung auch unter Berücksichtigung des Verfahrensfehlers und des Zwecks der verletzten Vorschrift jedenfalls im Ergebnis nicht anders ausfallen durfte.

Vgl. Marschner, in: Pickel/Marschner, SGB X, Stand: Oktober 2012, § 42 Rn 20; vgl. zu § 46 VwVfG auch: BVerwG, Urteil vom 22. Februar 1985 - 8 C 25/84 -, BVerwGE 71, 63, juris; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Auflage 2010, § 46 Rn 25a; vgl. im Übrigen zur fehlenden Auswirkung formeller Fehler im Widerspruchsverfahren: BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 1999 - 8 B 266/98 -, NVwZ 1999, 641; OVG NRW, Urteil vom 17. Juli 2003 - 12 A 5381/00 -, OVGE 49, 179, jeweils juris.

Auch bei einer anderen Besetzung des Widerspruchsausschusses nach § 119 Abs. 4 SGB IX hätte eine andere Entscheidung in der Sache nicht getroffen werden können. Wie sich aus dem Folgenden ergibt, handelte es sich bei der Erteilung der Zustimmung um eine gebundene, also vollständig determinierte Entscheidung.

Der Beklagte hat die Zustimmung zu der außerordentlichen Kündigung des Klägers vom 6. Juni 2008 zu Recht ohne Ausübung von Ermessen erteilt, weil die Kündigung vom 8. Juni 2008 nicht im Zusammenhang mit der zu berücksichtigenden Behinderung des Klägers steht. Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Bei der Erteilung der Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung nach §§ 85, 91 Abs. 1 SGB IX bedarf es dabei grundsätzlich der Ausübung des Ermessens durch das Integrationsamt und den Widerspruchsausschuss. Erfolgt die außerordentliche Kündigung gemäß § 91 Abs. 1, 4 SGB IX aus einem Grund, der nicht mit der Behinderung in Zusammenhang steht, so soll die Zustimmung erteilt werden. In diesem Fall bedarf es einer Ausübung von Ermessen nur in atypischen Fällen. Liegt ein solcher Fall nicht vor, ist die Verwaltung gebunden und muss die Zustimmung erteilen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -, BVerwGE 90, 275 ff., und Beschluss vom 18. September 1996 - 5 B 109.96 -, Buchholz 436.61 § 21 SchwbG Nr. 8, jeweils zu der wortgleichen Vorgängerregelung des § 21 Abs. 4 SchwbG; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, m.w.N., jeweils juris.

Im vorliegenden Fall steht die verfahrensgegenständliche Kündigung vom 6. Juni 2008 nicht im Zusammenhang mit der zu berücksichtigenden Behinderung des Klägers.

Die Entscheidung, ob der Kündigungsgrund im Zusammenhang mit der Behinderung steht, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des erkennenden Senats auf der Grundlage des vom Arbeitgeber angegebenen, nur im arbeitsgerichtlichen Verfahren zu überprüfenden Kündigungsgrundes zu treffen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -, a.a.O., und Beschluss vom 18. September 1996 - 5 B 109.96 -, a.a.O.; Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 16/11 -; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, m.w.N., jeweils juris.

Zwar genügt für die Eröffnung des Ermessens bereits ein möglicher Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund, da bei einem "non liquet" die Entscheidung zu Lasten des Arbeitgebers ausfällt, der insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, juris; Kuhlmann, in: Ernst/Adlhoch/Seel, SGB IX, Stand: März 2012, § 91 Rn 45; Neumann, in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen, SGB IX, 10. Auflage 2003, § 91 Rn 25; a.A. wohl Kreitner, in: jurisPK-SGB IX, 1. Aufl. 2010, § 91 Rn 28 mit Aktualisierung 28.5 vom 14. November 2012.

Auch genügt ein mittelbarer Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2000 - 22 A 3145/98 -, NWVBl. 2000, 390, und Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -; OVG Nds., Urteil vom 9. März 1994 - 4 L 3927/92 -, jeweils juris;

Düwell, in: LPK-SGB IX, 1. Aufl. 2002, § 91 Rn 18.

