Urteil
Ordentliche verhaltensbedingte Kündigung - schwerbehinderter Mensch - Zusammenhang - Auflösung des Arbeitsverhältnisses

Gericht:

VG Augsburg


Aktenzeichen:

3 K 13.698 | 3 K 13/689


Urteil vom:

17.09.2013


Grundlage:

Tenor:

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen hat die Klägerin zu tragen.

III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin wendet sich gegen die Zustimmung des Beklagten zur ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses.

1. Die am ... 1960 geborene Klägerin ist seit dem 30. August 2010 als schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt. Nach dem versorgungsamtlichen Bescheid vom 27. September 2010 liegen dem folgende Gesundheitsstörungen zugrunde:

- Depression, Somatisierungsstörung (Einzel-GdB: 30)

- Chronisches Ekzem, Allergie (Einzel-GdB: 20)

- Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB: 20)

Die Klägerin war bei der Beigeladenen, einem Technologieunternehmen, das u. a. medizintechnische Geräte produziert, seit 1. Dezember 1996 als Personalfachkauffrau beschäftigt. Eine Schwerbehindertenvertretung besteht bei der Beigeladenen nicht.

2. Mit Schriftsatz ihres damaligen Bevollmächtigten vom 8. Juni 2011 hatte die Klägerin zum Arbeitsgericht ... Klage gegen die Beigeladene erhoben und Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld, Schadensersatz und Prämien in Höhe von insgesamt nahezu 80.000,- EUR geltend gemacht. Diese Ansprüche begründete sie im Wesentlichen damit, dass sie am Arbeitsplatz seit 2008 Opfer von anhaltenden und umfangreichen Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz und Mobbinghandlungen geworden und deshalb erkrankt sei. Im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens äußerte sie schriftsätzlich wiederholt die Vermutung bzw. den Vorwurf, dass der Vorsitzende des Betriebsrats der Beigeladenen von dieser rechtswidrig begünstigt worden sei. Außerdem ließ sie der Klageschrift Unterlagen als Anlagen beifügen, auf die sie als Mitarbeiterin in der Personalverwaltung Zugriff hatte und die personenbezogene Daten anderer Mitarbeiter der Beigeladenen enthielten. Dabei handelte es sich um den vollständigen Text eines Aufhebungsvertrages zwischen Beigeladener und deren früherer Personalleiterin, den vollständigen Abwicklungsvertrag mit einem früheren Geschäftsführer und anwaltliche Schreiben eines anderen Arbeitnehmers.

3. Unter dem 15. Dezember 2011 beantragte die Beigeladene beim Zentrum Bayern Familie und Soziales Region ... - Integrationsamt - in ... die Zustimmung zur fristlosen außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin. Dies wurde damit begründet, dass die Klägerin in dem von ihr angestrengten arbeitsgerichtlichen Prozess - ohne dass dies zur Geltendmachung vermeintlicher Ansprüche geboten gewesen wäre - öffentlich die Beigeladene unberechtigt einer nach § 119 Abs. 1 Ziff. 3 BetrVG strafbaren Handlung (Verletzung des Begünstigungsverbots nach § 78 Abs. 2 BetrVG) bezichtige und Unterlagen, zu denen sie im Rahmen ihres Beschäftigungsverhältnisses Zugang hatte, veröffentlichte. Dadurch werde nicht zuletzt die Reputation des Unternehmens in der Öffentlichkeit gefährdet. Trotz entsprechender Darlegungen in der Klageerwiderung der Beigeladenen vom 14. Oktober 2011, aus denen sich die Unrichtigkeit des Vorwurfs der Begünstigung ergebe, habe die Klägerin die Verdächtigungen im Schriftsatz ihres Bevollmächtigten an das Arbeitsgericht ... vom 8. Dezember 2011, der bei der Beigeladenen am 12. Dezember 2011 eingegangen sei, wiederholt.

Zu diesem Antrag der Beigeladenen holte das Integrationsamt eine Stellungnahme des Betriebsrats ein, der unter dem 22. Dezember 2011 "nach sorgfältiger Prüfung" der Kündigung "mehrheitlich" zustimmte.

Die Klägerin nahm umfangreich schriftlich als auch im Rahmen einer Vorsprache Stellung. Die Arbeitgeberin wurde zur Einlassung der Klägerin gehört und äußerte sich erneut am 27. Dezember 2011. Hierzu wurde der Klägerin nochmals Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, die diese auch mit per E-Mail übermitteltem Schreiben vom 27. Dezember 2011 wahrnahm. Auf die Stellungnahmen der Klägerin einschließlich der jeweils beigefügten zahlreichen Anlagen wird verwiesen.

Mit Bescheid vom 30. Dezember 2011 stellte das Integrationsamt den Eintritt der Zustimmungsfiktion nach § 91 Abs. 3 Satz 2 SGB IX (am 30. Dezember 2011) fest. Zur Begründung wurde ausgeführt, Hintergrund für das Eintreten der Fiktion sei, dass das Integrationsamt die Zustimmung erteilen solle, wenn die Kündigung aus einem Grund erfolge, der nicht in Zusammenhang mit der Behinderung stehe. Ein derartiger Zusammenhang sei im vorliegenden Fall nicht erkennbar.

