Über die Berufung des Beklagten kann
gem. § 130a
VwGO durch Beschluss entschieden werden, weil der Senat die Berufung einstimmig für begründet und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht für erforderlich erachtet (§ 130a Satz 1
VwGO). Die Beteiligten sind hierzu nach § 130a Satz 2
VwGO i.V.m. § 125
Abs. 2 Satz 3
VwGO mit gerichtlicher Verfügung vom 28. November 2012 angehört worden.
Die Berufung des Beklagten ist begründet. Der Bescheid des Integrationsamtes bei dem Beklagten vom 5. Juni 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheids des Widerspruchsausschusses des Integrationsamtes bei dem Beklagten vom 1. September 2008 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113
Abs. 1 Satz 1
VwGO.
Rechtsgrundlage für die erteilte Zustimmung ist
§ 85 SGB IX i.V.m. § 91 SGB IX.
Der Kläger kann die Aufhebung weder des angefochtenen Bescheides noch isoliert des Widerspruchsbescheides allein deshalb verlangen, weil wie er meint der Widerspruchsausschuss bei dem Integrationsamt fehlerhaft besetzt war. Die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der wie hier nicht nichtig ist, kann nämlich (auch im gerichtlichen Verfahren) nach § 42 Satz 1
SGB X unter anderem nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren zustand gekommen ist, wenn offensichtlich ist, dass die Verletzung die Entscheidung in der Sache nicht beeinflusst hat. Die gesetzeskonforme Besetzung des Widerspruchsausschusses nach
§ 119 SGB IX stellt eine solche verfahrensrechtliche Voraussetzung für die formelle Rechtmäßigkeit der Widerspruchsentscheidung dar. Es kommt dem Gesetzgeber in § 119
Abs. 4
SGB IX nämlich erkennbar darauf an, im Fall von Schwerbehinderten, die bei einer Dienststelle
i.S.d. § 87 Abs. 1 Satz 2 SGB IX beschäftigt sind, bei der Widerspruchsentscheidung den besonderen Sachverstand der Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu nutzen.
Vgl. Kuhlmann, in: Ernst/Adlhoch/Seel,
SGB IX, Stand März 2012, § 119 Rn 12
ff.Zuständig für die Entscheidung ist dabei gemäß
§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGB IX allein der Widerspruchsausschuss als solcher. Dass bei dem Integrationsamt des Beklagten mehrere Kammern zur Differenzierung der Besetzung gemäß § 119
Abs. 4
SGB IX geschaffen worden sind, ändert an dieser gesetzlichen Zuständigkeit des Widerspruchsausschusses als solchem nichts.
Es ist auch offensichtlich, dass die - unterstellte - Verletzung der Verfahrensvorschrift des § 119
Abs. 4
SGB IX die Entscheidung in der Sache nicht beeinträchtigt hat. Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn in der Sache eine andere als die getroffene Entscheidung rechtlich nicht zulässig gewesen wäre (sogenannte "rechtliche Alternativlosigkeit"), also wenn aus rechtlichen Gründen die Entscheidung auch unter Berücksichtigung des Verfahrensfehlers und des Zwecks der verletzten Vorschrift jedenfalls im Ergebnis nicht anders ausfallen durfte.
Vgl. Marschner, in: Pickel/Marschner,
SGB X, Stand: Oktober 2012, § 42 Rn 20;
vgl. zu § 46 VwVfG auch:
BVerwG, Urteil vom 22. Februar 1985 - 8 C 25/84 -, BVerwGE 71, 63, juris; Kopp/Ramsauer, VwVfG, 11. Auflage 2010, § 46 Rn 25a;
vgl. im Übrigen zur fehlenden Auswirkung formeller Fehler im Widerspruchsverfahren:
BVerwG, Beschluss vom 13. Januar 1999 - 8 B 266/98 -, NVwZ 1999, 641;
OVG NRW, Urteil vom 17. Juli 2003 - 12 A 5381/00 -, OVGE 49, 179, jeweils juris.
Auch bei einer anderen Besetzung des Widerspruchsausschusses nach § 119
Abs. 4
SGB IX hätte eine andere Entscheidung in der Sache nicht getroffen werden können. Wie sich aus dem Folgenden ergibt, handelte es sich bei der Erteilung der Zustimmung um eine gebundene, also vollständig determinierte Entscheidung.