Für einen Zusammenhang zwischen der Behinderung und dem Kündigungsgrund i.S.d. § 91 Abs. 4 SGB IX reicht jedoch nicht jedweder Einfluss der Behinderung auf das Verhalten des Behinderten. Ein Zusammenhang im Sinne einer "conditio sine- qua non" allein ist nicht ausreichend.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -; OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Juni 2006- 12 A 1880/06 -, und vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, jeweils juris.

Der erforderliche Zusammenhang ist vielmehr erst dann gegeben, wenn das der Kündigung zugrunde liegende Verhalten des schwerbehinderten Arbeitnehmers nachvollziehbar gerade auf Defizite bei Einsichtsfähigkeit oder der Verhaltenssteuerung zurückzuführen ist, die in der Behinderung selbst begründet sind, ohne dass für die Herleitung etwa auf Mutmaßungen zurückgegriffen werden muss. Das Verhalten des Schwerbehinderten muss sich dafür zumindest zwanglos aus der Behinderung ergeben und der Zusammenhang darf nicht nur ein entfernter sein.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -, juris; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, m.w.N., jeweils juris.

Maßgeblich für einen möglichen Zusammenhang zwischen der Behinderung und dem Kündigungsgrund i.S.d. § 91 Abs. 4 SGB IX sind hierbei nur die im Verfahren nach § 69 SGB IX nachgewiesenen und damit der getroffenen Feststellung des GdB bzw. der Behinderung im Bescheid der Versorgungsverwaltung zugrundeliegenden Funktionsstörungen. Dem gleichzustellen sind desweiteren solche Behinderungen, die trotz Antragstellung durch den Betroffenen ohne dessen Vertretenmüssen noch nicht festgestellt worden sind. Schließlich bedarf es eines Nachweises der Behinderung anhand der behördlichen Feststellung dann nicht, wenn sich diese aufdrängt und somit ein gesondertes Feststellungsverfahren gleichsam als Förmelei anzusehen wäre.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, jeweils juris.

Zwar beginnt der Status als schwerbehinderter Mensch grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Nach § 2 Abs. 2 SGB IX ist ein Mensch schwerbehindert, wenn bei ihm ein Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. vorliegt und er im Übrigen seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz i.S.d. § 73 SGB IX rechtmäßig in der Bundesrepublik hat. Für die Schwerbehinderteneigenschaft als solche bedarf es dabei keiner behördlichen Anerkennung.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. September 1981 - 2 C 4.79 -, vom 11. Juli 1985 - 7 C 44.83 -, BVerwGE 72, 8, und vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -; BAG, Urteil vom 25. Mai 1972 - 2 AZR 302/71 -, BAGE 24, 264; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, jeweils juris.

Zum Nachweis dieser Eigenschaft ist jedoch eine behördliche Feststellung erforderlich. Diese ist von der Voraussetzung einer Antragstellung durch den Schwerbehinderten selbst abhängig. Insofern gibt der Schwerbehinderte nämlich zu erkennen, dass er sich auf die gesetzlichen Schutzrechte berufen will. Ein Aufdrängen dieser Schutzrechte soll gerade unterbleiben.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. September 1981 - 2 C 4.79 -, vom 11. Juli 1985 - 7 C 44.83 -, a.a.O., vom 15. Dezember 1988 - 5 C 67.85 -, BVerwGE 81, 84, und vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -; BSG, Urteile vom 6. Dezember 1989 - 9 RVs 4/89 - BSGE 66, 120, und vom 7. April 2011 - B 9 SB 3/10 R -, BR 2011, 182, jeweils juris.

Mit dieser Feststellung der Schwerbehinderung trifft die Versorgungsverwaltung eine Statusentscheidung, an die andere Behörden bei der Prüfung inhaltsgleicher Tatbestandvoraussetzungen für die Gewährung von Vergünstigungen und Nachteilsausgleichen gebunden sind.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -, juris, m.w.N.; Goebel, in: jurisPK-SGB IX, 1. Auflage 2010, § 69 Rn 18; Schlembach in: Ernst/Adlhoch/Seel, Stand März 2013, SGB IX, § 69 Rn 3.

Diese Bindungswirkung der Feststellungen gilt auch zulasten des Schwerbehinderten.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Juli 1985 - 7 C 44.83 -, a.a.O.; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011- 12 A 705/10 -, jeweils juris.