4. Unter dem 3. Januar 2012 beantragte die Beigeladene beim Zentrum Bayern Familie und Soziales Region ... - Integrationsamt - in ... (vorsorglich) die Zustimmung zur verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin und begründete dies mit den gleichen Argumenten wie den Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung vom 15. Dezember 2011.

Nach Anhörung des Betriebsrats sowie der Klägerin erteilte das Integrationsamt mit Bescheid vom 24. Januar 2012 die Zustimmung zur hilfsweisen ordentlichen Kündigung des zwischen der Klägerin und der Beigeladenen bestehenden Arbeitsverhältnisses. Zur Begründung führte das Integrationsamt im Wesentlichen aus, dass die von der Beigeladenen angeführten Pflichtverletzungen eine verhaltensbedingte Kündigung rechtfertigten. Das Integrationsamt habe nicht zu prüfen, ob die der Klägerin zur Last gelegten Pflichtverletzungen tatsächlich begangen worden seien; diese Prüfung obliege dem Arbeitsgericht. Nach der Rechtsprechung sei das integrationsamtliche Ermessen in den Fällen beabsichtigter verhaltensbedingter Kündigungen, in denen kein Zusammenhang zwischen dem Fehlverhalten des Schwerbehinderten und der anerkannten Schwerbehinderung besteht, dahingehend intendiert, dass den Interessen des Arbeitgebers regelmäßig größeres Gewicht beizumessen sei. Vorliegend könne ein Zusammenhang zwischen den der Schwerbehinderung zugrunde liegenden Gesundheitsstörungen und den der Klägerin angelasteten Pflichtverletzungen nicht erkannt werden. Demnach werde der beabsichtigten ordentlichen Kündigung auch unter Würdigung der damit für die Klägerin verbundenen Nachteile zugestimmt.

5. Gegen die von der Beigeladenen (jeweils mehrfach) erklärten außerordentlichen und ordentlichen Kündigungen erhob die Klägerin Kündigungsschutzklage zum Arbeitsgericht .... Mit Teilurteil vom 11. Mai 2012, Az. ..., stellte das Arbeitsgericht ... fest, dass das zwischen der Klägerin und der Beigeladenen bestehende Anstellungsverhältnis durch die von der Beigeladenen erklärten außerordentlichen und ordentlichen (insgesamt acht) Kündigungen nicht aufgelöst worden sei.

Die Beigeladene legte dagegen Berufung zum Landesarbeitsgericht ... ein. Im Rahmen des Berufungsverfahrens ließ die Klägerin mit Schriftsatz ihres damals Bevollmächtigten vom 31. Oktober 2012 vortragen, dass sie den Vorwurf, dass die Beigeladene den Betriebsrat "tatsächlich wissentlich" begünstigt habe, nicht mehr aufrecht erhalte und der Beigeladenen keine vorsätzliche Begünstigung mehr unterstelle. Möglicherweise habe eine unvollständige oder missverständliche Information zu falschen Schlussfolgerungen der Klägerin geführt.

Mit Urteil vom 6. Dezember 2012 (Az. ...) wies das Landesarbeitsgerichts ... die Berufung der Beigeladenen gegen das Teilurteil des Arbeitsgerichts ... vom 11. Mai 2012 zurück und löste auf Antrag der Beigeladenen das Arbeitsverhältnis gemäß §§ 9 und 10 KSchG zum 31. August 2012 gegen Zahlung einer Abfindung durch die Beigeladene in Höhe von 70.000,00 EUR auf. In den Entscheidungsgründen wird u. a. ausgeführt, dass sich die Klägerin zwar erhebliche Pflichtverletzungen (Vorwurf der Begünstigung des Betriebsrats; zweckfremde Verwendung betrieblicher Unterlagen, u. a. zweier Verträge, die die Beigeladene mit anderen Mitarbeitern geschlossen habe) vorwerfen lassen müsse. Der Vortrag (ihres damaligen Prozessbevollmächtigten) im arbeitsgerichtlichen Verfahren, der nicht als "ungeschicktes prozessuales Verhalten" oder als "eine Art Exzessverhalten" gesehen werden könne, sei ihr grundsätzlich zuzurechnen. Es fehle jedoch an einer notwendigen vorherigen Abmahnung und an der Verhältnismäßigkeit der Kündigung. Deshalb seien die Kündigungen nicht sozial gerechtfertigt.

Auf die sonstigen Ausführungen im Tatbestand und in den Entscheidungsgründen des genannten Urteils, das allen Beteiligten bekannt ist und in dem die Revision nicht zugelassen wurde, wird verwiesen.

Die (wegen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses) von der Klägerin erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wurde vom Bundesarbeitsgericht zurückgewiesen.

6. Die Klägerin hatte am 30. Januar 2012 zum Verwaltungsgericht Augsburg Klage auf Aufhebung des (Fiktions-) Bescheids vom 30. Dezember 2011 (die außerordentliche Kündigung betreffend) erhoben. Dieses Verfahren, das unter dem Aktenzeichen Au 3 K 12.129 geführt wurde, wurde nach übereinstimmenden Hauptsacheerledigungserklärungen der Beteiligten mit Beschluss vom 17. September 2013 eingestellt.