Der Beklagte hat die Zustimmung zu der außerordentlichen Kündigung des Klägers vom 6. Juni 2008 zu Recht ohne Ausübung von Ermessen erteilt, weil die Kündigung vom 8. Juni 2008 nicht im Zusammenhang mit der zu berücksichtigenden Behinderung des Klägers steht. Nach § 85
SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Bei der Erteilung der Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung nach §§ 85, 91
Abs. 1
SGB IX bedarf es dabei grundsätzlich der Ausübung des Ermessens durch das Integrationsamt und den Widerspruchsausschuss. Erfolgt die außerordentliche Kündigung gemäß § 91
Abs. 1, 4
SGB IX aus einem Grund, der nicht mit der Behinderung in Zusammenhang steht, so soll die Zustimmung erteilt werden. In diesem Fall bedarf es einer Ausübung von Ermessen nur in atypischen Fällen. Liegt ein solcher Fall nicht vor, ist die Verwaltung gebunden und muss die Zustimmung erteilen.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -, BVerwGE 90, 275
ff., und Beschluss vom 18. September 1996 -
5 B 109.96 -, Buchholz 436.61 § 21
SchwbG Nr. 8, jeweils zu der wortgleichen Vorgängerregelung des § 21
Abs. 4
SchwbG;
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 -
12 A 705/10 -,
m.w.N., jeweils juris.
Im vorliegenden Fall steht die verfahrensgegenständliche Kündigung vom 6. Juni 2008 nicht im Zusammenhang mit der zu berücksichtigenden Behinderung des Klägers.
Die Entscheidung, ob der Kündigungsgrund im Zusammenhang mit der Behinderung steht, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sowie des erkennenden Senats auf der Grundlage des vom Arbeitgeber angegebenen, nur im arbeitsgerichtlichen Verfahren zu überprüfenden Kündigungsgrundes zu treffen.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -, a.a.O., und Beschluss vom 18. September 1996 - 5 B 109.96 -, a.a.O.; Urteil vom 12. Juli 2012 -
5 C 16/11 -;
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -,
m.w.N., jeweils juris.
Zwar genügt für die Eröffnung des Ermessens bereits ein möglicher Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund, da bei einem "non liquet" die Entscheidung zu Lasten des Arbeitgebers ausfällt, der insoweit die Darlegungs- und Beweislast trägt.
Vgl.
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, juris; Kuhlmann, in: Ernst/Adlhoch/Seel,
SGB IX, Stand: März 2012, § 91 Rn 45; Neumann, in: Neumann/Pahlen/Majerski-Pahlen,
SGB IX, 10. Auflage 2003, § 91 Rn 25; a.A. wohl Kreitner, in: jurisPK-SGB IX, 1. Aufl. 2010, § 91 Rn 28 mit Aktualisierung 28.5 vom 14. November 2012.
Auch genügt ein mittelbarer Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund.
Vgl.
OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2000 -
22 A 3145/98 -, NWVBl. 2000, 390, und Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -;
OVG Nds., Urteil vom 9. März 1994 - 4 L 3927/92 -, jeweils juris;
Düwell, in: LPK-SGB IX, 1. Aufl. 2002, § 91 Rn 18.
Für einen Zusammenhang zwischen der Behinderung und dem Kündigungsgrund
i.S.d. § 91
Abs. 4
SGB IX reicht jedoch nicht jedweder Einfluss der Behinderung auf das Verhalten des Behinderten. Ein Zusammenhang im Sinne einer "conditio sine- qua non" allein ist nicht ausreichend.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -;
OVG NRW, Beschlüsse vom 13. Juni 2006-
12 A 1880/06 -, und vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, jeweils juris.
Der erforderliche Zusammenhang ist vielmehr erst dann gegeben, wenn das der Kündigung zugrunde liegende Verhalten des schwerbehinderten Arbeitnehmers nachvollziehbar gerade auf Defizite bei Einsichtsfähigkeit oder der Verhaltenssteuerung zurückzuführen ist, die in der Behinderung selbst begründet sind, ohne dass für die Herleitung etwa auf Mutmaßungen zurückgegriffen werden muss. Das Verhalten des Schwerbehinderten muss sich dafür zumindest zwanglos aus der Behinderung ergeben und der Zusammenhang darf nicht nur ein entfernter sein.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -, juris;
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -,
m.w.N., jeweils juris.