Obwohl die Funktionsstörungen und die ihnen zugrundeliegenden Diagnosen nicht Teil des Verfügungssatzes des Bescheides der Versorgungsverwaltung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind, der nur eine unbenannte Behinderung und den GdB feststellt, ist ihre Aufnahme in den Bescheid notwendig. Zum einen dienen die Funktionsstörungen der Begründung der unbenannten Behinderung, zum anderen beziehen diese die getroffene Feststellung erst auf einen konkreten Lebenssachverhalt.

Vgl. BSG, Urteile vom 28. April 1999 - B 9 SB 5/98 R -, vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R -, und vom 6. Dezember 1989 - 9 RVs 3/89 -; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, jeweils juris.

So kann auch die Frage, ob zwischen der Behinderung und der außerordentlichen Kündigung ein Zusammenhang i.S.d. § 91 Abs. 4 SGB IX besteht, nicht aus dem Abgleich von Kündigungsgrund und statusfeststellendem Verwaltungsakt beantwortet werden. Insoweit wäre die bloße Feststellung über das Vorhandensein einer unbenannten Behinderung unergiebig. Abzustellen ist vielmehr auf die im Bescheid konkret benannten Funktionsstörungen. Hierfür sprechen sowohl eine systematische als auch eine historische Auslegung.

Nicht jede Erkrankung führt zu einer Funktionsbeeinträchtigung und nicht jede Funktionsbeeinträchtigung zu einer wesentlichen Teilhabebeeinträchtigung, um die es bei einer Schwerbehinderung geht, vgl. § 2 SGB IX. Besonders anschaulich wird dies im Wortlaut des § 19 Abs. 3 Satz 2 des Schwerbeschädigtengesetzes in der Fassung vom 14. August 1961 der Vor-Vorgängernorm des § 91 Abs. 4 SGB IX, nach dem es darum geht, ob der "Kündigungsgrund im Zusammenhang mit der gesundheitlichen Schädigung steht, wegen der der Schutz dieses Gesetzes gewährt wird".

So ist das Verfahren zur Beurteilung, ob und in welchem Umfang eine Teilhabebeeinträchtigung und damit eine Behinderung vorliegt, nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gerade der Versorgungsverwaltung übertragen. Wenn der bereits von der Versorgungsverwaltung umfassend geprüfte medizinische Lebenssachverhalt gänzlich neu vom Integrationsamt zu prüfen wäre, würde die Konzentration des Feststellungsverfahren nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX ausgehöhlt, die der Gesetzgeber vor allem auch im Interesse der Schwerbehinderten bereits hinsichtlich dessen Vorgängervorschrift mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts vom 24. April 1974 (BGBl. I S. 981) und sodann mit dem Achten Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Achtes Anpassungsgesetz-KOV - 8. AnpG-KOV) vom 14. Juni 1976 (BGBl. I S. 1481) erstrebte. Mit diesen Gesetzen sollte die alleinige Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung zur Feststellung von Behinderungen, des Grades der auf ihnen beruhenden MdE (heute: GdB) und der weiteren gesundheitlichen Merkmale begründet und damit eine Vereinfachung und Vereinheitlichung des Verfahrens und die Übersichtlichkeit der Vergünstigungsnachweise erreicht werden.

Vgl. BT-Drs. 7/1515, Seite 16, Zu Nummer 42a, und 7/4960, Seite 6, Zu Nummer 1 (§ 3) Buchstabe b; BVerwG, Urteile vom 11. Juli 1985 - 7 C 44.83 -, DVBl. 1985, 1317, und vom 12. Juli 2012 - 5 C16/11 -; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011- 12 A 705/10 -, jeweils juris.

Für eine Beschränkung auf die von der Versorgungsverwaltung bewertete Gesundheitssituation als Ausgangspunkt der Kausalitätsprüfung des Integrationsamtes spricht auch, dass es dem Betroffenen freisteht, seinen Antrag an die Versorgungsverwaltung bezüglich der zu prüfenden Funktionsbeeinträchtigungen zu beschränken und sich insoweit nur teilweise unter das Schutzregime des SGB IX zu begeben.

Vgl. BSG, Urteil vom 26. Februar 1986 - 9a RVs 4/83 -, BSGE 60, 11; OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, m.w.N., jeweils juris; Goebel, in: jurisPK-SGB IX, 1. Aufl. 2010, § 69 Rn 10.

