Urteil
Anträge auf Zulassung der Berufung - Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung

Gericht:

OVG NRW 12. Senat


Aktenzeichen:

12 A 2792/12


Urteil vom:

22.03.2013


Grundlage:

Tenor:

Die Anträge auf Zulassung der Berufung werden abgelehnt.

Die außergerichtlichen Kosten des Klägers aus dem gerichtskostenfreien Zulassungsverfahren tragen der Beklagte und die Beigeladene zu je 1/2. Im Übrigen trägt jeder Beteiligte seine außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens selbst.

Rechtsweg:

VerwG Düsseldorf Urteil vom 25.10.2012 - 13 K 7746/11

Quelle:

Justizportal des Landes NRW

Gründe:

Die Anträge des Beklagten und der Beigeladenen auf Zulassung der Berufung haben keinen Erfolg. Sie sind zwar zulässig, aber unbegründet. Keiner der von dem Beklagten und der Beigeladenen geltend gemachten Zulassungsgründe ist nach dem Zulassungsvortrag zu bejahen.

Namentlich rechtfertigt das Zulassungsvorbringen nicht die Annahme ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Das Verwaltungsgericht hat der Klage des Klägers gegen die Zustimmung des Beklagten vom 16. Juni 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Dezember 2011 zum Antrag der Beigeladenen vom 27. April 2011 auf Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses zurecht stattgegeben. Die Zustimmung ist ermessenfehlerhaft und daher rechtswidrig.

Grundlage für die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers ist § 85 Sozialgesetzbuch (SGB) Neuntes Buch (IX) in der Fassung vom 19. Juni 2001, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2012, der gemäß § 68 Abs. 3 SGB IX auch auf Menschen Anwendung findet, die - wie der Kläger (vgl. Gleichstellungsbescheid vom 7. April 2011) - schwerbehinderten Menschen gleichgestellt sind.

Bei einer ordentlichen Kündigung trifft das Integrationsamt die Entscheidung über die Zustimmung zur Kündigung nach freiem Ermessen, wenn - wie hier - die Voraussetzungen des § 89 SGB IX nicht erfüllt sind. Dabei ist das Interesse des Arbeitgebers an der Erhaltung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegen das Interesse des schwerbehinderten Menschen an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes abzuwägen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 - 5 C 24.93 -, BVerwGE 99, 336 ff., Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -, BVerwGE 90, 287 ff. jeweils zur Vorgängerregelung des § 15 SchwerbG (st. Rspr.).

Dem Integrationsamt obliegt es, anknüpfend an den Antrag des Arbeitgebers und von ihm ausgehend all das zu ermitteln und zu berücksichtigen, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen von Arbeitgeber und schwerbehindertem Arbeitnehmer gegeneinander abwägen zu können.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 - 5 C 24.93 -, BVerwGE 99, 336 ff., Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -, BVerwGE 90, 287 ff. jeweils zur Vorgängerregelung des § 15 SchwerbG; OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2009 - 12 A 96/09 -, juris, Rn.11, Beschluss vom 25. Mai 2009 - 12 A 472/09 -, juris, Rn. 13.

Dazu zählt auch die Frage, ob und inwieweit die Gründe für die Kündigung auf die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zurückzuführen sind. Für diesen Fall sind nämlich nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats an die im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen, um auch den im Schwerbehindertenrecht zum Ausdruck gekommenen Schutzgedanken der Rehabilitation verwirklichen zu können.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 - 5 C 24.93 -, BVerwGE 99, 336 ff. m.w.N.; OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2009 - 12 A 96/09 -, ju-ris, Rn. 13, Beschluss vom 25. Mai 2009 - 12 A 472/09 -, juris, Rn. 15.

Das Verwaltungsgericht ist in seinem Urteil zurecht davon ausgegangen, dass der Widerspruchsausschuss im Hinblick auf das Zurücklassen von Akten im Dienstfahrzeug während der Reparaturmaßnahmen am 6. April 2011 schon nicht ermittelt hat, ob dieses Verhalten auf die Behinderung des Klägers zurückgeht, so dass die grund-legende Ausrichtung der Ermessensbetätigung offen bleibt. Anders als der Beklagte und die Beigeladene in ihren Anträgen auf Zulassung der Berufung vortragen, ergibt sich aus dem Aufbau und der Begründung des Bescheids nichts anderes.