Maßgeblich für einen möglichen Zusammenhang zwischen der Behinderung und dem Kündigungsgrund
i.S.d. § 91
Abs. 4
SGB IX sind hierbei nur die im Verfahren nach
§ 69 SGB IX nachgewiesenen und damit der getroffenen Feststellung des
GdB bzw. der Behinderung im Bescheid der Versorgungsverwaltung zugrundeliegenden Funktionsstörungen. Dem gleichzustellen sind desweiteren solche Behinderungen, die trotz Antragstellung durch den Betroffenen ohne dessen Vertretenmüssen noch nicht festgestellt worden sind. Schließlich bedarf es eines Nachweises der Behinderung anhand der behördlichen Feststellung dann nicht, wenn sich diese aufdrängt und somit ein gesondertes Feststellungsverfahren gleichsam als Förmelei anzusehen wäre.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 -
5 C 16.11 -;
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, jeweils juris.
Zwar beginnt der Status als schwerbehinderter Mensch grundsätzlich mit dem Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen. Nach
§ 2 Abs. 2 SGB IX ist ein Mensch schwerbehindert, wenn bei ihm ein Grad der Behinderung von mindestens 50 v.H. vorliegt und er im Übrigen seinen Wohnsitz, seinen gewöhnlichen Aufenthalt oder seine Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz
i.S.d. § 73 SGB IX rechtmäßig in der Bundesrepublik hat. Für die Schwerbehinderteneigenschaft als solche bedarf es dabei keiner behördlichen Anerkennung.
Vgl.
BVerwG, Urteile vom 17. September 1981 -
2 C 4.79 -, vom 11. Juli 1985 -
7 C 44.83 -, BVerwGE 72, 8, und vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -;
BAG, Urteil vom 25. Mai 1972 - 2 AZR 302/71 -, BAGE 24, 264;
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, jeweils juris.
Zum Nachweis dieser Eigenschaft ist jedoch eine behördliche Feststellung erforderlich. Diese ist von der Voraussetzung einer Antragstellung durch den Schwerbehinderten selbst abhängig. Insofern gibt der Schwerbehinderte nämlich zu erkennen, dass er sich auf die gesetzlichen Schutzrechte berufen will. Ein Aufdrängen dieser Schutzrechte soll gerade unterbleiben.
Vgl.
BVerwG, Urteile vom 17. September 1981 - 2 C 4.79 -, vom 11. Juli 1985 - 7 C 44.83 -, a.a.O., vom 15. Dezember 1988 -
5 C 67.85 -, BVerwGE 81, 84, und vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -;
BSG, Urteile vom 6. Dezember 1989 -
9 RVs 4/89 - BSGE 66, 120, und vom 7. April 2011 - B 9 SB 3/10 R -, BR 2011, 182, jeweils juris.
Mit dieser Feststellung der Schwerbehinderung trifft die Versorgungsverwaltung eine Statusentscheidung, an die andere Behörden bei der Prüfung inhaltsgleicher Tatbestandvoraussetzungen für die Gewährung von Vergünstigungen und Nachteilsausgleichen gebunden sind.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -, juris,
m.w.N.; Goebel, in: jurisPK-SGB IX, 1. Auflage 2010, § 69 Rn 18; Schlembach in: Ernst/Adlhoch/Seel, Stand März 2013,
SGB IX, § 69 Rn 3.
Diese Bindungswirkung der Feststellungen gilt auch zulasten des Schwerbehinderten.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 11. Juli 1985 - 7 C 44.83 -, a.a.O.;
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011- 12 A 705/10 -, jeweils juris.
Obwohl die Funktionsstörungen und die ihnen zugrundeliegenden Diagnosen nicht Teil des Verfügungssatzes des Bescheides der Versorgungsverwaltung nach
§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind, der nur eine unbenannte Behinderung und den
GdB feststellt, ist ihre Aufnahme in den Bescheid notwendig. Zum einen dienen die Funktionsstörungen der Begründung der unbenannten Behinderung, zum anderen beziehen diese die getroffene Feststellung erst auf einen konkreten Lebenssachverhalt.
Vgl.
BSG, Urteile vom 28. April 1999 -
B 9 SB 5/98 R -, vom 24. Juni 1998 -
B 9 SB 17/97 R -, und vom 6. Dezember 1989 -
9 RVs 3/89 -;
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, jeweils juris.