Dafür, an die bereits erfolgte Bewertung der Gesundheitssituation durch die Versorgungsverwaltung anzuknüpfen, spricht weiter, dass das Integrationsamt im Zustimmungsverfahren bei außerordentlicher Kündigung nach § 91 Abs. 3 Satz 1 SGB IX nur zwei Wochen ab Antragseingang Zeit hat, um sowohl den Zusammenhang zu prüfen als auch ggf. noch sein Ermessen auszuüben. Entscheidet es innerhalb dieser Frist nicht, greift die Zustimmungsfiktion des § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX, was dem Schwerbehinderten zum Nachteil gereichen würde. Dass es vor diesem Hintergrund zu Lasten des Arbeitgebers gehen sollte, wenn unklar ist, ob zu der festgestellten Behinderung weitere Funktionsbeeinträchtigungen hinzugekommen sind und diese Einfluss auf die Teilhabebeeinträchtigung haben, obwohl insofern dem Schwerbehinderten und nicht dem Arbeitgeber - die Möglichkeit eröffnet ist, den von ihm veranlassten Feststellungsbescheid nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX überprüfen zu lassen, soweit er meint, es hätten sich wesentliche Änderungen ergeben (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X), ist nicht ersichtlich.

OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, juris; vgl. desweiteren BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -, juris.

Diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck des § 91 Abs. 4 SGB IX und der Zielrichtung des Sonderkündigungsschutzes. Die in § 91 Abs. 4 SGB IX getroffene Regelung, dass die Zustimmung im Fall von Gründen, die nicht im Zusammenhang mit der Behinderung stehen, erteilt werden soll, ist Ausdruck der allgemeinen Schutzrichtung des Sonderkündigungsschutzes. Diese zielt nicht darauf, den schwerbehinderten Menschen gegenüber nichtbehinderten Menschen besserzustellen, sondern bezweckt allein, diesen vor spezifisch behinderungsbedingten Gefahren zu bewahren und sicherzustellen, dass er gegenüber gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen gerät.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1968 - 5 C 33.66 -, BVerwGE 29, 140; Urteil vom 12. Juli 2012- 5 C 16/11 -, m.w.N., jeweils juris.

Auf dieser Grundlage ist kein Zusammenhang zwischen dem angegebenen Kündigungsgrund und den zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers gegeben. Zu der Frage, welche Ursache die dem Kläger in der Kündigung zu Last gelegten Verhaltensweisen hatten, hat der Gutachter auf Seite 5 des vom Verwaltungsgericht eingeholten psychiatrischen Gutachtens vom 27. Februar 2010 folgendes ausgeführt:

"Auf der Grundlage der zum besseren Verständnis oben auszugsweise ausführlich wiedergegebenen symptomatischen Erlebnisschilderungen des Pat. Herrn F1. ergibt sich hier im Behandlungsverlauf eindeutig die Diagnose:

Wahnhafte Störung (ICD 10 F.22.0).

Es handelt sich um eine relativ seltene Krankheit, charakterisiert durch systematisierte Wahnvorstellungen, von denen am bekanntesten und häufigsten der Verfolgungs- oder Beziehungswahn ist. Es besteht in der Regel keine Einsicht in die Natur der Krankheit und die Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, ergibt sich zumeist allenfalls aus den Folgeerscheinungen wie Schlafstörungen, Unruhe, Angst und den möglichen sozialen Komplikationen."

Auf Seite 6 des Gutachtens führt der Gutachter weiter aus:

"Die Diagnose wurde - soweit bekannt - erstmals bei Herrn F1. während der hiesigen Behandlung gestellt. Sie wurde auch nicht intensiv mit dem Erkrankten erörtert, da dies keinen therapeutischen Sinn macht und die ansonsten möglicherweise durchaus gute therapeutische Beziehung eher belastet und bedroht (vgl. Marneros, a.a.O., S. 527). Dass Vorbehandler und Begutachter die Diagnose nicht explizit gestellt haben, hat hierüber hinausgehend vermutlich den Grund, dass die Offenbarung der angstbesetzten wahnhaften Gedanken eine Vertrauensbeziehung voraussetzt, die nicht bei jeder Begutachtung vorgelegen haben mag. Primär beklagt der Erkrankte Herr F1. bei Arztbesuchen ja seine Stimmungstiefs, die Schlafstörung, die körperliche Erschöpfung und vor allem die körperlichen Schmerzen. Hilfe in der Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber erwartet er aus seiner Sicht ja eher vom Rechtssystem, als vom medizinischen Hilfssystem.