7. Gegen den Bescheid vom 24. Januar 2012, mit dem das Integrationsamt der ordentlichen Kündigung zustimmte, ließ die Klägerin am 24. Februar 2012 zum Verwaltungsgericht Klage erheben. In diesem Verfahren mit dem Aktenzeichen Au 3 K 13.698 beantragt sie zuletzt,

den Bescheid des Integrationsamts vom 24. Januar 2012 aufzuheben.

Sie ist der Meinung, dass das Integrationsamt gegen seine Aufklärungs- bzw. Ermittlungspflicht verstoßen habe; deshalb sei die erteilte Zustimmung zur ordentlichen Kündigung rechtswidrig und verletze die Klägerin in ihren Rechten.

Das Integrationsamt gehe zu Unrecht davon aus, dass die geltend gemachten Kündigungsgründe nicht im Zusammenhang mit der anerkannten Schwerbehinderung stünden. Dies ergebe sich aber aus einer Vielzahl von ärztlichen Attesten und Stellungnahmen, die die Klägerin bei den Arbeitsgerichten vorgelegt habe. Aufgrund der seit 2008 anhaltenden Mobbingsituation am Arbeitsplatz mit laufenden Verstößen gegen das Arbeitszeitgesetz, Fürsorgepflichtverletzungen des Arbeitgebers und unterlassener Hilfestellung des Betriebsratsvorsitzenden sei sie erkrankt. U. a. leide sie an einer Depression, Schlafstörung, nervöser Unruhe, Grübelneigung und funktionellen Magenbeschwerden. Die Anerkennung als Schwerbehinderte sei ihr deshalb u. a. wegen Depression und Somatisierungsstörung erteilt worden. Die Klägerin habe im Verwaltungsverfahren versucht, dem Integrationsamt u. a. drei Leitzordner, in denen Beweisunterlagen zu ihrer Mobbingsituation enthalten gewesen seien, persönlich zu übergeben. In diesen Ordnern seien auch mehrere ärztliche Atteste und Stellungnahmen über ihren Gesundheitszustand, insbesondere zur Depression, enthalten gewesen. Diese Unterlagen seien jedoch nicht entgegen genommen worden. Die Klägerin habe sich auch bereits im Februar 2011 wegen der bestehenden Mobbingsituation hilfesuchend an den Integrationsfachdienst München gewandt. Damit sei das Integrationsamt über die Mitarbeiterin des Integrationsfachdiensts über die die Klägerin gesundheitlich schwer belastende Mobbingsituation informiert gewesen. Das Integrationsamt hätte daher weitere Ermittlungen dahingehend anstellen müssen, ob die Klägerin wegen der durch die Mobbingsituation und die Fürsorgepflichtverletzungen der Beigeladenen möglicherweise in ihrer Einsichts- und Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt war. Im Übrigen habe sich die Klägerin gleichsam in einer "notwehrähnlichen" Situation befunden, als sie die zur Kündigung führenden Handlungen vorgenommen habe.

Weiter habe das Integrationsamt auch nicht erkannt, dass der Betriebsratsvorsitzende Betroffener des Kündigungssachverhalts und deshalb an der Mitwirkung verhindert gewesen sei.

7. Für den Beklagten beantragt das Integrationsamt

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung wird u. a. ausgeführt, dass sich der Prüfungsumfang des Integrationsamts nur auf die von der Beigeladenen im Zustimmungsverfahren, somit spätestens bis Bescheiderlass angegebenen verhaltensbedingten Gründe, d. h. den von der Klägerin im arbeitsgerichtlichen Verfahren begangenen Pflichtverletzungen, die eine Kündigung grundsätzlich rechtfertigen könnten, beziehe. Diese Handlungen würden von der Klägerin nicht bestritten, sondern als gerechtfertigt angesehen. Letzteres unterliege jedoch nicht der integrationsamtlichen oder auch verwaltungsgerichtlichen, sondern ausschließlich der arbeitsgerichtlichen Überprüfung. Gleiches gelte auch für die Frage der Erforderlichkeit einer Abmahnung wie auch des Vorliegens einer Mobbingsituation. Eine offensichtliche Unwirksamkeit der Kündigung in arbeitsrechtlicher Hinsicht sei nicht gegeben. Ein Zusammenhang zwischen den der Klägerin zur Last gelegten Handlungen, die von der Beigeladenen als Kündigungsgründe angeführt würden, mit der anerkannten Behinderung bestehe nicht. Insoweit sei zu berücksichtigen, dass der Vortrag sowie die Vorlage der Unterlagen im arbeitsgerichtlichen Verfahren durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht erfolgt seien. Wenn sich die Klägerin in einem Zustand fehlender Einsichtsfähigkeit oder fehlender Fähigkeit zur Verhaltenssteuerung befunden hätte, hätte dies zuvörderst dem anwaltlichen Vertreter auffallen müssen. Dies hätte wohl auch die Prozessunfähigkeit der Klägerin - jedenfalls in den arbeitsgerichtlichen Verfahren - zur Folge gehabt. Sowohl das Arbeitsgericht ... als auch das Landesarbeitsgericht seien jedoch von der Prozessfähigkeit der Klägerin ausgegangen, da die Klagen ansonsten als unzulässig abgewiesen worden wären. Das Integrationsamt habe auch keine Kenntnis davon gehabt, dass die Klägerin bereits beim Integrationsfachdienst vorstellig geworden sei. Die ärztlichen Atteste, auf die sich die Klägerin beziehe, hätten auch keinen Aussagewert im Hinblick auf eine fehlende Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit der Klägerin.