So kann auch die Frage, ob zwischen der Behinderung und der außerordentlichen Kündigung ein Zusammenhang
i.S.d. § 91
Abs. 4
SGB IX besteht, nicht aus dem Abgleich von Kündigungsgrund und statusfeststellendem Verwaltungsakt beantwortet werden. Insoweit wäre die bloße Feststellung über das Vorhandensein einer unbenannten Behinderung unergiebig. Abzustellen ist vielmehr auf die im Bescheid konkret benannten Funktionsstörungen. Hierfür sprechen sowohl eine systematische als auch eine historische Auslegung.
Nicht jede Erkrankung führt zu einer Funktionsbeeinträchtigung und nicht jede Funktionsbeeinträchtigung zu einer wesentlichen Teilhabebeeinträchtigung, um die es bei einer Schwerbehinderung geht,
vgl. § 2
SGB IX. Besonders anschaulich wird dies im Wortlaut des § 19
Abs. 3 Satz 2 des Schwerbeschädigtengesetzes in der Fassung vom 14. August 1961 der Vor-Vorgängernorm des § 91
Abs. 4
SGB IX, nach dem es darum geht, ob der "Kündigungsgrund im Zusammenhang mit der gesundheitlichen Schädigung steht, wegen der der Schutz dieses Gesetzes gewährt wird".
So ist das Verfahren zur Beurteilung, ob und in welchem Umfang eine Teilhabebeeinträchtigung und damit eine Behinderung vorliegt, nach § 69
Abs. 1 Satz 1
SGB IX gerade der Versorgungsverwaltung übertragen. Wenn der bereits von der Versorgungsverwaltung umfassend geprüfte medizinische Lebenssachverhalt gänzlich neu vom Integrationsamt zu prüfen wäre, würde die Konzentration des Feststellungsverfahren nach § 69
Abs. 1 Satz 1
SGB IX ausgehöhlt, die der Gesetzgeber vor allem auch im Interesse der Schwerbehinderten bereits hinsichtlich dessen Vorgängervorschrift mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Schwerbeschädigtenrechts vom 24. April 1974 (BGBl. I
S. 981) und sodann mit dem Achten Gesetz über die Anpassung der Leistungen des Bundesversorgungsgesetzes (Achtes Anpassungsgesetz-KOV - 8. AnpG-KOV) vom 14. Juni 1976 (BGBl. I
S. 1481) erstrebte. Mit diesen Gesetzen sollte die alleinige Zuständigkeit der Versorgungsverwaltung zur Feststellung von Behinderungen, des Grades der auf ihnen beruhenden
MdE (heute:
GdB) und der weiteren gesundheitlichen Merkmale begründet und damit eine Vereinfachung und Vereinheitlichung des Verfahrens und die Übersichtlichkeit der Vergünstigungsnachweise erreicht werden.
Vgl. BT-Drs. 7/1515, Seite 16, Zu Nummer 42a, und 7/4960, Seite 6, Zu Nummer 1 (§ 3) Buchstabe b;
BVerwG, Urteile vom 11. Juli 1985 - 7 C 44.83 -, DVBl. 1985, 1317, und vom 12. Juli 2012 - 5 C16/11 -;
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011- 12 A 705/10 -, jeweils juris.
Für eine Beschränkung auf die von der Versorgungsverwaltung bewertete Gesundheitssituation als Ausgangspunkt der Kausalitätsprüfung des Integrationsamtes spricht auch, dass es dem Betroffenen freisteht, seinen Antrag an die Versorgungsverwaltung bezüglich der zu prüfenden Funktionsbeeinträchtigungen zu beschränken und sich insoweit nur teilweise unter das Schutzregime des
SGB IX zu begeben.
Vgl.
BSG, Urteil vom 26. Februar 1986 -
9a RVs 4/83 -, BSGE 60, 11;
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -,
m.w.N., jeweils juris; Goebel, in: jurisPK-SGB IX, 1. Aufl. 2010, § 69 Rn 10.