Als Nebendiagnosen sind noch festzuhalten die Depression (F32.3G), die Schlafstörung (F51.0G) sowie die psychosomatischen Beschwerden des Verdauungssystems (F45.31G)."

Unter Nr. 4 "Gutachterliche Bewertung der Untersuchungsergebnisse" führt der Gutachter auf Seite 7 des Gutachtens u.a. aus:

"6. Dies ist das "seelische Leiden" des Herrn F1., es geht mit Depression, Schlafstörungen und anderen psychischen Symptomen einher, welche in der Vergangenheit auch bereits diagnostiziert und behandelt wurden und zu einer anerkannten Behinderung geführt haben. Erst während der hiesigen Behandlung wurde die wahnhafte Störung explizit diagnostiziert, sie und ihre Auswirkungen müssen aber auch in den zurückliegenden Jahren schon vorgelegen haben und somit die Behinderung begründet haben."

Unter Nr. 5 "Beantwortung der Fragestellung" kommt der Gutachter zu folgendem Ergebnis:

"Im Bescheid des Versorgungsamtes vom 24. Januar 2008 basiert die festgestellte Behinderung u.a. auf einem nicht näher ausgeführten seelischen Leiden mit einer Einzel-GdB von 50 %. Wie dargestellt, liegt aus dem Gebiet der psychiatrischen Erkrankungen eine wahnhafte Störung vor (ICD 10 F.22.0), die neben dem angstbesetzten und logisch ausgeformten Wahnthema einhergehen kann mit Depression, Schlafstörung, Getriebenheit, vielfältigen psychosomatischen Leiden und anderen Symptomen. Das Verhalten, das zur außerordentlichen Kündigung führte, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser psychischen Erkrankung. Sie nimmt maßgeblichen Einfluss auf die Wahrnehmungen, vor allem auf die Bewertungen und auch auf alle Planungen und sie beeinflusst die Emotionen und damit die steuernden Instanzen ganz entscheidend."

Diesen Ausführungen ist hinreichend eindeutig zu entnehmen, dass die Verhaltenssteuerung des Klägers maßgebend durch die "wahnhafte Störung" geprägt wird, und dass diese "wahnhafte Störung" erstmals in der Untersuchung durch den Gutachter diagnostiziert worden ist. Damit kann sie seinerzeit nicht Gegenstand des in dem Bescheid des Landrates des S2.-F. -Kreises vom 24. Januar 2008 berücksichtigten "seelischen Leidens" gewesen sein. Gleiches gilt für die in dem Gutachten aufgeführten Nebendiagnosen Depression (F32.3G), die Schlafstörung (F51.0G) sowie die psychosomatischen Beschwerden des Verdauungssystems (F45.31G), die ausweislich des Gutachtens - und auch im Übrigen - keine unmittelbare Beziehung zu dem relevanten Verhalten aufweisen.

Dass die "wahnhafte Störung" auch zu dem relevanten Zeitpunkt faktisch schon vorgelegen haben kann, ändert insoweit an der fehlenden Feststellung nichts. Etwas anderes ergibt sich auch aus der hier in Kopie vorliegenden Versorgungsakte nicht. Soweit der Kläger vorträgt, die wahnhafte Störung sei zwar im Bescheid des Versorgungsamtes vom 24. Januar 2008 nicht explizit als Funktionsstörung diagnostiziert worden, sie sei unter dem Begriff "seelisches Leiden" aber Gegenstand des Versorgungsamtsbescheids gewesen, ist dem nicht zu folgen. Die soeben geschilderten Ziele der Regelung des § 91 Abs. 4 SGB IX liefen leer, wenn Termini mit unbestimmtem Begriffsgehalt, wie etwa "seelisches Leiden", so interpretiert würden, dass sie sämtliche psychischen Funktionsbeeinträchtigungen erfassten. Eine dem Gleichstellungsziel verpflichtete trennscharfe Kausalitätsprüfung zwischen Funktionsbeeinträchtigung und Kündigungsgrund innerhalb der Frist des § 91 Abs. 3 SGB IX wäre dann nicht mehr möglich. Vielmehr gebietet der Zweck des § 91 Abs 4 SGB IX, dass Kündigungsgründe auf exakt benannte Funktionsstörungen rückführbar sein müssen. Eine Benachteiligung des Schwerbehinderten ist hierin nicht zu erkennen, da es ihm möglich ist, im Rahmen des Feststellungsverfahrens nach § 69 SGB IX auf eine möglichst präzise und akkurate Diagnose seiner Funktionsbeeinträchtigungen hinzuwirken.