Zwar leitet der Widerspruchausschuss des Beklagten seine Prüfung unter dem Gliederungspunkt II. damit ein, dass ein Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Klägers und seiner Erkrankung nicht ausgeschlossen werden könne (Seite 6 des Widerspruchsbescheids). Zudem stellt er seinen Erwägungen zu den einzelnen in Rede stehenden Fehlleistungen des Klägers - beleidigende e-mail und Zurücklassen von Aktenstücken im Fahrzeug in der Werkstatt - voran, dass er nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden habe, weil ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Krankheit vorliege. Jedoch spricht er in seinen vorangestellten Erwägungen stets nur im Singular von "dem" Kündigungsgrund, sodass schon hier nicht ersichtlich ist, ob sich diese Erwägungen auf beide im Zustimmungsantrag vom 27. April 2011 geltend gemachten Vorgänge beziehen.

Mit Bezug auf das Zurücklassen zweier Aktenordner mit Kundendaten im Fahrzeug während der Reparaturmaßnahmen am 6. April 2011 lässt die Formulierung des Bescheids nur den Rückschluss zu, dass der Frage, inwieweit das relevante Verhalten mit der Behinderung zusammenhängen könnte, nicht nachgegangen worden ist.

Abgesehen davon hält der Widerspruchsbescheid auf Seite 8 mit Bezug auf eine Abmahnung wegen Verstoßes gegen Datenschutzbestimmungen aus dem Jahr 2009 fest:

"Mit Ausspruch der Abmahnung wurde dem Widerspruchsführer bereits sein Fehlverhalten vor Augen geführt und ihm Gelegenheit zur Verhaltensänderung gegeben. Da es sich nun um einen ähnlich gelagerten Verstoß gegen Datenschutzbestimmungen handelt, lässt der Widerspruchsführer erkennen, dass er auch angesichts der drohenden Kündigung nicht bereit war, durch ein pflichtgemäßes Verhalten zur Aufrechterhaltung seines Arbeitsverhältnisses beizutragen."

Der Verstoß gegen Bestimmungen des Arbeitsverhältnisses wird danach ausschließlich und ohne Relativierung auf die mangelnde Bereitschaft des Klägers zurückgeführt, sich pflichtgemäß zu verhalten.

Die Frage, ob der erneute Verstoß gegen den Datenschutz zumindest teilweise auch auf die Schwerbehinderung des Klägers zurückzuführen sein könnte, wie der Kläger unter Vorlage der Atteste des Herrn Dr. L. vom 24. Mai 2011 und des Herrn Professor Dr. P. vom 4. Juli 2011 geltend gemacht hat, wird durch den Widerspruchsbescheid nicht erörtert. Auch die Gleichsetzung des zur Abmahnung führenden Vorfalls aus dem Jahr 2009 mit dem jetzt in Rede stehenden Kündigungsgrund zeigt, dass der Widerspruchsausschuss, anders als zu Beginn seiner Begründung erläutert, einen Bezug zwischen Schwerbehinderung und Fehlverhalten nicht unterstellt, sondern diesen ohne weitere Aufklärung verneint hat. Hinsichtlich des Arbeitsrechtsverstoßes, der zu der Abmahnung am 5. März 2009 führte, erörtert der Widerspruchsausschuss nämlich ebenfalls nicht, ob und inwiefern ein Zusammenhang mit der Behinderung des Klägers bestanden haben könnte.

Der Beigeladenen kann nicht gefolgt werden, soweit sie vorträgt, der Umstand, dass der Beklagte anders als im Falle der e-mail vom 25. März 2011 keine Feststellungen dazu getroffen habe, ob ein Zusammenhang zwischen Erkrankung und Verhalten bestehe, zeige gerade, dass er an seiner Eingangsüberlegung festhalte und einen Zusammenhang unterstelle. Dieser Einwand übersieht, dass es der Beklagte nicht etwa aus Gründen der Kurzfassung unterlassen hat, eine eingangs unterstellte Grundannahme eigens zu wiederholen. Eine solche Wiederholung wäre aus rechtlichen Gründen in der Tat nicht geboten. Hier handelt es sich hingegen um den Fall, dass sich die Ausführungen zu dem konkreten Kündigungsgrund sogar in Widerspruch zu der zu Anfang gemachten Grundannahme setzen. Wird das Fehlverhalten des Klägers ausdrücklich darauf zurückgeführt, dass dieser "nicht bereit war", sich pflichtgemäß zu verhalten, wird die Frage, ob und zu welchem Anteil ein Zusammenhang mit der Behinderung besteht, entweder nicht beantwortet oder konkludent verneint. Hätte der Widerspruchsausschuss - wie zu Anfang seines Bescheides ausgeführt - einen Zusammenhang mit der Behinderung angenommen, so hätte es an dieser Stelle zumindest einer Erläuterung bedurft, inwieweit nicht mangelnde Bereitschaft, sondern die auf die Erkrankung zurückgehenden und in den Attesten angesprochenen Verhaltensauffälligkeiten und Konzentrationsmängel in Belastungssituationen das Verhalten des Klägers maßgeblich beeinflusst haben.

