Urteil
Rechtmäßigkeit der Kündigungszustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin - Zerrüttung des Vertrauensverhältnis durch verleumderische Behauptung der sexuellen Belästigung in einer öffentlichen Verhandlung

Gericht:

VG Frankfurt am Main 7. Kammer


Aktenzeichen:

7 K 926/14.F


Urteil vom:

27.08.2014


Tenor:

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Die Klägerin hat die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu tragen, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der noch festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung , dass die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses durch die Beigeladene rechtswidrig war.

Die am 05.07.1977 geborene Klägerin ist schwerbehindert. Wegen einer Muskelerkrankung stellte das Hessische Amt für Versorgung und Soziales mit Bescheid vom 12.05.1999 fest, dass der Grad der Behinderung 60 beträgt. Weiter wurde das Merkzeichen "G" festgestellt. Die Klägerin ist ausgebildete Fachangestellte für Bürokommunikation, bei der Beigeladenen seit dem 01.09.2011 beschäftigt und seit dem 01.05.2012 in der Antragsbearbeitung tätig. Wegen schlechter Arbeitsleistung, Arbeitsverweigerung und Arbeitszeitverzögerung wurde die Klägerin am 23.01.2013 wegen ihres Umgangstons gegenüber Kollegen, dem Fernbleiben von angeordneten Dienstterminen sowie unzureichender Arbeitsleistung und Arbeitsverschleppung am 06.03.2013 abgemahnt.

Die Beigeladene bietet Dienstleistungen für Finanzvertriebe an und verfügt über 69 Arbeitsplätze. Ein Betriebsrat oder eine Schwerbehindertenvertretung sind nicht gewählt.

Mit Schreiben vom 11.03.2013 beantragte die Beigeladene die Zustimmung des Integrationsamts des Beklagten zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus verhaltensbedingten Gründen. Hierzu führte sie zusammengefasst aus, dass die Klägerin in der öffentlichen und gut besuchten Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main am 12.06.2013 behauptet habe, dass sie von ihrem direkten Vorgesetzten sexuell belästigt worden sei. Aufgrund dieses Vorfalls habe sich der Vorgesetzte entschlossen, gegen die Klägerin Strafanzeige wegen Beleidigung, übler Nachrede, Verleumdung und Vortäuschung einer Straftat zu erstatten. Das Arbeitsverhältnis mit der wegen verschiedener Pflichtverletzungen abgemahnten Klägerin sei zerrüttet und könne daher nicht fortgesetzt werden. Mit der Klägerin wolle im Betrieb niemand mehr zusammenarbeiten. Dies gelte auch für das weibliche Personal.

Die Klägerin erklärte sich mit der Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses nicht einverstanden und wies die gegen sie erhobenen Vorwürfe als unzutreffend zurück.

Mit Bescheid vom 18.07.2013 erteilte der Beklagte die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung der Klägerin. Die Entscheidung wurde darauf gestützt, dass zwischen dem Kündigungsgrund und der Schwerbehinderung der Klägerin kein Zusammenhang bestehe und der Sonderkündigungsschutz des SGB IX daher zurücktrete. Überdies sei davon auszugehen, dass die Vertrauensbasis für das Arbeitsverhältnis irreparabel zerstört sei.

Die Beigeladene kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin am 27.07.2013 zum 31.08.2013. Die Klägerin hat hiergegen Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erhoben.

Am 19.08.2013 hat die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid vom 18.07.2013 erhoben. Diesen begründet sie damit, dass das Integrationsamt des Beklagten die Einlassungen der Klägerin nur unvollständig und ohne Beachtung der Erörterungsgesprächs vom 13.05.2013 berücksichtigt habe. Den Kündigungsgrund der üblen Nachrede bzw. die Vortäuschung einer Straftat habe die Beigeladene nach diesem Termin nachgeschoben, anstatt einen neuen Zustimmungsantrag zu stellen. Damit sei die Klägerin an einer sachgerechten Stellungnahme gehindert gewesen. Die Ausführungen der Beigeladenen seien unsubstantiiert und reichten für eine Kündigung nicht aus. Der Beklagte sei dem nicht ausreichend nachgegangen und habe lediglich auf die Möglichkeit der arbeitsgerichtlichen Klärung der Vorwürfe verwiesen. Darauf lasse sich die Zustimmungserteilung nicht stützen.