Darüber hinaus ist keineswegs - wie vom Kläger behauptet - ersichtlich, dass die wahnhafte Störung gleichsam im Gewand des unscharfen Begriffs des "seelischen Leidens" Gegenstand des Bescheids vom 24. Januar 2008 gewesen sein könnte. Vielmehr spricht das Gutachten dafür, dass die wahnhafte Störung in keiner Weise Teil der bisherigen Diagnosen war. So hält der Gutachter fest, dass die von ihm erarbeitete Diagnose "erstmals" für den Kläger gestellt werde. Er liefert darüber hinaus auch einen Begründungsansatz dafür, dass die nun erkannte Funktionsstörung bislang unerkannt geblieben ist: Die Diagnose der wahnhaften Störung setze eine "Vertrauensbeziehung" voraus, die bei vorherigen Begutachtungen nicht gegeben gewesen sein könnte. Nach den Feststellungen des vom Verwaltungsgericht bestellten Gutachters ist damit die tatsächlich bestehende Funktionsstörung bislang nicht diagnostiziert worden, sondern allenfalls damit einhergehende Symptome wie Schlafstörungen oder Depressionen.

Dass sich das Verhalten des Klägers i.S.d. oben genannten Rechtsprechung zwanglos aus dem "seelischen Leiden" ergibt, erschließt sich nicht. Unabhängig von der Frage, ob der Begriff des "seelischen Leidens" aufgrund seiner Unbestimmtheit überhaupt geeignet ist, eine Funktionsbeeinträchtigung zu beschreiben, drängt sich ein Zusammenhang mit dem Kündigungssachverhalt jedenfalls nicht unmittelbar auf. Erst recht gilt dies für die im Bescheid des Landrates des S2. -F. -Kreises vom 24. Januar 2008 bei dem Kläger zusätzlich erfassten körperlichen Leiden (Funktionsstörungen der Wirbelsäule, Allergien, chron. Urtikaria, chron. Sinusitis u. Magengeschwürsleiden).

Liegt aber die maßgebende Behinderung dem kündigungsbegründenden Verhalten nicht zugrunde, ist sie bei der Entscheidung über die Erteilung der Zustimmung nach § 91 Abs. 4 SGB IX auch nicht zu berücksichtigen.

Anders als von dem Kläger vorgetragen, liegt auch kein atypischer Fall vor, so dass in der Folge der Beklagte Ermessen auszuüben gehabt hätte. Nur in solchen Fällen, in denen besondere Umstände vorliegen, verbleibt dem Integrationsamt die Möglichkeit zur Ausübung von Ermessen. Im Regelfall bedeutet das "Soll" ein "Muss". Ein außergewöhnlicher Fall ist dann zu bejahen, wenn die außerordentliche Kündigung den schwerbehinderten Arbeitnehmer besonders hart trifft und ihm im Vergleich zu anderen Schwerbehinderten, denen außerordentlich gekündigt wird, ein Sonderopfer zumutet. Dies beruht auf der gesetzlichen Wertung, dem Kündigungsinteresse des Arbeitgebers grundsätzlich den Vorrang vor dem Interesse des Schwerbehinderten an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes einzuräumen, wenn der behinderte Arbeitnehmer einen Grund für eine außerordentliche Kündigung gegeben hat, der nicht im Zusammenhang mit seiner Behinderung steht. Dies impliziert, dass allgemein in diesen Fällen auftretende Härten wie die Problematik drohender langer Arbeitslosigkeit, ein bereits fortgeschrittenes Lebensalter oder eine langjährige Betriebszugehörigkeit ebenso wie Aspekte, die außerhalb des gesetzlichen Schutzzwecks liegen, keinen außerordentlichen Fall zu begründen vermögen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 2. Juli 1992 - 5 C 39/90 -, BVerwGE 90, 275, vom 10. September 1992 - 5 C 80/88 -, Buchholz 436.61 § 18 SchwbG Nr. 6, jeweils juris; OVG NRW, Urteil vom 8. März 1996 - 24 A 3340/93 -, BR 1997, 47; Kuhlmann, in Ernst/Adl-hoch/Seel, SGB IX, Stand: März 2012, § 91 Rn 43.