Im Übrigen verkenne die Klägerseite den Umfang der dem Integrationsamt obliegenden Prüfung. Ob die Klägerin tatsächlich einem Mobbing ausgesetzt gewesen sei, wie in ihren umfangreichen Schriftsätzen in den arbeitsgerichtlichen Verfahren behauptet und unter Beweis gestellt worden sei, sei nicht vom Integrationsamt zu prüfen gewesen.

Das Integrationsamt habe entsprechend dem gesetzlichen Auftrag eine Stellungnahme "des Betriebsrats" und nicht des Betriebsratsvorsitzenden eingeholt. Dieser habe nur die Stellungnahme des (gesamten) Betriebsrats, dass der Kündigung mehrheitlich zugestimmt worden sei, weitergeleitet.

8. Die mit Beschlüssen vom 19. März 2012 jeweils beigeladene Arbeitgeberin beantragt,

die Klagen abzuweisen.

Zur Begründung wird vorgetragen, dass es am Rechtsschutzbedürfnis fehle, nachdem das Arbeitsverhältnis rechtskräftig aufgelöst worden sei.

9. Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten in den Verfahren Au 3 K 12.129 sowie Au 3 K 13.698 und die beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

BAYERN.RECHT

Entscheidungsgründe:

Die Klage, die nur die Zustimmung des Integrationsamts zur ordentlichen Kündigung zum Gegenstand hat, ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

1. Entgegen der Auffassung der Beigeladenen besteht für das Klagebegehren (noch) ein Rechtsschutzbedürfnis. Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (U. v. 27.11.2006 - 9 BV 05.2467 - juris), der sich das erkennende Gericht anschließt, besteht für die Anfechtungsklage eines schwerbehinderten Arbeitnehmers zum Verwaltungsgericht, mit der die Aufhebung vom Integrationsamt erteilten Zustimmung zur Kündigung begehrt wird, auch dann noch ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn das Arbeitsgericht bereits rechtskräftig festgestellt hat, dass zwar das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung aus Gründen des § 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht aufgelöst wurde, das Arbeitsgericht jedoch das Arbeitsverhältnis auf Antrag des Arbeitgebers gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG aufgelöst hat. In dieser Entscheidung, der ein vergleichbarer Fall zugrunde lag, führt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Folgendes aus:

"Nach der st. Rspr. der Arbeitsgerichte kann ein Arbeitgeber (anderes gilt für den Arbeitnehmer, BAGE 35,30; BAG Urteil vom 30.4.1987 Az. 2 AZR 302/86) eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG nur verlangen wenn die Kündigung lediglich nach § 1 KSchG sozialwidrig ist. Ist die Kündigung bereits aus anderen Gründen unwirksam, kann er einen Auflösungsantrag nicht stellen (BAG Urteil vom 9.12.1979 BAGE 32, 122; BAG Urteil vom 10.11.1994 NJW 1995, 1981 = AP Nr. 24 zu § 9 KSchG 1969; BAG Beschluss vom 21.9.2000 NJW 2001, 771; BAG Urteil vom 27.9.2001 NJW 2002, 1287; BAG Urteil vom 27.9.2001 NJW 2002, 3192/3195). Für diese Rechtsprechung der Arbeitsgerichte werden folgende Gründe genannt: Die Möglichkeit einen Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 KSchG stellen zu können bietet dem Arbeitgeber eine Vergünstigung, die er nur bei der Sozialwidrigkeit der Kündigung hat, nicht aber in sonstigen Fällen der Unwirksamkeit der Kündigung. Diese Möglichkeit ist gleichsam ein Ausgleich für die dem Arbeitnehmer im Kündigungsschutzgesetz eingeräumten Rechtsvorteile. Sie ist jedoch kein Ausgleich für andere Rechtsvorteile des Arbeitnehmers, wie z.B. den besonderen Kündigungsschutz für Schwerbehinderte. Dies hat seinen rechtlichen Niederschlag in § 13 Abs. 3 KSchG gefunden.

Somit kann die Auflösung des Zustimmungsbescheids dem Kläger noch dazu dienen, bei den Arbeitsgerichten geltend zu machen, der Auflösungsantrag sei nach der o.a. Rechtsprechung unzulässig gewesen, weil die Kündigung nicht nur wegen Sozialwidrigkeit, sondern auch wegen fehlender Zustimmung nach § 85 SGB IX unwirksam war.