Dafür, an die bereits erfolgte Bewertung der Gesundheitssituation durch die Versorgungsverwaltung anzuknüpfen, spricht weiter, dass das Integrationsamt im Zustimmungsverfahren bei außerordentlicher Kündigung nach § 91
Abs. 3 Satz 1
SGB IX nur zwei Wochen ab Antragseingang Zeit hat, um sowohl den Zusammenhang zu prüfen als auch
ggf. noch sein Ermessen auszuüben. Entscheidet es innerhalb dieser Frist nicht, greift die Zustimmungsfiktion des § 91
Abs. 3 Satz 2
SGB IX, was dem Schwerbehinderten zum Nachteil gereichen würde. Dass es vor diesem Hintergrund zu Lasten des Arbeitgebers gehen sollte, wenn unklar ist, ob zu der festgestellten Behinderung weitere Funktionsbeeinträchtigungen hinzugekommen sind und diese Einfluss auf die Teilhabebeeinträchtigung haben, obwohl insofern dem Schwerbehinderten und nicht dem Arbeitgeber - die Möglichkeit eröffnet ist, den von ihm veranlassten Feststellungsbescheid nach § 69
Abs. 1 Satz 1
SGB IX überprüfen zu lassen, soweit er meint, es hätten sich wesentliche Änderungen ergeben (§ 48
Abs. 1 Satz 1
SGB X), ist nicht ersichtlich.
OVG NRW, Beschluss vom 27. Juni 2011 - 12 A 705/10 -, juris;
vgl. desweiteren
BVerwG, Urteil vom 12. Juli 2012 - 5 C 16.11 -, juris.
Diese Auslegung entspricht Sinn und Zweck des § 91
Abs. 4
SGB IX und der Zielrichtung des Sonderkündigungsschutzes. Die in § 91
Abs. 4
SGB IX getroffene Regelung, dass die Zustimmung im Fall von Gründen, die nicht im Zusammenhang mit der Behinderung stehen, erteilt werden soll, ist Ausdruck der allgemeinen Schutzrichtung des Sonderkündigungsschutzes. Diese zielt nicht darauf, den schwerbehinderten Menschen gegenüber nichtbehinderten Menschen besserzustellen, sondern bezweckt allein, diesen vor spezifisch behinderungsbedingten Gefahren zu bewahren und sicherzustellen, dass er gegenüber gesunden Arbeitnehmern nicht ins Hintertreffen gerät.
Vgl.
BVerwG, Urteil vom 28. Februar 1968 - 5 C 33.66 -, BVerwGE 29, 140; Urteil vom 12. Juli 2012- 5 C 16/11 -,
m.w.N., jeweils juris.
Auf dieser Grundlage ist kein Zusammenhang zwischen dem angegebenen Kündigungsgrund und den zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen des Klägers gegeben. Zu der Frage, welche Ursache die dem Kläger in der Kündigung zu Last gelegten Verhaltensweisen hatten, hat der Gutachter auf Seite 5 des vom Verwaltungsgericht eingeholten psychiatrischen Gutachtens vom 27. Februar 2010 folgendes ausgeführt:
"Auf der Grundlage der zum besseren Verständnis oben auszugsweise ausführlich wiedergegebenen symptomatischen Erlebnisschilderungen des Pat. Herrn F1. ergibt sich hier im Behandlungsverlauf eindeutig die Diagnose:
Wahnhafte Störung (
ICD 10 F.22.0).
Es handelt sich um eine relativ seltene Krankheit, charakterisiert durch systematisierte Wahnvorstellungen, von denen am bekanntesten und häufigsten der Verfolgungs- oder Beziehungswahn ist. Es besteht in der Regel keine Einsicht in die Natur der Krankheit und die Bereitschaft, sich behandeln zu lassen, ergibt sich zumeist allenfalls aus den Folgeerscheinungen wie Schlafstörungen, Unruhe, Angst und den möglichen sozialen Komplikationen."
Auf Seite 6 des Gutachtens führt der Gutachter weiter aus:
"Die Diagnose wurde - soweit bekannt - erstmals bei Herrn F1. während der hiesigen Behandlung gestellt. Sie wurde auch nicht intensiv mit dem Erkrankten erörtert, da dies keinen therapeutischen Sinn macht und die ansonsten möglicherweise durchaus gute therapeutische Beziehung eher belastet und bedroht (
vgl. Marneros, a.a.O.,
S. 527). Dass Vorbehandler und Begutachter die Diagnose nicht explizit gestellt haben, hat hierüber hinausgehend vermutlich den Grund, dass die Offenbarung der angstbesetzten wahnhaften Gedanken eine Vertrauensbeziehung voraussetzt, die nicht bei jeder Begutachtung vorgelegen haben mag. Primär beklagt der Erkrankte Herr F1. bei Arztbesuchen ja seine Stimmungstiefs, die Schlafstörung, die körperliche Erschöpfung und vor allem die körperlichen Schmerzen. Hilfe in der Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber erwartet er aus seiner Sicht ja eher vom Rechtssystem, als vom medizinischen Hilfssystem.