Die Beigeladene teilte auf telefonische Nachfrage des Integrationsamtes des Beklagten mit, dass sie auf den bisherigen Schriftwechsel Bezug nehme. Eine weitere Stellungnahme gab sich nicht ab.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.03.2014 gab der Beklagte dem Widerspruch der Klägerin statt, hob den Bescheid vom 18.07.2013 auf und versagte die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit der Beigeladenen.

Zur Begründung wurde aufgeführt, dass es an der Feststellbarkeit eines eindeutigen Kündigungsgrundes fehle, was eine Ausübung des behördlichen Entscheidungsermessens zugunsten der Beigeladenen ausschließe. Das Arbeitsverhältnis sollte nämlich beendet werden, weil die Klägerin ihren Vorgesetzten in der Öffentlichkeit, nämlich einer arbeitsgerichtlichen Verhandlung, wahrheitswidrig der sexuellen Belästigung bezichtigt bzw. mit dieser Behauptung eine Straftat des Vorgesetzten vorgetäuscht habe. Für diese Entscheidung des Integrationsamtes musste geprüft werden, ob dieser Kündigungsgrund auch tatsächlich berechtigt ist, mit anderen Worten, welcher Wahrheitsgehalt den Äußerungen der Klägerin beizumessen war. Diese Frage lasse sich vorliegend aber nicht beantworten, denn die Arbeitsvertragsparteien bestreiten den jeweiligen Sachvortrag der Gegenseite ohne geeignete Zeugenangebote. Damit bestehe lediglich die Möglichkeit einer verleumderischen Behauptung der Klägerin, was für die erforderliche Überzeugungsbildung des Integrationsamtes nicht ausreiche.

Was das Verfahren der außerordentlichen Kündigung betrifft, beantragte die Beigeladene am 14.06.2013 die Zustimmung des Integrationsamtes zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin aus verhaltensbedingten Gründen. Hierzu führte sie aus, dass die Klägerin betriebsintern bereits zweimal behauptet habe, von ihrem Vorgesetzten sexuell belästigt worden zu sein. Diese wahrheitswidrige Anschuldigung habe sie im Rahmen eines vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main geführten Rechtsstreit im Gütetermin am 12.06.2013 während der gut besuchten öffentlichen Verhandlung nochmals erhoben. Der Vorgesetzte werde daher gegen die Klägerin unter anderem wegen Vortäuschung einer Straftat Anzeige erstatten und eine Unterlassungsverfügung beantragen. Der Vorfall zeige, dass das Vertrauensverhältnis zur Klägerin zerrüttet sei. Das Arbeitsverhältnis könne daher nicht länger fortgesetzt werden. Die Klägerin sei ordnungsgemäß angehört worden und die Frist des § 626 BGB in Bezug auf den Vorfall am 12.06.2013 nicht abgelaufen.

Die Klägerin lies die gegen sie erhobenen Vorwürfe durch ihre frühere Bevollmächtigte zurückweisen und vortragen, dass sie von der Beigeladenen hierzu nicht angehört und auch die Frist des § 626 BGB nicht eingehalten worden sei. Den angegebenen Kündigungsgrund habe die Beigeladene bereits in ihrem Schriftsatz vom 15.04.2013 erwähnt. Zudem stehe die Kündigung mit der Schwerbehinderung im Zusammenhang.

Mit Bescheid vom 28.06.2013 stimmte das Integrationsamt des Beklagten gemäß § 91 Abs. 4 SGB IX der außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit der Beigeladenen zu.

Die Klägerin hat gegen die von der Beigeladenen am 03.07.2013 ausgesprochene fristlose Kündigung Kündigungsschutzklage vor dem Arbeitsgericht erhoben. Mit rechtskräftigem arbeitsrechtlichen Vergleich vom 04.07.2014 vor dem Arbeitsgericht Frankfurt a. M. - 15 Ca 5451/13 - wurde das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beigeladenen beendet.