Allerdings ist das arbeitsgerichtliche Verfahren bereits rechtskräftig abgeschlossen. Damit kommt der Einwand scheinbar zu spät. Freilich lag die "Verspätung" nicht im Einflussbereich des Klägers: Denn die Arbeitsgerichte entscheiden nach eigenem Ermessen, ob sie ihr Verfahren aussetzen, bis der verwaltungsgerichtliche Streit um die Aufhebung des Zustimmungsbescheids rechtskräftig entschieden ist (vgl. BAG Urteil vom 25.11.1980 BAGE 34,275/278 = AP Nr. 7 zu § 12 SchwbG = NJW 1981, 2023). Setzen sie nicht aus, wie im vorliegenden Fall, so können sie von dem gesetzlich angeordneten Sofortvollzug der Zustimmung ausgehen (vgl. § 88 Abs. 4 SGB IX) und - sofern die Kündigung nach § 1 KSchG sozial ungerechtfertigt ist - einem Auflösungsantrag stattgeben, wenn dessen Voraussetzungen erfüllt sind. Setzen sie ihr Verfahren dagegen aus und die Verwaltungsgerichte heben den Zustimmungsbescheid rechtskräftig auf, geben die Arbeitsgerichte der Kündigungsschutzklage statt und weisen einen Auflösungsantrag nach § 9 Abs. 1 KSchG gemäß ihrer o. a. Rechtsprechung als unzulässig ab.

Es erschiene unbillig, wenn die Unzulässigkeit des Auflösungsantrags dem Kläger nur deshalb nicht zugute käme, weil die Arbeitsgerichte ihr Verfahren nicht ausgesetzt, sondern vor den Verwaltungsgerichten entschieden haben. Das Bundesarbeitsgericht hat in vergleichbaren Fällen, in denen die Arbeitsgerichte ihr Verfahren nicht ausgesetzt und die Kündigungsschutzklage rechtskräftig abgewiesen hatten und in denen die Verwaltungsgerichte danach den Zustimmungsbescheid aufhoben, die Restitutionsklage gemäß § 580 Nr. 6 ZPO für gegeben erachtet (Urteil vom 25.11.1980 a. a. O.; Urteil vom 17.6.1998 Az. 2 AZR 519/97 veröffentlich in juris). Die Restitutionsklage ist nach der Rechtsprechung in entsprechender Anwendung des § 580 Nr. 6 ZPO auch statthaft, wenn das angegriffene Urteil auf einem später aufgehobenen Verwaltungsakt beruht (BGH Urteil vom 21.1.1988 MDR 1988,566; BAG Urteil vom 25.11.1980 a. a. O.)."

Nachdem das Bundesarbeitsgericht nach wie vor, die Auffassung vertritt, dass ein Arbeitgeber die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur verlangen kann, wenn die Rechtsunwirksamkeit der ordentlichen Kündigung allein auf der Sozialwidrigkeit und nicht auch auf anderen Gründen i. S. v. § 13 Abs. 3 KSchG beruht (vgl. zuletzt BAG, U. v. 24.11.2011 - 2 AZR 429/10 - NJW 2012, 2135), besteht keine Veranlassung, von der oben dargelegten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs abzuweichen. Dass die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG selbst keiner integrationsamtlichen Zustimmung bedarf, wie die Beigeladene unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 11.5.2996 - 5 B 24/06 - Behindertenrecht 2007, 107 f. und juris) zutreffend ausführt, ändert daran nichts (vgl. BayVGH, U. v. 27.11.2006, a. a. O.).

Die Durchführung eines Vorverfahrens war entbehrlich. Das erkennende Gericht hat keine rechtlichen Zweifel daran, dass die vom Integrationsamt erteilte Rechtsbehelfsbelehrung, die entsprechend Art. 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Gesetzes zur Ausführung der Verwaltungsgerichtsordnung (AGVwGO) auf ein (lediglich) fakultatives Widerspruchsverfahren hinweist, auch im Hinblick auf § 118 Abs. 1 Satz 2 des Sozialgesetzbuchs Neuntes Buch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX) zutreffend ist bzw. richtig erteilt wurde (vgl. VG Augsburg, U. v. 7.2.2012 - Au 3 K 11.1470 - juris). Mit Erlass des Art. 15 Abs. 1 AGVwGO wurde für Verwaltungsakte bayerischer Behörden ab dem 1. Juli 2007 das fakultative Widerspruchsverfahren eingeführt und - auch nach Ansicht des bayerischen Landesgesetzgebers (vgl. LT-​Drs. 15/7252 S. 10) - von der Öffnungsklausel des § 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO, die der Bundesgesetzgeber zum 1. Januar 1997 in der derzeit gültigen Fassung normiert hatte, für abweichende landesrechtliche Regelungen Gebrauch gemacht. Solche Regelungen waren nach § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO in der bis zum 31.12.2006 gültigen Fassung nicht möglich gewesen, da hiernach Ausnahmen nur "für besondere Fälle" vorgesehen waren.