Die von dem Kläger gerügten weiteren Umstände - Identität von Arbeitgeber und Integrationsamt und damit einhergehende Interessenkollision, Befangenheit des Integrationsamtes, fehlende weitere Ermittlungen durch das Integrationsamt, Umgang mit vertraulichen Dokumenten durch das Integrationsamt - sind nicht geeignet, einen atypischen Sachverhalt zu begründen. Insoweit fehlt es an einem schutzzweckbezogenen Sonderopfer des Klägers. Vielmehr ist auch in dieser - sicherlich nicht alltäglichen, aber durch das Gesetz vorgezeichneten - Fallkonstellation der Identität von Arbeitgeber und Integrationsamt allein ein Anspruch auf rechtmäßige Entscheidung anzunehmen. Ein weitergehender - und damit über andere Fälle hinausgehender - Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bei gleichzeitiger Annahme eines atypischen Falles kann hieraus nicht abgeleitet werden. Gleiches gilt insoweit für die Frage, in welcher Besetzung der Widerspruchsausschuss bei dem Integrationsamt zu entscheiden hatte.

Ebenso ist nicht zu berücksichtigen, ob die von dem Arbeitgeber vorgebrachten Gründe arbeitsrechtlich eine außerordentliche Kündigung tragen. Es ist nämlich nicht Aufgabe des Sonderkündigungsschutzes, den von den Arbeitsgerichten nach erfolgter Kündigung zu gewährenden arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz zu ersetzen oder gar überflüssig zu machen. Der Hauptfürsorgestelle ist nicht die umfassende Abwägung aller den Kündigungsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestimmenden widerstreitenden Interessen aufgetragen, sondern nur die Einbringung bestimmter, vom Schutzzweck des SGB IX erfasster Interessen. Dem Integrationsamt obliegt dabei die fürsorgerische Inschutznahme des Schwerbehinderten mit dem Ziel, die aus seiner Behinderung resultierenden Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen und dadurch seine Wettbewerbsfähigkeit mit Nichtbehinderten herzustellen. Es prüft insoweit, ob den Schutzinteressen des schwerbehinderten Arbeitnehmers der Vorrang vor den vom Arbeitgeber geltend gemachten Auflösungsgründen zukommt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -, a.a.O., vom 10. September 1992 - 5 C 80.88 -, a.a.O., jeweils juris.

Ob hiervon in besonders gelagerten Fällen eine Ausnahme zu machen ist, in denen offenbar wird, dass die vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe eine außerordentliche Kündigung offensichtlich nicht zu rechtfertigen vermögen,

vgl. OVG Münster, Urteile vom 25. April 1989 - 13 A 2399/87 -, OVGE 41, 104, und vom 5. September 1989 - 13 A 2300/88 -, juris,

kann in diesem Fall offenbleiben. Anders als von dem Verwaltungsgericht angenommen, liegt jedenfalls nach der Maßgabe des vorstehend Ausgeführten kein Fall vor, in dem der vom Arbeitgeber vorgebrachte Sachverhalt offensichtlich ungeeignet wäre, eine außerordentliche Kündigung zu tragen. Vielmehr erweisen sich der zu berücksichtigende Sachverhalt als vielschichtig und die zu klärenden arbeitsrechtlichen Fragen als schwierig. Dies zeigt sich bereits daran, dass der Kläger mit seiner Klage gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht L1. unterlegen ist, während das Landesarbeitsgericht die Kündigung nach Angaben des Klägers aufgehoben haben soll. In solchen Fällen ist die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung allein den Arbeitsgerichten überantwortet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO gerichtskostenfrei.

Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2, 1 i.V.m. §§ 709, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe i.S.d. § 132 Abs. 2 VwGO nicht vorliegen.

Referenznummer:

R/R6218


Informationsstand: 20.06.2014