Am 01.08.2013 hat die Klägerin Widerspruch gegen den Bescheid des Beklagten vom 28.06.2013 eingelegt. Sie begründete ihn damit, dass der Beklagte in seiner Entscheidung den Vortrag der Beigeladenen ungeprüft zugrunde gelegt und damit seine Aufklärungspflicht verletzt habe. Es lägen Umstände vor, die ein Abweichen von der Sollvorschrift des § 91 Abs. 4 SGB IX rechtfertigten. Bei ordnungsgemäßer Sachverhaltsaufklärung hätte festgestellt werden müssen, dass es evident an einem Kündigungsgrund im Sinne von § 626 BGB mangele, da die Beigeladene nicht beleidigt worden sei. Dies hätte zur Versagung der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung führen müssen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 17.02.2014 wies der Beklagte den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 28.06.2013 zurück. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass Umstände, die ein Abweichen von der Sollvorschrift des § 91 Abs. 4 SGB IX rechtfertigten, nicht vorliegen. Insbesondere sei der Zustimmungsantrag nicht wegen offensichtlicher Unbegründetheit der beabsichtigten Kündigung zurückzuweisen. Die vom Beklagten insoweit vorzunehmende Offensichtlichkeitskontrolle ergebe keinen Hinweis auf einen augenscheinlich unhaltbaren Kündigungsgrund.

Eine solche sogenannte Evidenz verlange definitionsgemäß, dass sie sich ohne Beweiserhebung oder sonstige Aufklärungsmaßnahmen schon aus dem Vortrag des Arbeitgebers ergebe, also ohne jeden vernünftigen Zweifel in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht offen zutage liege. Dies lasse sich nicht feststellen. Unstreitig habe die Klägerin in der öffentlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht am 12.06.2013 ihren Vorgesetzten sexueller Übergriffe bezichtigt. Damit bestehe nach der insoweit maßgebenden Darstellung der Beigeladenen grundsätzlich die Möglichkeit einer falschen Anschuldigung, die von der Klägerin zum Zwecke einer Rufschädigung des betroffenen Vorgesetzten bzw. sich mit ihr in einem Rechtsstreit befindenden Beigeladenen bewusst vor den Zuhörern einer Gerichtsverhandlung publiziert worden sein könnte. Dies reiche für die Zustimmung im vorliegenden Verfahren aus. Die Frage, ob die fragliche Bezichtigung möglicherweise zutreffe oder nicht und ob der von der Klägerin gewählte Publikumsrahmen angemessen oder rügenswert sei, sei angesichts der dazu notwendigen Ermittlungen und Wertungen einer Evidenzkontrolle nicht zugänglich. Dies sei Sache des Arbeitsgerichts.

Es liege auch kein atypischer Fall vor, wonach die Zustimmung in besonderen Ausnahmefällen versagt werden könne, da die Klägerin in einer die Schutzzwecke des SGB IX berührenden Weise nicht besonders hart betroffen sei. Die Kündigungsfolgen übersteigen nicht das Maß dessen, das jeder Schwerbehinderte tragen müsse. Dies betreffe insbesondere die Tatsache, dass der Arbeitsplatzverlust zu finanziellen und sozialen Einschnitten führe.

Mit am 19.03.2014 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben. Zuvor hat sie mit am 15.01.2014 eingegangenem Schriftsatz Untätigkeitsklage erhoben (7 K 161/14.F (1)). Diese Klage wurde nach Erlass der Widerspruchsbescheide zurückgenommen und mit Beschluss vom 31.01.2014 eingestellt.

Im vorliegenden Verfahren bezieht sich die Klägerin auf ihre Widerspruchsbegründung im Vorverfahren und die Klagebegründung im Verfahren 7 K 161/14.F (1). Ergänzend trägt sie vor, dass die Antragstellung der Beigeladenen an der erforderlichen Form des § 87 SGB IX mangele. Eine Vollmacht des Bevollmächtigten der Beigeladenen sei dem Beklagten nicht vorgelegt worden. Weiter bedürfe es eines schriftlichen Antrages der Beigeladenen beim Integrationsamt im Sinne einer eigenhändigen Unterschrift unter die entsprechende Antragsurkunde. Dem Antrag fehle auch ein konkret individualisierbarer Sachverhaltsvortrag, aus welchem sich der Kündigungssachverhalt überprüfbar ergebe. Weiter habe das Integrationsamt des Beklagten nicht ermittelt, in welcher Rechtsbeziehung die Klägerin und x stehen noch inwieweit die Beigeladene durch die Aussage der Klägerin verletzt worden sei, so dass ein Festhalten am Arbeitsverhältnis nicht mehr möglich sei. Es lägen auch atypische Umstände vor, welche das Ermessen des Beklagten eingeschränkt hätten. Dem verhaltensbedingten außerordentlichen Kündigungsgrund läge eine behauptete sexuelle Belästigung zugrunde, die mehrfach gegenüber der Beigeladenen als auch dem Beklagten vorgetragen, aber in keiner Weise zu Lasten der Klägerin geahndet worden sei. Die außerordentliche Kündigung treffe die Klägerin sehr schwer, da sie erhebliche Schwierigkeiten habe einen neuen Arbeitgeber zu finden, der ihr eine behindertengerechte Arbeitsausübung ermögliche. Sie sei gehindert Treppenstufen zu steigen oder längere Strecken zu Fuß zurückzulegen.