2. Die Klage ist jedoch unbegründet, denn der angefochtene Zustimmungsbescheid des Integrationsamts vom 24. Januar 2012 ist rechtens und verletzt die Klägerin demnach auch nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

2.1 Maßgeblich für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung ist der Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung, d. h. der Zeitpunkt des Erlasses des Zustimmungsbescheids. Dagegen ist vorliegend nicht auf den Zeitpunkt abzustellen, an dem die Kündigung erfolgte. Letzteres ist nur dann der Fall, wenn gegen einen Zustimmungsbescheid Widerspruch erhoben wird (vgl. BVerwG, B. v. 7.3.1991 - 5 B 114/89 - NZA 1991, 511 und juris), was - wie oben dargelegt - nach Art. 15 Abs. 1 Nr. 4 AGVwGO fakultativ zulässig ist. Nachdem sich die Klägerin gegen die Einlegung eines Widerspruchs und für die unmittelbare Erhebung einer Klage entschieden hat, muss der Zeitpunkt des Bescheiderlasses als maßgeblich angenommen werden (vgl. VG Augsburg, U. v. 7.2.2012, a. a. O.).

2.2 Rechtsgrundlage für die angefochtene Entscheidung sind §§ 85 ff. SGB IX. Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten (oder gleichgestellten) Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bedarf der Zustimmung des Integrationsamts (§ 85 SGB IX). Über die Erteilung der Zustimmung zur Kündigung oder deren Versagung hat das Integrationsamt nach Einholung von Stellungnahmen des Betriebsrats und der Schwerbehindertenvertretung - so vorhanden - und Aufklärung des Sachverhalts - insbesondere auch durch Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers - nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden (§ 88 SGB IX). Diese Entscheidung unterliegt nur einer eingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Kontrolle (§ 114 Satz 1 VwGO).

2.2.1 Formelle Fehler sind nicht erkennbar.

Das sachlich und örtlich zuständige Integrationsamt hat zum Zustimmungsantrag der Beigeladenen gem. § 87 Abs. 2 SGB IX eine Stellungnahme des Betriebsrats eingeholt und die Klägerin angehört, die umfangreich Stellung genommen hat. Eine Schwerbehindertenvertretung ist bei der Beigeladenen nicht vorhanden.

2.2.2 Der angefochtene Zustimmungsbescheid ist auch materiell rechtmäßig.

2.2.2.1 Es steht außer Zweifel, dass die von der Beigeladenen zur Begründung ihres Antrags auf Erteilung der Zustimmung beim Integrationsamt dargelegten Sachverhalte (Vorwurf der Begünstigung des Betriebsratsvorsitzenden, zweckfremde Verwendung von Unterlagen und personenbezogenen Daten anderer Beschäftigter) vom Grundsatz her geeignet sind, eine (außerordentliche erst recht ordentliche) verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen. Dies ergibt sich auch deutlich aus den Entscheidungsgründen des rechtskräftigen Berufungsurteils des Landesarbeitsgerichts ... vom 6. Dezember 2012. Dass die Pflichtverletzungen im Rahmen eines arbeitsgerichtlichen Klageverfahrens unter "Beteiligung" ihres damaligen Bevollmächtigten erfolgten, entlastet die Klägerin nicht; es besteht kein ernsthafter Zweifel daran, dass die vom Bevollmächtigten vorgenommenen Verfahrenshandlungen mit Wissen und Wollen der Klägerin erfolgten, die auch die zweckwidrig verwendeten Unterlagen und Informationen - unter Ausnutzung ihrer Stellung im Betrieb der Beigeladenen - beschafft hatte.

Das Integrationsamt ist auch zu Recht davon ausgegangen, dass die beabsichtigte Kündigung arbeitsrechtlich nicht offensichtlich unwirksam sein wird. Eine solche evident unwirksame Kündigung des Arbeitgebers liegt nur dann vor, wenn die Rechtswidrigkeit ohne jeden vernünftigen Zweifel und ohne Beweiserhebung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zutage tritt und sich jedem Kundigen geradezu aufdrängt. Das trifft dann zu, wenn der als Kündigungsgrund geltend gemachte Lebenssachverhalt erkennbar unzutreffend oder die Kündigungsabsicht von unsachlichen oder willkürlichen Erwägungen getragen ist (BVerwG, B. v. 18.9.1996 - 5 B 109/96 - Buchholz 436.61 § 21 SchwbG Nr. 8 und juris; BayVGH vom BayVGH, B. v. 22.5.2012 - 12 ZB 12.88 - und B. v. 18.10.2010 - 12 ZB 10.1790 - beide juris; OVG NRW, B. v. 22.1.2009 - 12 A 2094/08 - juris, m. w. N.). Davon konnte vorliegend keine Rede sein. Zwar hat das Arbeitsgericht ... und nachfolgend das Landesarbeitsgericht ... die nach Erteilung der integrationsamtlichen Zustimmung ausgesprochenen Kündigungen wegen fehlender vorheriger Abmahnung und Unverhältnismäßigkeit für unwirksam erklärt, doch steht dies der Annahme fehlender Evidenz nicht entgegen. Es ist nicht Aufgabe des Integrationsamtes, (schwierige) arbeitsrechtliche Fragen über die Notwendigkeit einer vorherigen Abmahnung oder auch die Verhältnismäßigkeit der Kündigung zu entscheiden; die Klärung dieser Fragen muss dem Arbeitsgericht im Kündigungsschutzprozess vorbehalten bleiben (vgl. BVerwG, U. v. 2.7.1992 - 5 C 51/90 - BVerwGE 90, 287 ff.). Die arbeitsrechtliche Unwirksamkeit der vom Kläger beabsichtigten Kündigung lag daher nicht offen zu Tage.