Der Einwand der Beigeladenen, der Prozessbevollmächtigte des Klägers habe im Rahmen der Kündigungsschutzverhandlung vor dem Integrationsamt zu einer nunmehr ausgesprochenen Änderungskündigung zugegeben, dass ein Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung nicht bestanden habe, begründet ebenfalls keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils. Aus dem von der Beigeladenen übersandten Protokoll der Kündigungsverhandlung folgt nicht mit der von der Beigeladenen behaupteten Deutlichkeit, dass der Prozessbevollmächtigte einen Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund im hier entscheidungserheblichen Sachverhalt geleugnet hätte. Aus dem Protokoll ergibt sich lediglich, dass die Prozessbevollmächtigte der Beigeladenen, Frau Dr. T., den Einwand des Prozessbevollmächtigten des Klägers, die Änderungskündigung sei durch seine Behinderung begründet, mit dem Ausdruck "Nebelgranate" bedacht hat. Sodann findet sich im Protokoll der Satz:

"Herr O. bestätigte dies unter Hinweis darauf, dass er im vorangegangen Kündigungsschutzverfahren hiermit Erfolg gehabt hätte."

Aus der Protokollnotiz erhellt sich bereits nicht, was der Prozessbevollmächtigte des Klägers bestätigt hat ("dies"). Denkbar ist zwar, dass er damit - wie die Beigeladene behauptet - zum Ausdruck bringen wollte, dass seines Wissens kein Zusammenhang zwischen Erkrankung und Kündigung bestehe. Genauso gut ist aber - wie der Kläger in seinem Schriftsatz vom 11. März 2013 sinngemäß behauptet - möglich, dass er damit meinte, der Zusammenhang zwischen Krankheit und Kündigungsgrund sei vielleicht fernliegend gewesen und lediglich aus anwaltlicher Vorsicht neben verschiedenen anderen Gründen vorgetragen worden, habe sich aber im gerichtlichen Verfahren als richtig und durchgreifend erwiesen. Der Begriff "Nebelgranate" hat keinen festen juristischen Bedeutungsgehalt, sodass sein Gebrauch nicht ohne weiteres in einem bestimmten juristischen Sinne zu verstehen ist.

Zudem hat das Integrationsamt nach der oben geschilderten Rechtsprechung von Amts wegen all das zu ermitteln und zu berücksichtigen, was erforderlich ist, um die Interessen des Arbeitgebers und des Schwerbehinderten gegeneinander abwägen zu können. Fehlen - wie hier - Feststellungen zu dem Zusammenhang zwischen Kündigungsgrund und Behinderung, ist die Entscheidung des Integrationsamts schon deshalb ermessenfehlerhaft, unabhängig davon, ob der Schwerbehinderte einen solchen Zusammenhang lediglich aus taktischen Gründen behauptet hat oder von diesem Zusammenhang überzeugt ist.

Der Senat weist - ohne dass es für die Entscheidung darauf ankommt - ergänzend darauf hin, dass - unterstellt es sei ein Zusammenhang zwischen Behinderung und Fehlverhalten des Arbeitnehmers anzunehmen - der Widerspruchsbescheid auch deshalb ermessensfehlerhaft sein dürfte, weil der Widerspruchsausschuss den besonderen Anforderungen, die in diesem Fall an die Abwägung zu stellen sind, nicht Rechnung getragen hätte.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts und des Senats sind wie bereits ausgeführt in diesem Fall an die im Rahmen der Interessenabwägung zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen. Dabei kann die um den vom Gesetz auferlegten Schwerbehindertenschutz gesteigerte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers dazu führen, dass dessen Interesse an der Vermeidung aller Störungen des betrieblichen Ablaufs in zumutbarer Weise zurücktreten muss.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Oktober 1971 - V C 78.70 -, BVerwGE 39, 36 ff.; OVG NRW, Beschluss vom 25. Februar 2009 - 12 A 96/09 -, juris, Rn. 13; Beschluss vom 25. Mai 2009 - 12 A 472/09 -, juris, Rn. 17.