Als Nebendiagnosen sind noch festzuhalten die Depression (F32.3G), die Schlafstörung (F51.0G) sowie die psychosomatischen Beschwerden des Verdauungssystems (F45.31G)."
Unter
Nr. 4 "Gutachterliche Bewertung der Untersuchungsergebnisse" führt der Gutachter auf Seite 7 des Gutachtens u.a. aus:
"6. Dies ist das "seelische Leiden" des Herrn F1., es geht mit Depression, Schlafstörungen und anderen psychischen Symptomen einher, welche in der Vergangenheit auch bereits diagnostiziert und behandelt wurden und zu einer anerkannten Behinderung geführt haben. Erst während der hiesigen Behandlung wurde die wahnhafte Störung explizit diagnostiziert, sie und ihre Auswirkungen müssen aber auch in den zurückliegenden Jahren schon vorgelegen haben und somit die Behinderung begründet haben."
Unter
Nr. 5 "Beantwortung der Fragestellung" kommt der Gutachter zu folgendem Ergebnis:
"Im Bescheid des Versorgungsamtes vom 24. Januar 2008 basiert die festgestellte Behinderung u.a. auf einem nicht näher ausgeführten seelischen Leiden mit einer Einzel-
GdB von 50 %. Wie dargestellt, liegt aus dem Gebiet der psychiatrischen Erkrankungen eine wahnhafte Störung vor (
ICD 10 F.22.0), die neben dem angstbesetzten und logisch ausgeformten Wahnthema einhergehen kann mit Depression, Schlafstörung, Getriebenheit, vielfältigen psychosomatischen Leiden und anderen Symptomen. Das Verhalten, das zur außerordentlichen Kündigung führte, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dieser psychischen Erkrankung. Sie nimmt maßgeblichen Einfluss auf die Wahrnehmungen, vor allem auf die Bewertungen und auch auf alle Planungen und sie beeinflusst die Emotionen und damit die steuernden Instanzen ganz entscheidend."
Diesen Ausführungen ist hinreichend eindeutig zu entnehmen, dass die Verhaltenssteuerung des Klägers maßgebend durch die "wahnhafte Störung" geprägt wird, und dass diese "wahnhafte Störung" erstmals in der Untersuchung durch den Gutachter diagnostiziert worden ist. Damit kann sie seinerzeit nicht Gegenstand des in dem Bescheid des Landrates des S2.-F. -Kreises vom 24. Januar 2008 berücksichtigten "seelischen Leidens" gewesen sein. Gleiches gilt für die in dem Gutachten aufgeführten Nebendiagnosen Depression (F32.3G), die Schlafstörung (F51.0G) sowie die psychosomatischen Beschwerden des Verdauungssystems (F45.31G), die ausweislich des Gutachtens - und auch im Übrigen - keine unmittelbare Beziehung zu dem relevanten Verhalten aufweisen.
Dass die "wahnhafte Störung" auch zu dem relevanten Zeitpunkt faktisch schon vorgelegen haben kann, ändert insoweit an der fehlenden Feststellung nichts. Etwas anderes ergibt sich auch aus der hier in Kopie vorliegenden Versorgungsakte nicht. Soweit der Kläger vorträgt, die wahnhafte Störung sei zwar im Bescheid des Versorgungsamtes vom 24. Januar 2008 nicht explizit als Funktionsstörung diagnostiziert worden, sie sei unter dem Begriff "seelisches Leiden" aber Gegenstand des Versorgungsamtsbescheids gewesen, ist dem nicht zu folgen. Die soeben geschilderten Ziele der Regelung des § 91
Abs. 4
SGB IX liefen leer, wenn Termini mit unbestimmtem Begriffsgehalt, wie etwa "seelisches Leiden", so interpretiert würden, dass sie sämtliche psychischen Funktionsbeeinträchtigungen erfassten. Eine dem Gleichstellungsziel verpflichtete trennscharfe Kausalitätsprüfung zwischen Funktionsbeeinträchtigung und Kündigungsgrund innerhalb der Frist des § 91
Abs. 3
SGB IX wäre dann nicht mehr möglich. Vielmehr gebietet der Zweck des § 91 Abs 4
SGB IX, dass Kündigungsgründe auf exakt benannte Funktionsstörungen rückführbar sein müssen. Eine Benachteiligung des Schwerbehinderten ist hierin nicht zu erkennen, da es ihm möglich ist, im Rahmen des Feststellungsverfahrens nach § 69
SGB IX auf eine möglichst präzise und akkurate Diagnose seiner Funktionsbeeinträchtigungen hinzuwirken.