2.2.2.2 Die vom Integrationsamt getroffene Ermessensentscheidung kann nicht beanstandet werden.

Wie oben bereits dargelegt, richtet sich die verwaltungsgerichtliche Kontrolle einer behördlichen Ermessensentscheidung nach § 114 Satz 1 VwGO. Danach ist es dem Gericht versagt, die behördlichen Ermessenserwägungen durch eigene zu ersetzen; es kann die Entscheidung nur auf Ermessensfehler (Ermessensausfall, Ermessensdefizit, Ermessensfehlgebrauch) hin überprüfen. Diese Prüfung erstreckt sich insbesondere auch darauf, ob die Behörde von einem ausreichend ermittelten und zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens beachtet und von der ihr eingeräumten Entscheidungsbefugnis in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.

Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Integrationsamt die widerstreitenden Interessen des schwerbehinderten Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und das Interesse des Arbeitgebers an der Wahrung seiner Gestaltungsmöglichkeiten gegeneinander abzuwägen. Dabei sind an die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses besonders hohe Anforderungen zu stellen, wenn die Kündigung auf Gründe gestützt werden soll, die mit der Behinderung in Zusammenhang stehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mehrfach betont, dass der Schwerbehindertenschutz an Gewicht gewinnt, wenn die Kündigung des Arbeitsverhältnisses auf Gründe gestützt wird, die in der Behinderung selbst ihre Ursache haben, und dass infolgedessen an die bei der interessenabwägenden Ermessensentscheidung zu berücksichtigende Zumutbarkeitsgrenze für den Arbeitgeber besonders hohe Anforderungen zu stellen sind, um dem im Schwerbehindertenrecht zum Ausdruck kommenden Schutzgedanken der Rehabilitation angemessen Rechnung zu tragen (vgl. z. B. 19.10.1995 - 5 C 24/93 - BVerwGE 99, 336).

Ausgehend von vorstehenden Erwägungen kann die vom Integrationsamt getroffene Entscheidung nicht beanstandet werden. Das Integrationsamt ist seiner Ermittlungspflicht nach § 20 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) in ausreichendem Maße nachgekommen. Es war insbesondere nicht verpflichtet, den von der Klägerin aufgestellten Mobbingvorwürfen im Einzelnen unter dem Aspekt eines möglichen Zusammenhangs mit dem Kündigungsgrund nachzugehen. Denn es kommt insoweit nicht auf Kausalverhältnis zwischen dem angeblich erlittenen Mobbing und ihrer Schwerbehinderung an. Entscheidend ist vielmehr ausschließlich, ob ein Zusammenhang zwischen ihrer Schwerbehinderung und den Handlungen der Klägerin besteht, derentwegen sie gekündigt werden sollte und wurde. Hinsichtlich der Frage, wann ein solcher Zusammenhang anzunehmen ist, kann auf die in der Rechtsprechung, insbesondere auch vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätze zu § 91 Abs. 4 SGB IX zurückgegriffen werden (vgl. z. B. BVerwG, U. v. 12.7.2012 - 5 C 16/11 - BVerwGE 143, 325). Danach sind nur die im Verfahren nach § 69 SGB IX nachgewiesenen und damit der getroffenen Feststellung des Grads der Behinderung (GdB) bzw. der Behinderung im Bescheid der Versorgungsverwaltung zugrunde liegenden Funktionsstörungen und solche Behinderungen, die trotz Antragstellung durch den Betroffenen ohne dessen Vertretenmüssen noch nicht festgestellt worden sind, in den Blick zu nehmen. Für die Frage, ob zwischen der Behinderung der Klägerin und den Pflichtverletzungen, die von der Beigeladenen zur Begründung der Kündigung ins Feld geführt werden, ein Zusammenhang besteht, ist daher auf die im versorgungsamtlichen Bescheid vom 27. September 2010 konkret benannten Funktionsstörungen abzustellen. Denn nicht jede Erkrankung führt zu einer Funktionsbeeinträchtigung und nicht jede Funktionsbeeinträchtigung zu einer wesentlichen Teilhabebeeinträchtigung, um die es bei einer Schwerbehinderung geht (vgl. § 2 SGB IX). Dass die Klägerin wegen weiterer bisher nicht festgestellter Behinderungen bzw. Gesundheitsstörungen vor Erteilung der integrationsamtlichen Zustimmung einen weiteren Feststellungsantrag nach § 69 Abs. 1 SGB IX gestellt hätte, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Ein Zusammenhang zwischen Behinderung und Kündigungsgrund ist anzunehmen, wenn sich das zur Begründung der Kündigung herangezogene Verhalten zwanglos aus der der festgestellten Behinderung zugrunde liegenden Beeinträchtigung ergibt und der Zusammenhang nicht nur ein entfernter ist (vgl. BVerwG, U. v. 12.7.2012, a. a. O.). Bei verhaltensbedingten Kündigungen aufgrund von Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers, wie hier, trifft dies dann zu, wenn die jeweils festgestellte Behinderung unmittelbar oder mittelbar zu Defiziten in der Einsichtsfähigkeit und/oder Verhaltenssteuerung des schwerbehinderten Arbeitnehmers geführt hat, denen behinderungsbedingt nicht entgegengewirkt werden konnte, und das einer Kündigung zugrunde liegende Verhalten des schwerbehinderten Arbeitnehmers gerade auf diese behinderungsbedingte, mangelhafte Verhaltenssteuerung zurückzuführen ist (vgl. z. B. OVG NRW, B. v. 22.1.2009, a. a. O.).