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 28.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2014 rechtswidrig war.

Die mit Schriftsatz vom 19.03.2014 und vom 14.04.2014 gestellten Klageanträge wurden in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.

Der Beklagte beantragt,

Die Klage abzuweisen.

Das Antragsverfahren betreffend die außerordentliche Kündigung sei gemäß § 87 Abs. 1 SGB lX seiner Auffassung nach ordnungsgemäß durchgeführt worden.

Zum Zeitpunkt der Antragstellung sei die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht des Bevollmächtigten der Beigeladenen nicht erforderlich gewesen. Zudem sei die schriftliche Vollmacht als Anlage zum Schreiben vom 24.06.2013 nachgereicht worden. Für die Antragstellung bestehe auch nicht das Erfordernis eines konkret individualisierbaren Sachverhaltsvortrages. Der Antrag müsse inhaltlich nur die Person des Arbeitgebers, die Person des schwerbehinderten Arbeitnehmers und den Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung erkennen lassen. Eine Begründung schreibe das Gesetz nicht vor. Unabhängig davon sei der Sachverhalt, den die Arbeitgeberin für ihre Kündigungsabsicht herangezogen habe, bereits ab Antragstellung, jedoch spätestens bei Bescheiderteilung allen Beteiligten bekannt gewesen. Im Rahmen der Prüfung für die Zustimmung zu einer außerordentlichen Kündigung komme es nicht darauf an, ob die vom Arbeitgeber vorgetragenen Kündigungsgründe auch tatsächlich gegeben seien. Ein atypischer Fall, der dazu führen könne, dass das Ermessen des Beklagten nicht nach § 91 Abs. 4 SGB IX eingeschränkt sei, liege nicht vor. Der Klägerin werde im Vergleich zur Gruppe der schwerbehinderten Menschen kein Sonderopfer abverlangt. Umstände hierfür ergeben sich aus der Klageschrift nicht.

Die Beigeladene hat sich zum Verfahren nicht geäußert und in der mündlichen Verhandlung beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtskate, der Gerichtsakte im Verfahren 7 K 161/14.F (1) und der beigezogenen Behördenakten (1 Heft) verwiesen, welche vorgelegen haben und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden.

Mit Beschluss vom 30.06.2014 hat die Kammer den Rechtsstreit der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.

Rechtsweg:

Es liegen keine Informationen zum Rechtsweg vor.

Quelle:

Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH)

Entscheidungsgründe:

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO).

Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.

Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft, da die Erledigung vor Klageerhebung eingetreten ist. Die Klägerin und die Beigeladene haben sich in dem rechtskräftigen Vergleich vom dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main - Az.: 15 Ca 5451/13 - am 04.07.2014 dergestalt geeinigt, dass ihr Arbeitsverhältnis sein Ende gefunden hat, weshalb die Zustimmung des Beklagten zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin mit der Beigeladenen keine Wirkung mehr entfalten kann.

Das für diese Klageart erforderliche Fortsetzungsfeststellungsinteresse kann sich vorliegend allein aus dem Gesichtspunkt der Rehabilitationsgefahr ergeben. Ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse aus dem Gesichtspunkt der Wiederholungsgefahr ist - wovon die Beteiligten unstreitig ausgehen - zu verneinen, da das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beigeladenen beendet ist. Auch aus dem Gesichtspunkt der Präjudizialität (Vorbereitung eines Amtshaftungsprozesses) ist ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht zu bejahen, da die Geltendmachung eines solchen Anspruches nicht hinreichend konkret vorgetragen wurde. Der Vertreter der Klägerin hat hierzu im Schriftsatz vom 26.08.2014 lediglich vorgetragen, dass die Beklagte ihren gesetzlichen Schutz- und Sorgfaltspflichten der Klägerin als Schwerbehinderte gegenüber nicht ausreichend nachgekommen sei und daher ggfls. Haftungsansprüche begründet sein könnten.