Darüber hinaus ist keineswegs - wie vom Kläger behauptet - ersichtlich, dass die wahnhafte Störung gleichsam im Gewand des unscharfen Begriffs des "seelischen Leidens" Gegenstand des Bescheids vom 24. Januar 2008 gewesen sein könnte. Vielmehr spricht das Gutachten dafür, dass die wahnhafte Störung in keiner Weise Teil der bisherigen Diagnosen war. So hält der Gutachter fest, dass die von ihm erarbeitete Diagnose "erstmals" für den Kläger gestellt werde. Er liefert darüber hinaus auch einen Begründungsansatz dafür, dass die nun erkannte Funktionsstörung bislang unerkannt geblieben ist: Die Diagnose der wahnhaften Störung setze eine "Vertrauensbeziehung" voraus, die bei vorherigen Begutachtungen nicht gegeben gewesen sein könnte. Nach den Feststellungen des vom Verwaltungsgericht bestellten Gutachters ist damit die tatsächlich bestehende Funktionsstörung bislang nicht diagnostiziert worden, sondern allenfalls damit einhergehende Symptome wie Schlafstörungen oder Depressionen.
Dass sich das Verhalten des Klägers
i.S.d. oben genannten Rechtsprechung zwanglos aus dem "seelischen Leiden" ergibt, erschließt sich nicht. Unabhängig von der Frage, ob der Begriff des "seelischen Leidens" aufgrund seiner Unbestimmtheit überhaupt geeignet ist, eine Funktionsbeeinträchtigung zu beschreiben, drängt sich ein Zusammenhang mit dem Kündigungssachverhalt jedenfalls nicht unmittelbar auf. Erst recht gilt dies für die im Bescheid des Landrates des S2. -F. -Kreises vom 24. Januar 2008 bei dem Kläger zusätzlich erfassten körperlichen Leiden (Funktionsstörungen der Wirbelsäule, Allergien, chron. Urtikaria, chron. Sinusitis u. Magengeschwürsleiden).
Liegt aber die maßgebende Behinderung dem kündigungsbegründenden Verhalten nicht zugrunde, ist sie bei der Entscheidung über die Erteilung der Zustimmung nach § 91
Abs. 4
SGB IX auch nicht zu berücksichtigen.
Anders als von dem Kläger vorgetragen, liegt auch kein atypischer Fall vor, so dass in der Folge der Beklagte Ermessen auszuüben gehabt hätte. Nur in solchen Fällen, in denen besondere Umstände vorliegen, verbleibt dem Integrationsamt die Möglichkeit zur Ausübung von Ermessen. Im Regelfall bedeutet das "Soll" ein "Muss". Ein außergewöhnlicher Fall ist dann zu bejahen, wenn die außerordentliche Kündigung den schwerbehinderten Arbeitnehmer besonders hart trifft und ihm im Vergleich zu anderen Schwerbehinderten, denen außerordentlich gekündigt wird, ein Sonderopfer zumutet. Dies beruht auf der gesetzlichen Wertung, dem Kündigungsinteresse des Arbeitgebers grundsätzlich den Vorrang vor dem Interesse des Schwerbehinderten an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes einzuräumen, wenn der behinderte Arbeitnehmer einen Grund für eine außerordentliche Kündigung gegeben hat, der nicht im Zusammenhang mit seiner Behinderung steht. Dies impliziert, dass allgemein in diesen Fällen auftretende Härten wie die Problematik drohender langer Arbeitslosigkeit, ein bereits fortgeschrittenes Lebensalter oder eine langjährige Betriebszugehörigkeit ebenso wie Aspekte, die außerhalb des gesetzlichen Schutzzwecks liegen, keinen außerordentlichen Fall zu begründen vermögen.
Vgl.