Hiervon ausgehend kann ein Zusammenhang zwischen der Behinderung und dem pflichtwidrigen (kündigungsrelevanten) Verhalten der Klägerin nicht bejaht werden. Eine Beeinträchtigung ihrer geistigen Fähigkeiten, die die freie Willensentschließung hätte ausschließen oder wesentlich einschränken können, war und ist bei der Klägerin weder festgestellt noch sonst erkennbar. Ausgehend vom Bescheid des Versorgungsamts vom 27. September 2010 könnte insoweit allenfalls der Feststellung "Depression, Somatisierungsstörung" eine Bedeutung zukommen. Es erscheint jedoch unwahrscheinlich und musste sich dem Integrationsamt deshalb auch nicht aufdrängen, dass diese festgestellten Beeinträchtigungen, die versorgungsamtlich mit einem Einzel-GdB von 30 "bewertet" wurden, sowie die damit einhergehenden Störung (Grübelneigung, Schlafstörungen, nervöser Unruhe usw.) zum Verlust oder zur wesentlichen Einschränkung der Einsichtsfähigkeit oder Fähigkeit zur Verhaltenssteuerung führten. Bei den pflichtwidrigen Handlungen der Klägerin, die von der Beigeladenen zur Rechtfertigung der Kündigung herangezogen wurden, handelte es sich auch offensichtlich nicht um ein einmaliges Spontanverhalten im Affekt; diese waren ersichtlich längerfristig und gezielt vorbereitet worden. Die Vorwürfe waren von der Klägerin auch nicht nur einmal erhoben, sondern mehrere Monate später in mindestens einem weiteren anwaltlichen Schriftsatz wiederholt worden. Dass die Klägerin aufgrund der o.g. festgestellten Gesundheitsstörungen zu dem Verhalten gleichsam "wahnhaft getrieben" gewesen wäre, ist nicht erkennbar und wird so auch nicht geltend gemacht.

Mangels ausreichender Anhaltspunkte, die einen Zusammenhang zwischen der festgestellten Gesundheitsstörung und dem pflichtwidrigen Verhalten der Klägerin hätten nahelegen können, war das Integrationsamt daher auch nicht gehalten, durch Einholung eines (amts-)ärztlichen Gutachtens dieser Frage nachzugehen.

Hat somit das Integrationsamt auf einer nach seinerzeitigem Kenntnisstand ausreichenden Tatsachengrundlage entschieden, so kann auch die Ermessensausübung der Behörde, die in der Begründung des angefochtenen Bescheid ihren Niederschlag gefunden hat (§ 35 Abs. 1 Satz 3 SGB X), rechtlich nicht beanstandet werden. Dass das Integrationsamt erkannt hat, eine Ermessensentscheidung (und keine gebundene Entscheidung) treffen zu müssen und Ermessen auch ausgeübt hat, liegt auf der Hand und bedarf keiner weiteren Begründung. Es hat erkennbar keine sachfremden Erwägungen angestellt und die Grenzen des Ermessens - gemessen an Sinn und Zweck des schwerbehindertenrechtlichen Sonderkündigungsschutzes nach §§ 85 ff. SGB IX - gewahrt. Weiter wird aus der Begründung des angefochtenen Bescheids offenbar, dass alle in die Abwägung einzustellenden Belange berücksichtigt und gewichtet wurden.

2.2.2.3 Aufgrund der vorstehend dargestellten Erwägungen kommt das erkennende Verwaltungsgericht daher zur Überzeugung, dass der angefochtene Zustimmungsbescheid des Integrationsamts vom 24. Januar 2012 rechtmäßig ist. Die Klägerin kann deshalb auch nicht in eigenen subjektiven Rechten verletzt sein.

3. Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge nach § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Das Verfahren ist nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei.

Nachdem die Beigeladene einen eigenen (Klageabweisungs-) Antrag gestellt, sich somit nach § 154 Abs. 3 VwGO einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, entspricht es der Billigkeit, der unterlegenen Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen (§ 162 Abs. 3 VwGO).

Referenznummer:

R/R7100


Informationsstand: 20.12.2016