Wird die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zumindest teilweise auf Gründe gestützt, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben, reicht nicht jeder als Kündigungsgrund geltend gemachte Umstand aus, um die Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber zu überschreiten. Vielmehr bedingen die auf der einen Seite zu Lasten des Arbeitgebers bestehenden besonders hohen Anforderungen an dessen Zumutbarkeitsgrenze, dass auf der anderen Seite der Kündigungsgrund nach Art und Umfang ein besonderes Gewicht haben muss, um im Rahmen der Ermessensabwägung die besonders hohen Anforderungen an die für den Arbeitgeber geltende Zumutbarkeitsgrenze signifikant überschreiten zu können.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2009

- 12 A 96/09 -, juris, Rn. 16; Beschluss vom 25. Mai 2009 - 12 A 472/09 -, juris, Rn. 19.

Aus dem Widerspruchsbescheid ergibt sich jedenfalls nicht ohne Weiteres, dass der Widerspruchsausschuss bei seiner Entscheidung diese besonders hohe Zumutbarkeitsgrenze beachtet hat.

Hinsichtlich der e-mail vom 25. März 2011 wird nur festgehalten, die Beigeladene habe ausgeführt, dass "Vergleiche mit Stasi-Methoden für sie zu der schwersten Form der Arbeitgeberbeleidigung zählen". Damit hat der Widerspruchsausschuss des Beklagten selbst keine Wertung der Schwere der Vorwürfe vorgenommen, sondern nur die Einordnung durch die Beigeladene wiederholt. Gleichzeitig wird in dem Bescheid aber festgehalten, dass der Kläger "seine Äußerungen allgemein gehalten hat und nicht eine bestimmte Person ausdrücklich beleidigt hat." Der Frage, ob angesichts dieser deutlichen Einschränkungen des beleidigenden Charakters der e-mail die für die Beigeladene erhöhte Zumutbarkeitsgrenze signifikant überschritten sein könnte, ist der Beklagte in seinem Bescheid nicht nachgegangen, obwohl dieser Umstand für die vorzunehmende Interessenabwägung von maßgeblicher Bedeutung gewesen wäre.

Auch in Bezug auf den zweiten von der Beigeladenen geschilderten Kündigungsgrund finden sich in dem Bescheid keine Ausführungen dazu, ob der Verstoß gegen den Datenschutz eine Schwere erreicht, die die im Falle von schwerbehinderten Arbeitnehmern besonders hohe Zumutbarkeitsschwelle beim Arbeitgeber überschreiten könnte. Der Bescheid hebt lediglich hervor, dass der Kläger bereits zuvor wegen Verstoßes gegen den Datenschutz abgemahnt worden sei und dass es sich bei den im Kofferraum befindlichen Aktenordnern um sensible Daten gehandelt habe. Keine Ausführungen finden sich dazu, ob der Kläger damit rechnen musste, dass der im Kofferraum befindliche Koffer durch Werkstattpersonal geöffnet werden könnte. Auch bleibt offen, inwieweit dem Kläger sein Verhalten nur im geringerem Maß zum Vorwurf gemacht werden könnte, weil es im Zusammenhang mit seiner Behinderung steht, obwohl der Beklagte in seinem Antrag auf Zulassung der Berufung betont, auch beim zweiten Kündigungsgrund von einem solchen Zusammenhang ausgegangen zu sein.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils folgen ebenfalls nicht aus dem Vorbringen der Beigeladenen, der Widerspruchsbescheid sei alternativ auf die beiden im Antrag vom 27. April 2011 genannten Pflichtverstöße gestützt. Da das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis komme, dass zumindest hinsichtlich der e-mail vom 25. März 2011 keine Ermessensfehler erkennbar seien, sei der Bescheid auch dann rechtmäßig, wenn hinsichtlich des zweiten Kündigungsgrundes Ermessensfehler bestünden. Dieser Einwand übersieht, dass nach der Rechtsprechung die aufgrund von § 85 SGB IX zu treffende Ermessensentscheidung an den Antrag des Arbeitgebers anknüpft und von ihm auszugehen hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Oktober 1995 - 5 C 24.93 -, BVerwGE 99, 336 ff., Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 -, BVerwGE 90, 287 ff. jeweils zur Vorgängerregelung des § 15 SchwerbG; OVG NRW, Beschluss vom 5. Februar 2009 - 12 A 96/09 -, juris, Rn.11, Beschluss vom 25. Mai 2009 - 12 A 472/09

-, juris, Rn. 13.