BVerwG, Urteile vom 2. Juli 1992 -
5 C 39/90 -, BVerwGE 90, 275, vom 10. September 1992 -
5 C 80/88 -, Buchholz 436.61 § 18
SchwbG Nr. 6, jeweils juris;
OVG NRW, Urteil vom 8. März 1996 -
24 A 3340/93 -, BR 1997, 47; Kuhlmann, in Ernst/Adl-hoch/Seel,
SGB IX, Stand: März 2012, § 91 Rn 43.
Die von dem Kläger gerügten weiteren Umstände - Identität von Arbeitgeber und Integrationsamt und damit einhergehende Interessenkollision, Befangenheit des Integrationsamtes, fehlende weitere Ermittlungen durch das Integrationsamt, Umgang mit vertraulichen Dokumenten durch das Integrationsamt - sind nicht geeignet, einen atypischen Sachverhalt zu begründen. Insoweit fehlt es an einem schutzzweckbezogenen Sonderopfer des Klägers. Vielmehr ist auch in dieser - sicherlich nicht alltäglichen, aber durch das Gesetz vorgezeichneten - Fallkonstellation der Identität von Arbeitgeber und Integrationsamt allein ein Anspruch auf rechtmäßige Entscheidung anzunehmen. Ein weitergehender - und damit über andere Fälle hinausgehender - Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung bei gleichzeitiger Annahme eines atypischen Falles kann hieraus nicht abgeleitet werden. Gleiches gilt insoweit für die Frage, in welcher Besetzung der Widerspruchsausschuss bei dem Integrationsamt zu entscheiden hatte.
Ebenso ist nicht zu berücksichtigen, ob die von dem Arbeitgeber vorgebrachten Gründe arbeitsrechtlich eine außerordentliche Kündigung tragen. Es ist nämlich nicht Aufgabe des Sonderkündigungsschutzes, den von den Arbeitsgerichten nach erfolgter Kündigung zu gewährenden arbeitsrechtlichen Kündigungsschutz zu ersetzen oder gar überflüssig zu machen. Der Hauptfürsorgestelle ist nicht die umfassende Abwägung aller den Kündigungsstreit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestimmenden widerstreitenden Interessen aufgetragen, sondern nur die Einbringung bestimmter, vom Schutzzweck des
SGB IX erfasster Interessen. Dem Integrationsamt obliegt dabei die fürsorgerische Inschutznahme des Schwerbehinderten mit dem Ziel, die aus seiner Behinderung resultierenden Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt auszugleichen und dadurch seine Wettbewerbsfähigkeit mit Nichtbehinderten herzustellen. Es prüft insoweit, ob den Schutzinteressen des schwerbehinderten Arbeitnehmers der Vorrang vor den vom Arbeitgeber geltend gemachten Auflösungsgründen zukommt.
Vgl.
BVerwG, Urteile vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -, a.a.O., vom 10. September 1992 - 5 C 80.88 -, a.a.O., jeweils juris.
Ob hiervon in besonders gelagerten Fällen eine Ausnahme zu machen ist, in denen offenbar wird, dass die vom Arbeitgeber geltend gemachten Gründe eine außerordentliche Kündigung offensichtlich nicht zu rechtfertigen vermögen,
vgl. OVG Münster, Urteile vom 25. April 1989 -
13 A 2399/87 -, OVGE 41, 104, und vom 5. September 1989 -
13 A 2300/88 -, juris,
kann in diesem Fall offenbleiben. Anders als von dem Verwaltungsgericht angenommen, liegt jedenfalls nach der Maßgabe des vorstehend Ausgeführten kein Fall vor, in dem der vom Arbeitgeber vorgebrachte Sachverhalt offensichtlich ungeeignet wäre, eine außerordentliche Kündigung zu tragen. Vielmehr erweisen sich der zu berücksichtigende Sachverhalt als vielschichtig und die zu klärenden arbeitsrechtlichen Fragen als schwierig. Dies zeigt sich bereits daran, dass der Kläger mit seiner Klage gegen die Kündigung vor dem Arbeitsgericht
L1. unterlegen ist, während das Landesarbeitsgericht die Kündigung nach Angaben des Klägers aufgehoben haben soll. In solchen Fällen ist die Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung allein den Arbeitsgerichten überantwortet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154
Abs. 1
VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 Halbsatz 1
VwGO gerichtskostenfrei.
Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit folgt aus § 167
Abs. 2, 1
i.V.m. §§ 709, 711
ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe
i.S.d. § 132
Abs. 2
VwGO nicht vorliegen.