Das vorliegend allein in Frage kommende Rehabilitationsinteresse kann nur bejaht werden, wenn es sich bei der Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin durch die Beigeladene um einen schwerwiegenden Eingriff in ein Grundrecht der Klägerin handeln würde (vgl. Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Urteil vom 19.02.2008 - 3 A 235/07 - in Juris). Die Klägerin hat hierzu vorgetragen, dass der streitgegenständliche Bescheid sie erheblich in ihrem Grundrecht nach Artikel 12, 2 und 3 GG verletzen würde, da die Beklagte ihre Zustimmung erteilt habe, ohne den Sachverhalt zuvor ausreichend aufgeklärt und geprüft zu haben.

Die erkennende Einzelrichterin hat mehr als große Zweifel am Vorliegen eines Rehabilitationsinteresses, mithin an einem Handeln des Beklagten mit Grundrechtsbezug, da nach § 91 Abs. 4 SGB IX bei einer außerordentlichen Kündigung die Zustimmung durch das Integrationsamt erteilt werden soll, wenn die Kündigung nicht in Zusammenhang mit der Behinderung steht (gebundenes Ermessen). Bei unstreitig fehlendem Zusammenhang zwischen dem Kündigungsgrund (Vortäuschen einer Straftat) und der Behinderung (Muskelerkrankung) wie vorliegend, ist die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung in der Regel zu erteilen (so Dau/ Düwell/ Joussen, Sozialgesetzbuch IX, Lehr- und Praxiskommentar, 3. Auflage, 2011, § 87 Rd. Nr. 24 mit Nachweisen zur Rechtsprechung). Es bedarf dann nach der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit keiner Prüfung der Kündigungsgründe am Maßstab des § 626 Abs. 1 BGB (BVerwG vom 02.07.1992 - 5 C 39.90 - BVerwGE 90, 275). Es war daher vorliegend nicht Aufgabe des Beklagten, den Sachverhalt, der der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung zugrunde lag, aufzuklären und zu prüfen.

Die Klage ist unabhängig vom Vorliegen eines Fortsetzungsfeststellungsinteresses jedenfalls nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 28.06.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2014 war rechtmäßig und verletzte die Klägerin nicht in ihren Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO).

Rechtsgrundlage für die Zustimmung des Beklagten zur außerordentlichen Kündigung der Klägerin durch die Beigeladene war § 91 i.V.m. den §§ 85, 89 Abs. 2 SGB IX. Nach § 85 SGB IX bedarf die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes. Mit Bescheid des Hessischen Amtes für Versorgung und Soziales Frankfurt vom 12.05.1999 wurde für die Klägerin ein Grad der Behinderung (GbB) von 60 festgestellt. Für sie besteht demnach der vorgenannte besondere Kündigungsschutz des § 85 SGB IX. Das Zustimmungserfordernis besteht nach § 91 Abs. 1 SGB IX auch bei außerordentlichen Kündigungen.

Die Zustimmung zur streitgegenständlichen Kündigung wurde durch die Beigeladene auch fristgerecht beantragt. Nach § 91 Abs. 2 Satz 1 SGB IX ist die Zustimmung innerhalb von 2 Wochen zu beantragen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, indem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt (§ 91 Abs. 2 Satz 2 SGB IX).

Entscheidend für die Bestimmung der Frist ist der Vorwurf der sexuellen Belästigung, den die Klägerin im Verhandlungstermin vor dem Arbeitsgericht am 12.06.2013 gegenüber ihrem Vorgesetzten ausgesprochen hat. Auf diesen Sachverhalt stützt die Beigeladene ihren Antrag vom 14.06.2013 auf Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung (Blatt 1 und 2 der Behördenakte). Dass - wie die Klägerin ausführt - dieselbe Anschuldigung betriebsintern schon zu einem früheren Zeitpunkt von ihr erhoben wurde, führt nicht zur Verfristung des Zustimmungsantrages. Die Beigeladene stützt sich maßgeblich auf den Vorfall in der Güteverhandlung am 12.06.2013. Dieser Vorfall hat - wie der Beklagte in seinem Widerspruchsbescheid ausgeführt hat - eine besondere Qualität, da er außerhalb des betrieblichen Bereichs und in der öffentlichen Situation einer Gerichtsverhandlung stattfand, weshalb der 2 Tage später beim Integrationsamt eingegangene Zustimmungsantrag fristgerecht gestellt wurde.