Der im Zustimmungsantrag geschilderte Kündigungssachverhalt, hier also das Versenden der e-mail vom 25. März 2011 und das Zurücklassen der Unterlagen im Rahmen des Werkstatttermins am 6. April 2011, bildet in seiner Gesamtheit den Gegenstand der Ermessensentscheidung des Integrationsamts. Genauso hat dies auch der Widerspruchsausschuss beim Integrationsamt des Beklagten gesehen und eine beide Vorgänge kumulativ in die Abwägung aufnehmende, einheitliche Ermessensentscheidung getroffen. An keiner Stelle seiner Begründung hat der Widerspruchsausschuss zu erkennen gegeben, dass er im Rahmen seiner Ermessenserwägungen für die Erteilung der Zustimmung schon einen der beiden Vorgänge für allein ausreichend erachtet. Eine in dieser Weise modifizierte Ermessensbetätigung ist nicht Gegenstand des Verfahrens, weil es an einer solchen Ermessensbetätigung fehlt. Für eine derartige Modifizierung im gerichtlichen Verfahren ist kein Raum, weil die Verwaltungsgerichte lediglich auf die Rechtmäßigkeitskontrolle der erfolgten Ermessensbetätigung beschränkt sind (§ 114 VwGO) und ihnen eine modifizierende Ausgestaltung derselben versagt ist.

Der Arbeitgeber kann sich in einem möglichen Kündigungsprozess vor dem Arbeitsgericht auch nur auf die Gründe berufen, die dem Integrationsamt zur Zustimmung vorgelegen haben und die es in seine Abwägungsentscheidung einbeziehen konnte. Darüber hinaus gehende Kündigungsbegründungen dürfen zur Rechtfertigung nicht herangezogen werden, weil das Integrationsamt insoweit nicht entscheiden konnte, ob sie die spezifischen Belange des Schwerbehindertenschutzes überwiegen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 2. Juli 1992 - 5 C 39.90 - BVerwGE 90, 275 ff., juris, Rn. 28; ArbG Lüneburg Urteil vom 18. Mai 2000 - 2 Ca 726/00 -, NZA-RR 2000, 530 ff., juris; Kuhlmann, in: Ernst/Adlhoch/

Seel, SGB IX, (Stand: März 2011) § 88, Rn. 20.

Sind die Ermessenserwägungen hinsichtlich eines Teils eines aus mehreren Vorgängen bestehenden Kündigungssachverhalts defizitär, so ist die Zustimmung als einheitlicher Ermessensverwaltungsakt insgesamt rechtswidrig. Auf die Frage, ob das Ermessen hinsichtlich der anderen Aspekte der Kündigung ordnungsgemäß ausgeübt wurde, kommt es dann nicht an.

Eine unbillige Benachteiligung des Arbeitgebers ist hierin nicht zu erkennen. Ihm steht es frei seine Kündigungsgründe in seinem Antrag auf Zustimmung nach § 85 SGB IX so zu beschränken oder zu wählen, dass sein Interesse einer Abwägung mit den spezifischen Interessen des schwerbehinderten Menschen standhält. Er ist allerdings dann in einem späteren Kündigungsschutzprozess an die vor dem Integrationsamt geltend gemachten und von diesem abgewogenen Gründe gebunden.

Ohne Aussagekraft für den hier zu entscheidenden Fall ist deshalb die von der Beigeladenen vorgetragene Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Rechtmäßigkeit von solchen Ermessensentscheidungen, die - anders als die hier zu beurteilende Ermessensentscheidung des Widerspruchsausschusses - auf mehrere selbstständig tragende Gründe gestützt werden, wenn nur einer der Gründe sie tatsächlich trägt.

Da die von der Beigeladenen angeführte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hier nicht zur Anwendung gelangt, sind auch die übrigen von der Beigeladenen in diesem Zusammenhang geltend gemachten Zulassungsgründe nicht erfüllt. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts weist keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO), der Rechtssache kommt keine grundsätzlich Bedeutung zu (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) und das angegriffene Urteil weicht auch nicht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 188 Satz 2 Halbsatz 1 VwGO.

Mit diesem Beschluss, der nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar ist, wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Referenznummer:

R/R5806


Informationsstand: 17.07.2013