Der Antrag vom 14.06.2013 wurde auch formwirksam entsprechend den Anforderungen des § 87 SGB IX gestellt.

§ 87 SGB IX, wonach der Arbeitgeber die Zustimmung zur Kündigung beim zuständigen Integrationsamt schriftlich zu beantragen hat, erfordert nicht die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht zum Zeitpunkt der Antragstellung. Wie der Beklagte zutreffend weiter im Klageerwiderungsschriftsatz vom 08.04.2014 ausgeführt hat, wurde die schriftliche Vollmacht als Anlage zum Schreiben vom 24.06.2013 nachgereicht, sodass an der Bevollmächtigung letztlich auch keine Zweifel bestehen.

Weiter ist für die Antragstellung auch nicht ein konkret individualisierbarer Sachvortrag erforderlich. Die Angabe von Gründen, die die Kündigung rechtfertigen, ist kein Wirksamkeitserfordernis für den Antrag (so Kossens/ von der Heide/ Maaß; SGB IX, Kommentar. 2. Auflage 2006. § 87 Rd. Nr. 5). Der Antrag muss grundsätzlich nur die Person des Arbeitgebers, die Person des schwerbehinderten Menschen und den Zeitpunkt der beabsichtigten Kündigung erkennen lassen (vgl. Kossens/ von der Heide/ Maaß; SGB IX, Kommentar. § 87 Rd. Nr. 4). Die Beigeladene hat in ihrem Antrag vom 14.06.2013, welcher vom Rechtsanwalt der Beigeladenen ordnungsgemäß unterzeichnet war, den Sachverhalt, auf welchen sich die beabsichtigte außerordentliche Kündigung stützen sollte, benannt. Darüber hinaus hat der Beklagte nach Antragstellung alles weitere zur Sachverhaltsaufklärung eingeleitet (vgl. Schreiben des Beklagten an die Klägerin und den Bevollmächtigten der Beigeladenen vom 14.06.2013 (Blatt 4 bis 7 der Behördenakten)).

Der Beklagte hat auch nicht - wie von Klägerseite vorgetragen - seine Aufklärungspflicht nach § 20 SGB X verletzt. Dabei ist der Prüfungsmaßstab für die außerordentliche Kündigung gemäß § 91 Abs. 4 SGB IX zugrunde zulegen. In Fällen fehlenden Behinderungszusammenhangs, wie vorliegend, da die Muskelerkrankung der Klägerin nicht in Zusammenhang mit sexuellen Vorwürfen gebracht werden kann, kommt es nicht darauf an, ob die von der Beigeladenen vorgetragenen Kündigungsgründe auch tatsächlich gegeben sind. Maßgeblich ist allein der Arbeitgebervortrag. Eine Prüfung der vom Beigeladenen geltend gemachten Kündigungsgründe am Maßstab des § 626 Abs. 1 BGB findet nicht statt (so Bundesverwaltungsgericht vom 02.07.1992 - 5 C 39.90 - BVerwGE 90, 275).

Vorliegend ist auch kein Raum für ein "Restermessen", welches bei Vorliegen von Umständen angenommen werden könnte, welche den Fall als atypisch erscheinen lassen. Ein solcher atypischer Fall kann nur angenommen werden, wenn die außerordentliche Kündigung den schwerbehinderten Menschen in einer die Schutzzwecke des SGB IX berührenden Weise besonders hart trifft, ihn im Vergleich zur Gruppe der schwerbehinderten Menschen im Falle einer außerordentlichen Kündigung allgemein zugemuteten Belastungen also ein Sonderopfer abverlangt. Die in der Klagebegründung genannten Umstände, dass die Klägerin schwerlich einen neuen Arbeitsplatz finden könne, der ihr eine behindertengerechte Arbeitsausübung ermögliche, reichen für die Annahme eines solchen Sonderopfers nicht aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus dem §§ 154 Abs. 2, Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Kosten der Beigeladenen sind gemäß § 162 Abs. 3 Satz 1 VwGO der Klägerin aufzuerlegen, da die Beigeladene erfolgreich einen Antrag gestellt und sich somit einem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat. Das Verfahren ist gemäß § 188 Satz 2 VwGO i. V. m. Satz 1 gerichtskostenfrei.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr.11, 711 ZPO.

Referenznummer:

R/RBIH6764


Informationsstand: 19.10.2015